Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.
Die Erotiker


Der Mensch kann nur auf zwei Arten wirken:
sein Selbst durchsetzen, das ist das Werk; sein
Selbst aufgeben, das ist die Liebe.

Peladan

Der erotische Mensch

Bis zu einem gewissen Grade ist jeder Dichter ein Erotiker; denn Dichter sein heißt: ein Zeuger sein, ein Schöpfer, einer, dem das Schaffen Lust bereitet und den es drängt, die Gestalten, die er im Geiste geschaut hat oder die er ersehnt, als Dichter ins Leben zu rufen. Sein erotischer Trieb ist vom Geiste abgezogen und setzt sich in dichterische Werte um; die Libido transformiert sich in poetische Gestaltung. Der dichterische Schaffensvorgang ist buchstäblich ein Zeugen im Geiste, und es ist weit mehr als Redefloskel, wenn man von der dichterischen »Empfängnis« spricht. Die Parallele der Werk- und Menschwerdung verläuft nicht nur bis zur Geburtsstunde genau; Dichter und Vater sind vielmehr in den Sorgen um ihre »Kinder« bis zum Tode sich gleich. Es ist zweifellos, daß dieser ganze Prozeß, der sich im Geiste des Dichters abspielt, erotischer Natur ist, um so mehr, als alles Erotische, im Gegensatz zum Sexuellen, überhaupt nur im Geiste, in der Phantasie erlebt wird. Körperliche Erotik ist eine contradictio in adjecto; landläufig werden aber die beiden Begriffe: Erotik und Sexualität gleichgesetzt.

Läßt man meine Voraussetzung des dichterischen Schaffens gelten, so muß man folgerichtig zugeben, daß der unerotische Mensch niemals ein Dichter sein kann. So wesentlich und unbedingt ist diese gefährliche Gabe für den Dichter wie für den Künstler überhaupt, daß eine ganze Reihe jüngerer Forscher sogar so weit geht, zu behaupten, jede produktive geistige Leistung sei in ihrer Wurzel nichts anderes als eine Art verdrängter Erotik, die sich, je nach der geistigen Konstruktion des Individuums, in die verschiedenartigste Tätigkeit umsetze. Aus dem einfachen Grunde, weil jede Tätigkeit, die »segensreich« oder »erfolgreich« werden soll, »mit Liebe« ausgeübt werden muß. Gleichviel, ob diese »Liebe« einem mathematischen Problem, einem strategischen Plan, einem Sonett, einem industriellen Werk, einem Gemälde, einem Bauwerk zugewendet ist, das Werk gelingt immer nur dann, wenn es in Liebe gezeugt, in Liebe gehegt und betreut und mit Liebe zu Ende geführt wird. Und es ist ohne weiteres klar, daß der schaffende Mensch, der im Stadium des Werkwerdens all seine Liebe auf sein Werk wirft, im selben Grade, wie sein Eros durch sein Werk gefesselt wird, wie er in sein Werk verliebt ist, Frauen gegenüber frei oder desinteressiert ist.

Aber nicht um jene handelt es sich hier, die nur das vorausgesetzte selbstverständliche Maß erotischen Fühlens besitzen, sondern um die Außerordentlichen, von dem Gotte Eros Besessenen, die mit voller Bewußtheit sich ausschließlich seinem Kulte geweiht haben und deren Leben seinen wesentlichen Sinn verlöre, wenn es nicht in erotischen Bahnen verliefe.

Solche Typen sind Don Juan, Casanova, Gilles de Rais, Graf Tilly (der Page der Königin Marie Antoinette), Alphonsis de Liguori, die heilige Elisabeth, Katharina di Siena, Soeur Jeanne, die Minnesänger, Marquis de Sade, Sacher-Masoch, Rétif de la Bretonne, Nerciat, Musset, Verlaine, Wedekind. Man sieht, die Kette umschließt Politiker und Priester, Dämonisten und Heilige, Dichter und Gaukler.

Welche Abwandlungen die erotische Leidenschaft in den verschiedenen Individuen erfahren hat, ob sie sich Gott oder dem Satan, einem Mädchen oder einem Knaben, einem der Eltern oder einem der Geschwister, einem Idol oder einem Tier, einem Toten oder einem Lebendigen zuwendet, ist für die Fixierung des Problems vollkommen gleichgültig; uns genügt, daß die leidenschaftliche Liebe, die etwa eine Soeur Jeanne Jesus entgegenträgt und die ihre Sehnsucht beflügelt, derselben Quelle entspringt, die die verruchte Montespan für Ludwig XIV. empfindet. »Die Ohnmacht,« – sagt Herder – »die die heilige Therese vor dem Altare fühlte, als der himmlische Amor ihr Herz berührte, konnte, wenn sie in diesem Augenblick nur körperlich betrachtet würde, schwerlich von einer anderen Art sein, als die jede liebende Ohnmacht hat: denn in den Säften des Körpers ist Liebe und Liebe an Wirkungen gleich, wer auch der Gegenstand sein möge. Bei allen Gefühlen dieser Gattung ist also auch dem unschuldigsten Herzen die größte Behutsamkeit nötig; selbst im Strome der göttlichsten Liebe bleibt's immer nur noch ein menschliches Herz. Alle Mittlerinnen, und wenn es die Mutter Gottes selber wäre, sind gefährlich: so wie es dem weiblichen Herzen alle irdischen und (zu sinnlich empfunden) selbst der himmlische Mittler sein kann.« Um besonders empfindliche Gemüter zu beschwichtigen, ist es vielleicht nicht unwesentlich, daran zu erinnern, daß der Dichter Johann Gottfried Herder, als er dies schrieb, weimarischer Generalsuperintendent und Oberkonsistorialrat war.

Ein so subtiler und krankhaft feiner Geist wie Novalis hat längst die reichen Beziehungen geahnt, die Religion und Wollust geheimnisvoll miteinander verbinden, und alle die wissenschaftlichen und halbwissenschaftlichen Werke, die das Geschlechtsleben der Heiligen behandeln, mußten zu dicken Kompendien anwachsen, um die Fülle des Belegmaterials zu bergen, das die engen Zusammenhänge zwischen Religion und Sinnlichkeit dartut. Ob die Jesubräute sexuelle Halluzinationen haben, in denen Gottes Sohn körperlichen Besitz von ihnen ergreift – daher der prägnante Ausdruck: die Besessenen! –, oder ob die mittelalterlichen Hexen des Satans eisige Begattung leibhaftig fühlten, ist physiologisch betrachtet genau dasselbe. Hier wie dort schwingt sich das erotische Gefühl bis zum Orgasmus auf und wird als Entzückung empfunden. Die Kirche spricht ja auch ganz eindeutig von der Brunst, die sie nur ins Metaphysische, Transzendentale hebt, wenn sie die Brunst zu Gott oder Jesus religiöse Inbrunst nennt. Daß insbesondere die Mystik des katholischen Kultes rein erotischen Quellen entspringt, wird jedem klar, der sich nur die Symbole vergegenwärtigt (das nackte Jesuskind an Marias Brust trinkend u. a.), die dieser Kult adoriert.

Wer über den Dingen steht und das Naturgeschehen ruhig beobachtet, wird finden, daß der Mensch die ihm auferlegten Gesetze notwendigerweise ebenso erfüllt wie das Tier und die Pflanze, und daß kein erdhaftes Wesen dem vorgeschriebenen Kreis des Müssens und der Gebundenheit entrinnen kann. Der Mensch hat ebensowenig wie das Tier Handlungsfreiheit; nur weil die Pflanze, oberflächlich gesprochen, keine Bewegung hat, scheint es, als unterliege sie allein unter allen Lebewesen dem Zwange der gesetzmäßigen Vollendung ihres Kreislaufs. Aber der Mensch kann seinem Wesen ebensowenig entrinnen wie die Pflanze; mag er entfliehen, wohin er will, niemals weicht er ab von der ihm vorgeschriebenen Bahn; er kann seine Erzeuger hassen, verfluchen und töten, aber er kann sich nie andere geben. Die erotische Kurve verläuft bei der heiligen Therese wie bei der Montespan in demselben Zickzack, wenngleich das geliebte Objekt verschieden ist. Und würden sich selbst Abweichungen in der Linie zeigen, so könnte man nur den Schluß daraus ziehen, daß der Stärkegrad der Leidenschaften verschieden ist.

Letzten Endes variieren alle Künste immer nur das eine Thema: das von der Liebe, das je nach Gemütsart und Wesenslage verschieden behandelt wird. Im Großen gesehen, hat die Kunst überhaupt kein anderes Thema als die Liebe; denn alle künstlerischen Äußerungsformen sind lediglich Huldigungen an Eros. Wird die Erotik sublimiert und durchgeistigt, so entsteht eben durch diese Vermählung von Liebe und Geist Kunst.

Aber man muß auch in den Künsten zwischen erotischer und sexueller Phantasie unterscheiden. Überwiegt in einer Dichtung das Erotische und ist der Geist darin verbannt, so stehen wir der reinen Pornographie gegenüber. Werke wie Balzacs »Contes drolatiques«, Pierre Louÿs' »Aphrodite«, Lafontaines »Fabeln«, Goethes »Tagebuch« sind rein erotische Dichtungen; die heimlich umgehenden »Privatdrucke« dagegen, etwa Nerciats »Le diable au corps«, die »Memoiren einer Sängerin« der Schröder-Devrient, John Clelands »Fanny Hill«, Bretonnes »Antijustine«, Larocques »Voluptueuses«, de Sades Romane usw., in denen ausschließlich die Zote vorherrscht, haben weder mit Erotik noch mit Dichtung etwas zu tun.

Ein so liebenswürdiger, unproblematischer Charakter wie Casanova wird immer nur liebenswürdig von der Liebe sprechen. Durch Komplimente, Flatterien und ein Geplauder, das mit Schmeicheleien gespickt ist und das eine harmlose Mischung von Erotik und Geist darstellt, erreicht er die nötige Sexualspannung. Seine erotische Strategie zeigt die einfachsten normalen Linien. Graf Tilly braucht schon raffiniertere Reize, um die Sexualspannung auszulösen, und der Don Juan-Typ kann nur das Weib gewinnen wollen, das sich ihm weigert. Er will immer das fast Unmögliche; sein erotischer Weg gleicht dem wilden Auf und Nieder des Bergbaches. Er betritt am liebsten eine gefahrvolle halsbrecherische Bahn voller Klippen und Abstürze, denn die gerade Heerstraße lockt ihn nicht, erregt ihn nicht, ruft den Mann und heldischen Abenteurer in ihm nicht auf, fordert ihn nicht heraus. Leichte Triumphe verschmäht er; je schwieriger, blutiger der Kampf, desto süßer, glorioser der Sieg.

Sein Wesen ist: besitzen wollen, herrschen müssen. Was macht ihn allen echten Frauen so begehrenswert? Daß er ihren Eros herausfordert! Daß er die Höhen und Tiefen des Eros kennt, daß er mit den Frauen durch die Abgründe und Höllen schreitet, durch die Paradiese und Himmel fliegt, in denen der Eros waltet. Vollfrauen verachten den naiven Mann, den sogenannten »unberührten« Jüngling, der sich den König Onan zum Vorbilde wählte. Sie werden tausendmal lieber einem Casanova zufliegen; nicht weil er um die Frauen Bescheid weiß, nicht weil er alle besessen hat und auch sie besessen sein wollen, sondern weil er ein Sendbote jenes gewaltigen Gottes ist, vor dessen Wundern sie erschauern und die sie mit ihrer ganzen Kraft ersehnen: des Eros.

Aber Casanova und Don Juan sind noch normale Typen; denn beide leben nur in der Wirklichkeit und wollen die Wirklichkeit nur in verschiedenen Nuancen. Nerciat, Marquis de Sade, Sacher-Masoch und ähnliche Typen dagegen sind nicht Erotiker, sondern Wollüstlinge der Phantasie. Nicht ausgeschlossen, daß diese Wüstlinge des Gedankens in der Wirklichkeit die größten Philister waren. Wie hinter allen, die das Maul so weit aufreißen, ist auch hinter einem Crébillon fils oder einem Choderlos de Laclos kein besonders dämonischer Erotiker zu suchen. Das Papier ist geduldig und läßt die Feder selbst die tollsten und wüstesten Heliogabaliaden niederschreiben, die sehr oft nicht einmal in der Phantasie erlebt worden, sondern nur Konstruktionen sind.

Aber auch der umgekehrte Fall läßt sich häufig beobachten. Gibt es z. B. etwas Entzückenderes als jene kleine Episode von Albrecht Haller, der eines Tages ein Gedicht, das er an eine »Doris« gerichtet hatte – sein einziges Gedicht übrigens, das man heute noch lesen kann! –, verleugnete, weil er fürchtete, bei den Spießbürgern um seine Reputation zu kommen? Alle die erotischen Anspielungen, die das Gedicht enthält, habe er sich aus den Fingern gesogen; er habe diese Ausgelassenheiten Gott behüte und Gott bewahre niemals erlebt; so Einer sei er nicht.

Freilich hatten alle Dichter des Barock, die Hoffmannswaldau, Lohenstein, Weise, Reuter, Riederer, die Seltsamkeit, sich ihrer erotischen Gedichte zu schämen, sobald man sie fragte, was an ihren erotischen Verskristallen wirkliches Erlebnis sei. Sie schämten sich einmal zwanzig Jahre alt gewesen zu sein und leugneten, daß hinter ihren Melinden, Dorissen, Philinen lebendige Modelle standen; selbst die süßesten und sublimsten Verliebtheiten gaben sie als Ausgeburten der Phantasie aus.

Ich fürchte sehr, daß ein Nerciat, von Folterknechten peinlich befragt, aufrichtig den Schwur leisten könnte, daß er seinen »Diable au corps« nur schrieb, um für sich und seine brave Familie Brot zu schaffen, und daß er im übrigen zu den regelmäßigen Kirchenbesuchern gehörte.

Echter sind die erotischen Schwärmereien auf religiösem Gebiete. Es ist erwiesen, daß Kasteiungen und Geißelungen in mancher »Heiligen« so starke Wollustkrämpfe hervorriefen, daß sie daran zugrunde ging. Aber von der religiösen Geißelung, die durchaus in das masochistische Gebiet gehört, bis zum rein sexuellen Flagellantismus ist nur ein kleiner Schritt. Selbstpeinigung und Masochismus entspringen derselben Quelle; Hexenfolterung und Sadismus entspringen ein und derselben Leidenschaft.

Man kann alle diese Leidenschaften besitzen, ohne Erotiker zu sein. Ja, das zügellose Aufgehen in einer Leidenschaft schließt sogar den eigentlichen Erotiker aus, bei dem die Sinnlichkeit eigentlich erst in ihrer sublimsten Form in Erscheinung tritt.

Erotik ist von Sexualität durchaus verschieden. Während der sexuelle Mann freie Wahl hat und ihm in der Stunde der Voluptas und der gemeinen Begierden jedes halbwegs annehmbare Weib die Erfüllung oder mindestens doch die Entspannung bringen kann, ist der erotische Mensch, so oft sich sein Liebesgefühl auch erneuern mag, immer an eine ganz bestimmte Frau gebunden, die er liebt; alle anderen Frauen versinken neben ihr, der Einzigen. Nur sie kann seine Lust wecken oder zurückdämmen. Sie macht ihn zum Manne und zum Helden oder zum Weib oder Sklaven. Sie mag ihn foltern und tyrannisieren; er begehrt nur sie, die Eine. Es mag zu seinem Unglück sein; er kann dennoch nicht von ihr lassen. Er ist ihr seliger oder unseliger Gefangener, er ist geweiht, von Gott gezeichnet. Wenn Napoleon, der die Klarheit seines Geistes durch sexuelle Gereiztheit getrübt sieht, einfach befiehlt: »Ein Weib!«, dann erniedrigt er sich und wird zum Tier, das sich mit dem Tiere paart, das ihm gerade über den Weg läuft; der Blinde geht so in ein Bordell und erlebt dort seine sexuelle Stunde. Der erotische Mensch dagegen ist immer in Sexualspannung; er strebt beständig dem Rausch, dem Orgasmus zu, ist voller Hingebungs- und Eroberungswillen zugleich, will sich fortwährend verschwenden, kennt nicht das bürgerliche Maßhalten in seiner Empfindung, sondern ist naturnah, naturreich, verschwendungsfroh, sich hinstreuend, ausschüttend, voll sublimer Triebhaftigkeit, voller Möglichkeiten, voller Hoffnungen, ein Baum in prangender Blüte. Aber dieser Trieb ist doch niemals bloßer Libido-Trieb oder reine Wollustbegierde sexueller Natur; er ist vielmehr mit geistigen und kulturellen Dingen im Zusammenhang; eine Art geistiger Wollust, gewissermaßen – der Ausdruck deckt nicht, was ich meine, aber er deutet es gut an – eine Art seelischer Libido, mit einem Worte: Sehnsucht. Dann singt er den Sang seiner Rasse, wie er vor Jahrtausenden vor ihm gesungen ward, als Liebe sein Blut rascher pochen ließ, als seinem Geiste ein Ideal vorschwebte. Es ist, als ob die Erinnerung an Urliebe in ihm wachgeworden sei; denn gleichviel, ob die Geliebte nie gekommen ist oder nie kommen wird, – sein Herz weiß von dem Gefühl. Er ruft nach der Geliebten, die vielleicht noch im Schoße des Nichtseins schlummert; er fleht zu den Göttern wie ein Heide, beschwört das Schicksal wie ein Magier, verbindet sich mit den Geistern, steigt empor zu den Engeln, als wäre er ohne Erdenschwere, oder hinab in den Hades. Und selbst angesichts des Todes läßt der Dichter ihn den Schrei ausstoßen:

Eros! der aller Menschen und Götter
Vater du bist, nie alternder Gott, du, Anfang und Ende
Von allen Geschehens urewigem Strom,
Steh du mir bei!

Denn der Tod ist kein Ende. Die Geliebte lebt im Liebenden fort. Weit über den Tod hinaus reicht sein erotisches Sehnen. Er ist zeitentrückt, und das, was er singt, hat wenig oder nichts mit der Gegenwart zu tun. Sein Gemüt sucht Aufschwung, Ausbreitung, Vervielfältigung, Wesensverdopplung. Nur im Reiche des Eros wird er diese Wonnen finden; nur an diesen Quellen wird er sich verjüngen.

Ein sexuelles Verhältnis sagt deutlich, was es ist; aber ein erotisches Verhältnis muß nicht notwendigerweise auch sexuell sein; es kann sexuell werden, sobald Hemmungen geschwunden oder beseitigt sind.

Es tritt sogar fast gesetzmäßig die Erscheinung zutage, daß der erotische Mensch in gesteigertem Grade kulturelle oder mindestens persönliche Lebenswerte schaffen wird, je weniger er der Sexualität verfallen ist. Die Sexualenergie setzt sich in Erotik um, und die verdrängte Erotik löst verfeinerte Spannungen aus, die ihrerseits sich in geistige, persönliche oder andere höhere Werte umsetzen können. Enthaltsamkeit, d. h. Sexualspannung, teilt sich dem Wesen, man kann, tiefer betrachtet, sagen: dem Blute des Menschen mit und kommt seinen seelischen, geistigen oder letztstufig seinen körperlichen Kräften zugute. Der Ringkämpfer, der Athlet kennen dieses Gesetz ganz genau und werden enthaltsam leben, um die Sexualenergie in Muskelenergie umzusetzen; in gleicher Weise wandelt sich Sexualität in Geist, Wissen, Ethos. Und dies erklärt auch die relative Unfruchtbarkeit des Genies. Sicher würde man, schritte man auf diesem Wege weiter, auch zu der Ursache der nahen Verwandtschaft von Genie und Wahnsinn gelangen.

Der Reiz, den der Erotiker auf die Frauen ausübt, besteht ursächlich darin, daß er nicht verlebt ist, d. h., daß er die Sexualspannung immer wieder zu erneuern vermag. Nur dann wird er für die Frauen zum Schöpfer, der Himmel zu verschenken hat; nur dann wird er die Zaubermacht besitzen, ihre Seelen erklingen zu lassen und jeder Frau die ihr eigene Melodie zu geben.


 << zurück weiter >>