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Gustav Adolfo Becquer

Gegen gewisse Literaturen ist man voreingenommen wie gegen die Kunst gewisser Länder. Man erwartet vom modernen Spanien keinen nachhaltigen Eindruck auf dichterischem Gebiete, ebensowenig wie uns das moderne Italien gute Gemälde oder bedeutende Werke der Bildhauerei gegeben hat. Aber zuweilen müssen solche verallgemeinernden Vorurteile um einer einzigen Persönlichkeit willen geopfert werden; zuweilen tritt man in die Fußstapfen Gottes und läßt Sodom nicht untergehen um eines Einzigen willen.

Der Spanier Gustav Adolfo Becquer hat ein Anrecht darauf, daß man ihn kenne und lese; umsomehr, als seine » Legenden« nicht von der Geschmackslaune des Publikums emporgetragen wurden, das heute für »Dämonismus« und morgen für »Foxtrott« schwärmt. Trotzdem bezweifle ich, daß dieses Buch je Boden bei uns gewonnen hätte, wenn nicht zufällig die Mode satanistischer Literatur es mit an den Tag gefördert hätte. Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft, hat diesen Dichter heraufbeschworen, und wenn die meisten Satanisten und Dämonisten wieder unmodern geworden sein werden, wird man zu den »Legenden« Becquers immer wieder ein menschliches Verhältnis finden.

Er ist 1836 zu Sevilla geboren und stammt väterlicherseits von Deutschen ab. Seine Mutter war Andalusierin – eine Rassemischung, die sich stark im Geiste Becquers spiegelt. Er verliert den Vater als Fünfjähriger, die Mutter stirbt vier Jahre später. Der neunjährige Waisenknabe studiert Nautik, dann bestimmt ihn seine Taufpatin zum Kaufmann, wozu er ungefähr genau so paßt wie Heine zum Buckskinhändler. Ein prometheischer Mensch, dessen Blut singt und klingt, der durch und durch Dichter ist, der läßt sich nicht von irgendeiner Erbtante durch Geld ködern, und der wird sich selber und seiner eigensten Bestimmung nicht untreu.

Arm wie eine Kirchenmaus wandert der Achtzehnjährige nach Madrid. Dort wird er eine Art Lohnsklave. Apollo schreckt diesen fanatischen Jünger durch Hunger und Nöte aller Art; durch Kräfteverfall und Schwindsucht; aber je elender es ihm geht, desto fruchtbarer wird er, gleichwie jene Proletarier, deren Fruchtbarkeit im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Armut steht. Der Einundzwanzigjährige wird Schreiber und bezieht das Jahresgehalt von 535 Mark. Geld genug für einen so ätherischen Dichter, der an Magenverengerung leidet! »Es gibt wohl kaum einen Dichter, der die widerwärtigsten Verhältnisse des Lebens in solchem Maße ausgekostet hat wie Becquer, und nie ist das stolze Flügelroß der Poesie mehr zum stumpfnüstrigen Ackerpferde des plattesten Broterwerbs, zum Schindergaul erniedrigt worden.« In der Tat, alle seine Pläne scheitern, alle seine Hoffnungen schlagen fehl; mit seltener Hartnäckigkeit verfolgt ihn sein Unstern. Aber keine Angst, geliebter Leser, ich will keine Sammlung für den armen Dichter hier eröffnen; denn der Dichter hat uns den Gefallen getan, bereits 1870 zu sterben. Noch keine 35 Jahre alt, drückte sich dieser Schlauberger … und es wäre doch so hübsch gewesen, wenn er die Siebzig erreicht hätte und wenn man ihn erst dann – wie das allerorten so üblich ist – gefeiert und gleich begraben hätte. Das war sein Pech, daß er alles immer anders machte als die anderen, und daß er den Leuten stets das Programm verdarb. Sammeln können wir also nicht mehr für ihn, aber feiern können wir ihn. Der Biograph tut es so: »Wohl fand er für all die Bitternis, die er bis zur Neige auskostete, als echter Künstler Trost und Erhebung im Studium, und für all die aufreibende Arbeit ward ihm als Lohn das himmlische Geschenk zuteil, Lieder zu dichten … Gewissermaßen zum Ersatz für sein freudenarmes Leben verklärte der Genius der Dichtung seine ›Legenden‹ mit dem Glorienschein unvergänglicher Poesie und verlieh seinem Namen die Unsterblichkeit.«

Das alte Lied; aber ist es nicht immer wieder furchtbar nett? Der Dichter hungert sich zu Tode: dafür machen wir ihn hinterher »unsterblich«. Es kostet ja nichts. Aber der Dichter selber hat der Menge, die sich behaglich ihren satten Bauch streichelt und die ihn nur mit »Nachruhm« sattmachen wollte, die furchtbaren Worte entgegengerufen: »Ruhm … Liebe … Dichtung … alles ist Lüge, elende Lüge, ein leeres Phantom.« Und seine letzten Worte waren: »Alles ist vergänglich.«

Er wußte also Bescheid, gerührter Leser, und wir wollen jetzt nicht heucheln und so tun, als ob uns sein Schicksal sonderlich naheginge. Nein, wir wollen keine Sekunde lang um den mausetoten, verhungerten Dichter weinen. Wir wollen uns vielmehr freuen; denn er hat uns manches schöne Buch hinterlassen, unter denen die »Legenden« den ersten Platz einnehmen.

Ein Mönch könnte diese spukhaften Geschichten geschrieben haben, der sein deutsches Gefühl mit dem Firnis spanischer Kultur bekleidet; der zwischen inbrünstiger Frömmigkeit und tiefem Aberglauben etwa die Mitte hält und in dem der Dichter stärker ist als der Mönch. Durch diese Kreuzung zweier Kulturen kommt eine Stimmung heraus, die zuweilen an einen spanisch gewordenen Poe oder d'Aurevilly erinnert. Er hat Stellen, die Hoffmann geschrieben haben könnte oder Brentano, und andere, die ihm sicher keiner nachschreibt. Er ist in jeder Zeile echt und von starker Stimmungsmacht. Er bevorzugt das Gespenstige und Düstere, das Romantische und Mystische, und wenn der spanische Kopf und das deutsche Herz zusammenarbeiten, werden ganz außerordentliche Wirkungen erzielt, die künstlerisch und dichterisch neu sind und einen starken Eindruck hinterlassen. Gewiß ist: wer gern Poe oder Villiers liest, wird in jeder Weise bei diesen schönen »Legenden« auf seine Kosten kommen.


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