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Sturmvögel

Was Adalbert durch den Gesang Rudolfs beabsichtigt hatte, war wirklich in Erfüllung gegangen. Kunigunde hatte neuen Mut gefaßt und mit ihm erwachte die in der Brust erstorbene Hoffnung. Sie wagte, dem Vater neuerdings zu widersprechen und dieser, als er seine Tochter den Anmutungen gegenüber also gerüstet sah, vermochte nicht, sich zu einer energischen Handlung zu erheben.

So war hier wieder Zeit gewonnen, was jedoch für die Existenz des bedrohten Nachbarhauses nicht ebenfalls ins Leben treten wollte.

Schuster Reinhart mußte eben zum Schneider Zeller und als der Abend graute, hatte der alte »Engel« schon keine Kopfbedeckung mehr. Schien es doch, als ob mit der Vernichtung des bisherigen friedlichen Asyls ganz besondere Eile vonnöten sei; denn schon in der ersten Frühe des nächsten Morgens erschallten die Axtschläge der fleißigen Zimmerleute, die dem geflügelten Wesen eine Rippe um die andere ablösten, also daß gegen Mittag das Licht des Himmels schon in dessen tiefsten Eingeweide leuchtete.

Mit Schmerz sah Reinhart dem Zerstörungswerke zu und mit hämischer Freude die nachbarliche alte Jungfer, indem sie jedoch ihr zum Fenster herauslugendes Angesicht – weil vielleicht in ihrem Innern eine Stimme wach geworden sein mochte – hinter den Vorhängen verbarg.

In ihrem schadenfrohen und doch wieder von leisem Mitleid und Bedauern durchwehten Beschauungen wurde sie durch Anklopfen an die Stubentür erschreckt. Sie wollte, da ihr Anzug noch nicht völlig geordnet war, in die Nebenstube entfliehen. Ehe sie es aber ausführen konnte, war auch der Ankömmling, Neffe Schwärzlich, schon inmitten des Gemachs.

»Bitte um Entschuldigung, liebe Tante,« flüsterte er unter herkömmlichem Handkusse, »daß ich so frühe und noch vor Beginn meiner Kanzleistunde mir die Freiheit nehme. Allein die Sachlage mag die Verteidigung meiner Unbescheidenheit übernehmen.«

Die so Geschmeichelte verzieh ihm so gerne und der anscheinend jetzt erst Mut Gewinnende fuhr fort:

»Das verwünschte Haus liegt jetzt bald ganz in Trümmern, und der poesiereiche Schuster kann ihm jetzt ein Leichenkarmen fertigen.«

»Schön gesagt, lieber Neffe,« lächelte die alte Jungfer, indem sie, durch diese Worte wieder stolz und siegesfreudig gemacht, beifällig nickte.

»Der epigrammatische Fußbekleider,« bemerkte der Kanzlist unter spöttischem Naserümpfen, »ist jetzt windelweich. Nun können wir ihn kneten und formen, ganz nach unserm Wohlgefallen.«

»Knete nur immerzu, lieber Junge,« fiel die Wenkbach unter zunehmendem Wohlgefallen ein, »damit er mir nicht mehr solche Schandzettel an die Haustür hängen kann.«

»Jetzt tritt der Augenblick ein«, sprach Schwärzlich weiter, indem er jedoch mit zugekniffenen Augen die Tante lauernd beobachtete, »wo meine mir überaus teure Beschützerin die schönste Rache üben und auf das Haupt des Feindes feurige Kohlen sammeln kann.«

Die mitleidige Stimmung gegen den Schuster regte sich wieder und es ward ihr warm, gleichsam wohl um das Herz. Doch begriff sie den Redenden nicht ganz.

»Wie ist dies zu verstehen?« fragte sie daher unter Kopfschütteln.

»Wie ich schon früher angedeutet habe,« sprach der Gefragte mit Glätte, »muß der überlästige Schusterssohn fort. Dem Alten geschieht damit der härteste Schlag und wir erhalten freies Feld.«

»Gut, gut,« lächelte die Tante, indessen immer noch nicht klüger als zuvor, »du bist ein feiner Schlaukopf. Doch wie machen wir das?«

»Reinhart,« war die leicht hingeworfene Antwort, »braucht zum Wiederaufbau seines Hauses Geld, was er nirgends erhalten kann. Sie, verehrte Tante, muß es geben!«

»Der Himmel soll mich bewahren!« rief die Angeredete schaudernd aus. Der Geldpunkt war etwas empfindlicher Natur, und hier sollte nun gar der Feind unterstützt werden.

»Nicht direkt,« fuhr Schwärzlich mit schmeichelnder Geberde fort, »aber so hinten herum, so daß die Milde meiner heißgeliebten Tante eigentlich mir zugute kommt.«

»Dir?« entgegnete die also Angegangene, indem sie besänftigt das Haupt neigte, »ja freilich, dann ist es etwas anderes. Nun laß einmal hören.«

»Von dem hier seßhaften Niederländer Handlungshause van der Tuylen,« sprach Schwärzlich nun, »habe ich erfahren, daß ein Amsterdamer Haus auf hiesigem Platze einen Handlungsdiener sucht, der mit den Handelsverhältnissen im inneren Deutschland gut vertraut ist, Warenkenntnisse besitzt und in deutscher und französischer Sprache zu korrespondieren vermag. Derselbe soll dann nach Batavia gesandt werden und dort eine sehr gute, viel Geld einbringende Anstellung erhalten.«

»Aha!« lächelte die begierig Aufhorchende. »Ich verstehe!«

»Es käme jetzt nur darauf an,« fuhr Schwärzlich pfiffig blinzelnd fort, »dem jungen Reinhart, der die gesuchten Eigenschaften alle in sich vereinigt, die angebotene Stelle so verlockend zu machen, daß er sie, ohne die gröbste Undankbarkeit gegen seinen bedrängten Vater zu begehen, gar nicht ausschlagen kann. Dies aber ist leicht zu bewerkstelligen, wenn meine geliebte Tante für die Wohlfahrt und das Glück ihres treu ergebenen Neffen ein Sümmchen, etwa tausend Reichstälerchen, opfern will.«

»Viel Geld,« war die unter plötzlichem Stirnrunzeln gegebene Antwort. »Da wirst du mir in der Tat ein teurer Neffe!«

Dieser schmeichelte und bat, und die Tante ließ sich am Ende bereitwillig finden, indem sie sich jedoch Geheimhaltung vorbehielt.

»Durch einen vertrauten Makler,« bemerkte der Kanzlist, »der das ganze Geschäft in der Hand hat, besorge ich alles. In vierzehn Tagen ist der unbequeme Schustersohn fort und in zwei Jahren – noch selten hat einer in dem mörderischen Klima Batavias es weiter gebracht – deckt ihn die Erde und dies ist alles,« setzte er dann mit heuchlerischem Blicke nach oben hinzu, »nur durch Wohltaten, die meine liebe Tante einem armen, hart bedrängten Schuster geleistet hat. Vorteil auf Erden und Lohn im Himmel!«

Die alte Jungfer, deren Gewissen durch diese gleisnerischen Reden beruhigt wurde, hob ihre Blicke ebenfalls fromm in die Höhe und dankte mit plötzlich gottesfürchtiger Miene dem klugen und gewandten Neffen.

»Wenn du das Geld brauchst,« setzte sie sanft hinzu, »kannst du es jederzeit in Empfang nehmen. Zu guten Werken muß man nicht säumig sein.«

Die Sache war demnach abgemacht, und Schwärzlich empfahl sich in gewohnter förmlicher Weise.

Sowie sich nun in diesen Regionen mit anfangs sanft rieselndem, Fruchtbarkeit verheißendem Regen ein schwarzes Wetter gegen die Liebenden aufzutürmen drohte, so stiegen auch von anderer Seite schwarze Wolken in die Höhe, die vielleicht manchem sich sicher Träumendem plötzlich Donnerknall in die Ohren zu schmettern geeignet waren.

Adalbert, durch die schmähliche Niederlage am Holzpförtchen gereizt, mehr aber noch von der Liebe zu seinem Busenfreunde Rudolf gestachelt, ruhte und rastete nicht und der Zufall – wenn man überhaupt einen annehmen darf – begünstigte seine Schritte.

Sinnend saß er eines Morgens in seiner Stube und hielt den Brief, der Rudolf an das Holzpförtchen locken sollte, in seinen Händen. Die Absicht des Schreibers war klar, die Person desselben konnte er auch recht gut vermuten; allein Gewißheit und vor allem Beweis, wer hätte ihm diese beiden verschaffen können!

Da trat sein Vater, der Schöffe von Stetten, zu ihm ins Zimmer.

»Adalbert,« sprach er, »es liegt da ein sonderbarer Rechtsfall unserem Schöffengerichte vor, worüber die Akten gegenwärtig bei den Beisitzern in Umlauf gesetzt werden. Deine juristischen Kenntnisse sind wohl soweit gediehen, daß du die Sache beurteilen kannst. Lese die Schriften einmal durch und sage mir dann deine Meinung.«

Er legte ihm ein Aktenbündel auf den Tisch und entfernte sich wieder; Adalbert aber, um den Auftrag bald zu beseitigen, begann sogleich mit seiner Arbeit. Kaum, daß er jedoch einige Blicke in die Akten geworfen, als ihm auch Form und Farbe des Papiers auffiel, auf das die gerichtlichen Ausfertigungen geschrieben waren.

Schnell holte er jetzt den unheilvollen Brief herbei, Vergleichungen anstellend und – es blieb kein Zweifel, das Papier an diesem und an den Ausfertigungen waren von ein und derselben Masse und Form. Als er nun an der Tageshelle das beiderseitige Wasserzeichen untersuchte, fand sich auf einem wie dem andern der Frankfurter Stadtadler.

Freudig erschreckt fuhr er in die Höhe. Doch es sollte noch besser kommen; denn als er jetzt einen halben, in den Akten liegenden Bogen, auf dem eine Kanzleinotiz enthalten war, zur genaueren Beurteilung dem ebenfalls auf einem halben Bogen geschriebenen Briefe an die Seite legte, paßten beide Teile mit dem Wasserzeichen auf das genaueste aneinander und zwar dergestalt, als ein beim Schöpfen des Papiers entstandener Fleck scharf bekundete, wie beide Teile früher zu einem und demselben Bogen gehört hatten.

Ihm war zur Genüge bekannt, daß die Schöffenkanzlei eigens für sie gefertigtes Papier gebrauchte. Kein Zweifel daher, der seelenverkäuferische Brief komme von jemanden, der mit dieser Gerichtsstube in naher Verbindung stehe, und zwar unter vorliegenden Umständen von dem ihm ohnehin verdächtigen Kanzlisten Schwärzlich.

Mit scharf prüfendem Auge untersuchte er jetzt die Handschriften. Allein die des Briefes war offenbar verstellt, nur in einigen Buchstaben fand sich Ähnlichkeit mit der Kanzleinotiz, die Zeichen über dem Buchstaben U und die Punkte in beiden Schriftstücken rührten indessen unbezweifelt von der nämlichen Hand her.

Der Gedanke, wie und auf welche Weise er diese Entdeckungen zum Besten seines Freundes gebrauchen könne, beschäftigte ihn jetzt ohne Unterlaß und trug sich mit ihm herum, wo er auch hinwandelte.

Da kam am nächsten Morgen ein Weinschröter vom Mainufer, ein Sachsenhäuser, auf seine Stube. Der untersetzte, ältliche Mann mit seinen grauen Haaren und rötlichem, jedoch vom Wetter gebräunten Gesichte grüßte treuherzig und bemerkte dann mit schlauer Miene, daß er dem Herrn Junker etwas vertrauen wolle.

Adalbert, der seine Leute kannte, antwortete in leutseliger, ermunternder Weise, wonächst der Sachsenhäuser geheimnisvoll und mit gedämpfter Stimme erzählte:

»Er weiß ja, junger Herr, oder Er weiß es vielleicht auch nicht, daß wir Ihn in der Neujahrsnacht da am Holzpförtchen in dem verdächtigen Hause gefunden und nach Hause geschafft haben.«

»Ach, Er ist es, ehrlicher Alter,« fiel der Angeredete ein, »der mir diesen Liebesdienst erwiesen hat. Mir sehr erfreulich, daß ich Ihm jetzt den Zoll meiner Dankbarkeit –«

»Ach, Papperlapapp!« unterbrach ihn der Alte, gutmütig den Kopf schüttelnd. »Im Gegenteil, ich bin der Familie des Herrn Schöffen von Stetten noch Dank schuldig, wovon ich durch meine jetzige Mitteilung einen kleinen Teil abzutragen gedenke.«

»Nun so rede Er,« drängte Adalbert, indem er neugierig dem Alten nähertrat.

»Sieh Er,« fuhr jetzt dieser weiter fort, »wir Leute am Wasser wissen recht gut, was in dieser Mördergrube am Holzpförtchen vorgeht, obgleich wir keinen Beweis darüber erbringen können, übrigens auch die dort Angeworbenen lauter freiwillige, gar keine gezwungenen sind.«

»Weiter! Weiter!« bat der Junker.

»Da kam,« sprach sofort der Weinschröter, »in der Abenddämmerung vor dem Neujahrstage aus jener verdächtigen Spelunke ein Mann heraus, dem ein Mantel und eine Pelzmütze Gestalt und Gesicht durchaus verhüllten. Der Unbekannte trat zu mir heran, fragte mich, ob ich ein Kopfstück verdienen wollte und als ich mich natürlich dazu bereit erklärte, gab er mir eins und einen Brief, den ich hinüber in die Buchgasse auf ein Kaufmannskontor tragen sollte. Der Mann verschwand in dem Dunkel der Karpfengasse; ich aber hielt aus Neugierde den Brief an das Licht, das aus dem Hausgange der Herberge Zur Kanne leuchtete und da sah ich denn, daß dieses Schreiben an den Handlungsdiener Rudolf Reinhart gerichtet war, den ich, sowie auch seinen Vater recht gut kenne. Da wir nun einige Zeit hernach Ihn, lieber Junker, in jener verdächtigen Höhle ganz »betaumelt« fanden und da Er, wie ich ja recht gut weiß, ein Spezialfreund von dem jungen Reinhart ist, so meinte ich eben, das Ding könnte wie eine Brunnenkette aneinander hängen und es dürfte Ihm lieb sein, wenn ich Ihm das so alles erzählte.«

»Das ist es auch,« rief der Zuhörende freudig aus, indem er dem Erzählenden dankbar die Hand schüttelte. »Doch will Er seinem schönen Werke die Krone aufsetzen, so laß Er mich auch wissen, wer jener Briefgeber gewesen ist.«

Der Angeredete zog den Kopf auf die Seite, die Mundwinkel herum und blickte bedauernd in die Höhe.

»Ja, lieber Herr,« sprach er, »mit Gewißheit kann ich das nicht sagen, denn der Mann hatte sich vermummelt wie ein Nikelos. Aber ich war einmal auf dem Schöffengericht, wo ich als Vormund verpflichtet wurde; da gewahrte ich einen in der Vorstube hinter einem hölzernen Gitter sitzen, der dem Briefmanne ganz ähnlich sah.«

»Ihr meint also –?« nahm Adalbert rasch das Wort.

»Meine Augen sind gut und scharf,« fuhr der Alte fort, »und so sehr sich auch der Briefgeber zu verbergen suchte, so habe ich ihn doch fest aufs Korn genommen. Darum glaube ich, behaupten zu können, daß kein anderer Mensch, als der Schreiber auf dem Schöffengericht mir den bewußten Brief eingehändigt hat, obgleich ein Beweis darüber in meinen Händen nicht vorhanden ist.«

»Er kann aber doch,« versetzte Adalbert, »seine jetzige Angabe nötigenfalls mit einem Eide bestätigen?«

»Jeden Augenblick,« sprach der Gefragte mit feierlicher Stimme, indem er die ausgestreckten Finger zum Himmel hob.

Adalbert bedankte sich nun in den freundlichsten Worten für diese Eröffnungen und bat den Alten, sie vor der Hand noch geheim zu halten, was er auch ernst gelobte. Als ihm jedoch der Junker eine Geldentlohnung einhändigen wollte, lehnte er diese entschieden ab.

»Was ich getan habe,« sprach er, »geschah aus Dankbarkeit und in der Absicht, ein Spitzbubennest zu verdettern; dafür nimmt kein rechtschaffener Mann eine Belohnung.«

Ohne eine Widerlegung abzuwarten, grüßte er freundlich und ging seines Weges.


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