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»Die Rockenreise«

Winterabend-Geschichten.

I.

Schön ist des Nordlands Winternacht in dem blendenden, funkelnden und glitzernden Weiß ihrer Schneehülle und Eiskristalle, in ihrem bestrickenden Zauber des traulichen Lebens am häuslichen Herde. Da finden sich die Menschen am warmen Kamin, bei des heiligen Herdes Gluten, und rufen herbei einen gemütlichen Gast: Stubenpoesie, indem sie Sage, Märchen, Lied und Schwank verweben mit der Winternachtsarbeit, die ja selbst ein Stück Poesie ist.

Während der Städter die langen »dunkeln Stunden« im Theater, im Lese- oder Konzertsaale, in Vereinsversammlungen u. dgl. verbringt, wandert der Bauer im verschneiten Waldgebirge entweder in die Dorfschenke zum schäumenden Gerstensaft, oder er versammelt an seinem Herde eine Anzahl von Bekannten, um sich bei Lied und »Geschichtenerzählen« die »Weilang« (Langeweile) zu vertreiben.

Beim hellflackernden Lichte des dürren Buchenspans wird geraucht, gescherzt und gelacht, gesponnen und gesungen, erzählt und gearbeitet bis gegen Mitternacht. Draußen brausen zuweilen die Stürme, fallen die Schneeflocken und gefrieren die Wassertropfen zu Eiszapfen – drinnen in der Bauernstube purrt das Feuer, schnurrt das Spinnrad, tönt der Gesang, waltet das häusliche Glück ...

In meines Vaters Haus, beim »Richter« geheißen, versammelten sich allwöchentlich zweimal die Dorfmädchen und die Dorfmänner, um hier die »Rockenreise abzuhalten«. Mein Großvater, ein alter, gemütlicher Waldbauer, musste dann immer das junge Völklein mit »Geister- und Rauberg'schichten« unterhalten, bis es den Mädchen »eiskalt über den Rücken lief«. Auch der alte »Korlbauer« gab seine gemütlichen Schnurren zum Besten, bis endlich beschlossen wurde, dass jeder Teilnehmer an der »Rockenreise« an einem bestimmten Abende eine Geschichte oder ein Erlebnis erzählen solle, was allerseits mit größter Freude gebilligt wurde.

Es war am Vorabend des zweiten Adventsonntags, als die »Rockenreise« in unserer »großen Stube« ihren Anfang nahm. Die Mädchen saßen mit ihren »Spinnradln« und flachsbeschwerten Rocken an den weißen Wandbänken herum und spannen lustig darauf los. Die Mutter »krampelte« die Wolle, und die »Monna« saßen auf der »Ofenbank«, pafften ihre dickbäuchigen Pfeifen und sahen vergnügt das junge Weibervolk an. Endlich sagte der »Korlbauer« zu meinem Vater: »Richter, i denk, wia fongan heut zan Dazoihn on.«

Alles jubelte diesen Worten Beifall zu. Der Korlbauer aber fuhr, stolz auf diese Anregung mit scharfer Betonung fort: »Weil Du in der Gmoa da erschte bist, so muasst a heut der erschte im Dazoihn sa. Hon i recht, Monna und Menscha?«

»Jo, da Richter soll onfonga!« erscholl es sogleich aus dreißig Kehlen. Mein Vater räusperte sich einige Male, strich sich mit der flachen Hand die Haare aus der Stirne und sah mit seinen guten blauen Augen die Gesellschaft an und begann dann folgendes wahres Erlebnis zum Besten zu geben:

»Als ich noch ein junger »Löffel« von fünfundzwanzig Jahren war, schickte mich einmal mein Vater nach Kreuzberg ins Bayerische, um Schindelnägel. Ich war damals noch ein sorgenfreier Brausewind, der nur seine Freude an Bier, Tanz, Jagd und »Scheibenschießen« hatte. Meine Alte hielt es wacker mit mir, die zwei ersten Kinder, die wir hatten, blieben der Obhut meiner Mutter anvertraut, und mein Vater sorgte für uns alle. Wir saßen bei einem Tische, wohnten unter einem Dache und schöpften aus einer Tasche. Mein Vater wollte es so haben und mir war es recht. Dass ich also zurückkomme aufs Bayerische. Es war ein wunderschöner Junimorgen. Der ganze Hochwald glänzte und leuchtete im roten Scheine der aufgehenden Sonne, der Teufelsbach plauderte mir so fröhlich seinen Morgengruß entgegen, und im Grenzwalde schlugen und flöteten die Drosseln und Amseln so süß und weich, dass es einem durch das tiefste Herz ging und dass man nicht wusste, ob man weinen oder jauchzen sollte. Und dabei war es ringsum so kirchenstill, nur die alten Buchen und Fichten rauschten leise, wahrscheinlich flüsterten sie dem lieben Herrgott ihr Morgengebet entgegen, der ja in früher Morgenstunde durch den Wald gehen soll ...

In dieser heiligen Stille wandelte ich dem Walddorfe Finsterau zu, wo ich beim »Tonzer« die erste »Maß« trank, die mir auch vortrefflich mundete. Als ich so stillvergnügt auf dem Buchenstuhle saß und mir just eine Bayerische anzündete, trat in die geräumige Wirtsstube ein riesiger »Schandarm« ein. Dieser musterte mich mit verdächtigen Blicken von Kopf bis zu den Füßen, und vorzüglich heftete er sein Auge auf meinen blautuchenen Quäcker, der mich vornehm kleidete. Jetzt setzte er sich mir gegenüber an den Tisch, ließ sich eine »Halbe« einschenken und sah mich mit durchdringenden Blicken an. Zeitweilig blinzelte er auf meinen Dolchstock hin, der im Tischwinkel lehnte, dessen Gebrauch zwar verboten war, der aber dennoch als natürliche Schutzwaffe gegen den »bayerischen Hiasl« getragen wurde, der in damaliger Zeit unsere Gegend unsicher machte.

Ich wurde jetzt »harb«, weil mich diese Landwacht gar so beleidigend fixierte. Um ihm zu zeigen, dass ich kein so von der Straße Hergelaufener sei, begehrte ich noch eine zweite Maß und warf die klingende Münze dafür stolz und nachlässig auf den Tisch, dass sie herumkugelte. Kaum aber öffnete ich meinen Geldbeutel, so erhob sich der Spion und sah mir neugierig hinein, und als er entdeckte, dass er voll blinkender Silbergroschen und alter Zwanziger war, machte er ein langes Gesicht, strich sich seinen »Schnurrer« und brummte behaglich in seinen Bart. Dann erhob er sich, zahlte seine Zeche und entfernte sich rasch, nachdem er noch bei der Türe einen vielsagenden Blick auf mich geworfen hatte.

»Glaubst mia's, Köppei« sagte jetzt der alte »Tonzer« schmunzelnd zu mir, »dea Schadam hält dich fürn boarisch'n Hiasl?«

Mir lief es eiskalt über den Rücken, denn jetzt ward mir das seltsame Gebaren dieses Menschen mit einem Male klar.

»Host Dan Reiseposs ba Dia?« fragte der Wirt jetzt wieder.

Ich musste verneinen. Mir war das völlig neu, dass man auf einmal einen Pass haben sollte, wenn man in das eine halbe Stunde von uns entfernte »Bayerische« gehen wollte. Der »Tonzer« aber machte eine sehr bedenkliche Miene, sagte dreimal »Hm, hm!« und fuchtelte mit den Händen in der Luft herum, dabei sprechend: »Hör, Köppei, do kehr um und geh schnurgrod hoam, wenn da nix Menschlichs passier'n soll. Unsa Londg'richt in da Freyung valongt von allen Roasandn den Poss zwegn des boarischen Hiasls, der iatzt gor a wengal z' keck wird und sich justament net fonga losst. A niada (jeder), dea sich net answeisn konn, wird arretiert und im Londg'richt so long einkast'lt, bis er nochweis'n konn, dass er net der Hiasl is. Dea Schandam hoit di – den Kopf wett i drauf! – fürn Hiasl, und gib ocht, Du kriagst es heut noch mit dem vafluachtn Hoisakra z'toan!« Das war verblüffend. Doch die übermütige Jugend setzt sich schnell über solche Bedenken hinweg; ich überlegte nicht lange, sondern setzte meine Wanderung frohgemut fort. Als ich hinter Heinrichsbrunn in den finsteren Wald trat, sperrte mir plötzlich die riesige Gestalt des »Schandarms« den Weg.

»Wohin?« donnerte er mir entgegen.

»Nach Kreuzberg!« lautete meine Losung.

»Woher?«

»Von Buchwald im Böhmischen!«

»Pass heraus!«

»Habe keinen –«

»Kann nicht helfen, muss arretieren!«

Jetzt wurde mir angst und bange, und in diesem Seelenzustande verlegte ich mich aufs Bitten.

»Ganz die Manier des bayerischen Hiasls«, donnerte er mich wieder an. »Lass mich aber nicht täuschen!«

»Aber ich bin ja der Köppei aus Buchwald, der Sohn des Dorfrichters ...«, hatte ich zu bemerken.

»Schweigen und vorwärts!«

Ich sah ein, dass hier nichts zu machen sei und ergab mich willig in mein Schicksal.

»Was soll der Dolchstock hier?« fragte er jetzt grob, dabei meinen Lieblingsstock an sich ziehend.

»Damit will ich den bayerischen Hiasl tot machen, wenn er sich an mich heranwagen sollte.«

»Her da!« sagte er jetzt barsch, legte mir die Ketten um die Hände und trieb mich wie einen verkauften Ochsen vor sich her. Einen Trost aber gab er mir doch in meiner verzweifelten Lage: Ich sollte also gleich freigelassen werden, sobald mich unterwegs jemand erkennen sollte. Und Bekannte hatte ich ja genug in Bayern!

So ging es nun durch die Maut in echtem Verbrecherschritt. Jedes Kind, jedes Haus glotzte ich an, ob mich denn niemand erkenne? Vergebliche Mühe! Alles gaffte mir mit aufgerissenem Munde nach und lachte über mein Schicksal. Ich wollte im Wirtshaus einkehren; der Wirt musste mich erkennen, weil ich auf seinem Tanzboden oftmals den Burschen »aufgespielt« hatte. Der »Schandarm« aber hielt das für eine der originellen Listen des bayerischen Hiasls und vermutete in der Waldschenke die getreuen Räuber »seiner Bande«, die ihm jedenfalls zur Flucht verholfen hätten.

»Unterwegs! habe ich gesagt«, brummte er mich an. Und mit seinem donnernden »Vorwärts!« trieb er mich zu erneutem Schritte an.

So erreichten wir die Zwölfhäuser. Dort lebte der »Brunngrober-Michl«, der uns im vergangenen Herbst den Brunnen gegraben hatte. Zum Glücke dengelte dieser Goldmann gerade seine Sense vor dem Hause, denn es war die Zeit des »Heugens«.

Als wir an seiner Hauswiese vorübergingen, erhob er den mit einem breiten Strohhut bedeckten Kopf und sah uns prüfend an. Dann sprang er mit dem Denglhammer in die Höhe und schrie aus Leibeskräften: »Himmel-Hoi-Sakrament! Köppei, wos host denn ongstoit, dass Du wia-r-a Vabrecha arretiert wirst?«

Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn ich ward unterwegs erkannt. Lächelnd antwortete ich: »Der Herr Schandarm da hält mich für 'n bayerischen Hiasl!«

»Oho! Beim Erzengel Michael! Herr Schandarm, dos is a erstunkene Lug; das is jo der Köppei von Buachat, a ehrlicha, ongesehana Monn! I, da Brnnngrober-Michl, setz den Kopf drauf! Den müasst's af da Stoi frei loss'n!«

Der Gendarm beeilte sich, mich der Ketten zu entledigen und sagte in verbindlichem Tone zu mir: »Ist schon gut, Sie sind frei!«

Ich aber schüttelte dem wackeren Brunnengräber die Hand, begab mich mit ihm ins Wirtshaus, wo wir einen steinernen Maßkrug leerten. Dann setzte ich meinen Weg fort und kam unbehelligt nach Kreuzberg und nach Buchwald zurück, wo ich dem lieben Herrgott herzlichst dankte dafür, dass er mich aus der großen Gefahr rettete. Mein Lebtag vergesse ich dieses Erlebnis nicht, das hiermit als meine Geschichte erzählt sein soll ...

Der Vater schwieg, alles schüttelte ernst die Köpfe und der alte Korlbauer meinte: »Domois (damals) hätt i net in Deina Haut stecka woll'n!« Und alle stimmten ihm zu. Nachdem noch beschlossen wurde, dass nächstens die Reihe des Erzählens am Korlbauer sei, begab man sich, allseits eine gute Nacht wünschend, singend und plaudernd nach Hause.

II.
Der Förster erzählt:


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