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O you should not rest
Between the elements of air and earth.
But you should pity me.
Twelfth Night.
»O du solltest nicht zwischen den Elementen des Himmels und der Erde ruhen; du solltest Mitleid gegen mich fühlen!« [Shakespeares »Twelfth Night« ist im Deutschen unter dem Titel »Was ihr wollt« bekannt. Die Übersetzung hat nur die letzten drei (von insgesamt zehn) Zeilen des Original-Zitats verwendet. In der klassischen Übersetzung von Schlegel/Tieck – wie auch die weiteren zusätzlichen Shakespeare-Übersetzungen – lautet die gesamte Passage:
OLIVIA.
Nun wohl, was tätet Ihr?
VIOLA.
Ich baut' an Eurer Tür ein Weidenhüttchen,
Und riefe meiner Seel' im Hause zu,
Schrieb' fromme Lieder der verschmähten Liebe,
Und sänge laut sie durch die stille Nacht,
Ließ' Euern Namen an die Hügel hallen,
Daß die vertraute Schwätzerin der Luft
»Olivia!« schrie! Oh, Ihr solltet mir
Nicht Ruh' genießen zwischen Erd' und Himmel,
Bevor Ihr Euch erbarmt!
D.Hg.]
Da es Vivaldi nicht gelungen war, sich eine Erklärung der Worte des Mönchs zu verschaffen, beschloß er, sich von der Qual der Ungewißheit wegen eines Nebenbuhlers zu befreien, nach der Villa Altieri zu gehn und seine Ansprüche zu erklären. Er führte diesen Entschluß unmittelbar am andern Morgen aus; als er aber nach Signora Bianchi fragte, sagte man ihm, daß sie sich nicht sprechen ließe. Mit vieler Schwierigkeit bewegte er die alte Hausmagd, ihre Herrschaft zu bitten, daß sie ihm nur auf einige Augenblicke Gehör vergönnen möchte. Es wurde ihm gewährt, und man führte ihn in dasselbe Zimmer, wo er Ellena gesehn hatte. Es war leer, und man sagte ihm, daß Signora Bianchi gleich kommen würde.
In dieser Zwischenzeit riß ihn den einen Augenblick ungeduldige Freude, und im andern schwärmerisches Entzücken hin, wenn er den Altar anstaunte, von welchem er Ellena aufstehn sah, und wo sie seiner Phantasie noch immer erschien. Er betrachtete jeden Gegenstand, auf dem ihre Augen kürzlich verweilt hatten. Diese ihr so erfreulichen Gegenstände nahmen in Vivaldis Einbildung etwas von dem heiligen Gepräge an, das sie seinem Herzen eingedrückt hatte, und rührten ihn beinahe so, als wäre sie selbst gegenwärtig. Er zitterte, wenn er die Laute hinnahm, die sie zu berühren gewohnt war, und wenn er die Saiten anstimmte, so schien es ihm, als wenn ihre Stimme aus ihnen spräche. Eine halb vollendete Zeichnung einer tanzenden Nymphe lag auf dem Tisch und er errieth sogleich, daß ihre Hand die Züge entworfen hatte. Es war eine Kopie aus dem Herculaneum, und, obgleich nur Kopie, mit dem Geiste des Originalgenies gezeichnet. Die leichten Schritte schienen sich beinahe zu bewegen und die ganze Figur hatte das luftige Schweben einer Grazie. Vivaldi sah, daß dieses Stück zu einer Reihe von Gemählden gehörte, die das Zimmer schmückten, und bemerkte mit Verwunderung, daß es die besondern Gemählde waren, die seines Vaters Kabinett schmückten, und die man für die einzigen Kopien hielt, die von den Originalen in königlichen Museum hatten genommen werden dürfen.
Jeder Gegenstand, auf dem seine Augen ruhten, schien Ellenas Gegenwart anzukündigen; sogar die Blumen, die das Zimmer so heiter machten, hauchten einen Wohlgeruch, der seine Sinnen einnahm und seine Einbildungskraft rührte. Ehe noch Signora Bianchi erschien, war seine Aengstlichkeit und Bewegung so hoch gestiegen, daß er, besorgt, sich in ihrer Gegenwart nicht aufrecht halten zu können, mehr als einmal im Begriff stand, das Haus zu verlassen. Endlich hörte er von außen ihren Schritt und verlor beinahe den Athem. Die Figur der Signora Bianchi war nicht gemacht, Bewundrung einzuflößen, und ein Zuschauer würde gelächelt haben, wenn er Vivaldis Unruhe, seine schwankenden Schritte und sein ängstliches Auge gesehn hätte, als er der ehrwürdigen Bianchi entgegen gieng, sich auf ihre welke Hand neigte, und ihrer hellen Stimme zuhörte. Sie empfieng ihn mit einem sehr zurückhaltenden Wesen, und es verstrichen einige Augenblicke, ehe er sich so weit sammeln konnte, ihr die Absicht seines Besuchs zu sagen. – Als er sich endlich entdeckte, schien sie nicht sonderlich überrascht zu seyn. Sie hörte geruhig, obgleich mit etwas strenger Miene, die Betheurungen seiner Achtung für Ellena an, und als er sie bath, ihm behülflich zu seyn, die Hand ihrer Nichte zu erhalten, sagte sie:
»Ich kann nicht anders als glauben, daß einer Familie von Ihrem Range eine Verbindung mit einem Frauenzimmer aus der meinigen sehr zuwider seyn müßte; auch ist es mir nicht unbekannt, daß ein volles Gefühl des Werths der Geburt einen Hauptzug im Charakter des Marquis und der Marquise di Vivaldi ausmacht. Dieser Antrag muß ihnen unangenehm, oder wenigstens unbekannt seyn; und ich muß Ihnen sagen, Signor, daß Signora Rosalba, wenn sie Ihnen gleich am Range nachsteht, Ihnen an Stolz gleich ist.«
Vivaldi fand es verächtlich, zu leugnen, und nahm doch einen Anstoß, die Wahrheit so unvorbereitet zu gestehn. Die Aufrichtigkeit, womit er es endlich wagte, und die Stärke einer Leidenschaft, die zu beredt war, um mißverstanden zu werden, besänftigten Signora Bianchi, bei der andre Rücksichten aufstiegen, einigermaaßen. Sie überlegte, daß sie bei ihrem Alter und ihrer Schwächlichkeit sehr bald dem Laufe der Natur nach, Ellena als eine junge und freundlose Waise zurücklassen müßte, die alsdann noch immer großentheils von ihrem eignen Fleiße und gänzlich von ihrer eignen Klugheit abhieng. Mit viel Schönheit und wenig Weltkenntniß erschienen die Gefahren ihrer künftigen Lage dem zärtlichen Gemüth der Signora Bianchi in den lebhaftesten Farben; und sie dachte zuweilen, es wäre vielleicht recht, Rücksichten, die in jedem andern Betracht lobenswürdig seyn würden, aufzuopfern, um ihrer Nichte den Schutz eines Gemahls, und eines Mannes von Ehre, zu verschaffen. Wenn sie hier von der strengen Rechtschaffenheit abwich, die dagegen sprechen mußte, daß Ellena heimlich in eine Familie eintrat, so möge ihre mütterliche Aengstlichkeit den Tadel, den sie verdiente, mildern.
Allein ehe sie sich zu diesem Schritte entschloß, war es nothwendig, sich zu überzeugen, ob Vivaldi ihr Vertrauen verdiente. Um also die Standhaftigkeit seiner Neigung zu prüfen, gab sie für jetzt seinen Hoffnungen wenig Aufmunterung. Seine Bitte, Ellena zu sehn, schlug sie durchaus ab, und seiner Frage, ob er einen Nebenbuhler hätte, und ob dieser von Ellena gern gesehn würde, wich sie aus, weil sie wohl fühlte, daß eine Antwort ihm mehr Aufmunterung geben müßte, als vielleicht nachher die Klugheit zu bestätigen erlaubte.
Vivaldi nahm endlich Abschied, zwar von gänzlicher Verzweiflung geheilt, aber kaum aufgemuntert zu hoffen; er hatte nichts von einem Nebenbuhler erfahren, war aber doch ungewiß, ob er sich selbst mit Ellenas Neigung schmeicheln durfte.
Er hatte Erlaubniß erhalten, Signora Bianchi einmal wider zu besuchen; aber bis zu diesem Tage schien ihm die Zeit bewegungslos zu seyn; es dünkte ihm ganz unmöglich, diese Zwischenzeit der Erwartung zu ertragen, und seine Gedanken beschäftigten sich auf dem Rückwege mach Neapel gänzlich mit Mitteln, sie auszufüllen, bis er den wohlbekannten Schwibbogen erreichte und sich – wiewohl mit dem Gedanken, daß es vergebens sey, nach seinem geheimnißvollen Quälgeist umsah. Der Fremde erschien nicht, und Vivaldi verfolgte den Weg mit dem Entschlusse, diese Nacht den Ort wieder zu besuchen und auch insgeheim nach der Villa Altieri zurück zu kehren, wo er durch einen zweiten Besuch sich einige Linderung seiner Pein zu verschaffen hoffte.
Als er zu Hause kam, fand er, daß der Marchese, sein Vater, einen Befehl für ihn hinterlassen hatte, ihn zu erwarten: er gehorchte aber der Tag verstrich, ohne daß sein Vater wieder kam. Die Marquise fragte ihn, als er sie besuchte, mit einem vielbedeutenden Blicke, wie er sich zeither beschäftigt hätte, und vereitelte durchaus seinen Plan für den Abend dadurch, daß sie ihn aufforderte, sie nach Portici zu begleiten. Auf solche Art wurde er verhindert, Bonarmos Entschluß zu erfahren, zu Paluzzi zu wachen und Ellenas Aufenthalt wieder zu besuchen.
Er blieb bis zum folgenden Abend zu Portici, und da bei seiner Zurückkunft nach Neapel der Marchese wieder abwesend war, so blieb er über den Gegenstand der Unterredung mit ihm in Ungewißheit. Er erhielt ein Billet von Bonarmo, worin er es abschlug, mit nach der Festung zu gehn, und seinen Freund dringend bath, einen so gefährlichen Besuch aufzugeben. Da Vivaldi diesen Abend keinen Gefährten des Abentheuers hatte, und doch nicht allein gehn mochte, so verschob er es bis auf den andern Tag; allein keine Rücksicht konnte ihn abhalten, die Villa Altieri zu besuchen. Er mochte seinen Freund nicht bitten, ihn dahin zu begleiten, weil er seine erste Bitte abgeschlagen hatte, und nahm bloß seine einsame Laute, mit der er den Garten früher als gewöhnlich erreichte.
Die Sonne war schon über eine Stunde untergegangen, aber der Horizont behielt noch immer einen Safranglanz und der ganze Dom des Himmels hatte eine durchsichtige Klarheit, die diesem bezaubernden Klima eigen ist, und eine mildere Dämmerung über die ruhende Welt auszugießen schien. Im Südost sah man deutlich den Umriß des Vesuvs; allein der Berg selbst war dunkel und still.
Vivaldi hörte nur die schnellen und eifrigen Stimmen einiger Lazaroni, in einer kleinen Entfernung vom Ufer, die bei ihrem einfachen Marospiel in Streit geriethen. Er sah durch die Fensterladen eines kleinen Pavillons in der Orangerie ein Licht, und die plötzliche Hoffnung, Ellena zu sehn, überwältigte ihn beinahe. Es war unmöglich, der Gelegenheit zu widerstehn, sich ihr zu nähern; doch hielt er seinen ungeduldigen Schritt zurück, um zu überlegen, ob es auch anständig sey, sich so in ihre Einsamkeit zu schleichen und unbeargwöhnt ihre geheimen Gedanken zu belauschen. Allein die Versuchung war zu stark – er schlich leise zu dem Pavillon, stellte sich hinter einen offnen Laden, wo die Zweige eines Orangenbaums ihn versteckten, während er den vollen Anblick des Zimmers genoß. Ellena war allein; sie saß in einer nachdenkenden Stellung und hielt ihre Laute in der Hand, ohne sie zu spielen. Sie schien für das Bewußtseyn der Gegenstände, die sie umgaben, verloren, und auf ihrem Gesichte lag eine Zärtlichkeit, die ihm zu sagen schien, daß ihre Gedanken mit einem interessanten Gegenstande beschäftigt waren. Er erinnerte sich, daß sie seinen Namen nannte, als er sie das erstemal überraschte; seine Hoffnung wurde wieder lebendig, und er war im Begriff, sich zu entdecken und zu ihren Füßen zu werfen, als sie mit sich selbst zu reden anfieng.
»Warum dieser ungereimte Stolz der Geburt!« sagte sie. – »Ein armseliges Vorurtheil zerstört unsern Frieden! Nein, nimmermehr wurde ich mich entschließen, in eine Familie zu treten, die es verschmäht, mich aufzunehmen; sie sollen wenigstens erfahren, daß ich Seelenadel geerbt habe. O! Vivaldi! – also um dieses traurigen Vorurtheils willen!« –
Vivaldi stand unbeweglich und außer sich. Der Ton ihrer Laute und Stimme rief ihn wieder zu sich selbst zurück, und er hörte sie die erste Stanze derselben Arie singen, womit er vor wenig Nächten die Serenade eröffnete – sie sang mit solcher süßen Bewegung, als der Dichter gefühlt haben mußte, da ihn die Idee begeisterte.
Sie hielt beim Schlusse der ersten Stanze inne, als Vivaldi, von der Versuchung, seine Leidenschaft zu erklären, hingerissen, plötzlich die Saiten der Laute rührte und ihr in der zweiten Stimme antwortete. Das Beben seiner Stimme erhöhte den Ausdruck seiner Töne, ohngeachtet es sie dämpfte. Ellena erkannte den Gesang sogleich; ihre Farbe schwand abwechselnd und kehrte erhöht wieder; ehe noch der Vers zu Ende war, schien sie alles Bewußtseyn verloren zu haben. Vivaldi trat nun in den Pavillon; seine Annäherung brachte sie zu sich selbst; sie winkte ihm, sich zurück zu ziehn, und ehe er ihr noch zu Hülfe springen konnte, stand sie auf und würde den Ort verlassen haben, wenn er sie nicht gehindert und um einige Augenblicke Gehör gebeten hätte.
»Unmöglich!« sagte Ellena.
»Lassen Sie mich nur hören, himmlische Seele, daß ich Ihnen nicht verhaßt bin, dass dieses Eindringen mich nicht der Achtung beraubt hat, deren süßes Geständniß mich vor einigen Augenblicken zum glücklichsten Menschen machte!«
»O vergessen Sie«, unterbrach ihn Ellena hoch erröthend, »vergessen Sie auf immer, was Sie gehört haben – ich weiß selbst nicht, was ich gesagt habe.«
»O reitzende Ellena, halten Sie es für möglich, daß ich es je vergessen kann! Es wird der Trost meiner einsamen Stunden, das Band seyn, das mich ans Leben knüpft!«
»Ich kann mich nicht aufhalten lassen, Signor«, unterbrach ihn Ellena mit immer steigender Verwirrung – »noch kann ich mir vergeben, daß ich ein solches Gespräch zugelassen habe.« –
Ein unwillkührlich süßer Ausdruck des Gesichts schien der Strenge dieser Worte zu widersprechen. Vivaldi glaubte diesem Ausdruck, aber ehe er die entzückende Freude der Ueberzeugung ausdrücken konnte, hatte sie den Pavillon verlassen; er folgte durch den Garten, aber sie war verschwunden.
Von diesem Augenblicke an schien Vivaldi zu einem neuen Daseyn erweckt zu seyn – die ganze Welt war ihm ein Paradies – Ellenas Lächeln schien sich seinem Herzen auf ewig eingeprägt zu haben. Im Uebermaaß seines gegenwärtigen Glücks hielt er es für unmöglich, sich je wieder unglücklich zu fühlen, und both der äußersten Bosheit des künftigen Geschickes Trotz. Mit Schritten, so leicht wie die Luft kehrte er nach Neapel zurück, ohne daß es ihm einmal einfiel, sich unterwegs nach seinem alten Warner umzusehn.
Da der Marchese und seine Mutter nicht zu Hause waren, hatte er volle Freiheit. der süßen Erinnerung, worin seine Seele schwärmte, und worin er sich auch keinen Augenblick mochte stören lassen, nachzuhängen. Die ganze Nacht lief er in einer Unruhe, gleich der, worin Furcht und Zweifel ihn noch vor kurzem setzten, im Zimmer auf und ab; oder schrieb und zerriß Briefe an Ellena. Zuweilen fürchtete er, zu viel geschrieben zu haben, öfter aber noch schien ihm die Sprache zu arm – jeder Ausdruck schien ihm zu kalt, um die Größe seiner Leidenschaft auszudrücken.
Doch war er um die Zeit, wo die Bedienten aufstanden, mit einem Briefe fertig geworden., der ihn einigermaaßen befriedigte, und schickte ihn durch eine vertraute Person nach der Villa Altieri ab: allein kaum hatte der Bothe das Thor verlassen, so besann er sich auf neue Gründe, die er ihr ans Herz zu legen wünschte, auf einige Veränderungen des Ausdrucks, die ihm von äußerster Wichtigkeit schienen, und hätte gern die halbe Welt gegeben, um den Bedienten zurück zu rufen.
In diesem Zustande wurde er zu dem Marchese gerufen, der seither zu beschäftigt gewesen war, um sich zu seiner eignen Bestellung einzufinden. Vivaldi blieb nicht lange in Ungewißheit über den Gegenstand dieser Zusammenkunft.
»Ich habe dich zu sprechen gewünscht,« sagte der Marquis, der eine stolze Strenge in sein Wesen legte – »und zwar über einen Gegenstand, der von äußerster Wichtigkeit für deine Ehre und Glückseligkeit ist; auch wünschte ich, dir Gelegenheit zu geben, ein Gerücht zu widerlegen, das mir viel Unruhe würde verursacht haben, wenn ich es hätte glauben können. Allein dazu habe ich zu viel Vertrauen in meinen Sohn; ich behauptete, daß er zu gut wüßte, was er seiner Familie und sich selbst schuldig ist, um einen Schritt zu thun, der Beider Würde kränkte. Ich habe also diese Unterredung blos gesucht, um dir Gelegenheit zu geben, die Verläumdung, die du gleich hören wirst, zu widerlegen, und mir selbst eine Autorität zu verschaffen, um ihr bei den Personen, die sie mir mittheilten, zu widersprechen.«
Vivaldi wartete mit Ungeduld auf den Schluß dieser Predigt, und bath dann, ihm den Anlaß des Gerüchtes zu sagen.
»Es heißt,« fuhr der Marchese fort, »daß ein gewisses Mädchen – ich denke, sie heißt Ellena Rosalba – kennst du eine Person dieses Namens?«
»Ob ich sie kenne!« rief Vivaldi, »aber vergeben Sie mir, Signor, fahren Sie fort!«
Der Marchese hielt inne und sah seinen Sohn finster, aber ohne Verwundrung an. »Es heißt, daß ein junges Mädchen dieses Namens deine Neigung zu fesseln gewußt hat, und –«
»Es ist sehr wahr, daß Signora Rosalba meine Liebe gefesselt hat,« unterbrach ihn Vivaldi mit Ungeduld, »aber ohne Kunstgriffe.«
»Ich will nicht unterbrochen seyn,« sagte der Marquis, indem er ihn selbst unterbrach. »Es heißt, sie hätte sich mit solcher Schlauigkeit, durch eine Verwandte, die bei ihr lebt, unterstützt, gegen dich betragen, daß du zu der Erniedrigung gebracht wärest, dich für ihren Anbether zu erklären.«
»Signora Rosalba hat mich zu der Ehre erhoben, ihr Anbether zu seyn,« sagte Vivaldi, der seine Gefühle nicht länger unterdrücken konnte. – Er wollte weiter reden, als der Marquis ihm plötzlich ins Wort fiel: »Du, gestehst deine Thorheit ein!«
»Gnädiger Herr, ich bin stolz auf meine Wahl.«
»Junger Mensch!« erwiederte sein Vater, »da dieß der Stolz und die romanhafte Schwärmerei eines Knaben ist, so will ich es dir einmal vergeben; aber merke dir, nur einmal. Willst du deinen Irrthum eingestehn, diese neue Favorite auf der Stelle abdanken –«
»Gnädiger Herr! –«
»Du mußt sie auf der Stelle abdanken,« wiederholte der Marquis mit strengerm Ernst, »und um dir zu beweisen, daß ich mehr nachsichtig als gerecht bin, so will ich ihr unter dieser Bedingung ein kleines Jahrgeld als einen Ersatz für die Entehrung, worein du sie zu stürzen beigetragen hast, gewähren.«
»Gnädiger Herr!« rief Vivaldi leichenblaß, indem er es kaum wagte, seiner Stimme zu trauen – »Gnädiger Herr, Entehrung!« – er rang nach Athem – »wer hat es gewagt, ihren unbefleckten Namen zu schmähen, und Ihre Ohren mit solchen Abscheulichkeiten zu besudeln? Sagen Sie es mir, ich beschwöre Sie, sagen Sie es mir auf der Stelle, damit ich eile, ihm seinen Lohn zu geben. – Entehrung – ein Jahrgeld! – o Ellena, Ellena! –« Bei Aussprechung ihres Namens mischten sich Thränen der Zärtlichkeit in die des Unwillens.
»Junger Mensch,« sagte der Marquis, der die Heftigkeit seiner Bewegung mit großem Mißfallen und Unruhe bemerkt hatte; »ich gebe nicht leicht dem Gerücht Glauben, und kann mir selbst die Kränkung anthun, an der Wahrheit dessen, was ich gesagt habe, zu zweifeln. Da bist hintergangen, und deine Eitelkeit wird den Betrug weiter fortspielen, wenn ich mich nicht bemühe, den Schleier von deinen Augen zu reissen. Danke sie auf der Stelle ab, und ich will dir Beweise ihres vorhergegangnen Betragens geben, die selbst deinen abgöttischen Glauben umstürzen werden.«
»Sie abdanken!« wiederholte Vivaldi mit einem ruhigern, aber ernstern Nachdruck, den sein Vater noch nie bei ihm gesehn hatte. »Gnädiger Herr, Sie haben noch nie an meinem Worte gezweifelt; ich setze Ihnen jetzt dieß ehrenvolle Wort zum Pfande, daß Ellena unschuldig ist. Unschuldig! O Himmel, daß es je nöthig seyn mußte, dieß zu behaupten, und vor allem, daß es mir je auferlegt ward, sie zu rechtfertigen!«
»Das muß ich wirklich auch beklagen,« erwiederte der Marchese kalt. »Du hast dein Wort zum Pfande gesetzt, das ich nicht bezweifeln darf. Ich glaube also, daß du hintergangen bist, daß du selbst sie, ohngeachtet deiner nächtlichen Besuche in ihrem Hause, für unschuldig hältst. Und gesetzt, sie wäre es, unbesonnener Knabe! was für Vergütung kannst du ihr für die verblendete Thorheit geben, wodurch du ihren Ruf so befleckt hast? Was –«
»Die Vergütung, daß ich der Welt bekannt mache, daß sie werth ist, meine Gemahlin zu werden,« erwiederte Vivaldi, mit einem glühenden Gesicht, das den Muth und Triumph eines tugendhaften Herzens ankündigte.
»Deine Gemahlin!« sagte der Marquis mit einem Blick voll ohnmächtiger Verachtung, auf den sogleich ein Blick unwilliger Besorgniß folgte. »Wenn ich wirklich glaubte, daß du so weit vergessen könntest, was du der Ehre deines Hauses schuldig bist, so würde ich dich nie wieder für meinen Sohn erkennen!«
»O warum,« rief Vivaldi in heftigen Schmerz kämpfender Leidenschaften – »warum mußte ich in Gefahr gerathen, zu vergessen, was ich einem Vater schuldig bin, wenn ich nur meine Pflicht gegen die Unschuld erfüllte; wenn ich nur sie vertheidigte, die keinen andern hat, der sie vertheidigen kann! Warum ist es mir nicht vergönnt, so harmonische Pflichten zu vereinigen! Aber es entstehe auch daraus was es wolle, so will ich die Unterdrückten vertheidigen und mich der Tugend freuen, die mich lehrt, daß dieß die erste Pflicht der Menschheit ist. Ja, gnädiger Herr, wenn es seyn muß, so bin ich bereit, geringere Pflichten der Größe eines Grundsatzes aufzuopfern, der alle Herzen erweitern, aller Handlungen lenken sollte. Wenn ich seinen Eingebungen folge, werde ich die Ehre meines Hauses am wirksamsten unterstützen.«
»Was ist das für ein Grundsatz,« sagte der Marquis ungeduldig, »der dich lehrt, einem Vater ungehorsam seyn? wo ist die Tugend, die dir gebiethet, deine Familie herabzuwürdigen?«
»Herabwürdigung kann nicht statt finden, wo kein Laster ist,« erwiederte Vivaldi, »und es giebt Fälle – verzeihen Sie mir, mein Vater, – es giebt einige wenige Fälle, wo es Tugend ist, ungehorsam zu seyn.«
»Diese paradoxe Moral,« sagte der Marquis mit heftigem Unwillen, »und diese romanhafte Sprache erläutern mir hinlänglich den Charakter deiner Verbündeten, und die Unschuld derjenigen, die du mit so rittermäßiger Hitze vertheidigst. Mußt du erst lernen, Signor, daß du deiner Familie, und deine Familie nicht dir gehört – daß du nur eine Stütze ihrer Ehre bist, und daß es dir nicht frey steht, über dich selbst zu verfügen? Meine Geduld hält nicht länger aus!«
Auch Vivaldis Geduld konnte diesen wiederholten Angriff auf Ellenas Ehre nicht länger aushalten. Doch bemühte er sich bei ihrer Vertheidigung die Mäßigung nicht zu vergessen, die er der Gegenwart eines Vaters schuldig war; und so sehr er auch die Unabhängigkeit eines Mannes behauptete, suchte er doch eben so sorgfältig die Pflichten eines Sohnes unverletzt zu erhalten. Aber unglücklicherweise wichen der Marchese und Vivaldi in ihrer Meinung über die Gränzen dieser Pflichten von einander ab – der erste dehnte sie bis zu duldendem Gehorsam aus – und der letzte glaubte, daß sie in einem Punkte, wobei die Glückseligkeit des Menschen so sehr auf dem Spiel stände, als bei einer Heirath, aufhörten. Sie trennten sich gegenseitig aufgebracht. Vivaldi konnte seinen Vater nicht dahin bringen, ihm den Namen des schändlichen Verläumders zu nennen, oder wenigstens einzugestehn, daß er selbst von Ellenas Unschuld überzeugt sey – und dem Marchese gelang es eben so wenig, seinen Sohn zu dem Versprechen zu bringen, sie nicht mehr zu sehn.
Hier war also dieser Vivaldi, der nur noch vor wenig Stunden eine so hohe Glückseligkeit empfunden hatte, die alle Eindrücke des Vergangenen auslöschte, alle Rücksichten der Zukunft vernichtete; eine so vollgezählte Freude, die ihm nicht zuließ, es für möglich zu halten, daß er je wieder Elend empfinden könnte; Er, der diesen Augenblick als eine Ewigkeit gefühlt hatte, die ihn über alles andere hinaushob – selbst er war so bald in das Reich der Zeit und des Leidens zurück gefallen!
Er konnte von diesem Kampfe der Leidenschaft kein Ende absehen. Er liebte seinen Vater, und würde sich weit mehr über den Kummer, den er ihm bereitete, betrübt haben, wäre nicht seine Empfindlichkeit durch die Verachtung, die die Marchese gegen Ellena äußerte, gereitzt worden. Es bethete Ellena an, und im Gefühl der Unmöglichkeit, seine Hoffnungen aufzugeben, war er eben so aufgebracht über die Verläumdung, die ihren Namen antastete, als ungeduldig, die Schmach an dem ersten Verläumder zu rächen.
Ohngeachtet er die Unzufriedenheit seines Vaters über eine Verbindung mit Ellena von Anfang an voraus sah, war sie ihm doch, als er sie würklich erfuhr, schmerzhafter und empfindlicher, als er sich gedacht hatte; die Schmach, die man Ellena anthat, war ihm hingegen eben so unerwartet als unerträglich. Allein dieser Umstand war für ihn noch ein Grund mehr, ihr seine Hand anzutragen: denn wäre es möglich gewesen, daß seine Liebe hätte schweigen können, so schien jetzt auch seine Ehre im Spiel zu seyn; da er Anlaß gegeben hatte, ihren Namen zu beflecken, war es seine Pflicht, ihn wieder herzustellen. Er horchte willig auf die Eingebungen einer so angenehmen Pflicht und nahm sich vor, auf seinem anfangs gefaßten Entschluß zu beharren. Allein sein erstes Bemühn gieng jetzt dahin, den Verläumder zu entdecken, und da er sich mit Verwundrung an die Worte des Marquis erinnerte, daß er um seine nächtlichen Besuche zu Altieri wüßte, schienen die zweideutigen Warnungen des Mönchs erklärt zu seyn. Er glaubte, daß dieser Mann zugleich der Auflaurer seiner Schritte und der Verläumder seiner Geliebten sey – bis es ihm einfiel, wie wenig ein solches Betragen mit seinen anscheinend freundlichen Warnungen übereinstimmte, und er sich gezwungen fühlte, das Gegentheil in glauben.
Ellenas Herz war indessen nicht viel ruhiger gewesen. Es war getheilt zwischen Liebe und Stolz; aber hätte sie um die letzte Unterredung zwischen dem Marchese und Vivaldi gewußt, so würde es nicht länger getheilt gewesen seyn; ein gerechtes Gefühl ihrer eignen Würde hätte sie sogleich ohne Bedenken eine werdende Leidenschaft unterdrücken gelehrt.
Signora Bianchi hatte ihre Nichte von Vivaldis Absicht unterrichtet: allein sie hatte die unangenehmen Seiten seines Antrags verschönert und anfangs bloß zu verstehen gegeben, daß seine Familie wahrscheinlich eine Verbindung mit einer Person, die am Range so weit unter ihnen stand, nicht billigen würde. Ellena, über diesen Wink beunruhigt, antwortete: da sie das glaubte, hätte sie wohl gethan, Vivaldis Antrag abzuweisen; allein ein Seufzer, den sie dabei dabei ausstieß, entgieng der Bemerkung ihrer Tante nicht, die es wagte, hinzuzusetzen, daß sie seinen Antrag nicht durchaus abgewiesen hätte.
Wenn bey diesem und andern nachfolgenden Gesprächen Ellena mit Vergnügen bemerkte, daß ihre geheime Neigung durch die ehrwürdige Billigung ihrer Tante gerechtfertigt wurde, und sich geneigt fühlte zu glauben, daß der Umstand, welcher ihren gerechten Stolz empört hatte, bei weitem nicht so demüthigend sey, als es ihr anfangs schien, so suchte Bianchi ihrerseits sorgfältig die eigentlichen Rücksichten zu verheelen, die sie bewegt hatten, Vivaldi Gehör zu geben; überzeugt, daß sie kein Gewicht bei Ellena haben würden, deren großmüthiges Herz und reine Seele sich dagegen empört haben würden, irgend einen Bewegungsgrund des Eigennutzes bei einer so geheiligten Verbindung, als die Ehe, einzumischen. Als aber Signora Bianchi, bei reiflichem Erwägen der Vortheile, welche diese Verbindung ihrer Nichte verschaffen mußte, sich entschloß, seine Absichten zu befördern, und Ellenas Herz, das schon auf ihrer Seite war, für ihn zu stimmen, fand sie weniger Gelehrigkeit bei ihr, als sie erwartet hatte. Sie fand den Gedanken anstößig, heimlich in die Familie Vivaldi zu treten. Allein Bianchi, deren zunehmende Schwachheit ihre Wünsche dringender machte, war jetzt so fest von dem Vortheil dieser Verbindung für ihre Nichte überzeugt, daß sie den festen Entschluß faßte, ihre Abneigung zu besiegen, ohngeachtet sie wohl einsah, daß dies auf behutsamere Art und mit mehr Ueberredung geschehn mußte, als sie anfangs geglaubt hatte. An dem Abend, wo Vivaldi Ellena bei dem Geständniß ihrer Empfindungen überraschte, ließen ihre Verlegenheit, ihr Verdruß, als sie zu Hause kam und den Vorgang erzählte, der Signora Bianchi die Lage ihres Herzens genau sehn. Und als am folgenden Morgen sein mit der Einfalt und Stärke der Wahrheit geschriebner Brief kam, versäumte die Tante nicht, ihre Bemerkungen darüber, mit ihrer gewöhnlichen Gewandtheit Ellenas Charakter anzupassen.
Vivaldi brachte nach der letzten Unterredung mit dem Marquise den Ueberrest des Tages damit hin, verschiedne Plane auszudenken, wie er die Person, welche die Leichtgläubigkeit seines Vaters gemisbraucht hatte, herausbringen könnte; und Abends gieng er wieder nach der Villa Altieri, aber nicht insgeheim; um dem dunkeln Balcon seiner Geliebten öffentlich eine Nachtmusik zu bringen, und mit Signora Bianchi zu sprechen, die ihn diesmal höflicher, als bei seinem vorigen Besuche, empfieng. Sie schrieb die Unruhe auf seinem Gesichte seiner Ungewißheit über die Gesinnung ihrer Nichte zu, und war weder dadurch überrascht, noch beleidigt; sie wagte es, ihn von einem Theile derselben zu befreien und munterte seine Hoffnungen auf.
Vivaldi fürchtete, daß sie weiter nach den Gesinnungen seiner Familie fragen würde; allein sie schonte in diesem Punkte sowohl sein Gefühl, als ihr eignes, und nach einem ziemlich langen Gespräch verließ er die Villa Altieri mit einem durch Bianchis Billigung etwas erleichterten, und durch Hoffnung erheiterten Herzen, ohngeachtet er keinen Anblick von Ellena erhalten hatte. Die Entdeckung, die er den Abend zuvor von ihren Gesinnungen gemacht, und die Winke, die sie über seiner Familie Gesinnung erhalten hatte, würkten noch immer zu mächtig in ihrem Herzen, als daß sie ihn zu sehn gewagt hätte.
Er war kaum zu Hause gekommen, als die Marquise, die er zu seiner Verwunderung ohne Gesellschaft fand, ihn in ihr Kabinet rufen ließ, wo er einen ähnlichen Auftritt hatte, als mit seinem Vater; nur mit dem Unterschiede, daß die Marquise in ihren Fragen gewandter und überhaupt schlauer in ihrem Betragen war, und daß Vivaldi auch keinen Augenblick den Anstand, den man einer Mutter schuldig ist, vergaß. Da sie ihre Leidenschaften mehr zu mäßigen als aufzubringen suchte, und in der Rücksicht des Unwillens, den sie über seine Wahl empfand, täuschte, war sie weniger heftig in ihren Bemerkungen und Drohungen als der Marchese, vielleicht blos deßwegen, weil sie sich mehr Hoffnung machte, das Uebel zu hintertreiben, als ihr Gemahl.
Vivaldi verließ sie, ohne von ihren Gründen überzeugt, von ihren Prophezeiungen überwältigt zu seyn, unerschüttert in seinem Vorsatze. Er war nicht beunruhigt, weil er ihren Charakter nicht genug kannte, um ihre Absicht zu ahnden. Da sie daran verzweifelte, diese durch offenbare Gewalt durchzusetzen, so rief sie einen Gehülfen von keinen verächtlichen Talenten auf, dessen Charakter und Absichten ihn wohl zum Werkzeuge in ihren Händen brauchbar machten. Vielleicht machte mehr die Niedrigkeit ihres eignen Herzens, als tiefes Nachdenken oder Scharfsinn sie fähig, die Natur des seinigen zu erkennen – und sie beschloß, diese nach ihren Absichten zu modeln.
In dem Dominikaner-Kloster der Spirito Santo zu Neapel lebte ein Mönch, Vater Schedoni genannt; ein Italiener, wie der Name anzeigte, dessen Familie aber unbekannt war, und aus dessen ganzem Betragen deutlich erhellte daß er einen undurchdringlichen Schleier über seine Abkunft zu werfen wünschte. Man hörte nie, daß er eines Verwandten, oder des Ortes seiner Geburt erwähnte, und er wich schlau jeder Frage über diesen Gegenstand aus, wozu die Neugier seiner Brüder oft Gelegenheit suchte. Doch schienen einige Dinge zu verrathen, daß er ein Mann von Rang und verfallnen Glücksumständen war; sein Geist, so wie er zu Zeiten aus der Verhüllung hervorbrach, schien hochfliegend; zwar verrieth er nicht sowohl das Hochstreben eines edeln Gemüths, als vielmehr den finstern Stolz eines gekränkten. Einige wenige Personen im Kloster, die sein Aeußeres einnahm, glaubten, daß sein sonderbares Wesen, seine strenge Zurückhaltung und sein unüberwindliches Stillschweigen, seine einsamen Gewohnheiten und häufigen Büßungen die Würkung von Unglücksfällen wäre, die an einem stolzen und zerstörten Geiste nagten; während andre sie für die Folge eines schrecklichen Verbrechens hielten, das ein aufgeregtes Gewissen marterte.
Zu Zeiten zog er sich ganze Tage von der Gesellschaft zurück, oder wenn er gezwungen war, sich unter sie zu mischen, so schien er nicht zu wissen, wo er war, und blieb in Nachdenken und Schweigen gehüllt, bis er wieder allein war. Manchesmal wußte man gar nicht, wohin er sich zurückgezogen hatte, ohngeachtet man seine Schritte belauerte und seine gewöhnlichen Orte durchsuchte. Niemals hörte man ihn klagen. Die ältern Brüder des Klosters sagten, daß er Talente hätte, sprachen ihm aber Gelehrsamkeit ab; sie bewunderten die feine Spitzfindigkeit, die er im Disputiren verrieth, bemerkten aber, daß er selten die Wahrheit faßte, wenn sie auf der Oberfläche lag: er konnte sie durch alle Irrgänge bis auf ihren verborgnen Grund verfolgen; allein er übersah sie, wenn sie unverhüllt vor ihm lag. In der That bekümmerte er sich wenig um die Wahrheit; auch suchte er sie nicht durch kühne und in die Augen springende Gründe; allein er mochte gern seine Verschlagenheit und Gewandtheit üben, indem er ihr durch künstliche Verwirrungen nachjagte. Endlich verdarb Argwohn und Gewohnheit der Intrigue sein lasterhaftes Gemüth so sehr, daß er nichts, was einfach und leicht zu fassen war, als Wahrheit aufnehmen konnte.
Keiner unter seinen Gefährten liebte ihn: viele haßten und mehrere fürchteten ihn. Seine Figur war auffallend, aber nicht wegen ihrer Annehmlichkeit; er war lang und, ohngeachtet seiner äußersten Magerkeit, stark von Knochen, und plump gebaut; wenn er in dem schwarzen Gewande seines Ordens fortschritt, so war etwas schreckliches, beinahe übermenschliches in seinem Wesen. Auch seine Kaputze, die einen Schatten über sein aschenbleiches Gesicht warf, erhöhte die Härte desselben, und gab seinem melancholischen Auge einen Ausdruck, der sich dem Gräßlichen näherte. Es war nicht die Schwermuth eines fühlbaren, verwundeten Herzens, sondern offenbar der Mißmuth eines finstern und wilden Charakters. Es lag etwas äußerst Sonderbares in seinem Gesichte, das sich nicht leicht beschreiben läßt. – Es trug die Spuren vieler Leidenschaften, welche die Züge befestigt zu haben schienen, die sie nicht länger belebten. Eine zur Gewohnheit gewordene Düsterkeit und Strenge saß in den tiefen Furchen seines Gesichts, und seine Augen waren so durchdringend, daß sie mit einem Blick in die Herzen der Menschen zu forschen, und ihre geheimsten Gedanken zu lesen schienen: wenige Menschen konnten diesen scharfen Blick ertragen, oder es nur aushalten, ihm zweimal zu begegnen. Allein ohngeachtet dieser Finsterkeit und Strenge konnten doch besondre Veranlassungen einen ganz verschiednen Charakter in sein Gesicht bringen; und er war im Stande, mit erstaunlicher Leichtigkeit und gewöhnlich mit dem glücklichsten Erfolg sich nach dem Charakter und den Leidenschaften von Personen zu fügen, die er sich zu Freunden zu machen wünschte.
Dieser Mönch war der Beichtvater und der geheime Rathgeber der Marchese di Vivaldi. In dem ersten Ausbruch von Stolz und Unwillen, worein die Entdeckung von ihres Sohnes Absichten sie versetzte, zog sie ihn über die Mittel zu Rathe, diesem Uebel vorzubeugen und nahm bald wahr, daß seine Talente ihren Wünschen entsprachen. Jeder besaß in hohem Maaße die Gabe, den andern zu unterstützen. Schedoni besaß Verschlagenheit und Ehrgeitz, und die Marquise einen unerbittlichen Stolz und Einfluß bei Hofe: der eine hoffte eine ansehnliche Pfründe für seine Dienste zu erhalten, und die Marquise glaubte durch ihre Gaben die eingebildete Würde ihres Hauses zu sichern. Durch solche Leidenschaften angetrieben, durch solche Absichten gelockt, verabredeten sie insgeheim und sogar ohne Vorwissen des Marquis die Mittel, ihren gemeinschaftlichen Zweck zu erreichen.
Als Vivaldi seiner Mutter Kabinet verließ, traf er Schedoni in dem Gange an, der dahin führte. Er wußte, daß es ihr Beichtvater war, und wunderte sich nicht, ihn zu sehn, so ungewöhnlich auch die Stunde schien. Schedoni neigte den Kopf, als er vorüber gieng, und nahm ein sanftes und heiliges Gesicht an; Vivaldi aber fuhr mit einem unwillkührlichen Schauder zurück, als er ihn mit durchdringendem Blicke ansah; eine furchtbare Ahndung von dem, was dieser Mönch ihm zubereitete, schien seine Seele zu durchzucken.