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Eine Neujahrsnacht

Die Woche zwischen Weihnachten und Neujahr verging. Rudolf und Kunigunde sahen zuweilen einander am Fenster und – hofften. Tante Wenkbach und der Kanzlist, vorzüglich dieser, sannen über die beabsichtigte Entfernung des Nebenbuhlers nach und hofften ebenfalls und Vater Reinhart, von dem günstigen Erfolge seines Planes überzeugt, war nicht weniger von Hoffnung erfüllt. Nur der alte Metzger, welcher viel mit Geld zu schaffen hatte, hielt sich nicht an die Zukunft, sondern an die Gegenwart. Er war insofern gleichen Sinnes mit dem Studenten, nur, daß diesem andere Beweggründe unterlagen.

So kam der Silvestertag heran, und am Nachmittage brachte ein unbekannter Bote Rudolf auf sein Kontor ein Billettchen des Inhaltes, daß ihn ein alter Freund zur Abendzeit in einem deutlich bezeichneten Hause am Holzpförtchen erwarte. Der Freund reise frühmorgens wieder ab, das Geschäft sei dringend, aber kurz abgetan. Er solle nicht fehlen, da es sein Glück anginge. Das rätselhafte Schreiben war mit »Marquard« unterzeichnet.

Rudolf las verwundert das Briefchen durch und beschloß, obgleich er die Dinge nicht recht reimen konnte, da der bestimmte Ort der Zusammenkunft in der Nähe seines Kontors lag, der Aufforderung Folge zu geben. Sein Vater hatte zwar Anstalten getroffen, um die Neujahrsnacht herkömmlicherweise feierlich zu begehen; indessen bis dahin mußte ja alles längst abgetan sein, und so blieb er bei seinem Vorsatze.

Ehe er sich jedoch an das Holzpförtchen verfügte, begab er sich nochmals in die väterliche Wohnung, wo Freund Adalbert, von unklarem, innerem Drange hergeführt, ihn schon längere Zeit erwartete.

Rudolf erzählte ihm von dem Briefe, und der Student spitzte gewaltig die Ohren, machte die Augen weit auf und zog die Stirne in dichte Falten.

»Überlasse mir den Brief,« sprach er dann mit ernstem Blick, »und zugleich die Rolle des Erscheinens in dem fraglichen Hause.«

Er betonte das Wort »fraglich« in solch eigentümlicher weise, daß es Rudolf ganz unheimlich wurde.

»Sollte man doch beinahe meinen,« entgegnete dieser besorgt, »daß mir Gefahr drohe.«

»Wer mutig und klug durch die stürmischen Wellen steuert,« war des Freundes trockene Erwiderung, »gelangt bisweilen zu einer Goldküste. Freilich muß dann das Steuer in fester Hand sein und diese, lieber Rudolf, hast du nun einmal nicht. Darum gib, bleibe zu Hause und laß mich gewähren.«

»Aber so erkläre doch nur –«

»Nicht im mindesten. Ist es getan, sollst du alles erfahren.«

»Du kommst aber doch zu unserer Neujahrsfeier?«

»Dein Vater hat mich eingeladen,« lachte Adalbert, »und so etwas versäumt ein lustiger Bursche nicht.«

Rudolf reichte ihm das Briefchen; er schnallte seinen Haudegen um, hüllte sich in seinen Mantel, drückte den Dreispitz auf die Locken und polterte zum Hause hinaus.

Mittlerweile war es abends neun Uhr geworden, und die Glocken der Stadt verkündeten laut dröhnend diese Stunde. In dem Hause des Schusters ward es jetzt lebendig. Mehrere befreundete Meister mit ihren Ehehälften kamen und sonst noch etliche Nachbarn beiderlei Geschlechts, die Reinhart zum festlichen Begehen der Neujahrsnacht zu sich geladen hatte. Auch die Schuhknechte und der Lehrjunge durften nicht fehlen. Sie sollten, während die geladenen Bürgersleute in dem oberen Stockwerke sich vergnügten, bei gleicher körperlicher Nahrung wie die Höheren, in der Werkstatt und der Lederkammer sich erlustigen, wozu ihnen der Meister sogar gestattete, noch einige benachbarte Schreinergesellen, ihre Freunde, einzuladen.

Meister Reinhart hatte bei Veranstaltung alles dessen gar absonderliche Ideen.

Einmal gedachte er mit dieser Neujahrsfeier ein Siegesfest wegen des gewonnenen Prozesses zu verbinden, wobei sie alle so laut schreien wollten, daß es der benachbarten alten Jungfer in die Ohren gellen und sie darob vor Ärger zerbersten sollte. Zum andern aber gedachte er an diesem Abend in die Wohnung des Haarwachs zu schleichen und dessen holdseliges Töchterlein zu vermögen, an seiner Feier Anteil zu nehmen, was alsdann seinem Sohne nicht allein zu großer Freude gereichen, sondern auch noch weitere günstige und ersprießliche Folgen haben müßte.

Wie er dieses letztere ins Werk setzen wollte, darüber war er mit sich selbst noch nicht im Reinen. Indessen er gedachte dem Augenblicke auch etwas übrig zu lassen und seinem guten Sterne zu vertrauen.

Die Zeit lief unterdessen nach gewohnter Weise vorwärts und reichlicher Wein, sowie Kuchen und etwas kalte Küche versetzten die Gäste im Reinhartschen Hause in behagliche, und später sogar in eine ausgelassene Stimmung. Reimsprüche des Schusters erklangen und die ganze Gesellschaft rief dermaßen ihr Hoch, daß es wirklich Jungfer Wenkbach, wenn sie anders nicht harthörig war, vernehmen mußte.

Die im unteren Stockwerk tafelnde Gesellschaft begann den seither sich auferlegten Zwang abzuschütteln, erst zu singen, dann aber übliche lustige Handwerksbräuche aufzuführen.

»Hört einmal,« rief der eine Schreinergesell, »wir wollen einmal einen »Hobelkönig« aufführen und da euer Lehrjunge Balser muß diese Majestät vorstellen.«

Die übrigen Anwesenden jubelten ihren Beifall, und der Lehrjunge fühlte sich ob der ihm zugedachten Ehre sehr geschmeichelt.

Alsbald lief der diese Festlichkeit Beantragende fort in seine benachbarte Werkstätte und kam bald darauf mit einem großen Korbe voll Hobelspäne wieder.

Diese wurden nun dem Lehrjungen in schöner Ordnung auf den Kopf geheftet, daß sie wie eine Lockenperücke auf den Rücken niederwallten, dann ihm eine papierne Krone aufs Haupt gesetzt und nach und nach der ganze Körper so voll Hobelspäne gehängt, daß sich der Junge am Ende wie ein zottiges Tier ausnahm, um so mehr, als ihm die Gesellen auch noch das Gesicht mit Mehl bestreuten und mit gebrannten Stoffen schwarze Furchen hineinmalten.

Nachdem diese Zurichtungen unter ungeheurem Gelächter vollbracht waren, setzten die Gesellen einen Stuhl auf den Tisch und ließen ihren geschaffenen König darauf Platz nehmen, wonächst sie, indem zwei von ihnen an der Seite des Gefeierten Lichter emporhielten, ein Lied sangen und der Lehrjunge tüchtig trinken mußte.

Balser ließ sich zuerst nicht faul finden, als ihm aber doch zu arg zugesetzt wurde, versuchte er anfangs Einwendungen zu machen, dann seinem Throne zu entfliehen. Die Gesellen aber, nicht gewillt, ihrem Vergnügen sobald zu entsagen, hielten ihn fest, zerrten ihn hin und her und so kam Balser mit den Lichtern in Berührung, die plötzlich die Hobelspäne entzündeten und flammend emporloderten.

Verzweifelt riß der Lehrjunge die Hobelspäne vom Kopfe und rannte, nicht wissend, was er tat, in die Lederkammer, die Gesellen aber hinter ihm her und es gelang ihnen, obwohl mit arg verbrannten Händen, dem Unglücklichen die lodernden Späne abzustreifen und ihn vom sicheren Tode zu erretten.

Während sie nun in der Werkstätte bemüht waren, dem Lehrjungen die nicht bedeutenden Brandwunden mit Öl zu bestreichen und dieser wieder frei aufatmete, drang auf einmal dichter Rauch aus der Lederkammer. Schnell rissen sie die dorthin führende Tür auf; da wirbelte schwarzer Qualm, mit knisternden Funken vermischt, ihnen entgegen und gleich darauf züngelte dunkelrotes Feuer hervor. Ein dort stehendes Bett, das Lager des Lehrjungen, stand in vollen Flammen.

Unterdessen aber die Gäste im Schusterhause sich einfanden und es allda lustig zuging, hatte Student Adalbert seine Schritte nach dem Holzpförtchen gelenkt. Ihm war das Gerücht nicht unbekannt, daß Falschwerber und sogenannte Seelenverkäufer ihr Unwesen dort treiben sollten, und der Verdacht stieg daher in ihm auf, daß es hier auf seinen treuen Freund abgesehen wäre, wobei gewisse Leute die Hände im Spiele haben könnten. Diese auf eklatante Weise zu entlarven und vielleicht das ganze gefährliche Nest zu zerstören, war für seinen ritterlichen Sinn und frischen Jugendmut jetzt ein zu schöner Traum, als daß er den ihm aufsteigenden Lockungen hätte widerstehen können.

Er ging also an das Holzpförtchen, fand das bezeichnete Haus und klopfte; es wurde ihm aufgetan und nicht lange, so befand er sich im Erdgeschosse bei einer fröhlich zechenden Gesellschaft.

Adalbert hatte sich gleichfalls Wein reichen lassen. Indem sein Auge prüfend die Gesellschaft überlief, und er in derselben Niederländer Schiffer zu erkennen glaubte, trat einer zu ihm heran, bot ihm ein Glas von ihrem Weine an und begann in freundlichem gewandtem Tone so von hinten herum an ihm über die Ursache seiner Anwesenheit in dieser abgelegenen Winkelwirtschaft zu forschen.

Der Gefragte, um über seine Stellung allda klar zu werden, verhehlte nicht die erhaltene Einladung, indem er sich selbst als den anher Beschiedenen vermuten ließ, und alsbald nahm der Forschende eine noch weit freundlichere und einnehmendere Miene an, indem er Adalbert als einen langjährigen Freund und biederen Genossen seinen Gesellschaftern vorstellte.

Der Student wußte nicht, wie ihm geschah und einige zugeflüsterte rätselhafte Worte dienten nur dazu, ihm die ganze Situation für den Augenblick noch unklarer zu machen.

Indessen bestätigte gerade diese Dunkelheit seinen Verdacht, daß es sich hier um Ausführung eines gegen Rudolf ausgesonnenen Bubenstücks handle und er beschloß, vollkommen auf seiner Hut zu sein, um einesteils den beabsichtigten schlechten Streich zu vereiteln, andernteils aber und hauptsächlich, um den geahnten Urheber zu entdecken und vor aller Welt zu entlarven.

Seine Reden ergingen sich daher in diesem Sinne, indem er einen gewissen Unmut über seine Verhältnisse und den Wunsch, solche durch irgendein gewagtes Unternehmen zu verbessern, laut werden ließ.

»Das kann Er, junger Freund,« versetzte der Fremde mit unbefangenem Tone, »gar leicht fertig bringen. Wie ich an seinem Seitengewehre da wahrnehme, ist Er des Gänsekiels und der Elle schon überdrüssig.«

»Wer sagt Ihm das?« antwortete Adalbert auflauernd.

»Je nun,« war die lächelnde Antwort, »man hat auch seine Leute, die – indessen, Mut, junger Mann, eine glänzende Laufbahn tut sich vor Ihm auf. Trinke Er – auf eine glückliche Zukunft!«

Er reichte ihm ein neues Glas dar und Adalbert trank, zwar nur sehr wenig, allein der Wein war so würzig und hatte einen solchen lieblichen, verführerischen Geschmack, daß der Trinkende nicht umhin konnte, das duftende Römerglas noch einmal an seine Lippen zu bringen und den wie Nektar schmeckenden Trank über die Zunge laufen zu lassen.

»Donnerwetter,« rief er jetzt, »wo habt ihr die köstliche Blume her?«

»Vom Vorgebirge der guten Hoffnung,« entgegnete der Gefragte leicht hinwerfend. »Es ist Kap Konstantia-Wein, und von dem kann Er an der Quelle trinken, so viel Er will, wenn Er nämlich kein Hasenfuß ist.«

Adalbert wurde hitzig, der Fremde schenkte ihm ein, der junge Mann trank und nicht lange, so war ihm, als ob die enge Stube sich mit Nebel fülle und alle Anwesenden in unklaren Umrissen darin umherschwebten.

Der Fremde lächelte triumphierend.

»Ist er eingeschlafen,« flüsterte er seinen Genossen zu, »so bringt ihn in die Kammer und morgen mit dem frühesten, wenn die Wassertore geöffnet werden, tragt ihr ihn, wie einen Warenballen, in unser an dem Kranen liegendes Schiff, wo schon die andern in der Kajüte stecken. Um neun Uhr fahren wir ab. Die Expedition wird sich diesmal lohnen.«

Adalbert sank betäubt hinter einen Tisch, und eben wollten ihn die unheimlichen Zecher aufheben und in die verhängnisvolle Kammer schleppen, als auf der Straße der Ruf »Feuer!« erschallte und gleich darauf starke Schläge wider das nebenanliegende Holzpförtchen erdröhnten.

»Aufgemacht!« rief es von vielen Stimmen in der engen Straße. »Aufgemacht! Wasser! Wasser! – Feuer!«

»Eilt euch!« flüsterte der in der Stube Befehlende. wie jedoch die also Angegangenen der Aufforderung Folge leisten und den besinnungslosen Studenten zur Tür hinaustragen wollten, stürmten auf einmal bewaffnete Bürgeroffiziere mit mehreren Bürgern in die Stube und rissen die nach dem Mainufer gehenden vergitterten Fenster auf.

»Wache! Wache!« schrien sie nach dem dicht an der Wohnung stehenden Wachthause hin, »aufgemacht, damit wir zu dem Maine gelangen können. Hinter der Bendergasse ist Feuer ausgebrochen. Geschwind! – Geschwind!«

Der dort befehlende Offizier, der für den Notfall einen Schlüssel zum Holzpförtchen hatte – alle übrigen Schlüssel zu den sonstigen Wasser- und Landtoren wurden zur Nachtzeit dem älteren Herrn Bürgermeister überliefert –, hörte noch zuvörderst auf den Pfarrtürmer. Als er jedoch denselben blasen und die Sturmglocke anziehen hörte, öffnete er die Pforte, worauf die Bürger mit Fässern und Eimern nach dem Strome eilten.

Einigen der in die Zechstube Gedrungenen war jedoch der junge Mann aufgefallen, den man eben fortschaffen wollte und der jetzt besinnungslos in einem Winkel lag. Es mochte ihnen wohl auch eine gewisse unheimliche Mär über diesen Schlupfwinkel zu Ohren gekommen sein, und sie betrachteten sich daher den Daliegenden, als ein vermutliches Opfer, etwas genauer.

»Straf mich!« rief ein bei ihnen sich befindender handfester Weinschröter, »ist das nicht der lustige Student des Herrn Schöffen von Stetten? – Ja, wahrhaftig, er ist es! – Nein, den lasse ich nicht hier. Der Herr Schöffe hat mir zu meinem Dienste verholfen und da helfe ich seinem Sohne jetzt auch. – pack einmal an, Schartenmaul,« herrschte er einen seiner Begleiter an. »Wir liefern ihn nach Hause, verdammt, wenn wir nicht ein gutes Trinkgeld kriegen!«

Die Fremden wollten zwar Einwendungen machen; allein die Bürger ließen sich nicht irre machen.

»Wir wissen,« riefen sie, »was in dem Falle, wo einem etwas Menschliches passiert, zu tun ist. Der junge Herr muß heim in sein Bett!«

Und so faßten sie Adalbert und trugen ihn zu dem Hause hinaus. Der Fremde jedoch verwünschte Feuer und Feuerlärm.

In dem Hause des Schusters Reinhart aber hatte mittlerweile das durch den Hobelkönig veranlaßte Feuer wirklich um sich gegriffen, so daß Lederkammer und ein Teil der Werkstätte brannten und der Feuerlärm in aller Form sich entwickelte.

Bei der Neujahrsnacht war noch alles auf den Beinen und die Hilfe daher schleunigst zur Hand. Doch waren die Herzueilenden um so mehr vom Rettungseifer erfüllt, als die Feier der Nacht manchen mit Getränk begeistert hatte, bei andern aber die entsetzliche Feuersbrunst des verflossenen Jahres, die einen großen Teil der Stadt verheerte, noch in grausem Andenken stand und hier in der engen Straße gleiches Unheil zu befürchten war.

Mit wildem Eifer wurden daher die Spritzen bedient, die das Haus in allen Teilen mit einer Sündflut überschwemmten, und die Zimmerleute schlugen mit ihren Äxten unbarmherzig alles zusammen, was da brannte und auch nicht brannte.

Hierdurch war man des drohenden Elementes bald Meister und Reinhart mit seiner Familie und eingeladenen Gästen, die den oberen Stock wegen der drohenden Flamme nicht verlassen konnten und deshalb wahrhafte Todesangst ausgehalten halten, durften wieder frei atmen und sich auf der beschädigten Treppe herabbegeben.

Die ebenfalls zu der Feuersbrunst gekommenen Bürgermeister stellten nun Bürger als Wache dort auf; mehrere Spritzen mußten mit Wasser geladen an der Brandstelle bleiben, und so verlief sich am Ende die herbeigeströmte Menge, um die Neujahrsnacht weiter zu feiern.

Reinhart aber und Familie saßen zerschlagen in ihrer Stube. Kuchen, Wein und kalter Braten standen zwar noch auf dem Tische, allein – es wollte niemand etwas genießen. Das war eine entsetzliche Neujahrsnacht.


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