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Jacob Casanova

Jacob Casanova wurde am 2. April 1725 in Venedig geboren.

Hier ist in zwei Worten seine Mannesgestalt, wie sie der Prinz von Ligne etwa beschrieben hat: Casanova ist herkulisch gebaut, von brünetter Gesichtsfarbe, einer lebhaften Physiognomie, aus der ein Paar geistsprühende, sinnliche Augen herausblitzen. Seine Bewegungen sind elegant und geschmeidig, seine Mimik ist ausdrucksvoll und edel.

Casanova hatte zwei Schwächen, aber es waren zugleich seine starken Seiten: die Weiber und das Spiel. Don Juan ist ein Waisenknabe gegen ihn. Er lebte so, daß Aristipp ein Stoiker dagegen gewesen sein muß; denn sicherlich hat der Grieche in der Phantasie ein ausschweifenderes Leben geführt als in der Wirklichkeit. Mit Faust kann Casanova von sich sagen: »Ich bin nur durch die Welt gerannt; ein jed' Gelüst ergriff ich bei den Haaren.« Wie Mephisto weiß er stets sich trefflich mit der Polizei herumzuschlagen, die begreiflicherweise eine große Rolle in seinem Vagabundenleben spielt. Er nennt sich selbst fortwährend einen Abenteurer und Spieler, einen Wüstling aus Grundsatz und Lüstling aus Temperament, einen Roué, einen hungrigen Wolf in der Mädchenhürde, einen alten Geier, einen alten Fuchs im Taubenschlage, einen Fallenleger. Er war für die Frauen – sagt Victor Ottmann in einem guten alten Bilde – was das Licht für die Motten ist, und der Ruf seiner Triumphe wirkte auf die Marquisen und Kammerzofen, auf Heidinnen und Jüdinnen, auf die Frauen aller Länder wie Haschisch und Opium.

»Erträglich reich, von der Natur gebildet, daß ich Eindruck machen konnte, Spieler von Profession, bodenloser Verschwender, gesprächig und immer sarkastisch, fern von aller Prüderie, rastlos, Verfolger aller schönen Frauen, jeden Nebenbuhler aus dem Sattel hebend, endlich nur die Gesellschaft anerkennend, die mich belustigte, mußte ich gehaßt sein. Da ich stets mit meiner Person zu zahlen bereit war, hielt ich alles meiner Person erlaubt.«

Im Punkte der Ehre ist er in der Tat empfindlicher als ein spanischer Grande, und wehe dem, der ihn erst zwingt, den Degen zu ziehen. Sein Stolz ist stets unter Waffen. Er ist nicht allein mutig, sondern von phantastischer Tollkühnheit, von seltener Unerschrockenheit und beispielloser Verwegenheit. Er gibt tausend Proben seiner fürstlichen Großmut. Er rettet mehrere Familien aus dem Elend, nur sich selber rettet er nicht; er wirft sich zum Advokaten der Unbeschützten auf, nur nicht zu seinem eigenen; er befreit Gefangene aus ihren Kerkern, nur sich selber befreit er nicht aus den einengenden Mauern der unwürdigen Verhältnisse, die ihn umgeben.

Er ist von ausgelassener Einbildungskraft, abergläubisch, gutmütig und vergnügungssüchtig. Er liebt die lukullischen Diners und die Maskenbälle, die ihn Tausende kosten. Wenn er 10 000 Francs einnimmt, gibt er 30 000 Francs aus. Wie? Das ist sein Geheimnis. Er liebt es, irgendeinem kleinen Mädchen heute das große Vermögen zu opfern, das er gestern erspielt hat, um morgen arm zu sein wie eine Kirchenmaus. Mehr als einmal versetzt er seine Schmucksachen und Kleider, und in launenhaften Anwandlungen verschenkt er kostbare Brillanten, Pferde, Wagen, kurz alles, was er besitzt. Er denkt nie an die Zukunft. Was sage ich? Selbst das Morgen kümmert ihn nicht, wenn er nur heute genießt. »Was die Achtung betrifft, nach der ich stets Verlangen trug, so schlummerte mein Ehrgeiz, und zufrieden damit, mir selbst anzugehören, genoß ich meine Unabhängigkeit, ohne mir den Kopf wegen der Zukunft zu zerbrechen. Ich fühlte, daß ich bei meiner ersten Bestimmung, zu welcher ich nicht den notwendigen inneren Beruf fühlte, meinen Weg nur durch Heuchelei gemacht haben würde, und daß ich mir dann selbst verächtlich geworden wäre, hätte ich sogar den römischen Purpur erreicht. Wenn ich dagegen das Glück ferner in dem Waffenhandwerk gesucht hätte, welches schön durch den Durst des Ruhmes ist, der ihm zum Heiligenscheine dient, das aber außerdem der letzte aller Stände ist, und zwar wegen jener Selbstverleugnung, die den eigenen Willen einem blinden Gehorsam unterwirft, so hätte ich dahin nur durch eine Geduld gelangen können, auf die ich durchaus keinen Anspruch machte, da jede Ungerechtigkeit mich empörte, und das Joch, welcher Art es auch sein mochte, mir unerträglich wurde, sobald ich es wahrnahm.«

Wohl hundertmal verlacht er alle die, welche behaupten, es könne auf Erden keinen völlig glücklichen Menschen geben, und er zitiert sich selbst als ein lebendes Beispiel der entgegengesetzten Behauptung. Casanova ist ohne jede Dämonie; aber er hat – wie Sokrates – seinen eigenen Dämon, der ihn noch mehr von irgendeinem Entschlusse abbringt, als er ihn zu demselben bestimmt. Dieser gute oder böse Geist beherrscht ihn vollständig und wie ohne sein Wissen; er übt Einfluß auf alle seine Handlungen und bestimmt im großen und ganzen seine Aufführung. Casanova ist tief davon überzeugt, daß dieser »Dämon«, der übrigens sehr gutartiger Natur ist, nur sein Glück will; er ist daher auch bei jeder Gelegenheit gehorsam gegen seine Befehle. »Der feste Glaube an das Dasein eines immateriellen Gottes, des Urhebers und Gebieters aller Dinge und Wesen, beweist mir, daß ich daran nie gezweifelt habe, daß ich immer auf seine Vorsehung rechnete, da ich mich in meiner Bedrängnis durch das Gebet an ihn wendete und stets Erhörung fand. Die Kenntnis der Mittel, welche der Schöpfer anwendet, um die größten Unglücksfälle von denen abzuwenden, welche seine Hilfe erbitten, liegt über der Macht des menschlichen Verständnisses.«

Trotz seiner moralischen Grundsätze, trotz seiner Furcht vor einer göttlichen Vergeltung, war er unausgesetzt das Opfer seiner Sinne. Er fand ein Vergnügen daran, sich zu verirren; »ich habe fortwährend im Irrtum gelebt und dabei nur den Trost gehabt, zu wissen, daß ich im Irrtum befangen sei.« Den Genuß der Sinne zu pflegen, war stets seine Hauptbeschäftigung; eine wichtigere hatte er nie. Und doch ist er nie bis zur Gemeinheit herabgesunken. Er fühlte sich für das schöne Geschlecht geschaffen und hat es stets geliebt und sich von ihm lieben lassen, soviel er vermochte. Es ist sehr spaßhaft, diesen alten Wolf beten zu hören, Gott möge ihm ein hübsches junges Mädchen in seinen Rachen führen. Denn hast Du mir diesen nie zu stillenden Appetit gegeben, o Ewiger, so ist es auch Deine Pflicht, mich zu beköstigen. Und solche Gebete nahm er durchaus ernst.

Er ist der klassische Vertreter des erotischen Menschen. Eine schöne Frau oder eine Frau, die sein Typ ist, verwandelt ihn, macht ihn gut oder böse, klug oder dumm, zieht ihn himmelan oder höllenwärts. Ist es eine Circe, so macht sie ein Schwein aus ihm; in den Armen einer Juno wird er zum Gott. Steht er in erotischem Bann, so wandelt er sich zum Dichter, und als Dichter beginnt er nun seine schöpferische Umgestaltung des geliebten Weibes. Hat sie sich einmal in seine Macht begeben, so übernimmt er ihre bisherige Rolle, die nur Präludium war. Er besingt sie, fasziniert sie; sein Einfluß auf ihr Wesen ist von hypnotischer Kraft. Er fesselt sie oder erlöst sie, er lähmt oder beschwingt sie – kurz, er macht aus ihr und mit ihr, was er will. Nur so ist es erklärlich, daß alle Frauen, die er verlassen oder, bürgerlich gesprochen, sitzengelassen hat, sich leidenschaftlich an die Zeit jener Liebeswochen, kaum Monde, klammern und den Geliebten nie vergessen können. Verlassen selbst, wissen sie ihm Dank, und ihre Erinnerung vergoldet die schönen Tage und verleugnet hartnäckig die häßlichen. Als hätte ein Gott sie umarmt, sehnen sie sich nach den Himmeln zurück, die er zu verschenken hatte. Er war bezaubernd, aber kein Zauberer. Er hatte ein ganz besonderes Talent, Frauen aufzuschließen und die Liebe in ihnen zu erwecken; selbst alte Stöcke schießen in Saft und beginnen in seiner Hand noch einmal zu grünen. Die langweiligsten Puten, Dienstboten sogar, behexte, berückte, entrückte er. Er besaß die Kunst, ihre Seelen erklingen zu lassen; er gab jeder ihre eigene Weise. Und gerade das dankten sie ihm, und gerade das fesselte sie an ihn bis zu seinem Tode.

Man muß seine Eide nicht für Worte des Evangeliums nehmen; denn er schwört ebenso rasch und gern, wie er ausgibt. Er liebt die Reliquien, aber nur wenn sie in Gold oder Edelstein gefaßt sind. Diese Reliquien verrichten dann gewöhnlich das Wunder, ihn aus einer dringenden Verlegenheit zu ziehen. Nur zwei- oder dreimal hat er von seinen Gläubigern Abschied zu nehmen vergessen. Er betrügt gern die Dummen und nützt mit Vorliebe die Toren aus. »Ich wünschte mir immer Glück dazu, wenn ich mich daran erinnere, daß ich einige in meine Netze lockte; denn sie fordern durch ihre Anmaßung und Unverschämtheit den Verstand heraus. Man rächt diesen, wenn man einen Dummkopf betrügt, und der Sieg lohnt wohl die Mühe. Ich glaube endlich, einen Dummkopf zu betrügen, ist eine Handlung, die eines Menschen von Geist würdig ist … Die Leser werden mir nicht zürnen, wenn sie sehen, daß ich die Börse meiner Freunde leerte, um meine Launen zu befriedigen; denn diese Freunde hatten überspannte Pläne, und indem ich sie das Gelingen hoffen ließ, hoffte ich, durch Enttäuschung sie zu heilen. Ich täuschte sie, um sie klüger zu machen, und ich hielt mich deshalb nicht für strafbar; denn ich handelte nicht in eigennütziger Absicht. Zur Bezahlung meiner Vergnügungen verwendete ich Summen, die dazu bestimmt waren, zu irgendeinem Besitz zu gelangen, den die Natur unmöglich macht. Würde ich jetzt im Reichtum leben, so könnte der Gedanke der Strafbarkeit in mir aufsteigen, da ich aber ohne jeglichen Besitz bin und alles vergeudet habe, so bin ich gerechtfertigt und kann mich trösten. Das Geld war sowieso zu Torheiten bestimmt; ich habe es seinem Zwecke nicht entfremdet, indem ich es zu den meinigen verausgabte.«

Casanovas System – wenn er eines hatte – bestand darin, sich von dem eben wehenden Winde treiben zu lassen. Wenn man bedenkt, wie beschwerlich und langweilig das Reisen früher war, ist es keine Übertreibung, wenn man sagt, daß er mehr als sein halbes Leben in der Postchaise zugebracht hat. Und wie umständlich war dies Reisen! Wenn er beispielsweise in seinem eigenen Wagen von Frankreich nach Deutschland fährt, benötigt er zwei Diener, acht Schirme, zwei Dutzend Hüte, vier Anzüge, diverse Samthosen, fünfzig Hemden, fünfzig Taschentücher, Boutons, Kartons, Puderkasten, Waffen, Tabatièren, Uhren, Unmengen Schokolade. Casanova bildet indes keine Ausnahme. Es gehört zum guten Ton jener Abenteurer, im großen Stil zu reisen. »Sie wissen sich allen Verhältnissen und Situationen mit Witz und Schlagfertigkeit anzuschmiegen, beherrschen die Hauptsprachen, diskutieren mit den Abbés über geistliche Fragen, bramarbasieren mit den Offizieren, tauschen mit den Aufklärungsstutzern Sarkasmen und Blasphemien aus, ergehen sich mit den Modephilosophen in Sophistereien, streiten sich mit gelehrten Pedanten über alte Autoren, politisieren mit fragwürdigen Diplomaten, witzeln mit den Witzigen und weinen mit den Rührseligen, – kurz, sitzen in allen Sätteln der gesellschaftlichen Konversation fest und entzücken durch ihre mysteriöse Überlegenheit. Sie haben ein verblüffendes Talent, im Handumdrehen große Summen herbeizuschaffen. Sie kleiden sich mit äußerster Eleganz, tragen Jabots und Manschetten aus kostbaren Spitzen, an der reichgestickten Atlasweste wertvolle Berlocken, mieten in den Gasthäusern, wo sie absteigen, ein ganzes Stockwerk und sonnen sich in dem Ruhm, daß die Stadt zusammenläuft, um den fabelhaften Fremden zu begaffen … Aber auch ins Überirdische lieben die Herren, dem Zuge der Zeit folgend, zu schweifen. Sie huldigen eifrig dem Modesport, der Alchimie und Kabbala, brüsten sich mit dem Besitz geheimnisvoller Rezepte, stehen am Schmelzofen und destillieren in den Retorten die verrücktesten Dinge, um Gold daraus zu machen, finden allenthalben wohlhabende Sonderlinge, die für ihre Passion beträchtliche Summen opfern, suchen den Stein der Weisen, zitieren die alten Mystiker von Moses bis zu Albertus Magnus und Paracelsus, vertiefen sich in die verschrobensten kabbalistischen Systeme und legen die Sternbilder aus. Sie pfuschen auch den Ärzten mit Erfolg ins Handwerk – wozu allerdings nicht viel gehörte –, führen Hausmittel eigener Komposition bei sich, triumphieren, wenn eine Kur überraschend glückt, und sind um eine plausible Ausrede nicht verlegen, wenn sie fehlschlägt. So geht es im bunten Tanz, im rastlosen Hin und Her von Land zu Land, im steten Auf und Nieder, unter tausend Gefahren, unter Triumphen und Enttäuschungen bis an die Schwelle des Alters, bis die elastische Kraft versagt, die Kraft des Wagemuts und Selbstvertrauens bricht und sie, wenn sie bis dahin Kerker und Kugel verschonten, in einem freudlosen, ärmlichen, einsamen Alter Zeit finden, darüber nachzudenken, wie so bald der Reigen verhallt und der lustige Schaum auf dem Becher zerstiebt und wie die Welt so furchtbar schnell vergißt und für den alten Mann, der einst lachend über sie hinwegschritt, kaum noch ein flüchtiges Gedenken hat.«

Für den, der Welt- und Menschenkenntnis erlangen will und die Sitten jener Zeit kennen zu lernen wünscht, gibt es kein wichtigeres Werk als die Memoiren Casanovas. Denn dieser Spieler macht ganz Europa zu seinem Schauplatz, und von Konstantinopel bis Madrid, von Petersburg bis Neapel gibt es keine größere Stadt, in der er nicht an den Höfen und in den Spelunken, in den höchsten und niedrigsten Kreisen eine Rolle gespielt hätte. Er kommt mit den wichtigsten Persönlichkeiten seiner Zeit in Berührung und macht ihre nähere Bekanntschaft.

Casanova verkehrt an allen europäischen Höfen und erregt die Aufmerksamkeit aller Könige, Herzöge und Fürsten. Er wird Lotteriedirektor des Louis quinze; Friedrich der Große will ihn zum Kadettenlehrer machen; aber vom König um seine Meinung befragt, nennt er Maupertuis einen miserablen Physiker, d'Alembert einen talentlosen Geometer, Voltaire einen elenden Dichter, d'Argens einen flachen Philosophen, Lamettrie einen charlatanistischen Arzt, Labeaumelle einen jammervollen Kritiker und Diderot einen schlechten Schriftsteller. Josef II. von Österreich, Karl III. von Spanien, Georg III. von England, Katharina II. von Rußland, den Polenkönig August, den Herzog von Richelieu, – er lernt sie alle kennen, unterhält sich mit allen. Der Papst Pius V. erhebt diesen Glücksjäger zum Ritter vom goldenen Sporn und er sich selbst zum Herrn von Seingalt. Er empfängt von Crébillon père Unterricht im Französischen und in der Literatur. Er ißt bei der Pompadour zu Mittag und lädt sich bei Jean Jacques Rousseau zum Diner ein, den er zugleich in Nahrung setzt, indem er ihm Musiknoten zur Abschrift gibt. Fontenelle, Marmontel, d'Alembert und der Marquis d'Argens vervollständigen diesen Kreis. Er versteht es, in sprühenden Tischgesprächen Voltaire zu faszinieren, mit dem er sich wieder entzweit, indem er ihm zu verstehen gibt, daß die »Henriade« ein elendes Machwerk sei. Er ist der mehrtägige Gast Albrecht Hallers und bedauert, mit dessen verlobter Tochter kein verliebtes tête-à-tête herbeiführen zu können. Er genießt die Gastfreundschaft des Malers Rafael Mengs, dem er gezwungenermaßen Grobheiten genug sagt, und er freut sich an den Purzelbäumen, die er Winckelmann schießen sieht. In England lernt er Garrick kennen, und Fielding, der Verfasser des Tom Jones, wird sein Richter in einer Gefängnisaffäre. Er wohnt der Krönung der Dichterin Corinna bei und kann es auch endlich nicht vermeiden, in die Gesellschaft der berühmtesten Taschenspieler zu geraten, St. Germains und Cagliostros, den Goethe und Schiller verewigt haben.

Casanova vermochte vielleicht die Könige zu verblüffen, aber um sich in den Zirkeln Crébillons, Voltaires, Hallers nicht nur mit Würde zu behaupten, sondern auch die Hochachtung aller erwerben zu können, dazu gehörte mehr als eine blendende Abenteurernatur. Man sieht ihn im Gespräch mit diesen bevorzugten Geistern als einen originellen, geistvollen, spöttischen, kenntnisreichen, gefühlvollen Menschen von edlem Wesen; als einen tüchtigen Gelehrten (er hat sich mit Glück auf verschiedenen wissenschaftlichen Gebieten versucht); als einen selbständigen Denker; denn obgleich er ein Wüstling war, wußte er doch vortreffliche Dinge zu sagen; als eine geniale Persönlichkeit, begabt mit einem erstaunlichen Gedächtnis. Ich sage nichts zum Lobe seines Geistes oder schriftstellerischen Talentes, noch rühme ich seinen philosophischen Verstand oder seinen Reichtum an Erfahrungen; denn das alles wird man in seinem zwanzigbändigen Memoirenwerk finden.

Viele, die ihn nicht gelesen haben, verhüllen bei dem Namen Casanova schamvoll ihr Antlitz. Weil man ihn nicht kennt, ist sein Name allmählich ein Synonym geworden für Schweinigel, Gauner und Lüstling. Ich gebe zu, daß ich das alles in ihm gefunden habe – und noch mehr. Aber wer zwingt mich, nur diese Seite in ihm zu sehen, die gewiß nicht seine erhabenste war? Habe ich nicht vielmehr die Pflicht, auch den Philosophen in ihm zu beachten, den ich in ihm sehe; einen Philosophen, der über Gott und Mensch, über Gut und Böse, Leben und Tod, Freundschaft, Liebe und Glück, Wahrheit und Lüge, Freude und Schmerz, Publikum und Egoismus, Schicksal und Vorsehung eine große Reihe durchaus nicht alltäglicher Gedanken geäußert hat?

Diese Gedanken sind bunt in seinen Memoiren zerstreut, wie seltene Blumen auf einer großen, sehr saftigen, etwas zu breiten Wiese. Man wird sich aber mit Vergnügen auf diesem grünen Gefilde tummeln, und man wird fühlen, daß diese Blüten nicht am Schreibtische gereift sind, sondern im Leben draußen, das ein ungleich besserer Erzieher ist, als die Gelehrtenstube.

In seinen Memoiren werden etwas viel Tränen vergossen; aber nur in seinen Memoiren; in Wirklichkeit sind das fiktive Tränen, die nur um willen der literarischen Tradition, des Geschmackes jener Zeit geopfert worden sind. Es fehlt in diesen Memoiren nicht an klassischen Zitaten – man repetiert fast den ganzen Horaz –, an Gedichten, Sprichwörtern, an Kannegießerei, Geklatsch und übler Redeseligkeit. Sie sind voller Leben, Witz und Satire, Zynismus und zuweilen auch Obszönität; aber gegen Marquis de Sade ist Casanova immer noch züchtig. Er besitzt die Gabe, jeden durch seine lebhaften Schilderungen zu unterhalten und nie über das zu lachen, was er erzählt. Sein Stil ist dramatisch, rasch, philosophisch, liebenswürdig und würzig; man muß allerdings einige Weitschweifigkeiten und Schwerfälligkeiten dafür in Kauf nehmen. Hier findet man Liebesaffären im Übermaß, Händel von der besten Sorte, Eifersüchteleien, seidene Strickleitern, Serenaden, Duelle, Einbrüche, Gefängnisse, verliebte Nonnen, Masken, Schatzgräber, Spielhöllen, Gift, Magie, Gespenster, Abenteuer jeder Art, die unwahrscheinlichsten und unmöglichsten Dinge. Und doch weicht Casanova mit keiner Silbe von der Wahrheit ab. »Seine mitgeteilten Ereignisse tragen alle den Stempel der Wahrheit; denn alles ist mir durch Venetianer bestätigt worden«, sagt der Prinz von Ligne in seiner Skizze über Casanova. In der Tat scheute sich Casanova nicht, sich selbst die lächerlichste Rolle zuzuerteilen, wenn die Wahrheit es erheischte. Er liebte die Wahrheit ebenso leidenschaftlich, wie Robespierre die Tugend. Man kennt ja die Peinlichkeit der deutschen Gelehrten im Punkte der Wahrheit. Man weiß, daß nichts sie bestechen kann, von dem exakten Wege der inquisitorischen Genauigkeit abzuweichen, und daß niemand auf der Welt imstande ist, den beinahe lächerlichen Ernst und die äußerste Strenge, mit der sie ihre Untersuchungen leiten, in etwas zu mildern. Barthold, ein Greifswalder Universitätsprofessor, stellte sich die Aufgabe, alle in den Memoiren auftauchenden Personen, sowie die angegebenen Daten auf ihre geschichtliche Wahrheit hin zu prüfen, und er schreibt in seinem 600 Seiten starken Werke »Die geschichtlichen Persönlichkeiten in Jacob Casanovas Memoiren«: »Wahrhaft bewunderungswürdig ist, mit welcher objektiven Treue und Wahrheit unser Geschichtsschreiber die persönlichen Verhältnisse beachtet. So viel Probiersteine uns zu Gebote standen, um den Goldgehalt seiner Angaben zu prüfen, so ist es doch von den Hunderten von geschichtlichen Zügen kaum ein halbes Dutzend, in denen er irrt, kaum einer, in dem er einer geflissentlichen Fälschung überführt werden kann … So veredelt sich ein Lebensroman, nach der gewöhnlichen Auffassung nur voll unzüchtiger Bilder, zu einem Werke der ernsten Klio, dergleichen die neuere Literatur kein anderes aufzuweisen hat. Casanovas Memoiren sind das vollendete, ausführlichste Gemälde nicht allein der sittlichen und der Gesellschaftszustände des Jahrhunderts, welches der französischen Staatsumwälzung vorausging, sondern auch der Spiegel des Staatslebens in seinen individuellsten Zweigen, der Kirche, der Denkweise der Nationen, der Vorurteile der Stände, der Abdruck der Philosophie, also des innersten Lebens des Zeitalters. Wir möchten behaupten, daß, wenn alle anderen Schriftwerke zur Kenntnis des 18. Jahrhunderts verloren gingen, wir in Casanova hinlänglich Stoff besäßen, um die unausbleibliche Notwendigkeit einer allgemeinen Umwälzung zu ermessen.«

Nach der Lektüre dieser Memoiren hat man den Eindruck, daß Casanova geschaffen war, auf Schlachtfeldern zu leben oder die Politik eines Landes zu lenken oder endlich die Welt um hohe Gedanken zu bereichern. Denn es geht ein großer Zug durch sein Leben. Statt dessen verpuffte er seine Begabung aber in den Schlafzimmern, an Spielbänken, in kleinen Händeln und unrühmlichen Zwistigkeiten. Nur dank seines unverwüstlichen Temperaments wird er nicht von den Runen beunruhigt, die die Zeit allmählich in sein Gesicht geschnitten hat. Noch im Alter ist er ein Hans Liederlich, der jede schöne Blum' für sich begehrt, und solange das schöne Geschlecht ihn noch liebt, ist die Welt auch noch sein. Aber endlich kommt die Zeit, wo er das Geld nicht mehr so mit vollen Händen um sich werfen kann. Wenn er bis zu seinem dreißigsten Jahre den Eindruck eines stolzen Pfaues macht, der beständig Rad schlägt, so werden ihm nunmehr diese verräterischen, glänzenden Federn eine nach der anderen ausgerupft. Welch trauriges Schauspiel! Zehn Jahre später, und er spielt nur noch um kleine Summen und behält, was er besitzt; er reist nicht mehr in einer sechsspännigen Equipage mit Dienern, Lakaien und zwanzig Körben. Er stattet keine armen Mädchen mehr aus und weist keine Geschenke mehr zurück. Noch einmal zehn Jahre, und er beginnt mit der Zechine, mit dem Livre zu rechnen. Er hat jetzt etwas von dem irrenden Ritter, der müde zu werden beginnt. Er beleidigt nicht mehr die Behörden und respektiert die Vorurteile der Dummköpfe. »Um jene Zeit und vielleicht zum ersten Male in meinem Leben, hielt ich eine traurige Einkehr in mich selbst, beklagte meine vergangene Aufführung, verwünschte das fünfzigste Jahr, dem ich mit vollen Segeln zusteuerte, wiegte mich in keine Illusionen mehr und verzweifelte darüber, zur Aussicht nichts zu haben als den Ekel des Alters, ohne Anstellung und Vermögen, mit einem zweideutigen Rufe und viel Reue zu jeder Nahrung. Um diesen schmerzlichen Betrachtungen eine andere Richtung zu geben, und auch zu einem moralischen Zwecke, habe ich diese Memoiren geschrieben, das vielleicht allzu aufrichtige Bild meines Lebens; man wird sie veröffentlichen, wenn man will, aber das kümmert mich wenig; denn ich bin von allem enttäuscht.«

An der Schwelle des fünfzigsten Jahres begnadigten die venetianischen Inquisitoren unseren Casanova, der immer tiefer von der Erkenntnis Salomos durchdrungen ward, daß alles nichtig sei, und er durfte wieder in sein Vaterland zurückkehren, das seine heimliche Sehnsucht war und mit dem er verwachsen war wie der Nagel mit dem Fleisch. Weitere zehn Jahre, und er ist wieder endgültig aus Venedig verbannt. Er ißt auf Schloß Dux das Gnadenbrot und empfängt ein allerdings fürstliches Jahresalmosen, das er Gehalt nennt für geleistete Bibliothekardienste. Aber er zankt sich pöbelhaft und kleinlich mit den Schloßlakaien herum. Der Greis muß sogar Prügel hinnehmen von irgendeinem rohen Stallknecht; sein Porträt wird beschmutzt und an die Tür eines öffentlichen Aborts geheftet. Welch ein Ende! »Es gab keinen Tag – erzählt der Prinz von Ligne – an welchem er nicht wegen seines Kaffees, seiner Milch, der Schüssel Makkaroni, die er verlangte, irgendeinen Streit mit dem Hause anfing; der Koch hatte ihm die Polenta verdorben, der Stallmeister hatte ihm einen schlechten Kutscher gegeben, um mich zu besuchen; Hunde hatten während der Nacht gebellt; mehr Gäste, als Waldstein erwartete, waren Ursache, daß er an dem kleinen Tische essen mußte; ein Waldhorn hatte ihm durch einige grelle oder falsche Töne die Ohren zerrissen; der Pfarrer hatte ihn gelangweilt, indem er sich einfallen ließ, ihn bekehren zu wollen; der Graf hat ihm nicht zuerst guten Tag gesagt; die Suppe war ihm aus Bosheit zu heiß vorgesetzt worden; ein Bedienter hatte ihn warten lassen, um ihm zu trinken zu geben; er war einem Manne von Auszeichnung nicht vorgestellt worden, der kam, um die Lanze zu sehen, mit welcher der große Wallenstein durchbohrt wurde; man hatte aus Mangel eines Schlüssels, aber aus Bosheit, ihm das Arsenal nicht öffnen können; der Graf hatte ein Buch verborgt, ohne ihn davon zu benachrichtigen; ein Stallknecht hatte den Hut nicht abgenommen, als er vorübergegangen war; er hat Deutsch gesprochen, man hat ihn nicht verstanden, er ist bös geworden und man hat gelacht; er hat seine französischen Verse gezeigt und man hat gelacht; er hat gestikuliert, indem er seine italienischen Verse deklamierte, und man hat gelacht; er hat, indem er eintrat, seine Verbeugung gemacht, wie Marcel, der berühmte Tanzlehrer sie ihn vor sechzig Jahren lehrte, und man hat gelacht; er hat seine Pas im Menuett auf jedem Balle getanzt, und man hat gelacht; er hat seinen weißen Federhut, seinen gestreiften Seidenrock, seine schwarze Samtweste und seine Strumpfbänder mit Schnallen von Straß über seidene Strümpfe angelegt, und man hat gelacht. ›Cospetto!‹ sagte er, ›Kanaillen, die ihr seid, ihr seid alle Jakobiner; ihr beleidigt den Grafen und der Graf beleidigt mich, indem er euch nicht bestraft.‹ ›Mein Herr,‹ sagt er mit ernstem Tone, ›ich habe einem großen General in Polen den Bauch durchschossen. Ich bin kein Edelmann, aber ich habe mich zu einem Edelmanne gemacht.‹ Der Graf hat gelacht; eine Beleidigung mehr. Der Graf tritt eines Tages bei ihm mit zwei Paar Pistolen ein, ohne ein Wort zu sagen, aber ihn ernst ansehend, indem er vor Verlangen starb, zu lachen. Casanova weint, umarmt ihn und sagt: ›Ich werde meinen Wohltäter töten! O che bella cosa!‹ Er weint wieder, er bedauert, fürchtet, daß man glauben könnte, er hätte keinen Mut, nimmt die Pistolen an, gibt sie voll Anmut zurück, wie man die Hand im Menuett gibt, weint wieder, spricht von Magie, Kabbala und Macaroni … Da er kein Gott mehr in den Gärten, kein Jäger in den Wäldern sein kann, ist er ein Wolf bei Tische; er begnadigt nichts, beginnt lustig, endet traurig, und verzweifelt darüber, nicht wieder von vorn anfangen zu können … Er zieht sich Verdauungsbeschwerden zu und sagt, daß man ihn vergiften wolle … Da sein Appetit täglich abnahm, bedauerte er das Leben wenig, aber er endete es auf eine edle Weise, Gott und den Menschen gegenüber. Er empfing mit vielen Gesten und einigen Sprüchen die Sakramente und sagte: ›Großer Gott! und Sie, die Sie Zeugen meines Todes sind: ich habe als Philosoph gelebt und sterbe als Christ!‹«

Nachdem sich auf der Bühne seines Lebens so ziemlich alle menschlichen Narrheiten, Komödien und Tragödien abgespielt hatten, starb Casanova am 4. Juni 1798, und ein Nachkomme Wallensteins, der Graf von Waldstein, schloß ihm die Augen.


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