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Freigebigkeit

Das in Stein aufgeführte Erdgeschoß des Reinhartschen Hauses war beinahe fertig und auf dem Samstagsberge davor lagen zahlreiche, beschlagene Balken, um die in Holzwerk aufzuführenden oberen Stockwerke zusammenzufügen. Da gebot plötzlich der Bauherr einen Halt und ließ seinen Steinmetzmeister zu sich kommen.

Beide verschlossen sich in eine Stube der Reinhartschen Wohnung und als Mutter Abigail, durch dieses Benehmen zur Neugierde gereizt, an der Tür lauschte, hörte sie ihren Eheherrn nur flüstern, dem sich ein lautes Lachen des Steinmetzen anreihte.

Letzterer entfernte sich. Wie nun die Ehefrau forschte, machte der Schuster ein pfiffiges Gesicht, fuhr mit den Händen in der Luft herum und sagte gar nichts.

Mutter Abigail ging unwillig fort, und der Alte konnte sie nur schwer versöhnen. Aber er offenbarte dennoch sein Geheimnis nicht.

Wenige Tage nachher brachten die Gesellen des Steinmetzen auf einem Wagen verschiedene, mit Brettern und Leinwand verhüllte Steine, die sie, indem sie das Baugerüst mit grober Leinwand umhingen, teils in die Eckpfeiler des Hauses einfügten, teils über der bereits fertigen, oben runden Haustür als Schlußstein in den Bogen einließen. Als dies geschehen war, wurden die eingesetzten Steinstücke geheimnisvoll mit Brettern fest übernagelt.

Die zusammengelaufenen Nachbarn gafften das rätselhafte Verfahren an. Da sie aber den Reinhart als einen gutmütigen und rechtschaffenen Mann kannten, der manchmal seine Spässe machte, so ließen sie ihn mit dem Bau ruhig gewähren und taten auch sonst keine Schritte, um das Geheimnis vor der Hand zu entschleiern.

Im übrigen zahlte der Schuster seine Bauhandwerker richtig und gut, ließ auch den Gesellen, wenn sie tüchtig gearbeitet hatten, Bier, Brot und Käse, zuweilen aber auch etliche Maß Wein verabreichen, und so flog sein junges Haus in die Höhe, also daß unter großen Feierlichkeiten und Reimsprüchen, die Reinhart alle selbst gedichtet hatte, bald der Kranz aufgesteckt ward und schon im Juni das Ganze unter Dach stand. Weitere Geldspenden und ein günstiger warmer Sommer förderten sodann das Unternehmen noch mehr, und so war es denn kein Wunder, wenn auf den Tag Mariä Geburt, den 8. September 1720, als von dem Pfarrturme die große Meßglocke ihre markigen Töne über die Stadt hinsang, Reinhart vor dem fertigen Hause stand und vergnügt seine Hände rieb.

Eben wollte er dem Drange seines von Freude erfüllten Herzens in einigen in ihm schnell aufgekeimten Reimsprüchen Lust machen, als ihn jemand von hinten leise auf die Schulter schlug; da gewahrte er einen jungen Mann, dessen feine, schwarzsamtenen Kleider, weiße Atlasweste, klare Spitzenkrause, zierlicher Stahldegen, zartgekrauste Lockenperücke und überhaupt der ganze geschmackvolle Anzug den höheren Stand, dem er angehören mußte, bekundeten.

Überrascht betrachtete der Alte den manierlichen Fremden. Das Gesicht hatte so etwas Bekanntes; aber doch war es wieder feiner als das, dessen er sich im Augenblicke erinnerte.

Da nahm der Unbekannte zu freundlichem Gruße das Wort und in demselben Augenblick fiel es dem Schuster wie Schuppen von den Augen.

»Ach, der Herr Student Adalbert!« rief er, indem er diesem treuherzig die Hand hinreichte. »Ja, in solchen Kleidern –«

»Ja, Student war ich,« unterbrach ihn der Angeredete freundlich, »jetzt aber Doktor der Rechte, indessen wie früher Sein Freund.«

Jubelnd führte nun Reinhart den Ankömmling in seine immer noch bei Schneider Zeller befindliche Wohnung, wo er ihm alles, was sich in der Zwischenzeit ereignet, namentlich unter welchen Bedingungen endlich der Metzger Haarwachs seine Einwilligung zu der Heirat gegeben hatte, erzählte.

»Nun und diese Bedingung?« forschte der junge Doktor mit neugierig lächelndem Gesicht. »Glaubt Er die erfüllen zu können?«

»Versteht sich!« rief der Gefragte fröhlich und bestimmt. »Lassen Sie mich nur machen. Doch das ist noch mein Geheimnis.«

Adalbert nickte. »Wie steht es denn aber mit der Mitgabe,« fragte er weiter, »welche der gewiß wohlhabende Vater Kunigundens dieser doch geben muß«

Reinhart rümpfte die Nase, schüttelte mit dem Kopfe und zuckte bedauernd die Achseln.

»Wegen meines Sohnes braucht er sich nicht anzugreifen,« versetzte er. »Seine Kunigunde anlangend wünschte ich aber doch, daß er das Mägdlein nicht so nackt und bloß von sich gehen ließe. Die Jungfrau, die recht wohl weiß, daß ihr Vater gar nicht ohne Mittel ist, rechnet sich dieses filzige Wesen zum Schimpfe an. Eine Aussteuer ist ja doch immer der Stolz einer Braut.«

»Gekränkte Ehre,« sprach Adalbert mit plötzlich ernster Miene, »ist eine geknickte Blume. Eine solche darf nicht in den Brautkranz der liebenswürdigen Jungfrau, die Er, braver Meister, Seine Schnur nennen will. Ich werde mit dem alten Metzger reden, und hoffentlich gelingt es meinen überzeugenden Worten, seinen geizigen Sinn umzuändern.«

Reinhart gab seine Empfindungen in weitläufigen Worten noch kund, wonächst der junge Doktor das Haus verließ und in die Wohnung des Haarwachs sich verfügte. Mit unverhohlener Freude begrüßte ihn hier Kunigunde und mit Staunen, ja mit einem gewissen kleinen Neide fuhr er zurück, als er die Jungfrau mit dem errötenden Antlitze und den schönen blauen Augen vor sich sah, die der Brautstand – er konnte sich dieses nicht verhehlen – noch weit reizender und anmutiger gemacht hatte,

Wenige Worte, welche die Jungfrau sprach, ließen ihn die Tiefe ihres Gemütes und die Klarheit ihres Geistes erkennen. Sie hatte auf seine Bitten nach dem Vater an der Schirne gesandt und als dieser auch sogleich nach Hause kam, konnte Adalbert sein Verlangen nur bedauern, indem er gar zu gerne noch einige Zeit mit dem liebenswürdigen Wesen ungestört verplaudert hätte.

Indessen Haarwachs kam und die Tochter entfernte sich in die Nebenstube.

Neugierig maß der Heimgerufene den fremden Besuch, den er so von Ansehen zu kennen vermeinte. Da ergriff letzterer mit einer kleinen Einleitung das Wort, indem er allmählich auf die Brautgeschichte seiner, des Metzgers, Tochter, dann auf Rudolf und zuletzt auf die Gespenstergeschichte des Hauses, worin sie weilten, überging.

»Die hat ihr Ende erreicht,« entgegnete der jetzt unruhig werdende Alte, indem er tief aufseufzte.

Adalbert blickte jetzt vorsichtig in der Stube umher, dann zog er den Metzger näher zu sich und redete leise:

»Wie kam denn das? Wunderbare Geschichten hat mir ein guter Freund erzählt; der leibhaftige Satanas soll sich ja ins Spiel gemischt haben?«

Der Zuhörende erschrak, schnitt ein furchtsames Gesicht und sperrte die Augen weit auf.

»Wer – wer – sagt das?« stotterte er.

»Ein Augenzeuge,« war die leise geflüsterte, aber bestimmte Antwort. »Er sah, wie Er, Metzgermeister Haarwachs, das Gespenst dargestellt, gebrüllt, geheult und mit der Kette gerasselt und wie Ihn dafür der Teufel im Genick gefaßt hat.«

»Ach, du Grundgütiger –!« stöhnte der Alte. »Wie wird es mir ergehen!«

»Hoffentlich ganz gut,« fiel Adalbert beschwichtigend ein, »wenn Er nämlich guten Rat annehmen und tun will, was man von Ihm verlangt.«

»Wa – was will denn der Freund?« stotterte Haarwachs.

»Eine Kleinigkeit,« antwortete der Gefragte. »Er, der Vater, soll nämlich die Hälfte des kostbaren Inhalts seiner Nachtmützen und Strümpfe herausgeben.«

»Ach, du lieber Himmel!« rief der Alte und sank in den Stuhl zurück. »Nein, das kann, das darf ja nicht geschehen.«

»Auch dann nicht,« fuhr Adalbert, ernst werdend, fort, »wenn deren Auserwählter, der junge Reinhart, nächstens der auferlegten Bedingung genügt, indem er sich als einen Mann aus dem Römer Ihm vorstellt, und Er diese Hälfte Seiner Tochter als Aussteuer reichen soll?«

Haarwuchs krümmte sich wie ein Wurm.

»Was ich so mühsam zusammengetragen,« jammerte er, »soll ich nun und zwar eine ganze Hälfte auf einmal verschleudern! – Läßt denn der Freund gar nicht mit sich handeln?«

»Entweder die geforderte Hälfte,« war die feste Entgegnung, »oder morgen die Anzeige bei dem Schatzungsamte, daß Er den Staat mit Steuer betrogen, wonach denn ein Teil Seines Mammons ohne weiteres beschlagnahmt wird.«

»Ach, ach, hören Sie auf!« fiel Haarwachs beinahe weinend ein.

»Das wäre übrigens noch das wenigste,« fügte der Redende bei. »Aber die Mitteilung an das Kriminal, daß er mit Teufel, Hexen und Kobolden Umgang gepflogen, das möchte denn doch noch weit schwerer ins Gewicht fallen. Die Zauberer und Hexenmeister sollen mit dem Feuer vom Leben zum Tod gebracht werden. Bedenke Er doch, wenn Er brennen sollte!«

Haarwachs konnte vor Entsetzen kein Wort mehr reden. Endlich sammelte er seine zerstreuten Sinne und willigte in die gestellten Bedingungen. Sechstausend Reichstaler steckten in dem Bette, dreitausend sollte Kunigunde als Aussteuer erhalten.

»Wenn aber der Teufel –?« bemerkte schließlich der Alte, indem er scheu in der Stube umhersah.

»Darüber sei Er ruhig,« tröstete Adalbert, »mein Freund hat den Teufel selbst gespielt und Ihn bei dem Kragen gefaßt.«

»So wäre ich also genarrt worden?« fragte Haarwachs, indem er, aufs äußerste betreten, den Mund aufsperrte.

»Wie Er andere mit seinem Gespenste genarrt hat; mit dem Maße, mit dem Er gemessen, ist Ihm wiedergemessen worden,« war die trockene Entgegnung. »Indessen beruhige Er sich, mein Freund ist ein Ehrenmann, der nicht aus der Schule schwätzt, so lange Er, Meister, nämlich Seinen Verpflichtungen getreulich nachkommt.«

Als Haarwachs das wiederholt gelobte, rief Adalbert die Jungfrau Kunigunde aus der Nebenstube.

»Ihr Vater,« sprach er, »hat mich zu seinem Rechtsbeistande erwählt, daß ich behufs einer bald stattfindenden feierlichen Verlobung die Ehepakten für seine Tochter aufsetzen soll. Er verwilligt dieser eine Mitgabe von baren dreitausend Reichstalern nebst vollkommener Ausstattung an Weißgerät und sonstigem Hausrat.«

Die Angeredete wurde bleich, dem jedoch bald die Röte der Überraschung und Freude folgte.

»Dreitausend Reichstaler!« rief sie staunend. »Ist dies wirklich wahr, mein Vater?«

»Ja, ja,« stammelte dieser, indem er sich bemühte, seinem trostlosen Gesichte einen Anstrich von Fröhlichkeit zu geben. »Du bist mein einziges Kind, die Heirat gefällt mir und da habe ich eben gedacht ...«

Er konnte nicht weiter reden. Die Tochter aber sank an seine Brust und dankte ihm mit Freudentränen. Stolz konnte sie jetzt aufblicken; denn nunmehr kam sie doch nicht mit leeren Händen.

Aber mit verklärtem Antlitze reichte sie dann dem jungen Doktor dankend die Hand. Daß dieser ihrem Rudolf schon alles war, wußte sie bereits, nun sollte auch sie noch demselben hoch verpflichtet werden.

»Wie kann, wie soll ich?« flüsterte sie ihm zu.

»Dadurch, daß Sie meinen Rudolf wie seither liebt,« versetzte dieser ebenfalls flüsternd, »und daß ihr beide mich ferner als Freund in eure Herzen schließt.«

»Ewig! ewig!« war die leise Antwort, unter welcher sie Adalbert die Hand reichte und dieser sich rasch aus der Stube entfernte.

Lange saß Haarwachs noch unbeweglich auf seinem Stuhle. Endlich ermannte er sich und ging nach seiner Schirne.

»Ein recht artiger Mann das,« murmelte er, »er hat gar feine, eindringliche Manieren!«


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