Georg Queri
Bauernerotik und Bauernfehme in Oberbayern
Georg Queri

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Sittlichkeit

Der Matheisbauer in Vagen hatte mit seiner Dirn unerlaubten Umgang und aus der Reihe seiner Ehebrüche drei Kinder gewonnen. Die Magd kam dann, als sie mit dem vierten Kinde schwanger ging, vom Hofe fort und verdingte sich in Riedberg. In dem kleinen Nest konnte natürlich ihr Zustand nebst Vorgeschichte – Vagen ist ja von Riedberg nicht weit entfernt – nicht lange verborgen bleiben.

Die Haberer hatten Stoff für ein Treiben gefunden.

Dieser Stoff hätte sich allerdings in Vagen schon längst behandeln lassen, aber nach den bitteren Erfahrungen mit der Regierung konnten sich die Vagerer nicht entschließen, ein Haberergericht ins Dorf zu rufen. Nun, da die Dirn in Riedberg war, mußte sie indessen den Haberern verfallen; denn die Riedberger hatten den interessanten Spektakel noch nie im eigenen Dorfe vernommen – sie waren begierig auf die Sensation und hatten noch keine unangenehme Erfahrung mit dem Landrichter gemacht.

Aber der Pfarrer machte den Bauern einen Strich durch die Rechnung. Während die habererfreundlichen Burschen die Möglichkeiten eines Nachtexzesses erwogen, bedachte der Seelsorger das Ärgernis, das durch eine ledige schwangere Weibsperson ins Dorf kommen mußte. Er hatte die Dirn, als er ihren Zustand sah, zu sich kommen lassen und in einem gründlichen Verhör die näheren Umstände erfahren. Das arme Weib, irgendeines dieser halbtierischen unglaublich kulturrückständigen Geschöpfe, wie sie zwischen Vieh und Knecht aufwuchsen, fand beim Pfarrer nicht die Humanität, die ihr nottat. Der Pfarrer ging zum Gemeindevorsteher und verlangte dringend die Entfernung der Schwangeren. Suprema lex parochi voluntas – »zwisch'n heunt und vierzehn Tag muaßt fürt«, sagte der Vorsteher zu dem armen Geschöpf.

Sie ging nicht. Wohin auch? Die bäuerlichen Eltern – wenn ihre Eltern noch lebten oder wenn es ihrer Geburt nicht an Legitimität gebrach – die bäuerlichen Eltern nehmen geschändete Töchter nicht erbarmend auf. Die Kinder der Töchter – ja. Die wachsen unter den andern auf und werden einmal wertvolle Hilfskräfte, die der Bauer immer brauchen kann, wenn sie abhängig und also billig sind. Aber das Wochenbett der Tochter ist im Vaterhause unerwünscht. Der Nachbar deutet mit dem Finger – das Mädel muß sich schon anderswo umsehen. Vielleicht hat sie eine verheiratete Schwester oder Freundin, die ihr in den Tagen der Not »auswartet«. Das Elend der Frau war nie ungeheurer als in der guten alten Zeit, in der das Mitleid selten war.

Und so ist's begreiflich, daß die schwangere Dirn den Hof in Riedberg nicht verließ, selbst auf des Vorstehers Gebot nicht. Der Bauer warf sie nicht hinaus; vielleicht gebrach es seiner Bäurin an Brutalität. Jedenfalls ist es bezeichnend, daß das Machtwort des Pfarrers auf einem Bauernhof keine Folgsamkeit fand.

Der Ortsvorsteher kam nach Ablauf der vierzehn Tage und setzte eine letzte Frist von drei Tagen.

Aber nach drei Tagen war das unglückliche Wesen noch auf dem Hofe.

Da entdeckte man nahe dem Ort in einem Gesträuch eine alte Windmühle, was der Altbayer eben Windmühle nennt: ein lärmender Mühlenapparat mit Handbetrieb, der die Spreu vom Getreide zu sondern hat.

Also stand ein Haberfeldtreiben bevor, dessen unentbehrliches Instrument die Windmühle mit ihrem Kreischen und Lärmen und Surren ist.

Der Ortsvorsteher befand sich in heilloser Angst. Er mußte als grauer Kopf andere Anschauungen haben als die jungen Burschen, die sich nach Spektakel sehnten. Für ihn – wenn er auch dem Brauche freundlich gegenüberstehen mochte – war die Tatsache maßgebend, daß die Nachbargemeinden Vagen, Götting und Kirchdorf erst vor drei Jahren mit Bezahlung der Exekutionskosten fertig geworden waren und daß nebenbei der Advokat ein heilloses Geld verschlungen hatte, abgesehen von den Plackereien, die über die Gemeinde ergangen waren – der Gemeindevorsteher sah sich verpflichtet, das Treiben zu vereiteln.

Er schlich zum Landrichter und schilderte den Fall. Der Landrichter konnte kein Interesse daran haben, hier endlich Haberer auf frischer Tat zu erwischen; er war mit seinem winzigen Polizeistabe dem Heer der Tumultuanten gegenüber ohnmächtig und bis der Expreßbote München erreichte und bis Soldaten zum Sukkurs auf dem Plane erschienen, mußte das Haberfeld bereits erledigt sein. Und dann wieder die Scherereien – die Schreibereien und die spitzigen Briefe von oben.

Der Landrichter eilte in eigener Person nach Riedberg und befahl der Dirn, augenblicklich abzuziehen. Anderntags um's Elfeläuten würde der Gendarm zur Stelle sein.

Als der Büttel um's Elfeläuten kam, war die arme Dirn bereits nicht mehr im Dorfe. Es war aber am 29. Oktober des Jahres 1841. Die arme Dirn hieß Maria Meßner und war irgendwohin im Tölzer Bezirk zuständig.

Hätt' sich halt nicht verführen lassen sollen!


 << zurück weiter >>