Josef Ponten
Der babylonische Turm
Josef Ponten

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Neunzehntes Kapitel

Das Trio

Komm, wenn es dich treibt, zu kommen. Wenn du mit vollem Herzen kommst. Komm nicht aus Gewohnheit oder Pflicht. Und wenn ich dann gerade meinen Tag der Leere haben sollte – jeder hat ihn hin und wieder – dann darfst du nicht böse sein, wenn ich dich nicht empfange. Und um dich nicht einer Abweisung auszusetzen und mich nicht in Versuchung zu führen, etwa schwach zu sein, beachte das Zeichen: du wirst in der Hausfront die Läden meines Schlafzimmers geschlossen sehen.« So hatte Gertrud gesprochen, so hatten sie ausgemacht. Aber heute schäumte Gabriel über. Er hätte sein Herz in beide Hände fassen mögen, damit es nicht zerspränge, so voll war es von Freude, Sehnsucht, Güte und innerer Heiterkeit, als er den Pappelsteinweg heraufkam. Der Vater baute jetzt – er baute endlich in großem Stile, durch nichts gehemmt, so kühn, wie seine Fantasie flog. So, wie er es in reiner grüner Jugend geträumt hatte. Er klebte keine Dome mehr aus Vorlagen zusammen, der Vater baute jetzt auf dem Papiere ›Architektur die nicht gebaut wird‹. Riesige Reißbretter, eines größer als das andere, standen in den Zimmern des kleinen Hauses, das 420 Großjohanns nunmehr in der Nähe von Endenichs Hause nahe am Flusse bewohnten. Dort baute er jetzt Kathedralen mit siebenmal sieben Türmen und Kuppelstädte wie die Tempelstädte Indiens und Javas. Er errichtete himmelstürmende Gebäude, zwischen denen die Menschen wie Käfer klein umherwimmelten, und füllte damit die unermeßliche Leere zwischen Erde und Himmel. Da es in dem kleinen winkligen Europa keine leeren Plätze mehr gab, groß genug, seine Traumstädte aufzunehmen, baute er auf einer großen Karte die leere flache Steinplatte des felsigen Arabien zu. Die schwarzen Zelte der Beduinen schob er bis hart an das Persische und Indische Meer, er würde nicht zögern, sie ins Meer zu schieben, wenn auch Arabien zu klein sein würde – mochten die Barbaren sehen, wo sie blieben! Er plante auch mit Gabriel eine Reise nach Gent, um die Tafeln seiner Landsleute, der Brüder Eyck, zu sehen, von denen er gehört hatte, daß sie solche blauen Traumstädte zu ersinnen mächtig gewesen waren. Außerdem war Hermann Großjohann auswärtiges Mitglied der »platonischen Akademie in der Luft«. Aber er war noch nicht herausgekommen. Er liebte das Land nicht, in dem zuviel vom Menschen nicht beherrschte freie Natur war, er lebte, dachte und fühlte in der von Menschenwillen und Menschenhand erbauten Steinstadt. Es hatte ihm auch widerstrebt, selbst nach dem Tode des Mannes, der ihn nicht liebte, in das Haus Merlins zu gehen, als könnte er dort eine peinliche Begegnung mit dem Schatten erleben. Er war so eigensinnig, der Vater! Schließlich hatte Gertrud ihm sagen lassen, daß der Vater die »Luft« nicht geliebt habe und selten 421 herausgekommen sei, daß diese sozusagen das Haus der Mutter, das Stadthaus das des Vaters gewesen sei. Da hatte er nachgegeben, und Gabriel brachte heute die Kunde davon heraus. Morgen Sonntag würde der Vater kommen! Gabriel sah ihn schon langsam und bedächtig die Wege des Gartens schreiten, an dieser Kreuzung stehenbleiben und dort auf der Terrasse haltmachen. Er, Gabriel, würde ihn allein gehen lassen und ihn nicht mit Erläuterungen behelligen, die einen versteckten Protz enthalten würden, denn es würde doch heißen: ich, dein Sohn, kenne die Herrlichkeiten schon lange und durfte schon lange in diesem Garten mich ergehen. Er sah sein weißes Haupt wie ein winterliches Wölkchen durch den Frühlingsgarten streichen. Er sah ihn die alten bemoosten Steinbilder beurteilen und die neuen Bronzen auf der Terrassenmauer begutachten. Er sah das alles voraus – er würde mit Gertrud unter den Platanen am Wasserauslasse sitzen, und sie würden mit den Augen schweigend dem weißen lieben Wölkchen folgen. Wie war sein Herz heute so voll, so übervoll – ach, Gertrud würde mit der Fülle zufrieden sein! Alles sang ihm, alles klang ihm, die Luft tönte, und der Himmel hallte. Das Wetter war mild und warm, der Himmel halb bedeckt, die weißen niedrig- und stillstehenden Haufenwolken waren von der späten Sonne von unten her angeleuchtet und zerstreuten wie riesige Spiegel einen fabelhaften goldigen Schein durch die ganze Welt. Vom Marienmünster in der Stadt läuteten die Glocken würdig und feierlich wie mit tausendjährigem Schallen den Sonntag ein. Wenn eine Glocke läutet, klingen auch alle ruhenden Glocken, so weit die Schallwellen dringen, in den 422 Obertönen mit, und Gabriels Kopf war eine solche Glocke. »O Gertrud, heute gibt's einen wunderbaren Wochenfeierabend!«

Aber als er am Gartentore stand, sah er, daß die grünen Läden der beiden äußersten Fenster der linken Hausfront geschlossen waren. »Ja so!« dachte er ernüchtert, »wir sind zwei Menschen, immer noch zwei Menschen, die sich nicht am selben Tage zu freuen brauchen. Heute will sie mich nicht sehen. Ja so! Ja so! – Aber heute achte ich die grünen Läden nicht, heute nicht, heute nicht!« Er drang stürmisch in den Garten ein, in dessen schattigen Wegen die Dämmerung sich ausbreitete – aber mit dem Steigen beruhigte sich sein Sturm und verminderte sich die gutgemeinte Rücksichtslosigkeit seines Vorhabens. Er konnte doch nicht wider sich selbst. Vor der Treppe unter den Haselnußsträuchern kehrte er sich ab und verlor sich im Garten. »Ich bleibe aber im Garten der Prinzessin, bis die Nacht kommt«, dachte er.

Die Nacht kam schnell, denn das fantastische rote Licht, das die niedrigen Wolken verbreitet hatten, war künstlich verlängerter Tag gewesen. Der Tag ging sogleich unter, als die Wolken mit einem leichten Winde davonsegelten. Gabriel setzte sich im Zypressenrunde nieder.

Wieder war Frühling. Der Garten der Prinzessin sproßte und blühte. Vor einem unsichtbaren Monde hing das dunstige Gewölk der frühen Nacht als ein silbriger Schleier. Und plötzlich steigerte sich ihm alles, in dem fast unirdischen Lichte wuchsen die Zypressen ins Ungeheure und zogen seine Blicke hinauf bis mitten hinein in die Sterne des Zenits, die das Schleiergedünst flimmernd durchdrangen. Er hörte 423 die Sterne. Er hörte das Wachsen der Bäume, das Steigen der Säfte, die Bildung der Zellen, die stille Nacht klang in seinem Ohre. Der Goldregen bereitete schon seine gelben Trauben vor, und die Akazie, der Steppenbaum, im milden Klima früh erblüht, verbreitete einen Geruch, der sich im Gehör Gabriels zu einem Gefälle abklingender und ins Unendliche sich verlierender Rhythmen umbildete. Der Mond im roten Viertel stand tief an der Erde, er wurde ihm ein ersterbender Klageruf, ein hilfloser Aufschrei in einer Dissonanz.

Da hub neben ihm auf einem Baumaste nahe der Erde eine Nachtigall an zu schlagen, daß er erschrak. Der Vogel sah Gabriel, der unbeweglich saß, halb furchtsam, halb zutraulich an, indem er den Kopf herüber hinüber ruckte, dann sang er einen neuen langen lauten, immer sich wiederholenden Ton, an dessen Ende eine kecke Triole aufsprang.

»Ihr Künstler unter den Vögeln habt es leichter als die Künstler unter den Menschen«, sagte Gabriel. »Wann darf einer anfangen zu hoffen, daß er ein Künstler sei? Einer, der nicht grün mehr und nicht mehr in den Jahren ist, wo man glaubt, man darf alles, sondern schon silbrig um die Ohren wird und so bedächtig ist, wie die schlimme Welt uns macht?«

Der Vogel sang unbekümmert, und aus den Sträuchern gegen den Weinberg hin antworteten andere Vogelstimmen.

»Ach, ihr Singen ist doch nur glänzender Umweg zum Ziele ihrer Sehnsucht – zum Weibchen, zum Ei. Aber gehen nicht auch Gertrud und ich einen solchen glänzenden Umweg? Wie sagte doch gestern der Vater, als auch er über seinem Zeichnen mißmutig 424 geworden war und der Zweck ihn zu peinigen anfing? Er sagte, Napoleon habe das Wort gesprochen, daß in der Politik und in der Liebe alles seinen Zweck haben müsse. Ob er gemeint hat, daß Gertrud und ich – aber ich glaube nicht, ich glaube, er dachte nicht an uns, er ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um an andere zu denken.«

Er stand plötzlich auf und trat aus dem Baumrund hinaus. Er schaute hinauf nach Gertruds Fenstern, hinter denen sie jetzt wohl schlief. Es trieb ihn etwas fort, hinauf zu stürmen, die Läden zu erbrechen und in das Fenster hinein zu steigen – doch das dunkle Verlangen trübte ihm den Geist, er wehrte es ab.

Da freute er sich, standhaft geblieben zu sein, denn er sah den Weg nach oben versperrt. Aus einer der tiefen Nischen unter der Terrasse, in der die Gärtner ihre Geräte aufbewahrten, hörte er das Geflüster zweier Stimmen, und er erkannte die Bärbchens, der Kammerzofe, und Werners, des Meiersohnes. Sie flüsterten und lachten vor Liebe.

Als sein Geist wieder klar war, begann die Nacht ihm von neuem zu klingen. Alle die dunkeln unfaßbaren Klänge, welche die Natur des Gartens in ihm auslöste, hatten eine Färbung von Moll. Das Liebesgeflüster störte ihn, und er ging auf den weichen Wegen in weitem Bogen durch die Baumschule und den Eichenhain herum, bis er auf die Landschaftsseite kam. Wie er über die Höhe hinaustrat und in die weite Landschaft hinabsah, veränderte sich plötzlich in ihm das geheimnisvolle Tönen von Moll nach Dur, er vernahm es deutlich: von cis-Moll nach e-Dur.

Da lag die weite Natur unter der Nacht gebreitet. 425 Wiese und Fluß, Park und Au. Der Mond stand schon unter dem Horizonte, aber eine kühle, fast unirdische Heiterkeit floß noch mit der Monddämmerung über die Landschaft. Aber diese Landschaft entsprach seiner Stimmung nicht, er verließ den Ausblick und ging zurück, woher er gekommen war. Die Dur-Stimmung klang ihm sogleich nach Moll zurück. Das Liebespaar in der Nische zwitscherte, koste und lachte, und nun erzählte Bärbchen, Gabriel hörte nicht die Worte, aber er hörte jetzt eine Geige singen. Sie sang das alte Lied der Verliebtheit, der Verzückung der Sinne, die das Alltägliche vergoldet und das Irdische himmlisch macht. Das Mädchenlachen kam urfrisch aus der Kehle – Gabriel hörte ein glockenhelles launiges Thema als das sinnbildliche Thema der Verliebtheit. Noch war in diesem Thema etwas harmonisch Widerstrebendes, aber nun sprach die Stimme Werners, und Gabriel hörte ein Cello. Das Cello sprach ernst, sprach tief, sprach heiß – im heißen fis-Dur hörte Gabriel Werner drängend sprechen – es verflocht sein schwüles Thema mit dem der Geige zu spannenden und neckischen Figuren, und allmählich seine Harmonie erweiternd fing es die Dissonanzen des Themas der Geige ein, wandte sie herum, drehte sie hin und her und löste sie schließlich ganz auf. Die Geige, die sich schwach werden und die Kraft ihrer Dissonanzen erlöschen fühlte, schrie auf in fremden Tönen, aber sie hingen lose, sie waren gleichsam abgerissene Zweige vom starken Baume der Grundharmonie und nicht lebenskräftig, der heiße Sturm des fis-Dur im Cello fegte sie auf, wirbelte sie herum, und nun versanken sie gläubig in fis-Dur. Geige und Cello verstummten.

426 Gabriel fühlte sich heiß und erregt werden – aber da fielen erlösend die metallisch-kühlen Töne eines Flügels ein; Geige und Cello, auf denen tierische Stränge schwingen, haben einen sinnlichen Ton – der Flügel erging sich, als wollte er ablenken von dem allzu Persönlichen und Menschlichen, in allgemeinen Betrachtungen und Erzählungen. Da wurde das Einzelne allgemein, das Enge weit, das Kleine groß, da lachte nicht mehr Bärbchen sondern das Weib, da wehrte sich nicht mehr das Mädchen sondern der mit schwerem Schicksal gesegnete Weibesschoß, da bat nicht mehr Werner sondern der Mann, da drängte nicht mehr der Knecht sondern die Urkraft der Natur, die sich aussäen will auf alle offenen Felder. Nicht genugtun konnte sich der Flügel in diesen erhabenen Betrachtungen, sein auf das Vielstimmige und Orchestrale angelegtes Wesen sprach in der mitleidslosen Stimme des Volkes und der Menschheit, welche die Schmerzen des Einzelnen in die hohen Zwecke der Liebe übergeführt sehen will. In breiten und tiefen Jubeltönen, in die auch die Streichinstrumente einstimmten, klang der Satz triumphierend aus.

Darauf fiel Gabriel in Schlaf. Die Wolkendecke hatte sich vor dem Himmel zugezogen, die Nacht blieb lau. In der warmen Luft schlief Gabriel lange.

Als er erwachte, war die Nacht vorgeschritten. Er war wohl im Halbschlafe, er wußte nicht wie, von der weißen Holzbank in der Nähe der Spalierbäume zu dem Steinsessel unter den Zypressen gegangen. Die Nachtigall hatte ihn geweckt. Sie war abgestrichen, als der Mensch sich bewegte; aber wurde sie unvorsichtiger in ihrem wachsenden 427 Liebesverlangen, oder war sie zutraulicher und merkte sie, daß der Mann, der über sein persönliches Glücksverlangen sich schon hinausgedichtet hatte, ein ungefährliches Weltwesen werde und sich Gott entgegen entfalte? Sie fiel in einem flachen Bogen heran und saß im Himbeerstrauch nahe den Zypressen.

Das selige Geflüster des Liebespaares war verstummt. Die beiden Menschen mußten schon schlafen gegangen sein. Aber Gabriel brauchte die Anregung durch die Menschenstimmen nicht mehr, die Nacht tönte aus sich, und die unermüdliche tolle Nachtigall störte ihn fast. Doch spannen sich in ihm die früheren Motive fort, Geige und Cello sprachen wieder. Nur war die Geige ernster geworden, ihre Stimme war die einer reifen Frau, nicht eines unerfahrenen lüsternen Mädchens. Der Dämpfer war auf den Steg der Geige gesetzt, es war, als ob alles, was die Stimme sagte, unter einem fremden Drucke gesagt würde . . . die Mutter! Die verehrte und geliebte Mutter, mehr verehrt als geliebt, mehr bewundert als verehrt. Nein, bestaunt war sie worden, bestaunt und gefürchtet von Fremden und von ihren Kindern, so weit diese zu Verstande gekommen waren – ach, die Kinder kamen so spät zu Verstande, aber Gabriel war rechtzeitig dazu gekommen, um die Mutter noch zu verstehen! Der Flügel fing schüchtern an, seine Meinung zu sagen, aber er kam nicht recht auf, denn er getraute sich vor dieser Geigenstimme nicht. Und nun verstummte er. Auch das Cello hatte seine männliche Stimme erhoben. Doch das war nicht mehr die gutmütige Männerstimme von vorhin – wenn auch alle Männerstimmen etwas Gutmütiges haben – nicht mehr die blöde Stimme des verliebten Werner 428 – wie blöde ist alle Verliebtheit! Aber wenn das Thema der Geige schwer und getragen in bangen Tonschritten an der breiten Erde sich hinzuschleppen schien, hüpfte das des Cellos in Tonsprüngen auf und nieder. Es war auch launisch und liebte plötzliche Umdrehungen auf der Terz einer Harmonie in verwandte Harmonien. Etwas Gotisches hatte das Thema – Gabriel sah plötzlich Fialen, die weiß vor dem blauen Himmel leuchten, er sah Steindienste und Lisenen sich erheben, sich auftürmen und von Oktave zu Oktave steigend im Erhabenen sich verlieren. Er konnte nicht folgen und mußte das Cello sich selbst überlassen. Da oben tanzte das Thema, unerreichbar und kaum noch kenntlich, aber gediegen wie Steine, die auf festen Rippen in sicheren Gewölbekappen gewichtlos zu hangen scheinen. Das Geigenthema aber schien sich in einen dumpfen Groll zu verlieren, es schien nicht aufsehen zu können und sank immer tiefer zur Erde. Weit klaffte das Drama zwischen Geige und Cello. In fernen Tonarten sprach jedes für sich, und es schien keine Brücke der Harmonie zwischen ihnen zu geben.

Da war die Zeit des Flügels gekommen! Jetzt mußte er helfend einspringen, sollte nicht der ganze Satz im Unmöglichen zerbrechen. Beide Themen nahm der Flügel auf und suchte sie einander anzunähern, suchte sie zu verschlingen und aneinander zu binden. Einige Male gelang es, und es klang wie scheue Liebkosung, über die sich jedes der Streichinstrumente schämte und nach der sie stürmisch auseinander flohen. Aber der Tonstoff des Flügels war nicht eben stark aus sich, und zuletzt entglitt dem Flügel die Führung. Die Themen der Geige und des 429 Cellos rangen sich los, die einzelnen Stimmen des Flügels zerstoben wie erschreckt in alle Winde, die führende Stimme stürzte rauschend nieder, wie eine angeschossene Wildgans zum Verenden in die Binsen fällt, und dieser Satz riß plötzlich ab mit einer vollen Dissonanz, ja Diskrepanz.

Gabriel faßte an sein Herz. Das ganze Elend seiner Familie und seines Lebens stand vor ihm und preßte ihn. Und doch war etwas in ihm, das zuschaute, lediglich zuschaute, gleichsam neugierig zuschaute, wie alles sich wohl gestalten würde. Etwas, das er bisher nie in sich gefühlt hatte. Ein zweites Sein, ein anderes Ich, ein fremder Gabriel, mitleidslos im einzelnen, auch gegen den wirklichen Gabriel, und doch verstehend wie ein Gott über allem. Und dieser neue Gabriel sagte zu dem alten: »Tröste dich, mein Freund, in allem Gesetze liegt Trost. Wie etwas wachsen muß, so wächst es, du magst es noch so künstlich binden, und was zusammenstürzen muß, stürzt auch ohne Erdbeben zusammen. Nur das Gesetz sollst du erkennen und erfassen, und aus dem Erfassen fließt dir dein Glück. Freilich nicht ein Glück, wie es die Menschen meinen, das schmeckt nicht und kitzelt nicht, aber es kennt auch keine Sattheit, keinen Ekel und keine Enttäuschung. Es ist kühl wie die Sterne und rein wie der Äther, aber stark und mächtig wie das Gesetz selbst, das zwischen den Sonnen ausgespannt ist, an dem alle irdischen Dinge hangen. Nur einer kennt dieses volle Glück des Gesetzes, das ist Gott, aber er hat zugelassen, daß Begnadete ein Ende dieses durch alle Welt gezogenen Gesetzesfadens erhaschen und sich um den Finger wickeln.« Und der andere sinnliche Gabriel rief: »Wo ist der Faden? 430 Wie erhasche ich das Ende?« Doch die Stimme des ersten schwieg, denn alle göttlichen Stimmen sind grausam. Die Vogelstimme aber schlug und schien zu sagen: »Hasche danach! Springe danach! Versuch's!«

Gabriel fühlte zwar, daß er auf dem Wege nach dem goldenen Faden war, daß das, was er in dieser Nacht erlebt hatte, zum Geheimnis des goldenen Fadens gehören konnte . . . aber er war noch nicht damit zufrieden. Das war alles noch zu grob, zu deutlich, zu sinnlich, da war noch zuviel Stoff und zu wenig Ahnung. Die Musik sollte für sich dasein, sie sollte nicht versinnbildlichen, das Sinnbild sollte aus ihr natürlich und von selbst herausfallen. »Aus meinem Leide ist es geworden,« dachte Gabriel, »aber bin ich noch nicht im Leide geläutert? Ich weiß ja, daß der Künstler nur aus seinem Leide wie die Spinne aus ihrem Leibe das Garn zum wunderbaren Netze spinnt, aber habe ich noch nicht genug gelitten? Ich denke, mein Leben war nicht verzärtelte Jugend, und meine Schläfen sind nicht von Freude grau geworden. Ich habe soviel bitteres Salz getrunken, daß schon bloßes Wasser mir süß munden muß. Aber gib mir, gib mir noch mehr zu leiden, wenn ich dann den goldenen Faden Gottes erhaschen darf.« Doch der fremde Gabriel schien den Kopf zu schütteln, als wollte er sagen: »Du hast genug gelitten. Aber nicht des Leids allein bedarf's, es ist zu dumpf und zu selbstisch; es braucht eine Gefährtin, die es erlöst und befreit.« – »Und wie heißt diese Gefährtin?« frug der irdische Gabriel, und der andere erwiderte grausam wie ein Gott: »Such'!«

Und Gabriel suchte. »Nein, nicht einsam sein,« sprach er zu sich, »die Einsamkeit ist eine Sackgasse. 431 Man muß sich sehr lieben, um einsam sein zu können. Aber auch die Zweisamkeit ist nicht der rechte Weg. Wenn er auch in die Richtung führt, er ist zu kurz« – da zuckte plötzlich das Thema auf, jenes Cellothema in Tonsprüngen, es sprang vor ihm auf, hoch hinauf, und dort oben entwickelte es den Begriff: Allsamkeit. Aber noch immer klaffte ihm alles, Einsamkeit, Zweisamkeit, Allsamkeit waren noch verschiedene Akkorde, deren einende Harmonie er nicht kannte. Jetzt suchte er in den Akkorden nach der Harmonie. Er suchte die Urharmonie, die alle Dissonanzen fassen und lösen sollte. Es rauschten und brausten um ihn Cello und Geige und Flügel. Die Streichinstrumente waren keine Stimmen für sich mehr, mit ihnen hatten alle zahllosen Orchesterstimmen sich aufgemacht und suchten das Rätselwort, die Grundharmonie. Sie drehten sich nach allen Seiten, sie übten jeden Sprung und wechselten in kürzesten Akkorden von Moll nach Dur und von Dur nach Moll hinüber. Es war ein entfesseltes Gewühle und Gewoge der Töne. Die Geige hatte sich von ihrem schweren Thema losgemacht und stürzte suchend hin und her zwischen Himmel und Erde. Das Cellothema war von seiner stolzen feindseligen Turmhöhe herabgestiegen und suchte unten und oben. Die Geige suchte über dem gläsernen Himmel der höchsten Sterne, und das Cello grub unten in den verschwiegenen finstern Gängen der Erde. Der Flügel aber drehte alle Wesen der Erde, die zwischen dem Himmel und dem Unterirdischen sind, hin und her, um das Rätsel, den Akkord zu finden. Es war im Flügel, als wenn hundert Hände in einem Korbe von Diamanten und Sternen wühlten. Es war ein 432 Stoßen und Drängen wie von tausend Geistern im Weltraum der Töne – – da stürzte die Geige aus den Sternen herab und trug wie ein Vogel den Zweig im Schnabel den harmonischen Akkord. Sofort verstummten alle Kräfte und Mächte im Raume, und alles sah voll Spannung, Ehrfurcht und Anbetung das Motiv an, das die Geige allein durch den Raum einhertrug. Es war eine kurze Weise, so innig und doch so stark, so warm und doch so verklärt, so blutvoll und doch so glasklar-unirdisch, daß es nur eines heißen konnte: Liebe.

Liebe! sang die Geige so erhaben durch den Raum der Leere, daß alles Ding zwischen Erde und Äther, zwischen Stein und Stern anbetend in die Knie stürzte.

Der Garten war um Gabriel verschwunden, der Garten, in dem morgen sein Vater staunend sich ergehen würde, das Haus war entrückt, in dem Gertrud im Schlafe lag, die Erde war unter seinen Füßen entsunken, in der die Reste der Mutter ruhten. Alles war undinglich geworden, unsinnlich, überirdisch, nur Bewegung, nur Ton, nur Klang – das schien ihm erst Musik!

Eine Eule strich lautlos auf weichen Schwingen heran, setzte sich auf den Rand der hohen Brunnenschale und starrte aus phosphoreszierenden Geisteraugen den Träumer im schwarzen Schatten der Zypressen an. Ein Wiesel drehte sein Köpfchen ruckweise, wie die Vögel es tun, nach ihm hin, und im seerosenvollen unteren Becken des Brunnens schoben sich zwei Punkte gleich Sehrohren heran. Jetzt hob der Frosch seine Knopfaugen und dann sich selbst aus dem Wasser heraus, kletterte den steinernen Brunnenrand 433 herauf und schlug seine grüne Ruderhand mit den Saugwarzen auf die Fußspitze, die auf der Steinfassung ruhte. Mit großen Augen sah der Frosch zu dem fremden starren Nachtwesen auf. Gabriel überwand in seiner Stimmung schnell die Abneigung, die er sonst gegen solches Getier fühlte. Jetzt war alles verwandt und lieb, denn das Orchester der drei Instrumente in seinem Kopfe sprach von allem zwischen Himmel und Erde, auch von den Sorgen, Schmerzen und Lüsten des Frosches, der Eule, des Wiesels. Die drei Instrumente sangen von Erkennen, Verstehen, Begreifen alles Irdischen und von Liebe zum Irdischen. Immer wieder jauchzte die Geige die gefundene Harmonie und das entdeckte Thema, das Cello sang, und der Flügel klang: Liebe! Liebe! Liebe über den starren Punkt deines Selbst, Liebe über den Kreis deiner Familie fort, Liebe über das Ganze deines Volkes hinaus, Liebe jenseits der Menschen zu Stein und Stern, zu Tier und Tau!

Die entfesselten Harmonien der drei Instrumente kehrten von ihren weiten Tonflügen heim, sie kamen im Gleitfluge herab wie müde Vögel und fielen auf ihren heimatlichen Schlag ein. Weil alles Irdische schließlich ein Ende haben muß, schwiegen jetzt die Instrumente. Auch die Eule strich ab, und der Frosch tauchte in das Becken.

Der Tag graute . . .

Da erwachte Gabriel aus einer Art verzückten Halbtraumes, er nahm den Kopf zwischen seine Hände und rief: »War das nicht – das ist doch wahrhaftig – das ist doch ein Trio!

O Glück! O Glück!

Nun es fassen! Nun es halten! Nun es 434 aufschreiben!« Er klopfte seine Taschen ab, aber er hatte kein Stück Papier bei sich. »Ein schöner Künstler,« rief er, »er hat kein Papier in der Tasche! Mein Gott, wie halte ich's! Wie fasse ich's! Daß es mir nicht davonläuft, mein Gott!«

Aber einen Stift hatte er, und kurz entschlossen beschrieb er im grauen Morgenlicht die Bänke – trotz dem Matthias! – und schrieb den Rand der Brunnenschale voll. Und hinter alles schrieb er: »Gabriel Markus Alexander Großjohann. Trio in cis-Moll. opus I«.

Der Uralte

Fast vergessen lebte noch im Pförtnerzimmer des weißen Hauses der Freiherr von Winterfeld. Er saß auf der Plattform seiner kleinen Treppe mit dem Rokokorosengitter und spielte mit der Uhrkette auf seinem Leibe. Erzählte jetzt wohl hundert Jahre. »Wie alt mag ich sein?« dachte er. Er wußte es nicht, denn er war schon zu müde, zu rechnen und zu zählen. Sein Blut war so kalt geworden, daß die grelle Vormittagssonne auf der weißen Mauer ihn nicht belästigte. Drinnen auf einem Tische in der offenen Stube stand ein blauer Delfter Teller mit roten Äpfeln. Der Gärtner aus der »Luft« hatte sie vor ein paar Tagen gebracht – war es vorgestern? war es noch früher? – Sie nahmen von Tag zu Tag um einen ab. Wie lange war es schon her, daß Matthias da war? Wie lange war überhaupt alles schon her? Er hatte – war es vor einigen Jahren? – von seiner Plattform aus den Leichenzug gesehen, der Frau 435 Großjohann zu Grabe trug. Sie sei zu jung gestorben, sagten die Leute. »Was ist zu jung oder zu alt? Es gibt Bäche und Flüsse und Ströme. Es gibt kurze und lange, schnelle und langsame Flüsse. Der Fluß mündet in den Strom – da hat er keinen eigenen Namen mehr, aber ist er nicht im Strome enthalten? Und der Strom ergießt sich ins Meer – ist er da etwa ausgelöscht? Es gibt kein Erlöschen. Die Sonne trinkt ihn wieder auf, und das Spiel beginnt von neuem. Er stirbt immer und wird immer und ist immer da.«

Er sah auch gelegentlich den Herrn Großjohann vorübergehen. »Wie fröhlich der alte Herr aussieht! Das ist doch einmal einer, der nicht hadert! Wie oft habe ich ihn gramvoll gesehen, als alles ihn bewunderte! Jetzt, da sie ihn verachten, ist er fröhlich. Junge, sei fröhlich! Das ist die ganze Weisheit. Mit dem allein möchte ich wohl ein bißchen verkehren, wenn es sich einmal machen läßt.« Er hatte durchaus vergessen, daß er mit Großjohann befreundet gewesen war. Die Stelle in seinem Gehirn, wo diese Erinnerung gesessen, war gänzlich vertrocknet. Und Großjohann hatte den Freiherrn über den Papierdomen vergessen. »Aber nein, er ist mir noch zu jung dazu. Vielleicht hält er es auch unter seiner Würde, mit einem Türsteher zu verkehren. Er ist wohl noch zu grün. Er ist vielleicht noch nicht so weit . . .«

Er hatte Fräulein Merlin einst auf den Armen getragen und auf seinen Knien reiten lassen. Jetzt würde sie sich ja wohl verheiraten, er sah sie kaum noch, sie hatte sich draußen in der »Luft« eingepuppt. Das weiße Haus stand leer, die grünen Lattenläden 436 waren heruntergelassen, das Laufbrünnchen im Hofe war verstopft. Jede Woche schritt er einmal durch die Räume und Hallen, und sah, wie die Zeit das Haus abnutzte. Sah, wie die weißen Vorhänge an den Fenstern gelb wurden, wie die Bilder hinter Staubschleier tauchten, wie die Spiegel erblindeten, wie der rote Treppenteppich langsam erlosch und die Mäuse sachte, sachte das Haus abbrachen. Das Loch in der Fußplinte im Treppenhause war noch klein, aber es wurde von Woche zu Woche größer von dem leisen Scheuern der Mäuseleiber. Selbst die Zeit schien ungeduldig in dieser hastigen Zeit!

»Wie lange ist es her, daß der Oberste Bürgermeister durch den Seilergraben eingeholt wurde? Mein Gott, wie alt die Leute werden! Es ist, als ob alles mit einemmale abtreten wollte, um etwas Neuem Platz zu machen. Und doch scheint es mir wie gestern, als der Herr Merlin – Gott habe ihn selig! – mich da endlich von langen Irrfahrten in diesem schönen Pförtnerhäuschen vor Anker gehen ließ. Herr Gott, war das früher ein törichtes Leben! War ich nicht einmal Seeoffizier? Auf meinem Schiffe fuhr Kaiser Max nach Mexiko. Ich brauchte ihn nicht wieder abzuholen . . .«

». . . Jaja, ich habe auch einmal eine junge und schöne Frau gehabt. Wie hieß sie doch? Hieß sie nicht Yvonne? Aber wie war ihr Geschlechtername –? Ich weiß es nicht mehr. Und woran starb sie . . .? Wie war das doch . . .? Ich weiß es nicht mehr, ich weiß es nicht mehr, sie lag plötzlich da unter Chrysanthemen in blendendem Weiß. Aber das weiß ich noch, wie sie ein andermal in Weiß lag. Sie hatte ihr Brauthemd an mit vielen Spitzen, das war so 437 durchsichtig, so durchsichtig! Und ich sagte: Zieh es doch aus, Yvonne! Sie wollte aber nicht und sagte – und errötete – und sagte: Das kann man doch nicht, Lieber. Und ich sagte: Es ist doch so durchsichtig, und das schönste Brauthemd hat der liebe Gott ja den jungen Frauen auf die bloßen Knochen geschneidert . . .«

»Und einen Vater hatte ich doch auch, aber eine Mutter wohl nicht, ich weiß es nicht mehr. Und der Vater sagte natürlich zu mir: Werde etwas Tüchtiges, mein Sohn. Aber ich muß wohl später irgendwie verkommen sein, wie die Leute sagen.« Und er lächelte überlegen.

»Wohnten wir nicht auf einer alten Wasserburg im ebenen Pappellande, und rings soviele Teiche und Gräben? In den Juninächten gab es solche Froschkonzerte, daß man nicht schlafen konnte. Und im Frühjahr machten wir auf die Wasserratten Jagd, wenn sie auf die Jungen der Teichhühnchen mit den grünen Füßen lauerten. Und da war ein Knabe . . . da war ein Knabe . . . ich weiß nicht mehr wer . . . damals beim Weidenschneiden, wenn wir Bastflöten machten. Mein Finger blutete, und er kam und sagte: Laß mich mal schauen, ob du wirklich blaues Blut hast! Wie warst du enttäuscht, unbekannter Knabe, als ich rotes Blut hatte wie die Kaninchen und die Schweine, wie du selbst!«

»Das Land da unten war so eben, so eben, soviele Pappeln standen in unendlichen Hainen da, nur Zitterpappeln, und ihr Laub raschelte, raschelte . . . das rauschte . . . das rauschte . . . das rauschte . . . das rauschte . . .« In seinen Ohren war jetzt auch ein Rauschen, ein Rauschen, ein unendliches Rauschen, 438 das schwoll und schwoll und schwoll immer stärker an . . .

Nach drei Tagen brachte der alte Gärtner aus der »Luft« wieder einen Korb voll roter Äpfel. Das Eichentor des weißen Hauses war wie gewöhnlich geschlossen. Er zog am Glockenstrange. »Schläft der Alte?« dachte Matthias unwirsch, »und läßt mich hier in der Sonne braten?« Da sah er, daß das Schlupfpförtchen nur angelehnt war. »Heda, Alter!« rief der Gärtner, als er den Pförtner auf seinem Treppchen sitzen und lächeln sah, »ich bring dir Äpfel!«

Aber der Alte rührte sich nicht, er lächelte nur. »Bist wohl kindisch geworden, Alter?« Der Gärtner ging das Treppchen hinauf und faßte den Pförtner an der Schulter. Der schwarze Rock war warm von der Vormittagssonne und die Knöpfe so heiß, daß des Matthias alte Finger beim Berühren zuckten. »Du bist ja, scheint mir, gestorben?« tat erstaunt Matthias. »Also auch endlich ins Würmerland abgereist? Und dabei riecht er nicht mal! Natürlich, er mußte immer was Besonderes haben und war niemals unsereins Freund. Er war immer ein alter Baron. Brauchen etwa die Barone, wenn sie gestorben sind, nicht zu verfaulen . . .?«

Schluß

Der Pfarrer zum heiligen Kreuz ölte und salbte den Kranken. Er ölte Nacken, Handflächen und die Fußsohlen, die Himmelsfluren würdig zu beschreiten, und Gabriel sah, daß es den Vater anstrengte. »Mach's kurz, Philipp!« flüsterte er. Der Pfarrer 439 warf ihm einen bösen Blick zu und sagte laut: »Ihr hättet mich rufen lassen sollen. Er röchelt ja schon. Wenn es mir der Geist nicht eingegeben hätte, im richtigen Augenblicke zu kommen, er wäre ohne die Heilsmittel dahingefahren.« Gabriel aber flüsterte mit der Hitze eines Teufels: »Mach's kurz, Philipp, sag' ich dir, oder ich werfe dich zum Fenster hinaus!« Da beeilte der Pfarrer sich.

Die Zwillinge Kastor und Pollux, die immer nur einer durch den andern zu denken gewohnt und in der Familie stumme Zuschauer alles Geschehens gewesen waren, standen verlegen da beim Streite der Brüder. Die großen Menschen traten von einem Bein aufs andere. Sie hoben die Arme und ließen sie sinken. Wann ist man hilfloser als dann, wenn ein Mensch stirbt?

Der Pfarrer kniete vor einem Stuhle und betete laut. Als der Vater ihm noch einmal zu winken schien, hatte Philipp keine Zeit aufzustehen. Er mußte für den Sterbenden beten, denn die letzten Augenblicke sind kostbar.

Gabriel beugte sich über den Vater und horchte lange über der Brust. Dann wandte er sich um und sagte leise: »Er ist tot.«

Die Brüder sahen sich an, Philipp griff schon nach seinem Ölkelche, denn es waren noch andere Sterbende zu ölen und zu salben, aber er sah doch die Brüder eine Weile an. Die Brüder sahen einander stumm an und wußten nicht recht, was sie denken sollten.

 


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