Georg Queri
Bauernerotik und Bauernfehme in Oberbayern
Georg Queri

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Die Rosenheimer und die Aiblinger

Wie im Westen, so waren sich auch im Osten des Haberergaus die Behörden über den Charakter des Haberfeldtreibens und der Haberer längst klar geworden. Die Regierungsverfügungen sind lediglich Schlußfolgerungen aus den Meldungen und Mahnungen der tief in ein kulturfremdes Land vorgeschobenen Landrichter, die wohl zunächst nicht im Haberfeldtreiben, sondern in der allgemeinen Sittenlosigkeit das große Übel erblickten, die aber in der Bekämpfung des rohen Brauches die erste Handhabe zur Hebung des moralischen Niveaus erkannten.

Das Haberfeldtreiben war um die Mitte der vierziger Jahre erschreckend häufig geworden. Schon hatten die Haberer eine Macht erreicht, die sie bereits den größeren Märkten gefährlich machte und die sie zu übermütigen Streichen trieb: in die gutbevölkerten OrtschaftenIn Rosenheim, Aibling und Brannenburg. nächtlicherweile einzudringen und unter dem Schutz ihrer gefürchteten Gewehre den Ämtern zu verkünden, daß der Arm der Volksjustiz lang und mächtig sei, den Bürgern: daß der Bauer über die Unmoral der Städter zu richten befugt sei.

Der Rosenheimer Landrichter konnte in klarer Erkenntnis der Verhältnisse bereits im Jahre 1848 an die Regierung melden:

»Der Unfug nimmt in jüngster Zeit so sehr überhand, und hat an so verschiedenen und von einander abgelegenen Orten des Landgerichtsbezirkes stattgefunden, daß man ganz billig annehmen muß, es könne kaum mehr eine Gemeinde bestehen, aus welcher nicht Personen teilgenommen hätten.«

»Wenn man den hohen Grad der Sittenlosigkeit des Landvolkes in jeder Hinsicht betrachtet, wie sie sich auch durch die zunehmende Zahl der unehelichen Geburten und die Abnahme der Geburten im Allgemeinen kundgibt, in dem bloßen religiösen Formalismus, den leichtsinnigen Eidesleistungen, Aussprüchen, und in der herrschenden Roheit und der Mißachtung der Sittlichkeitsgebote im gewöhnlichen Leben am Tag liegt, so kann man gewiß nicht annehmen, daß die Haberer aus Empörung ihres moralischen Gefühles bei Nacht und Nebel stundenweit laufen, um dem Verächter der Sittlichkeit in Knittelversen darüber Vorhalt zu machen, sondern man kann nicht zweifeln, daß dabei keine anderen Motive waren, als sich ihrem ungezügelten Mutwillen zu überlassen, indem sie heute haberfeldtreiben und morgen in Rotten wildern, bei nächster Tanzmusik aber unter sich selbst viehisch raufen und in der folgenden Untersuchung lieber handgreiflich falsche Eide schwören, als daß sie sich der Rache ihrer Gefährten aussetzen und den unter ihnen bestehenden näheren Zusammenhang bloßstellen.«

Auch die Landrichter des Ostens versuchten mit aller Anstrengung durch Zwangsnachtwachen in den Dörfern und durch Entwaffnung der Bauern das Übel zu hintertreiben – ohne nennenswerten Erfolg indessen. Die Landgendarmen, die die Zwangswächter zu kontrollieren hatten, kehrten zumeist mit der Meldung zurück, daß die Nachtwachen schlecht oder gar nicht verrichtet werden und die Ortsvorsteher berichteten, daß die aufgetragenen Entwaffnungen darum keinen Erfolg hätten, weil eben überhaupt keine Schießwaffen vorhanden wären. Außer den Fällen von laxer Pflichterfüllung gab es aber auch verschiedene von Renitenz und der Gemeindevorsteher von Gehering (einer der wenigen, die den Ernst der Situation und die Notwendigkeit der richterlichen Anordnungen erkannten) klagte in einem Schreiben an das Landgericht über die Filialgemeinde Hofleithen:

»Daß die nachtwach der Gemeinde zu beschwehrlich fält und solches ganz widerspenstig widersprochen und überhaubt ist die Gemeinde über diese Artikeln ganz unzufrieden. Es entschuldigten sich einige Gemeinde Glieder auf eine verdächtige Art in verschiedenen Schümpf Worten . . .«

Da die Regierung auch im Osten die Klagen der ländlichen Behörden nicht in der einzig richtigen Form beantwortete: mit ziemlicher Verstärkung der völlig unzureichenden ländlichen Polizeikräfte – so mußten schließlich die Behörden den Unfug apathisch weitergedeihen lassen und die wenigen wohlmeinenden Bürger und Bauern nach wie vor unter den Roheiten der Rotte leiden.

Der Klerus hatte einen Versuch gemacht, mit Hilfe der Wohlmeinenden die nächtlichen Gäste abzuwenden; im Dezember 1848 ergingen Diözesanverordnungen, denen zufolge sofort bei Beginn eines Treibens die Kirchenglocken Sturm zu läuten hatten, um Truppen gegen die Haberer zu sammeln. Aber erstens fanden sich trotz des Sturmläutens keine Mutigen zusammen und zweitens trafen die Haberer bald nach Bekanntwerden dieser Verfügung ihre Vorsichtsmaßregeln: der Pfarrmeßner fand die Sakristeitüre regelmäßig verrammelt oder das Schlüsselloch verstopft.

Um diese Zeit macht die Haberersitte einen mehr spaßhaften als ernst zu nehmenden Vorstoß in die Gegend von München. Wenn es nun auch der Idealwunsch aller Haberer war, einmal in München einzuziehen und der Regierung und dem Erzbischof die Leviten zu lesen – nur aus Großmannssucht und um in einer Machtprobe Schrecken zu verbreiten – so ist dieser spezielle Versuch kaum auf das Konto der Haberer zu setzen. Irgend ein durch die Gerüchte vom Haberfeldtreiben Erregter und Begeisterter schrieb an einen Bauern in Zamdorf bei München:

»Das bezeichnete Comite (der Haberer) hatte die Veranlassung gefunden, Deinen Ort besuchen zu müssen, um dem N. N. durch Haberfeldtreiben zur kristlichen nägsten Liebe und zur Rechtschaffenbeit aufzumuntern. Es ist deswegen unsere Aufgabe wie auch unsere kristliche Pflicht, den Ruchlosen und den nägsten gefährlichen Kristen durch unsere Vorhaltung seine Abrechnung der Öffentlichkeit vorzulegen und hierauf geraten wir eine Generalbeichte und die heilige Kommunion zu empfangen.«

Der ganze Inhalt dieses Schreibens bestätigt, daß kein Haberer hinter dem Schreiber steckt; gleichwohl aber sieht man, daß die phantastischen Gerüchte über die Haberer anderwärts die Lust an einem ähnlichen Rumor erweckten und daß man mit ähnlichen Gebärden Schrecken erzielen wollte.

Der Habererlehrling zählt in seinem umfangreichen Schreiben alle die Dinge auf, die er an dem Zamdorfer Bauern und dessen Bäurin rügen will:

»Lügen zum Schaden anderer.
Verfälschung der Wahrheit und ränkevolle Übervorteilung.
Schwänke.
Habsucht und Wucher.
Ausgeübte Bosheit zum Schaden anderer.
Verleumdung.
Vernachlässigung der Kindererziehung.
Ungerechte Einmischung in fremde Familienverhältnisse.
Grobe Fahrlässigkeit mit Gift und Feuer.
Betrügereien verschiedener Art.
Schwindeleien.
Schamlosigkeit.
Ableugnung mehrerer Schuldzahlungen.
Unterdrückung einer Familie durch Ehrabschneidung.
Wortbrüchigkeit.
Störung des Familienfriedens durch Aufreizen.
Lüderlichkeit in der Stadt.«

Gegen die Bäurin führt der Drohbrief ähnliche Anklagen mit den folgenden Zusätzen:

»Vernachlässigte Reinlichkeit des Ehebettes.
Schlechte Dienstbotenkost.
Gänzliche Vernachlässigung des Hauswesens.
Und noch viel anderes, was man hören wird.«

Nicht nur Indianer- und Verbrechergeschichten allein regen die Phantasie an – in den 40er Jahren waren's also beispielsweise die Haberer.

Und ich wette hundert gegen eines, daß der Briefschreiber, der das Habern an die Peripherie Münchens verpflanzen wollte, ein »spinneter Bader« war. Der Altbayer wird in diesem Ausdruck eine Fülle der Erkenntnisse finden.


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