Georg Queri
Bauernerotik und Bauernfehme in Oberbayern
Georg Queri

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Die Nachtwächter von Götting

Mit dem Treiben zu Götting (1892) ist im Bezirksamt Aibling der Brauch ziemlich in Stagnation geraten. Die folgenden Ereignisse interessieren für die Geschichte des Brauches nicht mehr; dagegen möge eine Episode mitgeteilt sein, die sich nach dem Göttinger Treiben abspielte:

Man versuchte den Bauern durch das bewährte, gut ausgeklügelte Nachtwachsystem beizukommen. Nicht den Gendarmen aber wurden diese Wachen aufgebürdet, sondern den rebellischen Bauern selbst und die Gendarmen spielten lächelnd die Rolle der Kontrolleure. Diese Nachtwachen hatten zunächst täglich von 9 Uhr abends ab stattzufinden und dauerten bis zum beginnenden Morgen. Die Aufstellung des Turnus war den Bauern selbst überlassen.

Die Wut über dieses Zwangsystem war natürlich groß und die Haberer empfanden wohl das Gutteil Bosheit, das in der Verfügung steckte. Denn einesteils waren sie durch das Wachen verhindert, auswärts an einem Treiben teilzunehmen, andernteils konnte in ihrer Heimat unmöglich ein Treiben stattfinden, ohne daß sie dagegen einschritten oder – wenn sie das nicht taten – dafür verantwortlich gemacht wurden.

Nun stellte sich der Göttinger Gemeinderat kurz und bündig auf Seiten der Haberer und faßte unterm 6. XI. 92 den folgenden Gemeindebeschluß an die Adresse des Bezirksamtes Aibling:

1. Sämtliche Bürger beteuern, daß sie niemals an dem Unfug des Haberfeldtreibens teilgenommen haben.

2. Die Leute, die in Götting haberten, waren Personen, die vielleicht mehrere Stunden weit hergekommen waren.

3. Es hat sich Gesindel in der Gegend angesiedelt. Wenn nun die Männer des Ortes auf der Nachtwache sind, so seien die Frauen und Kinder ohne Schutz den eventuellen Schandtaten dieses Gesindels ausgesetzt.

4. Seit Januar herrsche in der Ortschaft Weidt (die von den Göttingern mit zu überwachen war) der Typhus und zwei Personen lägen heute noch an dieser Krankheit darnieder. Wenn die Wachen nun an den typhusverdächtigen Häusern vorbeigehen müßten, sei die Gefahr der Ansteckung groß.

Der pfiffige Gemeindebeschluß konnte das Bezirksamt nicht rühren; das Amt antwortete, daß gerade Punkt 3 des Gemeindebeschlusses die Nachtwachen befürworten müsse. Denn wenn sich wirklich verdächtiges Gesindel angesiedelt habe, so sei es nur von Vorteil, wenn die Männer fleißig Nachtwachen halten.

Da die Typhusgeschichte anscheinend auf das Bezirksamt keinen genügenden Eindruck machte, wandte sich die Gemeinde an den Aiblinger Bezirksarzt, den alten Dr. Gschwendler, der ein sehr fideles Haus war und die lustige Seite des Haberfeldtreibens hoch genug einschätzte, um über die Roheiten des Brauches hinweggehen zu können. Er plagte sich also das folgende Gutachten ab:

»Wenn die Einwohner der Gemeinde Götting nachts patrouillieren gehen müssen, so ist es nicht ausgeschlossen, daß diese Männer auch nach Weidt und in die Umgebung dieses Dorfes kommen, daß selbe mit vielen Personen daselbst in Berührung kommen werden, daselbst auch aus inficierten Brunnen trinken werden und auf diese Weise den Typhus acquierieren können.

Dr. Gschwendler.«

Ihrem Gemeindebeschluß vom 6. November ließen die Göttinger am Tage darauf einen kräftigeren folgen, in dem es mit Rücksicht auf das Tempo, das die Bezirksämter im Beantworten gemeindlicher Zuschriften einzuhalten pflegen, hieß:

»Die Gemeindeversammlung hat beschlossen, bis zum Eintreffen einer Beantwortung seitens des Bezirksamtes keine Nachtwachen mehr zu stellen.«

Am 14. November wurden der Bürgermeister und der Gemeindediener vor das Bezirksamt gerufen und mußten auf ihren Diensteid aussagen, warum sie bei dem Treiben vom 30. zum 31. Oktober nicht gegen die Haberer eingeschritten waren. Die Erklärung der beiden lautete: daß sie erst auf den Lärm hin wach geworden seien, daß sie infolgedessen auch zu spät auf den Schauplatz gekommen wären und daß sie im übrigen niemanden von der Rotte erkannt hätten. Diese plausible Antwort mußte dem Bezirksamt wohl oder übel genügen; auch konnte man von den beiden nicht allzu mutigen Menschen nicht verlangen, einer Horde gegenüberzutreten, die gut bewaffnet war und zum allermindesten das ortspolizeiliche Veto mit nachdrücklichen Prügeln beantwortet hätte.

Als die Göttinger nun sahen, daß das Bezirksamt die Sache mit allem Ernst zu betrachten gesinnt war, wandten sie sich an die Regierung, von der sie eine mildere Auffassung der Angelegenheit erwarteten. Aber ihr Einspruch wurde unterm 30. November abgewiesen und das Bezirksamt sah wieder fleißig nach den Wächtern. Aber es minderte den Zwangsdienst insofern, als die ziemlich überflüssigen Nachtwachen zwischen Sonntag und Samstag aufgehoben wurden und eingedenk des Umstandes, daß die Treiben nach alter Regel in einer Samstagnacht stattfinden (am darauffolgenden Sonntag hat der Haberer ja Zeit, sich auszuschlafen) nur mehr eine strenge Wacht während der Nacht vom Samstag zum Sonntag verlangt wurde.

Unterdessen war auch Schnee gefallen – und der Schnee ist der uralte Feind der Haberer. Er zeichnet die Spur. Das Bezirksamt erhielt wohl Meldung von den beweglichen Bitten der Göttinger und ihren lebhaften Hinweisen auf den Schnee, aber es beharrte auf seinem Strafprinzip.

Das machte die Leute endlich zahm; am 11. Dezember läuft ein direktes Bittgesuch ein: Weihnachten kommt – müssen die Göttinger auch an Weihnachten ausziehen auf den Habererfang?

Nein, beschied das Bezirksamt und nahm die Pein von Götting.

Und damit ist die Geschichte der Aiblinger Haberer zu Ende wie die der Rosenheimer. Ein paar spätere Habererkrawalle sind zu unwichtig, um verzeichnet zu werden.

Nur die Gegend von Otterfing bis Gmund bleibt nach wie vor unsicheres Gebiet; die Haberer, die noch nicht gefänglich eingezogen sind, denken nicht daran, den Brauch aufzugeben und sind lediglich in Sorge um ihre Kameraden, über deren Schicksal sie noch im Unklaren sind. Noch ist es nicht durchgedrungen, daß der Verrat im Großen durch den Gau geht und daß – wenn nicht die Staatsraison dagegen spricht – nach umfangreichen Proskriptionslisten an die tausend Bauern durch den Staatsanwalt aufgehoben werden können.

Die Gendarmeriestation Schaftlach erhält einen Drohbrief:

»Gebirg, im März 1894.

Wir wolln ma nit viel schreibn und woln das was wir enk sagn no kurz machn, weil jetz ihr 2 Lumpen allesamen in uns umanander ins Zuchthaus bringa möchts so woln wir ihna des austreibn. Jetzt ruket a mol andere ein über enk, ös 2 meineidige, es müßts wißn, warum daß allweil falsch schwierts und alle 2 unschuldi ins Zuchthaus bringa möchts, an Beham und an Lenggrießer hat der Schandarm Huber so unschuldi einibracht und an Maser Toni hat a wieder unschuldi anzeigt und beim Kapfer Tomas habts alle 2 zam gholfen do habts alle 2 falsch gschworn dasn eini bringa habts kina. Jetzt machts enk ausn Staub s sies werdes alle 2 umbracht weils siest no alezam ins Zuchthaus bringts es hörts s falsch schwiern net auf. Mir sagn enks nomal, wanns bis ihn 2 oder 3 Wochn no da seits, nacha werds daschossen oder daschlagn wi ma enk am erschtn dawischt, am erschtn gets an Schandarm Huber dro, weil der Lump no größer ist. Wir woln net, das ena umbracht wird, aber bals net machts daß weiter komms vo Schaftlach nacha könna uns nimmer helfa.

Es Unterzeichnet sich
  hochachtungsvolst
das Komite des Bundes.«

Das Schreiben ist keinesfalls von der spaßhaften Seite zu nehmen, die man ihm vielleicht abgewinnen kann. Denn in dieser Zeit hatte der Daxer auch im Gefängnis seine starken Verbindungen mit berüchtigten und zu allem bereiten Subjekten, die sich noch der Freiheit erfreuten und die Befehle des Rädelsführers erfüllten – wenn sie gut entlohnt wurden.


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