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Gut gemeint, schlecht geeint

Auf dem obersten Boden des Haarwachs'schen Hauses hatte sich in der Frühstunde des Tages wiederum das Gespenst deutlich vernehmen lassen. Tappen, Klopfen, Rasseln und Geklirre mit Ketten, zu welchem eine greuliche Stimme heulte, waren seine Kundgebungen und weder die Magd noch der beherzte Knecht Florian mit seinem Greif, viel weniger aber irgend jemand der Mitbewohner des Hauses getrauten sich mehr in die Regionen, wo es so schauderhaft spukte.

Kunigunde, von süßen Traumbildern umgaukelt, bei welchen zärtliche, blumenbekränzte St. Nikolause keine untergeordnete Rolle spielten, hatte bis zum späten Morgen in des Schlafes sanften Armen gelegen und weder den Rumor des verhaßten Gespenstes, noch den durch den Zettel an der Wenkbachschen Haustür verursachten Straßenskandal in der Bendergasse vernommen.

Der Vater, welcher frühzeitig an seine Schirne gegangen war, kam jetzt unerwartet nach Haus und verjagte mit heftigen Reden, da er seine sonst so fleißige Tochter noch nicht vollkommen in Ordnung fand, alle schönen Bilder und Erinnerungen, welche deren Phantasie noch erfüllten.

»Solcher Narrenstreiche,« rief er endlich bedauernd aus, »hätte ich denn doch unsern nachbarlichen Schuster nicht für fähig gehalten. Ja, gaffe mich nur an. Gestern abend hat sich der als Nikelos verkleidet, ist zu unserer lieben Jungfer Base daneben ins Haus gedrungen und hat dieselbe mit einer Rute gottserbärmlich durchgehauen.«

Die Zuhörende konnte sich eines kleinen Lächelns nicht erwehren, doch behielt der zugleich in ihr aufgestiegene Schreck die Oberhand.

»Nicht möglich!« rief sie endlich. »Das müßte ja alles verderben! – Das könnte ja schlimme Folgen haben!«

»Hat sie auch schon gehabt,« fuhr der Alte eifrig fort. »Soeben wird eine Kriminaluntersuchung eingeleitet, weil er der frommen Base auch noch ein Schmähgedicht ans Haus gehängt hat und es durch seinen Lehrjungen öffentlich vorlesen ließ. – Der Neffe Kanzlist –«

In Kunigunden weckten aber die scherzhaften Mummereien des Abends ganz andere Erinnerungen, deren angenehme Bilder offenbar mit den tragikomischen Szenen bei der Base zusammenzuhängen schienen. Wie aber diese an das, was ihre Teilnahme erregte, sich anreihen ließen, wie überhaupt eine solche bedauerliche Folge nur eintreten konnte, das war ihr ein wie ein Alp drückendes unlösbares Rätsel.

»Wie?« unterbrach sie daher den Vater. »Auch Er hat sich schon eingemischt?«

»Er wird die Untersuchung einleiten,« entgegnete der Gefragte mit wichtiger Miene, »sich dadurch neue Verdienste um die reiche Tante und deren bedeutendes Vermögen erwerben, ein auf diese Weise immer schätzbarerer Freier meiner Kunigunde und endlich mein liebster Schwiegersohn werden.«

Hatte die Tochter den Kanzlisten anfangs wenig beachtet, dann aber bloß nicht leiden mögen, so wurde ihr derselbe durch seine Machenschaften gegen den Nachbar Reinhart eben geradezu verhaßt. Sie sah im Geiste voraus, daß aus dieser Geschichte das in Frankfurt so wenig beliebte »Römergeläufe« entstehen und sämtlichen Gliedern der Reinhartschen Familie – also auch einem, der sie näher anging – Unannehmlichkeiten, vielleicht gar Unheil bereiten mußte. Im bestimmtem und festem Tone erklärte sie daher:

»Ich nehme den Kanzlisten nicht!«

Heftige Worte des Alten waren sofort die nächste Folge. Indessen hatte die markige Sprache der Tochter ihm doch imponiert, so daß er sich nicht weiter zu reden getraute, sondern murrend die Stube verließ und seine Schritte nach der nahen Schirne wendete.

Haarwachs war sonst ein fleißiger, auf den Erwerb überaus erpichter Mann, jedoch, wie Geizhälse zu sein pflegen, in bezug auf seine Habschaft eigensinnig und störrisch. Darüber hinaus aber ließ sich von ihm keine große Charakterfestigkeit rühmen. Besser sah es in dieser Beziehung bei Kunigunden aus, welcher der frühe Tod ihrer Mutter schon beizeiten Selbständigkeit verliehen hatte. Nur bestand sie, wie der Vater bei seinem Gelde, wenn sie etwas als recht zu erkennen glaubte, ebenfalls gern fest auf ihrem Willen. Daß sie nun ihre Neigung zu Rudolf zu letzterer Art zählte, bedarf wohl keiner Erwähnung.

Schwere Kämpfe waren daher vorauszusehen und bange Ahnung füllte darum um so mehr ihre Brust, als doch auch kindliche Liebe ihren Busen schwellte, religiöses Gefühl ihr Inneres beseelte, und sie über dieses alles mit sich im klaren war.

Betrübt trat sie daher an das Fenster, das nach dem hinter dem Hause liegenden Plätzchen führte. Es war ihr, als ob von dieser Seite ihr Trost und Rat kommen sollte; denn von dort konnte sie nach gewissen Fenstern sehen, die ihr seit gestern abend wichtiger als sonst waren, weil hinter ihnen ein ihr teures Wesen weilte.

Rudolf war wirklich noch in seinem kleinen Stübchen, weil der trübe Wintertag die Öffnung des Kontors und den Beginn der kaufmännischen Beschäftigung erst spät gestattete. Auch in ihm lebte die Erinnerung an den gestrigen Abend zu lebendig, als daß er ferne seinem Fenster bleiben und sich einen Blick in die geliebte Nachbarschaft hätte versagen können.

Augen trafen daher auf Augen, und die beredte stumme Sprache wiederholte Versicherungen und Schwüre.

Im Genusse seiner Seligkeit klopfte ihm jemand fest auf die Schulter. Mißgelaunt über den Störenfried fuhr er herum und sah in Freund Adalberts aufrichtige, dabei aber doch voll Schelmerei blickende Augen.

»Ich sehe schon,« sprach dieser lachend, »mein Anschlag war gut. Du hast ihn ritterlich ausgeführt. Nun erzähle mir aber auch das Nähere, wozu du gestern abend weder Zeit noch im Gefühl deiner Seligkeit Laune hattest. Ich will dir denn auch meine Erlebnisse nicht vorenthalten.«

»Was soll ich dir lange erzählen?« entgegnete Rudolf, indem er auf das gegenüberliegende Fenster zeigte, von welchem sich jedoch Kunigunde bei der Erscheinung Adalberts sittsam zurückgezogen hatte. »Dorthin blicke und ermesse danach mein Glück. – Deinem Rate gemäß drang ich in der Vermummung in des geliebten Wesens Stube. Doch muß das teure Mädchen mich in dem Mummenschanz geahnt haben; denn mit freundlichem Auge blickte sie meine sonderbare Gestalt an und hieß mich die Larve nur abnehmen, da sie von mir nichts Schlimmes zu gewärtigen habe. Gehorsam folgte ich der Aufforderung und da sie meine Kühnheit mir nicht übel deutete, so gab mir meine Liebe ferneren Mut. Ich redete – sie sprach, ach, welch ein Herzenskind ist das! Du mußt diese melodischen Worte hören und sie sprechen sehen, um ganz die Jungfrau zu begreifen, die im Entfalten ihres Geistes erst ihre ganze liebenswürdige und anmutreiche Größe offenbart!«

»Brr!« rief der Zuhörende, »das ist ja lauter dichterischer Erguß, vor dem man nicht zur prosaischen Wahrheit gelangen kann! – Mache es kurz. Seid ihr des Handels einig?«

»Worte flochten sich um Worte,« fuhr Rudolf begeistert fort, »und aus denselben entstand ein schöner Liebeskranz. Mein Schwur blieb bei der Holden zurück und die Versicherung ewiger Liebe nahm ich hinweg mit mir – in meinem Herzen.«

Der Zuhörende nickte, rieb sich vergnügt die Hände und dann – zog er den Mund schief.

»So romantisch ging es bei meiner Expedition nicht zu,« sprach er, »obgleich etwas Schauerpoesie mit eingelaufen ist. – Du hast mir von der Base Wenkbach erzählt und auch von anderer Seite her mußte ich viel vernehmen, was meine Lust, derselben eins anzuhängen, stachelte, während du St. Nikolaus bei der Auserwählten spieltest, erkor ich mir die gleiche Rolle bei der alten Jungfer und – habe sie, im Namen des Neffen Kanzlisten, lederweich geprügelt!«

»Das hast du schlimm gemacht!« rief Rudolf erschrocken aus.

»Im Gegenteil,« lachte der Student, »sehr gut. Tante und Neffe haben zugleich ihre Prügel und damit sie mir das tragische Ereignis nicht vertuschen können, hat meine Feder etwelche darauf bezügliche Reimlein zu Papier gebracht, das ich der feindseligen Jungfer Nachbarin an die Haustür gehängt habe.«

Der Zuhörende schüttelte mißbilligend den Kopf. Er blieb dabei, daß dieser Streich, obgleich von seinem Freunde gut gemeint, seiner Herzensangelegenheit nur schaden werde.

»Ei was,« rief Adalbert, »kann ja doch niemand den Schleier des Geheimnisses durchdringen, und nützt die Sache dir auch nicht, so war doch heute morgen in der Bendergasse ein Mordsskandal, an dem ich meine Freude hatte.«

Für Rudolf war jetzt die Zeit, wo er sein Kontor besuchen mußte, herangekommen. Mit bangen Ahnungen erfüllt, verließ er das Haus. Die lustigen Reden seines Freundes vermochten ihm keine Sonnenblicke zu zaubern.

Unterdessen er auf dem Kontor saß und schrieb, hatte der Vater Reinhart seine gestrige Zusage der Anwerbung bei dem Nachbar Haarwachs nicht vergessen. Indem er über die gelegenste Zeit hierzu nachdachte und dabei aus seinem Werkstattfenster hinaussah, ging der Metzgermeister über das Plätzchen in seine Wohnung, in welcher er schnell etwas holen wollte.

»Frische Eier, gute Eier!« dachte Reinhart. »Was braucht es langer Umstände und langen Putzes? – Er ein Metzger, du ein Schuster, beide in eueren Handwerkskleidern – ich springe hinüber!«

Gesagt, getan. Mit wenigen Schritten war er bei Haarwachs in der Stube, der ihm mit einer Mischung von erzwungener kalter Höflichkeit, Verlegenheit und Verachtung entgegensah.

Mit ungezwungener Herzlichkeit, wie sie ihm eigen war, entschuldigte Reinhart seinen Frühbesuch.

»Ich habe,« sprach er in biderbem Ton, »lieber Nachbar, gegen Ihn etwas auf dem Herzen. Mein Rudolf, ein schmucker junger Mann – nun, Er kennt ihn ja und auch meine Verhältnisse – hat Seine Kunigunde gern und da dächte ich, wir beiden Alten gäben die jungen Leute zusammen.«

Erschrocken über diese kurz angebrachte Werbung ging Haarwachs erst einige Schritte rückwärts, dann zog er den Kopf schief und betrachtete sich den freimütigen Schuster mit vor innerer Aufregung schielenden Augen.

»Wird sich nicht sobald tun lassen,« stotterte er endlich.

»Warum denn nicht?« fiel Reinhart unbefangen ein. »Wir leben ja in gleichen Verhältnissen. – Er sein Haus, ich – auch eines.«

»Seine miserable Baracke,« versetzte Haarwachs unter Nasenrümpfen.

»So neu, wie seines,« antwortete der Schuster ein wenig empfindlich, »ist es freilich nicht. Aber es haben in meinem Hause auch schon reiche Leute gewohnt.«

Haarwachs zuckte verächtlich die Achseln.

»Was?« fuhr Reinhart auf. »Zur Zeit, wie der Kurfürst von Sachsen Frankfurt belagerte, das war im Jahre 1552, da wohnte in meinem Hause eine steinreiche alte Jungfer. Ich habe das aus einer alten Hauschronik ersehen, welche ich unter einer Dachsparre meines Hauses gefunden habe. Da steht namentlich drin geschrieben, daß diese damalige Hausbesitzerin, deren Namen und Herkunft aber kein Mensch mehr kennt, für ihre viele Tausend Gold- und Silberstücke große Angst gehabt, weil sie geglaubt, daß die Belagerer bei Erstürmung der Stadt plündern und rauben würden –«

»Was geht mich diese ganze einfältige Geschichte an« unterbrach ihn der wieder Fassung gewinnende Metzger.

»Ich erzähle keine einfältigen Geschichten,« fiel Reinhart gereizt ein. »Hier handelt es sich um Geld und Geldeswert, und das sollte ein Batzenhüter am ersten begreifen!«

»Vielleicht besser,« war die spitze Antwort, »als einer, der seiner Gurgel keine Stiefmutter ist!«

»Ach, spricht Er davon, lieber Nachbar?« entgegnete der Schuster mit spöttischem und verächtlichem Lächeln. »Dann hat Er ganz Unrecht. Die Freude muß man genießen, wo man sie findet und zwar ganz, nicht geteilt. Mir geht es dabei, wie mit einem Glase Wein, das mir schmeckt. Da trinke ich bis auf die Nagelprobe. »Heraus mit dem Tröpfchen!« ist da mein Grundsatz, bei welchem ich mich wohl befinde, jedenfalls besser als Er, der nicht den Mut hat, sich satt zu essen.«

»Ein nüchterner Lebenswandel,« antwortete Haarwachs, indem er den Schuster mit stechenden Augen maß, »schützt wenigstens vor arglistigen Streichen. Ich habe in meinem ganzen Leben noch niemals Leute mißhandelt, viel weniger ihnen Pasquillen an die Haustür gehängt.«

Betreten fuhr Reinhart zurück, dann wurde sein ohnehin gerötetes Gesicht noch röter und seine Stirnadern begannen zu schwellen.

»Was will Er denn eigentlich damit sagen,« sprach er, mühsam sich haltend, »Er – Er – Meister Dürrhammel?«

»Daß ich keine Gemeinschaft mit denen will,« erwiderte der Gefragte scharf betonend, »von denen David sagt, daß sie mit ihrer Zunge verleumden, dem Nächsten Arges tun und ihn schmähen.«

»Er ist ein – Narr!« platzte jetzt der Schuster los. »weder von Ihm noch von seiner Tochter will ich mehr etwas wissen. Kommt mir mein Sohn noch einmal mit solchen verrückten Heiratsgedanken, so soll ihn das –«

Er lief fluchend und weiternd zur Tür hinaus und Haarwachs sandte ihm eine ganze Flut von Bibelsprüchen nach.

Wie Rudolf am Mittag nach Hause gekommen und die frugale Tafel beendigt war, verkündete ihm der Vater in bestimmtem Tone, daß er sich aller Gedanken an die Tochter des verrückten Metzgers enthalten solle. Er, der Vater, werde nie zu dieser Verbindung die Einwilligung geben.

Ein gleicher Bannspruch war auch an Kunigunden von seiten deren Vaters ergangen und traurig blickten die jungen Liebesleutchen aus ihren Fenstern hinüber und herüber.

Die Absicht des Schusters war gut; aber der Verlauf hatte sich schlimm gestaltet.


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