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Die italienischen Erzähler der Renaissance

Ein reicher florentinischer Kaufmann hatte einst auf seinen Reisen, die ihn über den ganzen Kontinent führten, eine hübsche, junge Pariserin kennen gelernt, die zu besitzen seine höchste Sehnsucht war. Aber sie versagte sich ihm mit großer Beharrlichkeit, und es bedurfte raffinierter Verführungskünste, ehe es dem Florentiner gelang, sein Ziel zu erreichen.

Ein in seinen Einzelheiten außerordentlich spannender und glutvoller Roman, den Giovanni Boccaccio frei erfunden haben könnte, ist hier Wirklichkeit geworden. Der florentinische Verführer ist Boccaccios Vater und die verführte Pariserin seine Mutter. Ihm lag es deshalb vielleicht näher als manchem anderen, den Reigen der italienischen Liebesfabulierer zu eröffnen; denn nicht nur seine Geburt, auch sein eigenes Leben wurde durch Liebe und Liebesleid bestimmt und geleitet. Man muß die einzig schöne Schilderung der Liebesleidenschaft lesen, die er von der Liebe Dantes zu Beatrice in seiner Biographie Dantes entwirft, um diese Behauptung bestätigt zu finden und um unmittelbar zu empfinden, daß nur ein Geist, der das hohe Lied der Liebe in seiner ganzen herzaufwühlenden Gewalt an eigener Seele erlitten hat, sich mit solcher Stärke in die Leidenschaft eines andern einfühlen konnte.

Boccaccio war daher mehr als andere berufen, der Dichtergruppe voranzugehen, die ihr Schaffen Eros geweiht hat. Dem Gott Eros und nicht dem Dämon, von dem Platon spricht; und zwar einem Gotte, der zu amoureusen Scherzen aufgelegt ist, der sich mehr einem Faun nähert als dem himmlischen Amor; einem schalkhaften, puckartigen Faun, der nicht eher ruht, als bis er seine Opfer aufeinandergehetzt, ineinandergetrieben und zu wilden Sinnesräuschen aufgepeitscht hat, in denen nichts einmütiger verhöhnt und verlacht wird als Sitte und Moral.

Indes, Boccaccio ist nur Anfang, nicht aber unmittelbare Quelle der berühmten italienischen Erzählungskunst. Aus den Quellen hat Boccaccio vielmehr selbst reichlich geschöpft. Er berief sich dabei auf seinen von ihm angebeteten Lehrer Petrarca, der ihm über die Ausnutzung der Quellen die berühmten Worte schrieb: »Man darf den Geist des anderen gebrauchen, darf seine Farben nehmen, muß sich aber seiner Worte enthalten. Jene Ähnlichkeit ist verborgen, diese offenkundig; jene macht Dichter, diese Affen!«

Es ist wahrscheinlich, daß Boccaccio den Stoff seines unsterblichen Novellenkreises durch viele Bäche zugetragen bekam: vom Orient, von Frankreich, von den alten Klassikern (Lukian und Apulejus an erster Stelle) und vom Volke selbst. Aber wie ein Strom allen Quellen, die ihm zufließen, sein eigenes Tempo, seine eigene Melodie gibt, so daß sie selber eins mit dem Strome werden, so machte Boccaccio alle Funde sich so leidenschaftlich zu eigen, bis sie vollkommen von seinem Geiste getränkt, vollkommen sein wirkliches eigenstes Eigentum wurden, das er in ziselierter, geläuterter Kunstform der Welt wiederschenkte. Er hat durch die Farbigkeit seiner Schilderungen, durch die Natürlichkeit seiner Dialoge, durch die Glutfülle seiner Gestalten und endlich durch die Grazie und Lieblichkeit seiner entzückenden, zu tausend tollen Verliebtheiten aufgelegten Frauen, alle späteren italienischen Novellisten mit suggestiver Gewalt beeinflußt. Und es ist kein Wunder, wenn man im Unterton der Erzählungsweise seiner Nachfolger stets einen leisen Anklang an Boccaccio heraushört. Selbst bis in unsere Tage reicht sein Einfluß; denn deutsche Erzähler wie Ewald Gerhard Seeliger haben sich ganz bewußt an Boccaccio geschult.

Der erste und bedeutendste Novellist, der in Boccaccios Fußstapfen weiterging, war Franco Sacchetti (1335-1400).

In der Vorrede zu seinen »Dreihundert Novellen« weist er ausdrücklich auf Boccaccio hin: »Im Hinblick auf den ausgezeichneten Florentiner Giovanni Boccaccio, der unbeschadet seines hohen Geistes das Buch der hundert Novellen über einen weltlichen Stoff geschrieben hat, ein Buch, das derart verbreitet und gesucht ist, daß sie es selbst in Frankreich und England in ihre Sprache übersetzt haben und dem Autor darob große Ehre zuteil geworden ist – habe ich, Franco Sacchetti aus Florenz, wenngleich ich ein ungebildeter und unwissender Mensch bin, mich entschlossen, das vorliegende Werk zu schreiben und alle jene Geschichten zu sammeln, die sich in alten und neuen Zeiten in bunter Verschiedenheit zugetragen haben.«

Wenn Sacchetti sich einen unwissenden und ungebildeten Menschen nennt, muß man das nicht wörtlich nehmen. Er bekennt sich zu jener resignierenden Unwissenheit, die jeder Wissende eingesteht, und sich als ungebildet zu bezeichnen, gehörte zum guten Gesellschaftston der gebildeten Kreise.

Auch seine Bezeichnung der oft harmlosen Geschichten als »Novellen« ist irreführend; er nennt sie so nur im Hinblick auf den Ursprung und die eigentliche Bedeutung des Wortes ›Novelle‹, das nichts anderes als »unwichtige Neuigkeit« bedeutet. Denn mehr als schnurrige, heitere, drollige, erotische Neuigkeiten und Nachrichten sind es oft nicht, die er erzählt. Er berichtet allerdings mit einer Natürlichkeit und Farbenfreude, mit einer Sinnlichkeit und Unbekümmertheit, die nur in jenem Landstrich und in jenen Tagen möglich war. Seine Manier ist ein unbewußter Pointillismus. Er setzt einen Farbentupfen neben den anderen, in einer scheinbar verwirrenden Buntheit, aber am Ende hat man doch den Eindruck eines apart gesehenen landschaftlichen oder gesellschaftlichen Bildes oder seelischen Zustandes einer Epoche. Stofflich ist er ziemlich unbekümmert verfahren. Wertvolles und Wertloses, Bleibendes und Flüchtiges, Eintagskost und Ewigkeitswerte sind wahllos nebeneinander gereiht und geben dem Werk eben darum seine reizvolle Unmittelbarkeit. Der Verfasser hat sich ganz gewiß nicht träumen lassen, daß seine Geschichten noch nach mehr als einem halben Jahrtausend gelesen werden und Gegenstand literarischer Betrachtung sein würden.

Aber das Wort »Novelle« in seiner eigentlichen Bedeutung genommen verliert schon den Sinn, wenn man sich Antoine de la Sale zuwendet (1388-1456), dessen »Hundert neue Novellen« weit berühmter und schon zu ihrer Zeit populärer geworden waren, als Sacchettis erotische Anekdotensammlung. Geographisch genommen gehört de la Sale allerdings nicht in diese Reihe italienischer Erzähler, denn er ist in der französischen Provence geboren. Aber schon sehr jung kam er nach Messina und lebte meist auf süditalienischen Inseln. Man hielt lange Zeit Ludwig XI. für den Verfasser dieser Novellen, was de la Sale nur zur Ehre gereichen kann, denn Ludwig XI. stand im Ruf eines ausgezeichneten Plauderers und farbenreichen Erzählers. De la Sales Novellen gehören mit zu den berühmtesten und entzückendsten Kabinettstücken der erotischen Literatur des 15. Jahrhunderts; jener Zeit, in der der Schriftsteller durchaus kein Blatt vor den Mund zu nehmen brauchte und mit einer prachtvollen Frechheit die salonwidrigsten Dinge so naiv beschrieb, als schildere er den keuschen Mond oder eine Blumenknospe. Das Thema de la Sales ist etwas monoton; es dreht sich fast in allen hundert Novellen um den betrogenen Ehemann. De la Sale, Junggeselle aus Prinzip, verachtete das Weib noch mehr als die strengsten und misogynsten Kirchenväter, und man kann sich deshalb denken, daß er es nicht im schmeichelhaftesten Lichte sieht. Fast durchweg ist das Weib, von dem er erzählt, eine Dirne, die – gleichviel ob sie Jungfrau oder Mutter ist – mit den Kleidern zugleich das Gewissen ablegt und nicht besonders viel Umstände macht, wenn man sie um das bittet, was sonst nur die innigste Liebe gewährt. – Stofflich hat man einen vergröberten Boccaccio vor sich, einen derb zugreifenden Autor, der den Stier bei den Hörnern packt und ohne jede Umschreibung den Dingen den Namen gibt, den ihnen unsere Prüderie weigert. Ich weiß nicht, welchen sprachlichen Reiz diese schlüpfrigen Geschichten in der Originalsprache haben; die deutsche Sprache ist jedenfalls nicht reich genug, diese Obszönitäten mit gleicher Grazie wiederzugeben. In der Sprache Luthers klingt plump und allzu heftig, was man in der Sprache Racines noch immer mit Vergnügen hört. Während die Franzosen gerade auf ihr Ziel losgehen dürfen, müssen wir über den Berg klettern, um zum selben Ziel zu gelangen.

Läßt de la Sale vielleicht manchem Leser noch hier und dort an Saftigkeit etwas zu wünschen übrig, – der käme vollends auf seine Kosten, der die »Sprichwort-Novellen« von Antonio Cornazano lesen würde (1431-1500). Selbst wenn man es nicht besonders hervorhöbe, ließe es sich aus dem Stil und dem Geist ohne weiteres erwittern, daß Cornazano ein intimer Freund Aretinos war. Daß er aber nicht nur in den Revieren Pans und seiner Nymphen mit Erfolg umherzustreifen verstand, beweist die andere Tatsache, daß er geliebt war von den Strozzis, verehrt von den Estes und hochgeschätzt von den Sforzas. Dies sei im voraus eingestanden: daß man die Biographie, die er seinem Schutzherrn, dem großen Colleoni, gewidmet hat, heute kaum mehr zu lesen vermag. Aber so papieren sich auch diese mit großer Liebe und Einsicht geschriebene Studie liest, so lebenswarm, so – man möchte sagen – erdgeistig sind andererseits seine »Sprichwortnovellen«. Es war für Cornazano leichter, diese Novellen zu schreiben, als dem Kritiker, dem Dichter gerecht zu werden. Nach allem, was wir über ihn wissen, war er ein hervorragender Geist, weltmännisch und grazil – eine echte Renaissance-Natur. Er war Dichter und Historiker, schrieb in verschiedenen Sprachen Sonette, Terzinen und Elegien, schrieb über Musik und Tanzkunst, über Regierungskunst und Kriegswesen. Und endlich ahmte er in seinen »Sprichwortnovellen« Boccaccio nach, den Unnachahmlichen und Unübertroffenen.

Von diesen Novellen ist hier die Rede. Und zu ihrem Verständnis ist es nötig, sich die obigen Jahreszahlen zu vergegenwärtigen, wenn man seine Fabulierkunst genießen will. Man darf nicht den Maßstab unserer Sittlichkeit an ihn anlegen. Man muß sich vielmehr daran erinnern, daß bereits nahezu 500 Jahre über seine fröhlichen obszönen Scherze dahingegangen sind und daß unsere Moral nicht die Moral des 15. Jahrhunderts gewesen sein kann.

Man müßte eine kulturgeschichtliche Abhandlung schreiben, müßte ein vollkommenes Bild jener lebensfreudigen, ganz und gar nicht schamhaften Zeit geben, die ebenso dunkel war wie licht, in der es noch keine Schande war, gesunde Sinne zu haben und sich ihrer als Freudenquelle aufrichtig zu freuen. Wir Kinder des 20. Jahrhunderts, denen noch »aus Gründen der Moral« der Casanova beschlagnahmt wurde, wir, die von Staats wegen mit Moralin geimpft werden, – wir müssen uns erst historisch einstellen, um an diesen galant-lasziven Novellen Freude empfinden zu können. Bedeutende Kritiker des 19. Jahrhunderts haben diese Novellen mit Boccaccios »Decameron« verglichen, mit dem »Heptameron« der Königin von Navarra und den bekannten Fazetien des Poggio.

Ich stehe nicht an zu sagen, daß Cornazanos Novellen neben denen Boccaccios in Ehren bestehen können und daß der Leser, der Boccaccio genossen hat, ohne vor Entrüstung in Ohnmacht zu fallen, auch die Lektüre Cornazanos durchaus gesund aus der Hand legen wird. Er wird höchstens lachen – und Lachen galt ehedem als heilig.

Ich habe das »Heptameron« der Königin von Navarra erwähnt (1492-1515), das einen willkommenen Maßstab bietet, um beurteilen zu können, wie weit in erotischen Dingen die Vorurteilslosigkeit selbst an europäischen Höfen ging. Man wird geneigt sein, die übrigen Erzähler gewöhnlicher Herkunft milder zu betrachten, wenn man sieht, daß selbst eine Königin um faunische Stirnen zarte Rosenkränze windet.

Man gibt den jungen Prinzessinnen unserer Tage nicht mehr die ausgezeichnete Erziehung, die die junge Prinzessin Margarete empfangen hatte. Sie lernte italienisch, spanisch, lateinisch, griechisch, hebräisch und las schon in früher Jugend sehr viel. Werke theologischen, philosophischen und politischen Inhalts wechselten ab mit Reiseschilderungen, Jagdbüchern, Gedichten, Romanen, Chroniken und Musikliteratur. Man merkt diese gediegene Bildung ihren Novellen wohl an, in denen trotzdem nichts Blaustrumpfiges sich bemerkbar macht. Daß ein nicht erlernbarer Charme und eine vollendete Grazie ihre heiteren Novellen auszeichnen, muß man nicht besonders erwähnen; ist sie doch eine der anmutigsten und geistvollsten Vertreterinnen der französischen Renaissance. Madame de Châtillon, ihre Anstandsdame, hatte nur nötig, die großen Eigenschaften der späteren Königin zu leiten – nicht zu entwickeln! – unter denen Geisteskühnheit, Seelengröße und eine erstaunliche Toleranz am meisten hervorragen. Daß sie politisch eine große Rolle spielte, geht uns hier nichts an, obwohl ihr auch in dieser Beziehung wenig königliche Frauen als ebenbürtig zur Seite gestellt werden können. Wichtiger ist schon, daß sie in Bourges und Nîmes Universitäten gegründet hatte und daß sie mit Erasmus von Rotterdam in regem Briefwechsel stand, dessen hohes Lob der Königin aus einer redlichen Überzeugung entspringt und nicht aus einer unterwürfigen Seele. Aber man könnte noch mehr Männer nennen, die von ihr Zuspruch, Anerkennung, Trost oder Lohn erwarteten: Calvin, Melanchthon, der gottvolle Rabelais, Bonaventura und noch viele andere, deren Augen auf die Königin gerichtet waren, wie auf einen guten Stern, der ihnen voranleuchtete.

»Unermüdlich tätig,« sagt ein neuer Herausgeber ihres Heptameron, »politisch und literarisch, selbst schaffend und zum Schaffen anregend, ist ihr Leben gefüllt wie ein goldener Becher mit feurigem alten Wein, der den Leib erwärmt und das Herz erhellt.«

Als ein echtes Kind des 16. Jahrhunderts liebt sie Welt und Menschen leidenschaftlich, ist lebensfroh und in ihren Anschauungen urgesund. Über alles stellt sie die Wahrheit, weicht einem kecken, selbst derben Worte nicht aus, ekelt sich aber vor Schmutz und Lüsternheit, und die Widrigkeit des Daseins kann ihr nichts anhaben. Sie bleibt eine reizende Gestalt.

Man denke nicht, daß ihr Leben wie ein Frühlingstag vorbeigerauscht ist; sie wäre unvollkommen, wenn sie nicht auch von des Lebens Bitternis ihr gut Teil gekostet hätte; Sorge und Kummer und mannigfaches Unglück begleiten sie durch viele Jahre; aber das Leid bezwang sie nicht und raubte ihr nicht die philosophische Heiterkeit des Gemüts, die aus ihren ergötzlichen Geschichten so traulich und wohl an unser Ohr klingt.

Diese Königin war, alles in allem, ein königlicher Mensch, der die Krone zu Recht trug; ein freier Mensch voll kühner, oft ketzerischer Gedanken; dabei liebenswürdig, verschmitzt, kokett, drollig, aufgeklärt und voll reicher Erfindungsgabe. Sie war, um es zu wiederholen, ganz reizend. Aber man muß es dreimal sagen, denn auch in ihr stak ein kleiner Teufel, den man im »Pentameron« sehr übermütige Streiche erzählen hört.

Diesen zartesten Eroticis der italienischen Renaissance reihen sich chronologisch die derbsten an, neben denen wirklich das Meiste verblaßt. Es sind die Novellen von Girolamo Morlini, die etwa 1520 zum erstenmal erschienen sind.

Cornazanos Novellenfiguren würden es noch vertragen, daß man sie etwa den Kaulbachschen Liebesgöttern gleichstellte. Bei Morlini hört jedoch alle Schalkhaftigkeit und göttliche Ausgelassenheit auf. Er ist im brutalsten Sinne eindeutig und in seiner Sachlichkeit unverschämt saftig. Nur Aretin ist ihm hierin ebenbürtig. Priapus wäre das Signet, das man diesen Novellen voraussetzen möchte. Hier wird gelumpt, gesoffen, geludert, geprügelt, gebuhlt und getötet: ein Ehebruch ist einer der niedlichsten Scherze, die man begehen kann; ein Mord um einer Liebesnacht willen scheint eine harmlose Selbstverständlichkeit. Die Menschen, so Männchen wie Weibchen, gebärden sich wie tollgewordene brünstige Katzen, die sich auf Dächern herumbalgen, in rasender Liebesgier fauchen und schreien; Menschen, denen nichts heilig ist, die sich selbst in der Kirche in höchst unheiliger Absicht ein Stelldichein geben und denen der Gekreuzigte nur ein Bedauern abnötigen kann, daß er um der Menschheit willen sein Leben ließ, anstatt es zu genießen. Hier sprüht die Renaissance in ihrem zügellosen Lebensdurst aus jeder Zeile; erst und nur hier hat man den vollen Eindruck dieser überschäumenden Naturen, die im Liebeswerk ebenso Gewaltiges leisteten wie in ihren anderen Werken. Aber wer sich historisch einstellt, wird trotz all der satyrhaften Brünstigkeit, die hier brüllt und giert, eine tierische Naturnähe wittern, die nichts mit jenen versteckten Laszivitäten und Obszönitäten gemein hat, die in unseren zeitläuftigen Eroticis gang und gäbe sind. Hat der liebe Gott sich nicht geschämt, dem Menschen gewisse Körperteile zu geben, so scheut Morlini sich nicht, von ihnen zu sprechen. Er geht in seiner Gradlinigkeit allerdings oft bis zur Plattheit und Geschmacklosigkeit, und seinen Stoffquellen, den Apulejus, Poggio, Masuccio, Straparola u. a., begegnet man nur in unreiner Form. Aber wir sind vielleicht von jener Welt des gelehrten Neapolitaners allzuweit entfernt, um ihm völlig gerecht werden zu können.

Michelagnolo Firenzuola (1493-1545) fällt mit seinen Novellen gegen Morlini nur dann ab, wenn man das Priapische darin sucht. Künstlerisch stehen sie ungleich höher. Um seine Novellen richtig zu würdigen, muß man zunächst seine Dialoge über die Schönheit der Frauen lesen, aus denen man erfährt, was die Frau dem gebildeten Manne jener Zeit galt, wie sein Schönheitsideal aussah und wie er seine Lebensführung gestaltete. Daß er selbst als einer der ersten Europäer jene Krankheit aquirierte, die Columbus aus dem neu entdeckten Erdteil mitgebracht hatte, darf nicht dazu verführen, Firenzuola für einen Wüstling zu halten. Er war nur unvorsichtig und büßte seine Unkenntnis durch eine harte elfjährige Strafe. Denn Unkenntnis des Gesetzes – sagt der Staat – schützt vor Strafe nicht. Dennoch hatte Firenzuola Humor genug, das Holz des Guajakbaumes, dem er, ebenso wie Ulrich von Hutten, die zeitweise Heilung seiner Syphilis verdankte, in lustigen Terzinen zu besingen.

Wie seine Zeitgenossen lebte auch Firenzuola zwar epikuräisch, aber die rein materielle Lebensanschauung eines Aristipp wird von ihm doch vielfach durch den Einfluß der platonischen Gedankenwelt in eine reinere Atmosphäre gehoben. Die Geschichten, die er erzählt, sind zwar in der derbkörnigen, saftigen Sprache eines Sacchetti oder Morlini geschrieben; aber auch Firenzuolas Freimütigkeit wird der Schriftsteller unserer Tage mit Neid nachblicken.

Ich kann mir nicht helfen: es ist Heuchelei in unserem Tun. Man hat das Recht, den unverstaubten und unverbrauchten Wortschatz der Renaissanceliteratur hervorzuholen, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt, und sich daran zu erfreuen; man hat aber nicht das Recht, in unserer Zeit solche gepfefferten Erotici zu schreiben. Es wäre aber eine grobe Lüge, wollte man behaupten, daß man sich an den Renaissanceerzählern nur deshalb freut, weil sie uns zu einer historischen Einstellung nötigen. Das »Historische« ist, wenigstens mir – so wahr mir Gott helfe! – verflucht gleichgültig. Mich reizt vielmehr die hüllenlose Natürlichkeit und Ehrlichkeit der Erzählungsweise. Und alles, was diese Meister schildern, geschieht heute so wie vor fünfhundert Jahren; weder haben die Lüste noch die Schmerzen der Menschen sich geändert. Frauen betrügen ihre Männer, Männer ihre Frauen. Nur das Feigenblatt ist inzwischen gewachsen; es bedeckt nicht nur unsere Blöße, sondern unser ganzes Wesen und unsere Seele.

Einer der freimütigsten Erzähler jener Epoche war Giovanni Francesco Straparola (1483 bis 1557).

Es ist nicht unhöflich vorauszusetzen, daß der Name Straparolas den meisten unbekannt ist; man wird ihn in Lexicis, ja sogar in italienischen Literaturgeschichten, die die Renaissance behandeln, seltsamerweise kaum finden. Weder sein Geburts- noch sein Sterbejahr ist bekannt. Und doch ist er am Beginn des 16. Jahrhunderts neben Sacchetti wohl einer der bedeutendsten Epigonen Boccaccios, dessen populärer Name als gutes Omen auch über den Dichtungen Straparolas steht.

Seit Lorenzo Valla seinen im Geiste Aristipps verfaßten Dialog »De voluptate« veröffentlicht hatte, mit dem er seine Zeitgenossen nicht wenig erschreckte – eine Schrift, die nackt und hart erklärt, daß ausschließlich in der Sinnlichkeit das höchste Gut des Lebens liege –, fanden sich schlüpfrige Poeten genug, die sich zu dieser Fahne bekannten und sie wacker emporhielten. Diesen Dichtern aber kann man Straparola nicht beizählen, obwohl die ungemein zahlreichen Auflagen, die seine »Ergötzlichen Nächte« erlebten – eine Auflagenhöhe, deren sogar Boccaccios Decamerone sich nicht rühmen kann –, den Schluß aufdrängen könnten, dieser Erfolg sei der Obszönität zu verdanken.

Man begegnet in den »Ergötzlichen Nächten« wohl manchem ausgelassenen Stück, und es wäre auch unnatürlich, wäre Verlogenheit, wenn gerade Straparola die Anschauungen seiner Zeit verleugnen wollte. Aber man findet bei ihm auch bereits, und zwar zum ersten Male in Europa, die entzückendsten Volksmärchen und Erzählungen, die mit denen aus Tausendundeiner Nacht innig verwandt sind.

Wenn uns auch der Rahmen, den Straparola wählt, ein wenig altmodisch und verschnörkelt erscheint, die Bilder, die er hineinstellt, ergötzen den Leser und lassen ihn Menschen und Welt jener Tage ganz mitempfinden und miterleben. Und sie sind in Licht und Farbe getaucht, weder grell noch dick aufgetragen. Diese Geschichten sind volkstümlich, phantastisch, märchenhaft, lustig, ernst, gefühlvoll, moralisch – kurzum, bunt wie das liebe Leben. Es gibt keine toten Stellen darin. Und ob Straparola seine unvergleichlich schönen Italienerinnen malt oder ihre bis unter die Ohren verliebten Troubadoure und Liebhaber, ob er Galgenvögel zeichnet oder Pfaffen, Damen, deren Beruf die Untreue ist, oder bramarbasierende Kerle, Hahnreis oder solche, die es werden sollen, Bettler oder Reiche, Greise oder Gassenbuben, Fürsten oder Lumpengesindel, – er bleibt stets derselbe liebenswürdige und heitere Fabulist.

Er ist nicht geistreich und keineswegs originell; er schreibt kunstlos und sogar nachlässig; zuweilen auffallend salopp, und doch wird man sich ihm immer wieder mit Vergnügen zuwenden.

Lebhafter, ursprünglicher und naturgetreuer als Straparola ist jedoch Giambattista Basile (1575-1632), in dessen »Pentameron« oft die gleichen Stoffe behandelt werden wie in den »Ergötzlichen Nächten«. Nur daß Basile bei aller Ruppigkeit märchenhafter und fast rein orientalisch wirkt. Seine Sprache ist blumig, lyrisch und überladen bis zum Schwulst. Basile, späterhin Graf von Torone und Pfalzgraf, Mitglied der Akademie zu Venedig usw. usw., war ursprünglich ein armer Teufel, der sich kaum durchzuschlagen vermochte, der sich in Venedig gegen die Türken anwerben ließ, Soldat und Seemann war und auf zahlreichen Reisen ein groß Teil von der Welt sah. Er verlebte seine Jugend auf Kreta und trat später in den Dienst des Herzogs von Mantua, des Fürsten von Avellina und anderer kleiner Potentaten. Man machte ihn zum Gouverneur von Lagonegro, zum Gouverneur von Aversa, Regenten von Giugliano, einem Dorf in der Campagna usw. Aber das alles brachte ihm kaum die Butter zum Brote ein.

Jakob Grimm rühmte bereits die Märchensammlung Basiles als die beste und reichhaltigste aller Völker. Sie ist in der Volksmundart der Neapolitaner geschrieben, und die Übersetzer überbieten sich in der Beweisführung, daß es kaum eine schwierigere Aufgabe geben könne, als die Rüpelsprache Basiles – ein neapolitanisches Gaunerwälsch – in gutes Deutsch zu übertragen, was man ohne weiteres glauben darf. Der Stil Basiles ist quecksilbrig, witzig, scherzhaft, keck und verwegen, reich an Anspielungen auf Sitten und Bräuche, Geschichte und Mythologie, gespickt von Sprichwörtern, die immer gleich dutzendweise aufeinander folgen, von geläufigen Redensarten, Reimen, Kalauern, Wortspielen, Metaphern, Hyperbeln. Eine Überfülle von seltsamen, oft lächerlichen Gleichnissen weist deutlich auf die orientalische Herkunft dieser lebensprühenden Märchen hin. So ruft etwa ein Liebhaber seiner Geliebten zum Abschied die Worte zu: »Lebe wohl, Protokoll aller Privilegien der Natur, Archiv aller Gnadenbewilligung des Himmels, Tafel mit allen Titeln der Schönheit beschrieben usw.« Eine Hexe schildert er folgendermaßen: »Eine so häßliche Hexe, daß die Natur sie zum Modell aller Gebrechen geschaffen zu haben schien. Ihre Haare glichen einem Besen von Mäusedorn, der nicht etwa dazu taugte, die Häuser von Ruß und Spinnweben zu reinigen, sondern vielmehr die, welche ihn sahen, mit Angst und Schrecken zu stäupen; ihre Stirn war ein Genueser Schleifstein, an dem sie den Dolch der Furcht schärfte, mit welchem sie die Herzen durchbohrte; die Augen glichen Kometen, welche ein Beben der Beine, eine Eiseskälte des Herzens, ein Grauen des Geistes, ein Entsetzen der Seele und eine Öffnung des Leibes vorherverkündeten; durch ihr Angesicht verbreitete sie Zittern, durch ihren Blick Angst, durch ihre Bewegungen Schrecken, durch ihre Worte Bestürzung. Ihr Maul war mit Hauern besetzt, wie das eines wilden Schweines, groß wie das einer Stachelsau, aufgesperrt wie das eines von Epilepsie Befallenen, geifernd wie das eines Maultieres; mit einem Wort, von Kopf bis zu Fuß sah man eine Quintessenz von Häßlichkeit und ein ganzes Hospital von Gebrechen.«

Man sieht, es hagelt förmlich Vergleiche, die aus einer ungemein reichen und übermütigen Natur kommen. Man spürt, daß jede Zeile in glänzendster Laune geschrieben ist. Ein liebevoller Naturbeobachter spiegelt sich in den Geschichten, der sich nicht genugtun kann, die schöne Welt in immer neuen humorgetränkten Bildern zu malen.

In seiner Lebensauffassung ist er ganz und gar das Kind seiner Zeit, – und er steht in nichts den berühmten Boccaccioschülern nach.

Sie haben alle den Zwang der Kirche abgeschüttelt und die von den Pfaffen geschmähten Sinne wieder zu Ehren gebracht. Sie sind sich ihrer persönlichen Kraft bewußt und wollen sie zur Geltung bringen. »Aus dieser Erde quillen meine Freuden« ist ihr Lebensmotto. Ihr heidnischer Geist hat das zerknirschte asketische Christentum des Trecento verdrängt. Seitdem man nicht mehr so sehr darauf erpicht ist, im Jenseits fortzuleben, ist man um so lebhafter darauf bedacht, sich die Unsterblichkeit auf dieser Erde zu sichern. Es ist die Epoche des vitalsten Individualismus, und es beginnt ein Kultus der Persönlichkeit, der sich natürlicherweise zunächst in den Künstlerkreisen bemerkbar macht. Man schmückt sich gern, prunkt mit seinen Spitzen und Perlenschnüren und noch lieber mit seinen körperlichen Reizen. Man lebt ein sattes, rasches, zügelloses Wohlleben. Die Menschen der Renaissance sind, im Gegensatz zu den Jammerlappen des Trecento, lebens- und liebesstark, energisch, willenslustig, deren liebste Schlagwörter Kraft heißen und Leidenschaft. Es ist eine Epoche voll von Spannungen, von neuen Energien und besonderer Kraftentwicklung. Die Köpfe stecken voll rauschender Phantasien, die Vernunft ist von faustischem Sehnen gepackt, und der Mensch ist mehr denn je von seiner Gottähnlichkeit durchdrungen. Ebensowenig wie die Maler schämen sich die Dichter irgendeines Organs ihres Körpers oder seiner Betätigung. Sie sehen die Welt in Schönheit und machen ein Fest daraus. Im Trecento hat man dem Menschen jede Lebensfreude, jede Sinnenlust verekelt, als habe Gott bei der Schöpfung des Menschen seine Augen bedeckt, um nicht zu sehen, wie »unanständig« die Geschöpfe waren, denen er seinen Odem einhauchte. Das Quattrocento nimmt Rache für diese Hinterziehung der Freude und schwelgt in Lust. Dem Aschermittwoch folgt der Karneval. Und es ist nur natürlich, daß den Erzählern dieser Epoche zuweilen der Mund überläuft und daß sie sich in ihren Schilderungen der Liebe nicht allzu großer Pönitenz befleißigen. Man muß ihre Zoten nicht so tragisch nehmen, denn ganz gewiß stirbt man nicht daran. »Ein Scherz oder Zötlein in Ehren gefällt Gott wohl«, lautet ein Wort Luthers.


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