Georg Queri
Bauernerotik und Bauernfehme in Oberbayern
Georg Queri

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Treiben zu Sauerlach und Peiß

Ein Jahr nach dem Miesbacher Treiben fand das denkwürdige Treiben zu Sauerlach statt, in dem der Bauernsohn Balthasar Killi von Altmünster bei Egmating die Rolle des Haberfeldmeisters spielte. Killi stammt aus einer Bauernfamilie, die wahrscheinlich bereits vor einem Jahrhundert ihre Söhne zu den Treiben stellte und ein Killi wird bereits in den 50er Jahren wegen Habererexzessen verfolgt.

Das Sauerlacher Treiben ist insofern merkwürdig, als eine große Anzahl der Veranstalter bereits wegen Beteiligung an dem Exzeß in Miesbach verfolgt wurde.

Merkwürdiger aber noch darum, daß der Bürgermeister von Sauerlach die Haberer in den Ort gerufen und dem Daxer von Wall mehrere hundert Mark für die Veranstaltung des Treibens gegeben hatte. (Der Daxer hatte ja längst erkannt, daß sein Einfluß auf die Haberer in Geld umzusetzen war; er führte die »Habererkasse«, deren Inhalt aber fast ausnahmslos von ihm verwendet wurde.)

Die Sauerlacher Haberer wurden fast sämtlich entdeckt und überführt; das Untersuchungsgeschäft ging Hand in Hand mit der Verfolgung der Miesbacher Haberer und die ausgesprochenen Strafen bewegten sich zwischen 9 Monaten Gefängnis für die Mitläufer bis zu 7 Jahren Zuchthaus für die Rädelsführer. Der Bürgermeister von Sauerlach erhielt 3 Jahre Zuchthaus, wurde aber wegen schwerer Erkrankung bald wieder auf freien Fuß gesetzt und starb. Sein Besitz ging dahin – wie denn viele der Haberer durch Gerichts- und Gefängniskosten von Haus und Hof kamen.

Auch die Rugstrophen des Sauerlacher Treibens hatten größtenteils den Daxer zum Verfasser; und auch diesen fehlte die Begründung.

Der Killi von Altmünster schien nach seiner Sauerlacher Tätigkeit zum Nachfolger des Daxer sich auswachsen zu wollen, ohne die niedrigen Instinkte dieses seines Lehrmeisters indessen und mehr aus einem bayuwarischen Bedürfnis nach Krawall und Schießerei.

Im Jahre 1895 veranstaltete er ein größeres Treiben zu Peiß (Amtsgericht München II), bei dem er zugleich als Mitverfasser der Verse beteiligt war und die Drucklegung besorgte. Auch das Peißer Treiben kam auf Antrag von Bürgern des gerügten Dorfes Aying zustande.

Man zog hier mit Musik um Mitternacht durch die Ortschaft Peiß und schoß mit Kugeln und Rehposten auf die Hausdächer des Ortes. Auch das nahe Aying wurde scharf beschossen.

Die Haberer von Peiß hatten dasselbe Schicksal wie die Sauerlacher und Miesbacher. Killi, der wegen des Sauerlacher Treibens zu 2 Jahren 9 Monaten verurteilt war, wurde unter Einrechnung dieser Strafe auf 7 Jahre ins Zuchthaus geschickt. Ich sah ihn im Jahre 1903 nach seiner Entlassung – er versicherte hoch und heilig, nie mehr ins Haberfeld ziehen zu wollen. Und so schwuren wohl viele.

Gefängnis und Zuchthaus hatten die Leute mürbe gemacht; die Kosten hatten beträchtliche Summen verschlungen und Wohlhabende arm gemacht; die Strafzeit hatte den Bauern der schaffenden Hände seiner Söhne beraubt – man verlor angesichts der unerbittlichen Stellung der Gerichte die Lust an dem Brauche und gewann langsam auch die Erkenntnis, daß die Leute, die da haberten, moralisch keinen Anspruch auf ihre Richterposten hatten. Und die Mitläufer: aus allen deutschen Gauen angesiedelte Taglöhner, böhmische Bergleute selbst – viel, viel Gesindel.

Man erinnerte sich der Tradition: der ehrenfesten alteingesessenen mit dem Volkstümlichen eng vertrauten Bauern, die zögernd, nach wiederholter Verwarnung des Schuldigen, an das Habergericht gegangen waren. Ihr Spruch ächtete den Betroffenen. Aber der Spruch ihrer Epigonen hatte nur mehr den Charakter der zotenhaften üblen Nachrede und konnte nicht zum Leumund werden.

So verfiel der Brauch dem Schicksal aller überlebten Dinge. Die paar kleinen Exzesse, die bis zum Jahre 1905 noch ruchbar geworden sind, dürfen kaum auf das Konto der Haberer geschrieben werden; sie haben mehr den Charakter improvisierter Radauszenen mit einiger Anlehnung an das alte Rügegericht.

Möglich ist es ja, daß noch einmal ein richtiges Treiben in irgendeinem der weltabgeschiedenen Dörfchen des Oberlandes stattfindet. Jedenfalls ist der intimste Kenner der einschlägigen Verhältnisse, Regierungsrat Riezler-Miesbach, dem der Brauch sein frühes Ende verdankt, dieser Ansicht. Aber der zunehmende Verkehr und das allmählich sich erweiternde Netz des Polizeisystems machen die Gefahr der Entdeckung der Teilnehmer groß und die bewußt exemplarische Abstrafung durch die Gerichte verkleinert die Lust am Rumor. Auch die bessere Schulbildung und die häufige Berührung mit Fremden sind Faktoren, die an der Zerstörung dieses wie vieler anderer Bräuche arbeiten. Und rastlos nivelliert die Zeit.


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