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Das »Schmiedbauern-Burgei«

 

»Feine Leudl san d'Praga,
Schöne Menscha liab'n d'Jaga –
Und wos a rechte Matz is,
Di hot an Afseha g'wiss.«

 

Diese urewige Wahrheit sang mit glockenreiner, weithin schallender Stimme das braunäugige Schmiedbauern-Burgei in den morgenfrischen Buchenwald hinaus, wo sie die im verwichenen Herbst abgefallene Laubstreu in kleine Häufchen zusammenrechte und in ihren Weidenkorb auflud. Es war ein lenzgold'ner Maienmorgen. Tiefblauer Himmel und glänzender Sonnenschein verklärten die knospende und keimende Welt, und in den grünen Wiesenhängen murmelten und plauderten tausend lenzgeborene Bächlein und Brünnlein, an deren rasigen Rändern weißköpfige, rötlich angehauchte Maßliebchen und goldgelbe Dotterblumen ihre leuchtenden Köpflein erhoben und das junge Dorfvolk erfreuten, welches sich massenhaft zu Besuche einfand. Und im junggrünen Laubwalde blühten im lauschigen Verstecke die Maiglöcklein, mit ihren edlen Düften die köstliche Waldluft würzend, während sich an Waldsteigen und Grasplätzen ein ganzes Völklein wundersamer Buschwindröschen mit schneeweißen, violett angehauchten Köpfchen und zartgrüner Blattumhüllung und goldäugige Schlüsselblumen im lauen Lenzlüftchen wiegten.

Burgei war selbst so eine liebreizende Hochwaldblume. Die einzige Tochter des »steinreichen« Schmiedbauern, verfügte sie über reiche körperliche Schönheit, über zwei haselnussbraune Augen von eigentümlichem Schmelz und Feuer und über eine Stimme, die ihr ob des immerwährenden Klanges den schmeichelhaften Namen »'s Lercherl« eintrug. Trotz ihrer zwanzig Jahre hatte sie noch keinen »Liabhober«, denn in diesem Punkte war sie äußerst wählerisch. Der hatte ihr zu lange, weitabstehende »Lössel« (Ohren), diesem stand die Nase schief im Gesichte, jener war etwas »linkisch« (täppisch), ein anderer hatte ein »Gestell« wie ein »Krautmann«, und ein fünfter gefiel ihr wegen der grauen Augen nicht. Überdies war ihr vermöge ihres Reichtums eine Art Stolz eigen, der seinen unzweideutigen Ausdruck fand in der wiederholten Äußerung Burgeis: »Mei Liabhober muss a Herr sein.« Diese Großtuerei hielt schließlich die Dorfburschen ganz ferne von ihr, zumal sie jeden mit schnippischer Rede um den Grund seines Kommens zu fragen gewohnt war.

Nur einer im Dorfe hatte sein himmelblaues Auge fest auf das stolze Burgei geworfen; er fühlte in seiner Brust etwas von einem »Herrn«, denn er war Grenzaufseher und trug den kaiserlichen Rock. Löppelmann war ein großer, starker Mann von stattlichem Exterieur. Jedem Mädchen stieg das Blut zu Gesichte, wenn seine großen, blauen Augen schmachtend und begehrungsvoll auf ihr ruhten. Deshalb war er das männliche Ideal so ziemlich aller Dorfmädchen, denn bei diesen spielen die »Afseha« oder die »Grenzjaga« eine nicht unbedeutende Rolle, wie die Erfahrung lehrt.

Längst schon hatte es Burgei gemerkt, dass der Grenzjäger »ein Auge auf sie hat«, und die Freude darüber war groß, war doch derselbe ein »murtsauberer Kampl«, wie sie sich auszudrücken pflegte. Aber die »Aufseher–Menscha« stehen nicht im besten Rufe, und die Erwägung dieses Umstandes ließ ihr eine Begegnung mit Löppelmann nicht ratsam erscheinen. Deswegen wich sie ihm auf Schritt und Tritt aus. Nur am Tanzboden konnte sie seiner Aufforderung zum Tanze nicht entgehen, und dann, wenn sie an seiner uniformierten Brust so leicht und selig durch den Saal hinschwebte, war es ihr, als müsste ihr das Herz zerspringen, so unsäglich heiß stieg es in ihren Adern auf, und wenn er ihr dann mit flehendem Blicke so innig die Hände drückte und im verworrenen, lärmenden und brausenden Tänzerknäuel mit den kussverlangenden Lippen ihr braunlockiges Köpflein berührte, dann war es ihr, als müsste sie ihm um den Hals fallen und mit ihm vergehen in himmelhoch aufjauchzender Wonne. Wenn sie aber in ihrem Dachkämmerlein so mutterseelenallein war, dann stand die stämmige Gestalt ihres geldstolzen Vaters mit drohend erhobener Rechten, ihrer allen Grenzjägern so feindselig gesinnten Mutter vor ihrem geistigen Auge, und schmerzvoll–leise summte sie dann das uralte Waldlied vor sich hin:

»Feine Leudl san d 'P raga,
Schöne Menscha liab'n d' Jaga –
Und wos a rechte Matz is,
Di hot an Afseha g'wiss.«

*

Und so haben wir sie auch heute kennen gelernt. Nachdem das »Gsangl« im grünen Laubwalde verklungen war, schickte sie sich an, den streugefüllten Korb auf den Rücken zu laden, um mit dieser Bürde heimwärts zu wandeln. Da rauschte und knisterte es ganz nahe im Laub- und Astwerk. Burgei sah sich betroffen um, eine sonderbare Scheu durchrieselte ihren jungfräulichen Leib. Kreideweiß schnellte sie zurück, als hastigen Schrittes der schmucke »Grenzjaga« auf sie zukam und sich anschickte, sie in seine Arme zu schließen.

»Endli alloa mitz'somm!« rief er leidenschaftlich aus.

»Oba, Herr Afseha!« stammelte Burgei sichtlich verlegen, »es is doch net die rechte Art, an oasomen Mensch sogoa im Woid wia an schwoch'n Reh nochz'schleicha und« – setzte sie hitzig hinzu – »i vabitt ma dos!«

»Burgei!« rief jetzt der Aufseher in höchster Ekstase aus, »Burgei, es kann net dei' Ernst sa, du muasst's jo schon längst darot'n hob'n, dass i di liab, liab vom gonz'n Herz'n!«

Dabei umfasste er das hilflose Mädchen krampfhaft und suchte es mit Gewalt an sich zu drücken.

»Weg von do!« zürnte die Jungfer, »i bin koa Afseha-Mensch wie ondre, i bi 'n Schmiedbauern sa Tochter, und der reiche Schmiedbauer mog von an Afseha nix wissn!«

Jetzt bäumte sich der Grenzjäger wie ein gereizter Eber auf. »Guat, der reiche Schmiedbauer woi von an Afseha nix wiss'n; Burgei, i sog da heut dos, er wiad von mia wiss'n müass'n! I hob di gern g'hobt und hob's mit dia ehrlich g'moat.«

»Du hast mi oba in meina Ehr' kränkt, und mit Unrecht! Dos reich' Schmiedbaueru-Burgei hätt amoi Frau Zoll-Einnehmerin oder sunnst wos wer'n kinna, denn die Prüfunga hon i längst afs best o'glegt, 's Burgei hätt kinna a Frau spoi'n – oba du host mi heut kränkt, dass mia d' Soi bluat, und aus Strof dafür muasst du iatzt die meine werd'n, und wenn die ganze Hoi (Hölle) sommt'n Schmiedbauer wider mich wär'!«

Und wieder fasste er sie leidenschaftlich an der Hand und sah ihr treu und herzinnig ins wundersame Braunäuglein. »Burgei!« flüsterte er mit unbeschreiblich süßem und flehendem Tone, »Burgei, wia schön du bist! Sei mia guat!«

Das sonst so »kuraschierte« Mädchen verlor jetzt allen Mut; es war unmöglich, den bittenden Worten des schönen Mannes längere Zeit zu widerstehen; willenlos und geduldig ließ sie sich nun die Liebkosungen des geliebten Mannes gefallen, seine glühenden Küsse, seine stürmischen Umarmungen berauschten das überglückliche Mädchen derart, dass es alles mit sich geschehen ließ. Das sonst so hitzige Burgei war jetzt »fromm« wie ein Kind; lange Zeit ruhte sie mit dem Aufseher unter der breitästigen Buche auf schwellendem Moose – ein Rausch schien ihr das ganze Leben, ein himmelsseliger, unendlich beglückender Rausch.

Nach zwei Stunden war sie wieder allein, der Aufseher beeilte sich, seinem Dienste nachzugehen, »Pascher« einzufangen, Burgei aber sank leichenblass ins dürre Laub, heiße Tränen entperlten ihren zauberischen Augen, ein namenloses Weh erfüllte ihre Brust und von heftigem Weinen unterbrochen, hauchte sie vor sich hin:

»Feine Leudl san d'P raga,
Schöne Menscha liab'n d'Jaga –
Und was a rechte Matz is,
Die hot an Afseha g'wiss!«

*

Fastenfreitag. – Der »steinreiche« Schmiedbauer saß aus der Ofenbank und rauchte behaglich seine Pfeife. Im Ofen knisterten und prasselten die hellen Flammen, in der geräumigen Bauernstube war es kirchenstill, nur das einförmige Tick-tack der schwergewichtigen Wanduhr war zu hören, sonst rührte sich nichts.

Doch halt! War das nicht ein leises Schluchzen, das vom Tischwinkel dort herkam? Gewiss! Dort saß eine dickleibige, kugelrunde Frau mit schönen, regelmäßigen Gesichtszügen, das Kinn in die hohle Rechte gestützt und mit einem weißen Tuche in der Linken die Tränen trocknend, die zahlreich über die schön geröteten, glatten Wangen perlten.

Endlich legte der Schmiedbauer die schwere, silberbeschlagene Holzpfeife beiseite, warf einen langen traurigen Blick auf sein weinendes Weib und fuhr sich dann mit der schwieligen Hand über die Augen. »Sei stad, Oite«, beschwichtigte er jetzt, »'s Burgei hot's net onderst hom mög'n. Sie hot's g'wisst, dass so an Afseha net z'traun is – diese Leut' soi schon längst a niad's Moil kenna, die kinnant sunst nix, als d'Menscha vaführn und sich dann aus'm Staub mocha!« Eine Träne umflorte sein Auge ...

»Oba Voda«, flehte jetzt die Bäuerin, »i denk, unsa Burgei hot iatzt grod g'nua g'litt'n. 'n reich'n Schmiedbauer sa oazig's Kind: und muass bei fremd'n Leut'n um d'Arwat betteln, dass sie sommt ihr'n unschuldinga Kindal net dahungat, und endli muass sie no krank wer'n und dos kloa Wurmal fremd'n Lent'n überloss'n – Voda, es druckt ma 's Herz o, wonn Du dan hort'n Sinn net daweichst und unsa orm's Kind net aug'nblickli hoam nimmst.«

»Oite!« brauste jetzt der Bauer auf, »die Matz hoam nehma? Denk, Muhorn, die Schond, die sie uns onton hot: A Aufseha ...!« Und wieder trat eine Träne in sein Auge. Die Bäuerin schloss daraus auf das erwachende Mitgefühl des Alten und sprach nun in unsäglicher Milde: »Geh, Oita, nimm dia 'n Huat und geh' in d' Missionspredi, die Kapuzina wer'n da dos Werk da Barmherzigkeit und des Vazeihn's lerna. I woaß gonz guat, du wiast donn onderst denka und hond'ln. Bist so net in da Fost'npredi g'wen!«

»Host am End' a Recht!« brummte der Mann kaum vernehmlich, griff nach dem Hute und stürmte fort ins Dorfkirchlein.

*

Auf der unscheinbaren Kanzel der Dorfkirche stand ein alter Missionsprediger mit ehrwürdiger »Glatze« und martialischem Barte. Kopf an Kopf gedrängt, starrte die gläubige Menge nach der Kanzel, um keines der Worte zu verlieren, die der Wunderpriester sprach, weinte und donnerte. Er predigte von der christlichen Verzeihung und Barmherzigkeit. Viele Dörfler schluchzten laut, niemand konnte sich der Rührung enthalten. Im Hintergrunde der kleinen Holzkirche, auf einen Pfeiler gelehnt, stand ein blasses Mädchen mit einem blondlockigen, etwa einjährigen Knäblein auf dem Arme. Sie weinte leise vor sich hin und sah unverwandt nach dem Kapuziner. Jedes seiner versöhnlichen Worte drang tief in ihre Seele und entfesselte neue Tränen. Da irrte ihr mattes Auge durch die Menge, als ob sie etwas suchen wollte. Mit einem gellenden Aufschrei stürmte sie urplötzlich auf einen Mann zu, der in kleiner Entfernung ebenfalls auf einem chortragenden Pfeiler lehnte und gleichfalls heftig schluchzte. »Voda!« rief sie flehend aus, »i bin's, dei Burgei, dei Lercherl ... vazeih' mir!« Dann sank sie in die Knie und war keines Wortes mehr mächtig. Der kleine Knabe aber streckte dem sprachlosen Manne seine hilflosen Händlein entgegen und lallte etwas, das wie »vazeih'« klang. Da war alles vergessen. Im nächsten Augenblicke lag Burgei an des treuen Vaters Brust und ließ ihren Tränen freien Lauf. Die gläubige Dorfmenge schickte sich an, Vater und Tochter nach Hause zu begleiten, während der alte Kapuziner, von der Ursache dieses Auftrittes unterrichtet, zitternden Tones seinen Segen sprach ...

Löppelmann spielte wie die meisten »Grenzjaga« den Schlechten. Er heiratete eine alte, reiche Witwe im fernen Alpenlande und war für Burgei verschollen und vergessen. Dieses aber blühte unter dem Sonnenlichte der elterlichen Liebe bald wieder zur schönen Hochwaldblume auf und folgte zwei Jahre später dem braven Korl-Naz, der sich »'s Lercherl« schon auf der Schulbank einbildete, zum Brautaltare. Naz trug sein reizendes Weibchen auf den Händen und war auch dem kleinen Toni ein wahrer Vater. Und der alte Schmiedbauer eiferte förmlich mit seinem Eidam in der Liebe zu Burgei – er hatte verziehen und vergessen.


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