Georg Queri
Bauernerotik und Bauernfehme in Oberbayern
Georg Queri

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Epilog

Panizza schreibt in seiner sittengeschichtlichen Studie: »Das Haberfeldtreiben im bayrischen Gebirge« (Berlin 1897):

»In den letzten Jahren hat die Münchener Justiz heftige Renkontres mit den Haberfeldtreibern gehabt. Die Verschärfung gegen früher und der Unterschied des Verhältnisses liegt nicht auf Seite der ›Haberer‹, wie diese ländlichen Sittenrichter kurz genannt werden, sondern auf Seite der Münchener Gerichtsbarkeit. Man will ›scharf machen‹ und eine Institution mit Stumpf und Stiel ausrotten, deren HilfeDiese Hilfe kann niemals offiziell von den Haberern ausgegangen sein; denn erstens gab es niemals einen Habererbund und zweitens hatte die Sitte damals ein so geringes Verbreitungsgebiet, daß die Streitkräfte der Haberer kaum in Betracht gekommen wären. Hierüber mehr im Altbayr. Archiv XVIII, 209. man sich wohl in der Weihnachtsnacht von 1705, als die ›Oberländer‹ in der Sendlinger Bauernschlacht den bayrischen Tron zu retten sich anschickten, gefallen ließ, deren Treue man aber heute, in der Zeit des Militarismus, entbehren zu können glaubt. Man betrachtet den ›Habererbund‹ ausschließlich unter staatsanwaltschaftlichem Gesichtsglas und entdeckt nichts wie Verbrechen, Landfriedensbruch, Geheimbund, wo der Kulturhistoriker eine auf Jahrhunderte hinausgehende ländliche Sitte und Spuren eines in der Brust dieser naiven Gebirgler zurückgebliebenen deutschen Rechtsgefühls findet.

Zur Zeit der Niederschrift dieser Zeilen befinden sich an die 300 seßhafte, zum Teil begüterte und achtbare Bauern – darunter auch der Bürgermeister von Sauerlach – in den Münchener Untersuchungs-Gefängnissen wegen Landfriedensbruch, d. i. wegen Ausübung des unter dem Namen ›Haberfeldtreiben‹ bekannten Sittengerichts gegen ihre Mitbewohner. Eine polizeiabhängige Presse hat sich nicht gescheut, in einzelnen Fällen aus den Anklageakten die Vorstrafe des einen oder andern zu veröffentlichen, um dem Publikum, das in Sachen der ›Haberer‹ seine eigene, durch ein eigentümliches Lächeln gekennzeichnete Meinung hat, begreiflich zu machen, daß es sich diesmal wirklich und wahrhaftig um klassifizierte VerbrecherDer Leser wird über diese Anschauung aus den Kapiteln »Der Daxer von Wall« und »Das Miesbacher Treiben von 1893« urteilen können. handelt. Und aus der Voruntersuchung stahlen sich merkwürdige Notizen in die öffentlichen Blätter, daß diesmal wirkliche ›Geständnisse‹Es lagen viele Geständnisse vor und außerdem aber recht viele Denunziationen, die eine Milderung des Kraftspruches vom »verschlossenen Gebirgler« verlangen. vorlägen – ein bei diesen verschlossenen Gebirglern, die früher sogar die Tortur über sich ergehen ließen, unerhörtes Ereignis – und daß es diesmal wahrscheinlich gelungen sei, dem geheimen Spuk dieser Konkurrenten der bayrischen Justizpflege auf den Grund gekommen zu sein.«

Panizza schließt sein (im September 1896, also zu einer Zeit, da er sich mühelos die ganze Materie hätte zu eigen machen können, verfaßtes) Vorwort mit der pathetisch am grünen Tisch gefaßten Resolution:

»Tragisch ist es nur, wenn ein so biederer Volksstamm, wie die Bewohner der bayrischen Berge, die so sehr auf ihre eingewurzelten Rechte und Gewohnheiten pochen und ihre Sitten und Gebräuche von der Taufe des Kindes bis zur Beerdigung des Toten festhalten, bei dem Mangel jedes ethisch oder religiös erzieherisch wirkenden Moments in unserer heutigen Weltanschauung nur auf die rücksichtslose Gewalt des Staates trifft, und die mit Hochgebirgsluft gesättigten Lungen dieser Bauernsöhne wegen eines Juchzers oder Büchsenknallens in den Gefängnissen nach Lage der Dinge elend verkümmern müssen

Daß dem nicht so ist, mag das vorliegende Buch bewiesen haben. Den Staat zwangen Recht und Pflicht, einen Brauch aus der Welt zu schaffen, der sich nicht nur in seinen Rechtsanschauungen überlebt hatte, sondern auch in seinen Begleiterscheinungen gemeingefährlich geworden war, einen Brauch, der Verbrecher nährte und Verbrecher großzog und der in seiner Entartung die derbe Kraft eines Volksstammes travestierte und blamierte.

Anders freilich liegt die Sache, wenn man bei der Beurteilung der Haberer die Bedenken ausschaltet, die aus staatserhaltenden Prinzipien erwachsen, und wenn man sich über die häßlichen Charaktere, die den Volksbrauch ruinierten, hinwegzusetzen vermag, um in dem rein ethischen Gebiete zu schürfen. Dann mag wohl der Kern des Brauches auf ein Naturvolk hinweisen, das durch derbe Sitteneinfalt besticht, auf ein Naturvolk auch, das eine gesunde stark betonte Erotik interessant macht, ohne es als ausschweifend erkennen zu lassen.

Auch illustriert der Brauch einen wertvollen Kastengeist und den Stolz der besitzenden Geschlechter: der sexuelle Verkehr zwischen Knecht und Dirne unterliegt nicht seiner Gerichtsbarkeit. Der Verkehr zwischen Bauer und Dirne aber und zwischen Bäuerin und Knecht, der Ehebruch, die Sünden der Haustöchter und ab und zu auch der Haussöhne werden gerügt, weil sie den Makel der Herabwürdigung zeigen und weil sie als schlechtes Beispiel der Gebietenden ungesunde Sitten für die Gehorchenden bringen.

Im Archiv der ehemaligen Grafschaft Valley befinden sich mehrere alte Akten, die die Volksrüge speziell vom Standpunkt dieses Bauernstolzes beleuchten: ein Akt vom Jahre 1750 über das Haberfeldtreiben der Bäckentochter von Brand, ein Akt von 1771 (Nummer 7) über »die Haberfeldtreibung der im ledigen Zustand Kindsmutter gewordenen Bauerntochter Ursula Kirschnerin zu Ginsham«. Der kräftige Ernst aber, mit dem die Bauern von anno dazumal solche sexuelle Ereignisse zu behandeln pflegten, ist längst einer milderen Auffassung oder einer sittlichen Entartung gewichen, die die Notwendigkeit des alten Brauches untergraben hat und die dennoch auftretenden Sittenrichter desavouiert. Gleichgültig ist dabei, mit welchen Augen die Fernstehenden die Volkssitte betrachten; der begeisterte Beifall, den romantisch angelegte Naturen immer wieder den nächtlichen Bußpredigern und ihrer Kühnheit spendeten, vermag das Kopfschütteln der wenigen Bauern nicht aufzuwiegen, die in der Erkenntnis ihrer Umgebung frühzeitig die Schatten sahen, die über Predigt und Predigern lagen. Süße Romane und schwelgende Reporterberichte erreichten die Kreise der Haberer ebenso wie die der Städter; und wie es bewundernd aufhorchende Städter gab, so gab es Bauern, die sich in der Schilderung ihrer Vergehen geschmeichelt fühlten – die alte Leidenschaft fand neue Nahrung.

Ich fand merkwürdigerweise sowohl den Kernschen Roman wie Panizzas Broschüre oft in Händen von Bauern des Habererkreises und bemühte mich, das Urteil des lesenden Volkes zu hören; Kern wurde gelobt, Panizza hauptsächlich seiner mageren Dialektkenntnisse wegen verlacht. Es war ihm gleich in der Einleitung seines Werkchens ein arges Mißverständnis unterlaufen; da schreibt er – mit Hinweis auf die danebenstehende Reproduktion einer Schützenscheibe, die eine Habererszene darstellt – das folgende:

»Die Verse unter der Schützenscheibe, die nicht ohne dialektisches Interesse sind, und schon durch einige heut obsolet gewordene Wendungen das Alter der Scheibe eh'r um die Mitte des Jahrhunderts als später ansetzen, lauten:

Der Kaiser Karl im Untersberg hat uns befohl'n,
Daß ma dir treib'n in's Haberfeld soll'n,
Er selber is da und seine Mand'ln dabei,
Und jetzt teama a anfanga glei,
Jetza spitz deine Ohrn, paß auf was ma sag'n,
Steh auf'n Mistkarn du alter Saumag'n.
Hast Marchstoa versetzt, hast Erdöpfel g'stohl'n
Beim Nachbarn da drent'n du spottschlechter Zoll'n,
Hast d' Ehhalt'n b'scbiss'n um an Lau'n alter Lump.
Drum roast a daher jetz ganz bucklat und krump,
Du thuast jetz noch tarkl'n über's sechste Gebot,
Drum mag di koa Tuifi und mag di koa Gott.
          Manna is dös alls wahr?! – Ja! –

Die fünftletzte Zeile aber übersetzt der Herausgeber so:

»hast wegen einer Laune die Ehe gebrochen.«

Die Übersetzung muß lauten:

»hast die Dienstboten um ihren Lohn betrogen.«

Ich erwähne das beiläufig, um die absolute Dialektkenntnis als Vorbedingung zur folkloristischen Forschung zu betonen. Sie ist der wichtigste Schlüssel zur Beurteilung der Volksart.

Die Regierung von Oberbayern hat den Kampf gegen die Haberer noch nicht völlig abgebrochen. Für die Möglichkeit neuer Revolten bestehen folgende Präventivmaßregeln:

Bekanntmachung

an sämtliche k. Bezirksämter von Oberbayern, insbesondere an die k. Bezirksämter Ebersberg, Miesbach, München I, Rosenheim und Tölz und die Bürgermeister der genannten Bezirksämter.

Haberfeldtreiben betreffend.

In den letzten Wochen haben in den Gemeinden Valley, in den Ortschaften Finsterwald, Gemeinde Dürnbach und in Miesbach, sämtlich im k. Bezirksamt Miesbach, dann in Emmering, Gemeinde Schalldorf, im k. Bezirksamte Ebersberg, Haberfeldtreiben mit mitunter geradezu empörenden Auftritten stattgefunden. Die k. Regierung sieht sich zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und zum Schutze der ordnungsliebenden Bevölkerung verpflichtet, diesem verbrecherischen Treiben mit allen gesetzlich zulässigen Mitteln entgegenzutreten.

Es ergeht daher Folgendes:

1. Nach Art. 98 Abs. II bzw. Art. 138 Abs. III und IV der Gde.-Ordnung obliegt den Gemeindebehörden die Verpflichtung, zur Erhaltung und Wiederherstellung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit mitzuwirken. Dieselben sind daher verpflichtet, alles aufzubieten, um in Vorbereitung befindliche Haberfeldtreiben zu verhindern und die in der Ausführung begriffenen zu unterdrücken. Gegen diejenigen Gemeindebehörden, welche diese Verpflichtungen vernachlässigen, ist unnachsichtlich auf Grund der bestehenden Gesetze einzuschreiten.

2. Die k. Bezirksämter Miesbach und Ebersberg haben, wenn dies noch nicht geschehen sein sollte, auf Grund des Art. 49 der Gde.-Ordnung in den Gemeinden Miesbach und Valley, Dürnbach und Schalldorf, sowie in den angrenzenden Gemeinden, von welchen Zuzug oder Beihilfe zu dem Haberfeldtreiben nachweisbar ist, ohne Verzug allnächtliche Sicherheitswachen in der Stärke von 4–8 Mann und zwar vorläufig auf die Dauer von 4 Monaten anzuordnen und wird sich deshalb auf das autographierte Regierungsausschreiben vom 30. November v. J. Nr. 39254 »Haberfeldtreiben betr.« bezogen.

Der genaue Vollzug ist durch die k. Gendarmerie-Mannschaft überwachen zu lassen und gegen ungehorsame Gemeindeglieder unnachsichtlich die Strafeinschreitung zu veranlassen.

Je nach den obwaltenden Umständen kann die vorbestimmte Dauer der Sicherheitswachen verlängert werden. Von nun an sind in jeder Gemeinde, in welcher ein Haberfeldtreiben stattfand, diese Sicherheitswachen ohne jeden Verzug und ausnahmslos anzuordnen.

3. Nach Art. 141 und 142 und bzw. Art. 92 und 95 der Gde.-Ordnung sind die Gemeinden verpflichtet, für die notwendigen Dienstleistungen bei Handhabung der Ortspolizei geeignete Gemeindemitglieder aufzustellen. Die Gemeinden, in welchen ein Haberfeldtreiben stattfindet, liefern den Beweis, daß sie mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Gemeindedienstpersonal die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrecht zu erhalten nicht imstande sind. Die k. Bezirksämter Miesbach und Ebersberg haben daher sofort von Aufsichtswegen auf Grund des Art. 157 der Gemeindeordnung die Vermehrung tüchtiger und verlässiger Gemeindediener in ausreichender Anzahl in den vier genannten Gemeinden auf deren Kosten zu bewirken.

Dasselbe hat zu geschehen in den angrenzenden Gemeinden, von welchen Zuzug oder Beihilfe zum Haberfeldtreiben nachweisbar ist.

Die Tätigkeit dieser Gemeindeglieder wird von den k. Bezirksämtern strenge überwacht werden.

4. Nach Art. 1 des Gesetzes vom 12. März 1850 »die Verpflichtung zum Ersatze des bei Aufläufen diesseits des Rheins verursachten Schadens« ist jede politische Gemeinde, in deren Bezirk von einer zusammengerotteten bewaffneten oder unbewaffneten Menge oder von einzelnen derselben mit offener Gewalt, Verbrechen oder Vergehen gegen Personen oder das Eigentum verübt worden sind, verpflichtet, den dadurch verursachten Schaden zu ersetzen.

Die k. Regierung bzw. die k. Bezirksämter werden gegebenen Falles zur Unterdrückung des Haberfeldtreibens bewaffnete Macht requirieren, die Kosten der Aufbietung der militärischen Macht, sowie überhaupt alle durch das Haberfeldtreiben verursachten Entschädigungskosten sind alsdann von den betreffenden Gemeinden auf Grund des oben angeführten Gesetzes vom 12. März 1850 und des Art. 14 des Gesetzes vom 4. Mai 1851 »das Einschreiten der bewaffneten Macht zur Erhaltung der gesetzlichen Ordnung betreffend« in Anspruch zu nehmen.

5. Das Haberfeldtreiben stellt sich als ein Landfriedensbruch dar, welcher nach Art. 125 des Strafgesetzbuches an den Teilnehmern mit Gefängnisstrafe bis zu 5 Jahren und an den Rädelsführern mit Zuchthausstrafe bis zu 10 Jahren geahndet wird. Sollten noch weitere Verbrechen oder Vergehen gegen Personen oder gegen das Eigentum beim Haberfeldtreiben verübt werden, so erfolgt auch wegen dieser Reate Strafeinschreitung.

6. Erfahrungsgemäß bestehen die Haberfeldtreiber vorzugsweise aus Haussöhnen der Bauern, der Söldner und der Gewerbetreibenden, dann aus Dienstknechten und Taglöhnern.

Es ist daher eine erhöhte Pflicht nicht nur aller Gemeindeangehöriger, sondern namentlich der Hausväter, Dienstherren und Arbeitgeber, für die Aufrechterhaltung der Ordnung wirksame Vorsorge zu treffen, die Hausangehörigen genügend zu überwachen und hierdurch sich selbst und alle Angehörigen vor den empfindlichen Freiheitsstrafen und vor den sehr namhaften Kosten des militärischen Einschreitens, der Aufstellung von Gemeindedienern und vor der persönlichen Dienstleistung bei den Sicherheitswachen zu schützen.

Die Gemeinden, deren Angehörige dieser Verpflichtung nicht nachkommen, haben sich alle hieraus ergebenden schweren Nachteile selbst zuzuschreiben.

7. Wenn ein Haberfeldtreiben stattgefunden hat, so haben die k. Bezirksämter an Ort und Stelle den Tatbestand zu erheben und alsbald die sämtlichen erlaufenen Verhandlungen der unterfertigten Stelle vorzulegen.

Überdies ist von jedem Haberfeldtreiben dem Untersuchungsrichter unverzüglich telegraphische Mitteilung zu machen.

8. Die Bürgermeister der fünf genannten k. Bezirksämter haben ohne eine weitere bezirksamtliche Weisung abzuwarten, gegenwärtige Bekanntmachung binnen 3 Tagen der Gemeindeversammlung, bzw. den Magistraten und den Gemeindebevollmächtigten, zu verkünden und den Vollzug der Verkündigung dem vorgesetzten k. Bezirksamt schriftlich anzuzeigen, welches diese Vollzugsnachweise zu sammeln hat, um im einschlägigen Falle hiervon Gebrauch zu machen.

Die genannten k. Bezirksämter haben binnen 8 Tagen anzuzeigen, ob die Bekanntmachung in allen Gemeinden vorschriftsmäßig erfolgt ist und ob die Vollzugsnachweise vorliegen.

9. Die übrigen k. Bezirksämter haben sich in vorkommenden Fällen nach den vorstehenden Anordnungen zu richten.

10. Gegenwärtige Entschließung ist sofort in den Amtsblättern sämtlicher Bezirksämter zu veröffentlichen.

München, den 12. Oktober 1893.

Königliche Regierung von Oberbayern,
Kammer des Innern.
In Vertretung: Graf Fugger, k. Regierungsdirektor.

Damit ist das Rügegericht wohl so ziemlich brachgelegt worden. Es müßten denn einzelne Elemente in leichtsinniger Verkennung der Entdeckungsgefahr, die in den schnelleren Verkehrsgelegenheiten unserer Tage liegt, in der Verstärkung der Landpolizei und in der sehr angewachsenen Zahl der Feinde des alten Brauches, hier oder dort Treiben mit kürzerer Zeitdauer und mit geringer Teilnehmerzahl unternehmen. Vielleicht aber geben auch die zahlreichen Rügesitten, die in Altbayern noch im Schwange sind, dem Brauch eine völlig andere Gestalt (etwa in der Richtung des Feuerscheibentreibens, das neuerdings im Bezirk Garmisch unverkennbare Merkmale des östlichen Haberfeldtreibens angenommen hat).

Auch der Dorffasching der jüngsten Zeit brachte da und dort wieder kräftige Rügegerichte, in Trudering (bei München) beispielsweise den folgenden eklatanten Fall:

Die Burschenvereine des Ortes hatten nach einer unterm 6. März 1911 gebrachten Meldung der Münchener Tagesblätter einen Faschingszug veranstaltet, »der sich von der Bahnhofsrestauration durch das Dorf bewegte und große Erbitterung nicht nur bei der Bürgerschaft, sondern auch bei den nachmittags ankommenden Ausflüglern hervorrief. Es war nämlich keine Faschingsgaudi, wie man sie anderwärts findet, sondern ein förmliches Haberfeldtreiben, das einzelnen Familien bzw. deren unbescholtenen Töchtern galt. Auf einem Wagen stand neben einer Windmühle der ›Haberermeister‹, der Knittelverse voll des unflätigsten und rohesten Inhaltes zur Verlesung brachte. Auf einer Standarte führten sie sogar das Bild einer Bürgerstochter mit. Von diesem eigenartigen Faschingszug, der nur veranstaltet wurde, um den Frieden unter den Ortsbewohnern zu stören, hat nun die Staatsanwaltschaft erfahren, die sich ganz außerordentlich für den ›Haberermeister‹ und seine Gefährten interessieren soll, so daß die seltsame Faschingsgaudi ein gerichtliches Nachspiel finden dürfte.«

Diese Reportermeldung entbehrt nicht einer stark privaten Färbung, aber sie beweist ein Faschingsrügegericht von ursprünglichster Form in Anlehnung an den Brauch des Haberns. Die Mutmaßung des Reporters, die ein gerichtliches Nachspiel ankündigt, hat sich meines Wissens nicht erfüllt; indeß bestehen bezüglich des sog. »Ausspielens« scharfe Verordnungen, die für den Faschingsdienstag die besondere Aufmerksamkeit der Landgendarmen fordern und eigentlich für den oben geschilderten Fall ein sofortiges Einschreiten zur Pflicht gemacht hätten.

Überhaupt sind die Rügesitten ihrer derben Formen halber so ziemlich abgeschafft und beschränken sich auf wenige heimlich geübte Arten. Ihre bedeutendere Abart ist die gewöhnliche seichte Form der Verleumdung, die beileibe kein prononciertes Merkmal des altbayrischen Charakters bildet, so sehr sie auch aus den jüngsten Haberfeldtreiben herausspricht. Die Sühne der Verleumdung aber ist der klägliche Widerruf, wie er leider so oft in den Lokalblättern auftaucht. Ein Beispiel aus dem Holzkirchner Blatte:

 
Widerruf.

Nehme die in der Altwirtschaft in Sachsenkam am 19. Nov. v. J. und schon vorher gemachten beleidigenden Verleumdungen, welche ich über Andreas Lettner, Bürgermeister von dort und Anna Spiegler, Bauerstochter von Piesenkam, in Abwesenheit derselben gemacht habe, als von mir selbst erfunden zurück und bedauere, dieselben gemacht zu haben.

Sachsenkam, 8. Januar 1911.

Georg Ramgraber,
z. Z. Holzarbeiter in Baiernrain.

Dieser Widerruf ist nicht nur als solcher typisch; er ist eher das getreue Spiegelbild der jüngsten Habererprozesse: blutjunge unerfahrene Burschen mußten dem Richter gestehen, daß Neid, Haß oder Alkohol sie zur Verleumdung bewogen hatten – nur mit dem Unterschiede, daß das gewaltige Institut der Bauernfehme die unbegründeten Behauptungen unreifer Menschen aufgegriffen und zum Gegenstand der öffentlichen Anklage erhoben hatte.


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