Josef Ponten
Der babylonische Turm
Josef Ponten

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Elftes Kapitel

Bertholet

Es war weit mit Großjohann gekommen, daß er mit einem Menschen wie Bertholet in Geschäftsbeziehung treten mußte. Er hatte mit ihm ein Abkommen auf Gegenseitigkeit getroffen: Großjohann sollte das Mauerwerk einiger Bauten Bertholets, Bertholet das Zimmerwerk vieler Bauten Großjohanns ausführen. Die Rechnung ging auf diese Weise gegenseitig auf.

Nachdem die »Schande« Großjohanns auf allen Anschlagsäulen, blau auf gelb, zu lesen gewesen war, trachtete Bertholet danach, die Verbindung zu lösen. Aber er befand sich im Nachteil, denn er selbst hatte wenig bauen lassen und viel geliefert, Großjohann aber hatte für sich selbst viel gebaut und wenig für Bertholet liefern können.

Bertholet läutete eines Morgens an der Glastüre, ein Knabe erschien und sagte, der Vater sei schon ausgegangen. Bertholet ging und kam am nächsten Morgen früher. Wieder war der Vater fort – er war beizeiten aus dem Hause gegangen, um Bertholet zu vermeiden. Wann denn der Vater eigentlich zuhause sei? Morgens um 8!

279 Am nächsten Morgen um ½8 erschien Bertholet. Großjohann konnte sich nicht verleugnen lassen und ließ ihn hereinkommen. »Was wünschen Sie, Bertholet?« – »Ich will mein Geld haben!« – »Ihr Geld?«

»Schwindler!« schrie Bertholet, »sofort bezahlen Sie oder –« – »Sachte«, erwiderte Großjohann mit Ruhe. »Wenn Sie schreien, Bertholet, lasse ich Sie hinauswerfen. Ich habe einen Jungen mit kräftigen Muskeln. Herkules hat mir schon öfter bei Besuchern, die sich nicht zu benehmen wußten, einen Dienst getan . . .«

»Herr Großjohann, ich kämpfe um mein Leben, geben Sie mir mein Geld.« – »Ich kämpfe auch um mein Leben, lieber Bertholet, und ich kann Ihnen heute das Geld nicht geben. Ich sage: heute nicht. Ich brauche Ihnen überhaupt nichts zu geben, denn unser Vertrag lautet auf Gegenseitigkeit in der Arbeit, nicht auf Geldbegleichung. Ich kann doch nichts dafür, wenn Sie aus Furcht vor den kommenden schlechten Zeiten nicht den Mut hatten, viel bauen zu lassen, sodaß ich Gelegenheit gehabt hätte, meinen Posten abzuverdienen. Das müssen Sie doch selbst zugeben!« – »Das ist schon richtig«, gab Bertholet zu. – »Also Sie sagen es ja selbst. Und überdies brauchten Sie auch nicht soviel Zimmerwerk zu liefern. Sie konnten mich ja sitzenlassen und sagen: ich liefere nicht eher wieder, als bis wir gleich auf gleich sind. Obwohl das auch nicht nach dem Sinne unseres Vertrages gewesen wäre; aber ich würde mich kaum auf den Vertrag berufen haben. Statt dessen lieferten Sie Ihre Zimmerei. Warum? Doch auch nicht mir zu Gefallen. Doch nur deshalb, Bertholet, weil Sie 280 aus Mangel an anderen Aufträgen nicht wußten, womit Ihre Zimmerleute beschäftigen, und weil Sie Furcht hatten, sie zu entlassen oder ihre Zahl zu vermindern, da das Ihrem Rufe hätte schaden können. Dafür kann ich doch erst recht nichts. Im Wesen unseres Geschäftes liegt eine innere fatale Ruhelosigkeit. Wenn es rennt, kommt das Pferd in Schweiß, und wenn man zu lange hält, erkältet es sich und wird krank. Da ist es schwer, Fuhrmann spielen. Ich brauche mich doch auch kaum zu opfern, nur damit Ihr Kredit nicht Schaden leidet. Denn Sie brauchen meinen Kredit mehr als ich den Ihrigen. Ich will mich ja nicht brüsten, wahrhaftigen Gott nicht, dazu habe ich, wie die Dinge liegen, keinen Grund, aber ich glaube – nehmen Sie's nicht übel – daß der schlechteste Ruf Großjohanns noch immer besser ist als der beste Bertholets.«

»Das muß man lassen,« sagte Bertholet, »Großjohann gilt bei gewissen Leuten noch immer etwas. Es gibt gewisse Leute, die den Glauben an ihn nicht verlieren wollen.« – »Also, Bertholet –?«

Als der Zimmermeister sich durchschaut sah, begann er zu weinen. »Keine Tränen, Mann,« sagte Großjohann, »ich sehe, auch Sie sind zu weich für das harte Gewerbe, das wir ergriffen haben. Ich will Ihnen etwas sagen: Sie sollen Ihr Geld haben, ich will Ihnen Ihre Lieferung in Geld begleichen, obgleich ich nicht dazu verpflichtet bin, nur müssen Sie mir Zeit lassen.« – »Wann kann das sein?« frug Bertholet. – »Das kann ich Ihnen nicht sagen. Das kann morgen sein, das kann auch erst in ferner Zeit sein. Ich kann mich nicht binden.« – »Sie können ja Abschlagszahlungen geben«, meinte Bertholet. – 281 »Ich könnte Ihnen heute auch nicht einen Taler geben«, sagte Großjohann. – »Wann denn?« – »Wann? Wann?« frug auch Großjohann; »fragen Sie mich, wann das Weltende ist. Manche Leute meinen, daß morgen dieses elende Gemächt von Welt zugrunde geht, manche meinen demnächst mit der Jahrhundertwende. Wie gesagt . . .«

»Dann will ich von Zeit zu Zeit mal nachfragen.« – »Tun Sie das.«

»Sie sind ein ehrlicher Mann, Großjohann«, sagte Bertholet und reichte ihm die Hand. – »Wenn's auch den Hals kostet, nicht wahr?« lachte grimmig Großjohann.

 

Am nächsten Morgen schon kam Bertholet, um nachzufragen. Es war ein trüber Tag, Bertholet sah Spuren von Nässe und Schmutz die Treppe hinauflaufen, vor der Türe Großjohanns sich häufen und zurückgehen. »Aha,« dachte er, »es sind schon mehr dagewesen.« Drinnen war ein gewisser Morgenlärm von Haushalt und Kindern. Er klingelte.

Im Nu wurde es drinnen still. »So, so, jetzt werden die Kinder angewiesen, sich ruhig zu verhalten. Es soll niemand zuhause sein. Ich weiß es aber besser, ihr Bande!« Er klingelte wieder.

Drinnen blieb es totenstill. Er klingelte und klingelte. Die Schelle rasselte.

»Geh öffnen, Gabriel,« flüsterte drinnen die Mutter, »sag', der Vater ist nicht zuhause.« – »Und wenn Sie mich totschlagen, Mutter, ich kann nicht, es ekelt mich«, erwiderte Gabriel.

»Ich würde es selbst tun,« flüsterte Frau Franziska, »aber wenn ich gehe, sagen die Leute: Ihr seid 282 so gut wie der Mann, Ihr könnt auch zahlen. Geh du, Fränzchen.« Fränzchen – jetzt schon ein dreißigjähriger Franz, aber noch immer Fränzchen gerufen – sah sehr erstaunt auf. Er war doch zu Besuch in der Stadt! Seit wann läßt man den Gast unangenehme Gänge tun?

Die Klingel rasselte.

»Ich öffne«, sagte Herkules.

Herkules stürzte auf die Glastür zu, warf den Schlüssel im Schlosse herum, riß die Tür auf und betete laut und schnell wie eine Litanei herunter: »Herr Großjohann ist nicht zuhaus, Frau Großjohann hat keine Zeit, Geld ist heute keins im Haus, wieder kommen, wieder kommen, zur Gesundheit, auf ein andermal, auf Wiedersehen!« Damit schlug er die Tür zu und legte die Kette vor, ehe der Besucher draußen zu Worte gekommen war. Sie hörten ihn brummend und fluchend die Treppe hinabgehen.

Am andern Morgen sahen sie ihn schon bei Tagesgrauen auf dem Bordstein der andern Straßenseite stehen, um das Ausgehen Großjohanns zu überwachen und ihn zu überfallen. Großjohann aber hatte sich eine Öffnung in die Hofmauer brechen lassen und entwischte vor 8 Uhr. Bis Mittag stand Bertholet wartend und lauernd da. Viele andere Gläubiger kamen und gingen wieder, die meisten wies Herkules mit fröhlichem Gesicht ab. An der größeren oder geringeren Hast, mit der jemand kam, erkannte man von ferne den Grad des geschäftlichen Verhältnisses zwischen ihm und Großjohann und den Zustand seiner eigenen Geldverhältnisse. Nur die Boten der Wechselbanken mit den schwarzen Ledertaschen, besonders der mit dem Hute, der röhrenförmig doch 283 kein Zylinder war, kamen ruhigen und sicheren Schrittes. Sie wußten, ihnen wird aufgemacht, ihnen wird gezahlt, sonst – weh euch!

Am darauffolgenden Tage kam Bertholet schon mit dem Bäckerjungen ins Haus, blieb darinnen, hielt sich in der Nähe der Mattglastüre und läutete nicht. Die Tür ging auf, denn Frau Franziska wollte zur Frühmesse. »Was wünschen Sie, Herr Bertholet?«

Bertholet hatte einen Fluch auf den Lippen, aber wie er Frau Großjohann ansah, erwiderte er einfach: »Ich möchte mein Geld haben.« – »Heute geht das nicht, Herr Bertholet, kommen Sie einmal morgen wieder.« Bertholet ging ohne Widerrede fort.

»Wieder einen Tag gewonnen«, dachte Frau Franziska. Dann ging sie in die Kirche zum Beten, denn die halbe Stunde der Frühmesse war für sie das einzige Schöne, das die Welt noch für sie hatte.

Am nächsten Morgen klingelte Bertholet wieder an der Glastüre. Wieder wurde sie aufgerissen von dem Zirkusreiter, dem Blauen Reiter, und schnell schob Bertholet den Fuß zwischen die Türflügel.

»Mensch,« schrie ihn der Zirkusreiter an, »augenblicklich nehmen Sie den Fuß da weg, oder ich werfe Sie an die Wand, daß Sie platzen wie eine Wanze, und verklage Sie obendrein noch wegen Hausfriedensbruchs.« Als Bertholet sogar durch den Rockärmel die Muskeln des Blauen Reiters sah, ging er eilig davon.

Der nächste Tag war ein Sonntag, und Bertholet beschloß, heute Ruhe zu geben, sonst würde man ihm überhaupt nicht mehr öffnen. Vielleicht würde auch der blaue oder gelbe oder grüne Reiter mit der 284 amerikanischen Schwindelband abgereist sein, denn der Zirkus wurde abgebrochen.

Am Montag aber war er wieder da. Frau Großjohann öffnete.

»Ah, der Herr Bertholet.« – »Geld!« sagte dieser einfach und böse.

»Kommt mal herein, Herr Bertholet«, sagte Frau Großjohann. Bertholet ging hinein.

Sie führte ihn in ein dunkles trübes Zimmer. Bertholet hatte seinen Hut abgenommen, aber den Kragen seines Mantels schlug er nicht einmal herab, denn er wollte zeigen, daß für ihn das Geschäft nur kurz sei. Er stand mit breiten Beinen da, denn hier zu stehen hatte er das Recht! Hier stand er, und da mochte der Zirkusreiter . . . ! Doch lugte er wohl nach der Zimmertüre, ob nicht doch etwa der Blaue Reiter . . . Man konnte nicht wissen . . .

Bertholet hatte wildes Haar und einen wüsten, den Mund verdeckenden Schnurrbart. Frau Franziska stand vor ihm, die Arme vor der Brust gekreuzt, und dachte: »Man muß ihn wohl ablenken. Aber wie?«

Bertholet sah Frau Franziska mit bösen Augen durch eine Brille mit dicken Gläsern an. Er war sehr kurzsichtig, sodaß er den Kopf vornüber gebeugt hielt.

»Aber wie?« dachte Frau Franziska, »seine Familie kenne ich nicht, und ihm von meiner erzählen, das bleibt zu nahe bei der Sache. Es ist auch nicht viel Erfreuliches daran.«

»Ihr wart doch Zimmermeister. Wie kommt Ihr eigentlich zu diesem unglücklichen Baumenschentum, Bertholet?« frug sie.

285 »Ja, wie kommt man dazu,« sagte Bertholet und erstaunte selbst über seinen freundlichen Ton, aber er meinte, er habe eine riesige Achtung vor der Frau, »wie man in sein Unglück kommt, kommt man dazu. Solange ich noch Zimmermann war, da war ich zufrieden und glücklich. Da hatte ich Samstag mein Geld und Sonntags mein Vergnügen und niemals Sorgen. Aber da kam das mit diesem Fräulein Rosenkranz, müßt Ihr wissen. Ihr kennt sie ja. Eines Tages flicke ich ihr das Dach, denn es hat hereingeregnet. Sie kommt auf den Söller herauf und sieht sich alles an, denn sie zählte jeden Nagel, die Alte. Sie ist ja eine schwer reiche Frau. Da sagte sie zu mir: Na, Zimmermann, das ist doch nichts, daß Ihr so ewig an den Dächern herumflickt. Da ist der Großjohann, der geht herum wie ein großer Herr und hat doch auch nichts . . .«

»Oho!« warf Frau Franziska ein. – »Ich weiß, jawohl,« nahm Bertholet auf, »aber so sagt die alte Rosenkranz. Und dann sagt sie noch: Und dann ist da der Schröder, der frühere Schlossermeister – dem sie ja auch morgen den Konkurs machen«, warf er in seine eigene Rede hinein. – »Mein Gott!« rief Frau Franziska, die Hände zusammenschlagend. – »Da könnt Ihr noch billig Häuser kaufen, Frau Großjohann«, höhnte Bertholet; aber sogleich tat es ihm leid, die Frau, vor der er ja eine riesige Achtung hatte, gekränkt zu haben, und er fuhr ruhiger fort: »Also da ist da das Fräulein Rosenkranz, und was ich sagen wollte . . . was ich sagen wollte . . . Ja, da ist da der Soundso und der Soundso, sagt sie, der Zieglermeister und der Klempnermeister, sagt sie . . .Aber ich habe kein Geld, Fräulein Rosenkranz, 286 sage ich, und sie sagt: Mein Gott, Geld! Als ob das das Nötigste wäre! Wer fragt heute danach, ob er Geld hat, wenn er was anfängt? Glaubt Ihr denn, daß der Schlosser und der Dachdecker Geld haben? Wer braucht denn heutzutage noch Geld? . . . Ich habe kein Geld, Fräulein Rosenkranz, sage ich, und ohne Geld baue ich nicht! Der Großjohann, fängt sie dann wieder an . . .«

»Ich will Euch was sagen, Bertholet,« unterbrach Franziska, »Großjohann hat genug Geld aus eigenem gehabt, das er verdient hat, und Gott hat es gemehrt, und wenn der Teufel es auch wieder genommen hat, so ist das seine Sache, und Gottes, und unsere, und nicht dem Fräulein Rosenkranz seine!«

»Ja, ganz recht, das hab' ich ihr auch gesagt, und so, und ich hab' noch weiter gesagt: Ich habe kein Geld, Fräulein Rosenkranz, und damit basta! Und machte mich wieder an die Arbeit, denn ich arbeitete in Akkord, müßt Ihr wissen, und nicht auf Taglohn, und ich hatte keine Lust, mich mit der Reichen da auf ihrem Söller festzuschwatzen, denn die Schwatzstunden bezahlte sie mir nicht. Ich habe kein Geld, Fräulein Rosenkranz, und damit basta! Aber ich habe Geld, sagt sie und sieht mich dabei triumphierend an. Das weiß alle Welt, daß Sie Geld haben, Fräulein Rosenkranz, schwer Geld, sag' ich. Das hört sie gern, das sieht man ihr an. Und ich sage noch: Aber was hilft das, ich hab' keins, und damit muß es auch gut sein. In einer halben Stunde ist das Dach dicht, Fräulein . . . Und da sagt sie wieder: Ich habe Geld, und ich habe Baustellen, da unten an den Flußbenden, jetzt steht noch Kappus darauf. Ich gebe Euch die Baustellen und das Geld dazu. Na, und da 287 fängt sie von Bauvorschuß an zu reden, und daß das das Neueste sei und so weiter, Ihr wißt ja, und so fing denn mein Unglück an. Die Rosenkranz!« rief er und ballte die Fäuste, »die heißt nicht umsonst Rosenkranz, denn sie betet einen Rosenkranz nach dem andern, aber man sollte sie mit allen ihren Rosenkränzen um den Hals erwürgen, das Mensch!«

»Nicht Gott lästern, Bertholet. Laßt das dem Herrgott seine Sache sein.« – »Die Rosenkranz,« grollte der Mann, »die hat viele kleine Handwerksleute auf dem Gewissen mit ihrem vielen Gelde. Da hat sie gegeben und gegeben, und die Bauten wuchsen. Aber es kamen Mißhelligkeiten, die man nicht vorausgesehen, es kam Treibsand in die Fundamente, und es fror auch einmal, dazu hat der liebe Gott ja den Winter gemacht, daß es einmal frieren tut, und sie rief: Warum baut Ihr nicht weiter? Und ich sagte: Es geht nicht, Fräulein, der Kalk bindet nicht, wenn es friert – oh, das Kreuz, das Kreuz, wenn man in einer Fachsache abhängig ist von einem, der nichts von dieser Sache versteht und dareinredet, und es ist auch Wasser in den Mauern, sagte ich . . . und es schluckt Zinsen und Zinsen, rief sie, und wenn Ihr nicht baut, gebe ich kein Geld. Das müßt Ihr, sagte ich, das ist ausgemacht, daß mit jedem neuen Stock neues Geld gegeben werden soll. Ausgemacht hin, ausgemacht her, da schere ich mich den Teufel drum, sagte das fromme Frauenzimmer, und ich sagte: Das Gesetz! Aber sie knipste mit dem Finger und rief: Papperlapapp, was kost't das Gesetz? Ich kann mir den teuersten Anwalt kaufen! Und so war es denn bald bei mir wie bei vielen anderen, sie bauten mit fremdem Gelde und steckten ihre Arbeit und ihren Schweiß 288 und vielleicht auch 1000 Taler, die sie erbten, als die Eltern starben, hinein in den Bau, und dann konnten sie nicht mehr, und die Herrschaften gaben kein Geld mehr, das Ding wurde verkauft, und die Herrschaften zogen es an sich für ihr bißchen Geld, das sie gegeben hatten. Und mit dem Wuchergelde lassen sie dann Kirchen ausmalen und mit Heizungen versehen, daß die armen Leute im Winter wenigstens einen Ort haben, wo es warm ist, wenn ihnen das eigene Haus genommen ist, und fleißig beten, daß der liebe Gott doch ja diese Welt bestehen lasse, in der die Reichen es so gut haben. Und das Fräulein Rosenkranz stiftet Altäre und Heiligenbilder, daß ihr Haus den ganzen Tag wimmelt von Mönchen und Pfaffen..«

»Nicht so über die Geistlichen reden, Herr Bertholet!«

»Wollen's mal gut sein lassen. Und demnächst wird sie auch päpstliche Gräfin, das Fräulein Rosenkranz, soviel Geld hat sie nach Rom gegeben, und meine 1000 Taler sind auch dabei. Ah bah!« rief er und machte eine wegwerfende Handbewegung, »Spuck' darauf! Was liegt daran! Jetzt habe ich Euch lange genug aufgehalten, Frau Großjohann, und danke auch, daß Ihr mir zugehört habt. Es tut dem Menschen gut, wenn er einmal ordentlich losschimpfen kann, und Ihr wißt ja auch, wo einen der Schuh drückt. Und nun nichts für ungut, wenn ich ein bißchen gebrüllt habe, und Gott befohlen!« Er ging hinaus und die Treppe hinab. Sie hörte ihn noch im Weggehen brummen und fühlte mit aufrichtiger Teilnahme, wie wohl das dem Armen tat. 289

Wolken in der »Luft«

Gabriel kam den Garten eilig herauf. Auf der obersten Terrasse erwarteten ihn Gertrud und die Hunde. Das Mädchen trug ein dunkelviolettes Kleid, ihre schwarzen Haare waren hinten tief im Nacken in einen Knoten geschlungen. Sie reichte ihm langsam ihre beiden Hände und bot ihm mit geschlossenen Augen den Mund dar. Er küßte sie, dann legte er seinen Arm in den ihrigen, und ohne zu sprechen, die Augen am Boden, schritten sie um das lange weiße Landhaus herum auf die hintere Seite.

Auch dort war eine Terrasse, nicht blau von Schrott wie die vordere, sondern grün von Gras. Die Landschaft fiel vor ihnen ab. Eine breite, durch leichtbebuschtes Gelände geschlagene Schneise, ein einziger grüner Teppich, senkte sich zwischen Nadelhölzern hinaus. Sie standen schweigend da und genossen den Ausblick ins Land. Das Auge verfolgte die grüne Grasgasse, die erst steil fallend sich bald der Wagerechten und dem Gelände anglich, wo sie unterbrochen wurde von schwarzen Erlenbüschen, silbernen Weiden und grünen Schilfauen. Flußpfade kamen von rechts und links her aus dem Holze und kreuzten die Lichtung. Unten in der Au sahen sie einen Mann daherkommen. Sie sahen, wie er nach Art alter Leute auch bei diesem dunkeln Wetter die Augen mit der Hand beschattend zu ihnen heraufblickte. Aus den Auen glänzte die Fläche des Flusses und verlor sich nach rechts und links ins Unendliche der feuchten Luft. Die Dächer des Klosters Gottesruh schwammen wie rote Archen auf dem Nebel. Nach beiden Seiten 290 schlossen sich den Nadelgehölzen breite Wiesengelände an, in denen hohe Baumwäldchen verinselt waren. Die Bauminseln waren eingezäunt, und auf den grünen Wiesen dieser Parklandschaft bewegte sich langsam das bunte Rindvieh. Die Tiere schritten weidend alle in einer Richtung, indem sie langsam Fuß für Fuß dahinsetzten. Aus den Bauminseln flogen Krähen auf. Wahre Krähenstädte waren die verstreuten Wäldchen. Das Grün der Landschaft war in der Feuchte fast wollig. Die Luft war lau und grau. Gertrud sagte, mit ihren Blicken sich in der Landschaft verlierend: »Ich habe die Freude verloren.«

Gabriel erwiderte nichts. Sie gingen die Landschaft hinab auf einem der von Nadelstreu roten Pfade durch den Tannenbusch. Der Boden war weich und ihr Schritt unhörbar. Tropfen von der Feuchtigkeit des Himmels hingen glitzernd an den Nadeln und fielen von Zeit zu Zeit lautlos zur Erde. Vögel hüpften hin und her, ein Wiesel kreuzte den Pfad, reckte sein bewegliches Köpfchen auf, mit hellen Augen die Wandernden betrachtend und plötzlich wie ein Blitz in die Erde sausend, ein Eichhörnchen saß einen Augenblick auf den Hinterbeinen, die Ohren gespitzt und die schwarzen Augen groß, und schoß dann rauschend und leise pfeifend am Stamm einer der Tannen hinauf. Gabriel sagte: »Die Vögel mühen sich für ihre Brut, und Eichkatz und Fuchs sind unermüdlich besorgt für ihre Familie. Nur indem das Wesen der Gattung, der Einzelne seiner Familie sich opfert, ist die Welt unsterblich.«

Sie kamen an den Teich. Still und tot lag er da, schwarzblau und dunkel, und kein Zeichen von Leben war in ihm. Die herzförmigen Blätter der Linden 291 auf dem einen und die langen schlanken der Edelkastanien auf dem andern Ufer erschienen auf dem schwarzen Spiegel. Schilf und Holunder wuchs in einer Ecke, und darunter floß die Quelle. Jetzt fiel leichter Regen auf die leise rauschenden Blätter, die Luft war warm, und an der Quelle hub eine Nachtigall an zu klagen.

Der alte Gärtner kam schlurfend heran. »Hast du noch immer keine Fische im Teich bemerkt, Matthias?« frug Gertrud. – »Nein, Fräulein,« sagte der, »wie sollte es auch sein? Vergangenes Jahr, da alles dürr war, ist uns ja die Quelle versiegt, der Teich lief ab, und die Fische starben. O Fräulein, was war das für ein Geruch und eine Pestilenz hierherum von Fischleichen! Ich rieche es noch. Die Wiesen verbrannten uns ja, Sie wissen das, Fräulein, mit dem letzten Jahre war kein Bauer, waren nur die Bauleute in der Stadt zufrieden. Jaja, dem einen sein Tod ist dem andern sein Brot. Wie gesagt, die Fische sind nun alle gestorben. Und keine Mücken und Wasserfliegen sind dieses Jahr da! Seitdem es keine Fische mehr gibt, sich ab und zu ein Mücklein aus der Luft zu schnappen und es zu fressen, gibt es auch keine Mücken mehr. Als wollten sie nun einmal gejagt werden! Fressen und gefressen werden, das ist die Welt. Wie gesagt, die Fische sind nun alle gestorben. Ja! Es wird immer schlimmer in der Welt, und alles geht zum Ende. In meiner Jugend, Gott ja! war das ein anderes Leben! Da trugen die Obstbäume das Doppelte des heutigen, die Kühe warfen zweimal im Jahr, die Milch war schwerer und das Grün auf den Bäumen tiefer und reiner. Es ist heutzutage keine Freude mehr zu leben. Der eine trägt sein Kreuz und 292 der andere schleift es. Ja, das soll wohl so müssen sein!« Er schickte sich schlurfend an zu gehen.

»Wielange kann man ohne Freude leben?« frug Gertrud. – Gabriel erwiderte: »Frag' den alten Matthias.« Aber Matthias hatte die Frage schon gehört. »Das kommt darauf an,« sagte er, sich zurückwendend, »was man durchgemacht hat. Unsereins kann viel leiden.« – »Willst du nun nicht bald aufhören zu arbeiten, Matthias? Vater arbeitete in deinem Alter schon lange nicht mehr, und ich will für dich sorgen.« – »O ne, Fräulein, dank' auch schön, Fräulein, aber o ne! Wenn ich das Werk zumache, dann macht das Särg sich auf. Das würdet Ihr sofort erleben. Gut ist gut, aber besser ist besser, ich wirke noch ein bißchen, mit allem Pläsier, sagen die Bauern, wenn sie müssen. Nun adee denn auch«, sagte der Alte, lüftete die grünliche Kappe, suchte sie auf seinem krolligen Haare festzumachen und entfernte sich.

Die Nachtigall klagte, und auch Gertrud hub wieder zu klagen an: »War jemand glücklicher als ich? War eine Kindheit sonniger als meine? Strahlte eine Jugend mehr als die meine? Der Vater und die Hunde, das Stadthaus und die ›Luft‹, Winterfeld und Matthias, unsere Pferde, unsere Katzen, meine Kleider, meine Ringe und Steine, der Nachtigallenweiher hier und das Brünnchen im Ehrenhofe – wo war eine Jugend wie meine? Da kamst du als mein Verhängnis, und die Trübe zog an meinem Himmel auf. Ach, was konnte ich früher lachen! Ich kann es nicht mehr. Ach, was konnte ich träumen und schwärmen! Ich kann es nicht mehr. Der Zweifel kam, der den Vater tötete, das Mitleid und das Leid. Ich hatte 293 kein Recht mehr, glücklich zu sein. Was soll ich noch für dich hingeben? Sag's – ich tu's! Ach, Geliebter,. verzeih, verzeih! Hörst du die Nachtigall klagen und den Regen rauschen . . .«

»Klage, Gertrud!«

Der Regen hörte auf, die Sonne wurde sichtbar, doch so matt, daß man nur eben erkennen konnte. wo sie stand. Gabriel und Gertrud verloren sich tiefer in den Parkwiesen. Die Rinder gingen auf den Weiden, man hörte das scharfe Schleifen ihrer warzigen Zungen im Grase. Die Krähen flogen aus den Buchenhainen auf und fielen lärmend wieder ein. Ein Kiebitz torkelte weiß über den feuchten Auen durch die Luft. Durch die Wiesen schritt ein Mann mit einer Schüppe auf der Schulter.

»War ich nicht ein heiterer Mensch? Und alle Welt wurde heiter an mir, und alle Welt liebte mich, und ich weiß, daß Diener, Mägde, Gärtner und Meier von mir sagten: Die Gertrud ist unser Engel. Und nun ist alles dahin. Darum hassen dich unsere Leute, Gabriel.«

Jetzt waren sie dem Manne mit der Schüppe nahe. Er ging durch die Wiesen den dunkelgrünen Flecken im hellen Grün der Grasweiden nach. Vor einem solchen Fleck nahm er die Schüppe von der Schulter, griff den dicken runden Fleck damit an, und bald breitete sich an dessen Stelle ein dünner weiter Halbmond im Grase aus. Die Schüppe war blank vom Spreiten und nach der einen Seite abgenutzt. Der Mann stützte sich auf die Schüppe, als das Fräulein ihn anredete.

»Wie geht es dir, Werner?« – »Gut geht's, was soll man da anders sagen! Aber was hilft es einem? 294 Wenn es auf den Herrn regnet, tropft es auf den Knecht.« – »Bist du unzufrieden, Werner? Ich bin doch immer gut zu euch gewesen.« – »Das muß wahr sein, Fräulein, das seid Ihr. Alles was recht ist. Und ich bin auch nicht unzufrieden. Ich sage das auch nur so. Es ist ja alles schön und gut, und ich stehe morgens mit einem Liedchen auf, aber warum soll ich mir die Kröte auf dem Herzen bersten lassen und nicht sagen, daß es besser ist, ein kleiner Herr sein als ein großer Knecht? Wenn wir doch nicht mehr reden können, dann bersten wir ja an unseren Worten. Nun steht mir aber nicht länger in den Füßen. Ich will mit Gottes Beistand wieder mal in die Hände spucken.« Er spuckte in die Hände, nahm den blanken Schüppenstiel fest in die Fäuste und verwandelte den kleinen Kreis in einen großen Halbmond.

»Es ist wirklich keiner,« sagte Gertrud, »der das so kann wie der Werner.« – »Ja, ich mache euch an einem Tage hundertmal den Vollmond unter- und den Halbmond aufgehen,« sagte Werner fröhlich und schulterte die Schüppe, »das heißt, wenn die Herrschaft mir nicht mit Schwatzen in den Füßen steht.«

Die Kühe hatten mit Weiden aufgehört und sammelten sich allmählich hinter dem Meierhofe. Es wurde Abend.

»Der Meier ist krank, wie steht es denn mit ihm?« frug Gertrud. – »Heute morgen sagte der Doktor, die Kinder sollten sich versammeln, der Doktor aus der Stadt, den Ihr uns geschickt habt, Fräulein. Als ob wir dem Vater das Sterben noch schwerer machen sollten, wenn wir alle die Gesichter hangen lassen und 295 um ihn herumstehen. Die letzten Minuten soll der arme alte Mann doch für sich haben, er ist ja sowieso im Leben vor lauter Werk nie zu sich selbst gekommen.« – »Aber was redest du denn, Werner, wenn dein Vater da liegt . . .?« – »Ach, warum erinnert Ihr mich?« rief Werner greinend mit verzerrtem Munde, »ich gebe mir Mühe, es zu vergessen, und Ihr erinnert mich daran! Genügt es denn nicht, wenn mein guter Alter stirbt? Soll ich auch noch traurig sein? Wenn Ihr Reichen sterbt, dann macht Ihr alle möglichen kostbaren Umstände, aber ein armer Mann stirbt einfach. Und das ist erbärmlich genug! O mein guter Alter!« rief er und weinte.

Gertrud und Gabriel ließen den Bauer stehen und eilten quer durch die Wiesen zum Meierhofe. Der lag weiß und rot an einem Bache unter hohen Buchen. Ein Blinder hätte den Weg gefunden, geführt von dem süßen warmen Geruch von Milch und Stall. Am Gatter standen brüllend die Kühe. Das Geläut von Glocken klang aus der Stadt herüber.

Sie traten auf den gepflasterten Hauspfad, aber ihre ungenagelten Schuhe wurden drinnen nicht gehört. Sie sahen durch den offenen Flur in die Hinterstube, wo jemand im Bette lag. Die Schwester des Wernerus kniete davor, hielt eine Kerze in der Hand und rief: »O Vater! Vater! Herr, erbarme dich mein! Was stirbst du zu so ungelegener Zeit! Hörst du denn nicht die Kühe brüllen?«

»Wie steht's?« frug Gertrud leise. – »Ach, Fräulein, schlecht steht's! Schlecht steht's! Ich hab' ihm ein paar gebratene Äpfel gegeben, die hat er nicht gewollt, ach, der arme Alte! Warum will er gerade jetzt am Abendläuten sterben, wo die Kühe brüllen? 296 Er weiß doch, die Milch aufhalten tut den Kühen weh. Ach, Vater! Ach, Vater!« Laut heulend lief sie mit dem blanken Melkeimer in der Hand hinaus.

Auch Werner trat ins Haus. Als er sah, wie dem Vater der Kopf auf die Brust gesunken war und seine aus dem Bette heraushangende Hand mit starren Fingern schräg die tropfende Kerze hielt, sagte er: »Dem tut der Kopf nicht mehr weh«, und schluchzte auf. 297

 


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