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What if it be poison, which the friar
Subtly hath ministered? –
»Wie wäre es Gift gewesen, das der schlaue Mönch beizubringen wußte?« [Aus »Romeo und Julia«, IV, 3: ›Wie? wär' es Gift, das mir mit schlauer Kunst / Der Mönch bereitet?‹ –
D.Hg.]
Shakespeare.
Als Vivaldi's erste Empfindungen des Mitleids und der Reue, einen alten Mann, und Mitglied einer heiligen Gesellschaft beleidigt zu haben, vorüber waren, und er mit kühlerm Auge auf einige Umstände von des Beichtvaters Betragen zurücksah, merkte er, daß sich wieder Verdacht in seiner Seele sammlete. Allein er betrachtete ihn mehr als Zeichen seiner eignen Schwäche, als wie einen Wink der Wahrheit und suchte mit edelmüthiger Verachtung jeden ungünstigen Zweifel gegen Schedoni von sich zu werfen.
Als der Abend kam, eilte er nach der Villa Altieri; außer der Stadt traf er, der Verabredung gemäß, einen Arzt, auf dessen Ehre und Geschicklichkeit er sich verlassen konnte, und machte sich mit ihm zusammen auf den Weg. Er hatte in der Bestürzung seines letzten Besuchs vergessen, Ellena den Schlüssel zu der Gartenthüre abzugeben, und gieng den gewöhnlichen Weg, ohngeachtet er eine geheime Abneigung, so heimlich und bei Nachtzeit Ellenas Wohnung zu besuchen, nicht ganz unterdrücken konnte. Indessen konnte der Arzt, dessen Meinung zu seiner Ruhe so nothwendig war, auf keine andre Art eingeführt werden, ohne einen Verdacht zu verrathen, der Ellena wahrscheinlich auf immer unglücklich gemacht hätte.
Beatrix, die im Eingange auf sie wartete, führte sie in das Zimmer, wo der Körper lag, und Vivaldi, so sehr es ihn auch rührte, als er hereintrat, gewann bald Fassung genug, seinen Stand an der einen Seite des Bettes zu nehmen, während der Arzt sich zur andern stellte. Es war ihm unangenehm, seine Bewegung der Beobachtung eines Gesindes zu verrathen, und er wünschte auch, sich allein mit dem Arzte zu unterhalten, weswegen er Beatrix die Lampe abnahm und sie fortschickte. So wie das Licht auf das gelbe Gesicht des Leichnams schien, staunte Vivaldi mit trauriger Ueberraschung, und er mußte seiner Vernunft Gewalt anthun, um sich zu überzeugen, daß es dasselbe Gesicht wäre, welches nur noch einen Abend früher, wie das seinige beseelt war; das Gesicht, welches ihn mit Thränen anblickte, als sie mit der zärtlichsten Sorgfalt die Glückseligkeit ihrer Nichte seiner Sorgfalt anvertraute und nur zu richtig, ihre baldige Auflösung voraus sagte. Jene Scene schwebte jetzt wie eine Erscheinung vor ihm und berührte jede Fiber seines Herzens. Er war ganz vom Gefühl der Wichtigkeit des ihm aufgetragnen Amtes durchdrungen, und erneuerte schweigend, indem er über Bianchis bleicher und verlassener Gestalt hieng, seine feierlichen Gelübde, das Vertrauen ihres abgeschiednen Schutzgeistes an Ellena zu verdienen.
Ehe Vivaldi noch das Herz hatte, den Arzt, der das Gesicht der Verstorbnen mit sehr ernster Aufmerksamkeit und bedenklicher Miene betrachtete, um seine Meinung zu fragen, verstärkte sich sein eigner Verdacht. Die schwarzen Flecken auf ihrem Gesicht schienen besonders zu verrathen, daß sie an Gift gestorben war.
Er fürchtete sich, ein Stillschweigen zu unterbrechen, das seine Hoffnung des Gegentheils verlängerte, so schwach sie auch war, und der Arzt, der wahrscheinlich die Folgen scheute, seine wahren Gedanken zu sagen, schwieg ebenfalls.
»Ich lese Ihre Meinung auf Ihrem Gesicht,« sagte Vivaldi endlich; »sie stimmt mit der meinigen überein.«
»Das weiß ich gerade nicht, Signor,« erwiederte der Arzt, »ohngeachtet ich die Ihrige wahrzunehmen glaube. Der Anschein ist freilich verdächtig, doch will ich mich nicht getrauen zu entscheiden, daß es so ist, wie Sie argwöhnen. Es lassen sich noch andre Umstände denken, unter welchen ein solches Ansehn eintreten kann.« Er sagte seine Gründe zu dieser Behauptung, die selbst Vivaldi glaubhaft schienen, und schloß damit, daß er Beatrix zu sprechen verlangte: »denn ich wünsche genau die Beschaffenheit ihrer Herrschaft einige Stunden vor ihrem Tode zu wissen,« setzte er hinzu.
Nach einer langen Unterredung mit Beatrix, blieb er, was auch seine Meinung im Stillen seyn mochte, beinahe bei seinen vorigen Aeußerungen; er sagte, es träfen so manche widersprechende Dinge zusammen, daß es ihm unmöglich wäre zu entscheiden, ob Bianchi an Gift gestorben sey oder nicht. Er setzte noch ausführlicher als zuvor, die Gründe aus einander, welche die Meinung jedes Arztes über diesen Umstand zweifelhaft machen mußten; allein es sey nun, daß er sich fürchtete, für einen Ausspruch verantwortlich zu werden, wodurch er eine Person des Mordes anklagte, oder daß er würklich geneigt war, zu glauben, daß Bianchi natürlichen Todes gestorben sey, genug, er schien für die letzte Meinung zu stimmen, und ließ es sich sehr angelegen seyn, Vivaldi seinen Argwohn auszureden. Es gelang ihm in der That so weit, daß er ihn überzeugte, es würde zu nichts helfen, die Untersuchung weiter zu treiben, und ihn beinahe zwang zu glauben, daß sie nach dem gewöhnlichen Laufe der Natur verschieden sey.
Nachdem Vivaldi noch eine Zeitlang über Bianchis Todtenbette gezögert, und von ihrer starren Gestalt ein letztes Lebewohl genommen hatte, verließ er das Zimmer und Haus eben so leise, als er gekommen war, und wie er glaubte, weder von Ellena noch sonst jemand bemerkt. Der Morgen dämmerte über der See, als er in den Garten zurückkehrte, und ein paar Fischerleute, die am Ufer zögerten, oder ihre kleinen Kähne abstießen, waren die einzig sichtbaren Wesen um diese frühe Stunde. Die Zeit war indessen vorüber, um seine Untersuchung zu Paluzzi zu erneuern, und der helle Tag mahnte ihn, sich zurückzuziehn. Er gieng also wieder nach Neapel, einigermaaßen erleichtert durch die Hoffnung, daß Bianchi nicht unnatürlich gefallen sey, und durch die Gewißheit, daß Ellena sich wohlbefand. Er kam ungestört der Festung vorüber, und nach der Trennung von dem Arzte, ließ ein vertrauter Bedienter ihn in seines Vaters Haus ein.