Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der »Goaswenzl«

Er war ein sonderbarer Kauz mit allerlei Schrullen und Eigenheiten. In der Schule schon hieß er ob seiner besonderen Vorliebe für das Geschlecht der Ziegen oder Böcke allgemein der Goaswenzl oder kurzweg Goasara, eine Titulierung, die ihn anfänglich außer Rand und Band brachte. Im Begreifen und Auffassen war der Wenzel gerade kein Held, deshalb musste er in der »Eselsbank« sitzen, welche von nun auch den Ehrentitel »Goasarabank« führte. Doch dem Wenzel gefiel es dort sehr gut. Er schnitt sich aus Papier eine ganze Ziegenherde mit stattlichen Böcken und stellte diese Geschöpfe, seiner Kunst selbstbewusst, in der Banklade auf. Einmal ertappte ihn bei diesem Experimente der alte Lehrer mit dem »bösen« Fuß, und er sagte weiter nichts, sondern zog sein tabakgesättigtes Schnupftuch aus dem langen Rockschössel, stäubte dasselbe dem Wenzel ein paarmal ins Gesicht, dass die Tabaküberreste an demselben hängen blieben, und sprach dann mit zitternder Stimme: »Jetzt seh' ich selbst, dass Du ein echter Goasara bist!« Das machte den Wenzel so »schiach«, dass er ernstlich beschloss, dem alten Lehrer keinen Schafdünger auf den wehen Fuß mehr zu bringen, und in dem zunehmenden Fußübel war zu sehen, dass der Goaswenzl Wort gehalten.

Auf dem Schulwege war der Wenzel immer bei den »Menschern«, denn mit den »Buaman« wollte er nichts zu tun haben. Ob seiner originellen Vorliebe für das Weibsgeschlecht war auch seine Kleidung eine ganz originelle. Er trug nie eine Mütze, sondern setzte ein »Kopftüachl« auf. Um die Hüften band er sich ein »Füada« (Schürze), und ging der Wind, so schützte er seine Zähne durch ein »Mäutüachl« (Mundtuch). Gingen die Dorfmädchen an Sonntagnachmittagen singend und scherzend in den Waldschlag hinaus, so war der Wenzel der »Kini« unter den »Moidln« (Mädchen); er half ihnen »Bial klaub'n«, führte sie über Rohnen und Wurzeln, Stöcke und Klüfte und war ihr ritterlicher Beschützer bei jeder Gelegenheit. Deshalb hielten die Mädchen etwas auf den Wenzel und duldeten ihn gerne unter sich. Nur wenn es zu einer Rauferei kam, da nahm der Wenzel Reißaus, oder er verschanzte sich hinter der natürlichen Festung eines verworrenen Dickichts oder einer Baumwurzel, um keine Schläge zu bekommen, denn zum Raufen hatte er keine »Kuraschi«. Auch vor Geistern hatte er Respekt. Einmal war er mit den »Moidln« draußen im »Waldhüter-Steinriegel«, um Himbeeren zu sammeln. Der Revierförster, der gerade in der Nähe einem Rehbocke auflauerte, fühlte sich durch die lärmende Gesellschaft gestört und fing recht schauerlich zu schluchzen und zu weinen an, was sich im sonntagsstillen Hochwalde, in der starren, leblosen Felsenwildnis gerade nicht angenehm anhört. Der Wenzel hörte es, lauschte betroffen in den Wald hinaus, und als der Förster zum zweiten Male zu weinen anfing, da schrie der Wenzel aus vollem Halse: »Laft's, laft's, 's Fegfuja kimmt!« Und fort ging's über Stock und Stein, dass die Haare flogen und die Schürzen flatterten.

Wenzel, das hast Du schlecht gemacht, dass Du Deine Herde so im Stiche gelassen hast, denn Du warst nur auf Deine Rettung bedacht und überließest Deinen Harem seinem Schicksal. Deswegen wählte sich dieser den Kalbl-Nazi zum »Kini«, was Dir nicht wenig Kummer verursachte. Doch Dein unwiderstehlicher Zauber verhalf Dir bald wieder zum Siege, und nach etwa acht Tagen führtest Du wieder Deine Weiblein in die Schule, in die Spinnstube und auf den Spielplatz.

Und weißt Du es noch, Wenzel, wie Dir das sommersprossige »Thilei« (Mathilde) immer dankte mit einem Blicke, der Dich traf wie die leuchtende Morgenröte? Ja, das Thilei hat damals schon ein Aug' auf Dich gehabt, und Du wärest sicher der Ihrige geworden, wenn Du Deine Goaswirtschaft aufgegeben hättest. So aber kamst Du wegen Deiner zweideutigen Lebensweise derart in Verruf, dass Dich die Leute bald »Zwiedorl« nannten, weil sie an Deiner Mannbarkeit zweifelten, und von da an hatte das Thilei einen »Grausen« vor Dir. Musst schon nicht böse sein, Wenzel, wenn ich dem Thilei recht gebe, dass sie sich bald darauf endgültig den Kalbl-Nazi aufgezwickt hat, bei dem sie nun dauernd blieb. Auch wirst Du mir erlauben, dass ich ausführlich berichte, wie Du so ein berühmter Goasara geworden, denn so ein Stückl muss immerhin die Welt interessieren.

Da war im Dorfe die »hatschende Mariandl« in Folge eines Brustleidens gezwungen, Ziegenmilch zu trinken, und weil in der ganzen G'moa keine einzige Ziege vorkam, so musste sie sich selbst ein solches Vieh einstellen. Bald meckerte in ihrem Stalle eine scheckige »Heppin« (Ziege), und die Mariandl kam deswegen auch etwas in Verruf. Allein bald verstummte das Vorurteil, und die Mariandl wurde auf den Genuss der heilsamen Ziegenmilch von Tag zu Tag gesunder. Du, Wenzel, warst der einzige, der sich um diese Goas im Dorfe kümmerte. Du kamst alle Tage, standest im Stalle, betrachtetest die Heppin mit freudigen Blicken, streicheltest ihr das Fell, sprachst zu ihr, gabst ihr Kosenamen, brachtest ihr Eschen- und Ahornlaub, kitzeltest ihren Gaumen mit Brot und Salz und triebst es mit ihr so weit, dass Dich die Ziege schon ordentlich leiden konnte. Du wirst Dich wohl noch erinnern im Jenseits da drüben, Wenzel, wie Du dann eines Tages zur Mariandl kamst, ihr Dein Herz auszuschütten, dass Dein Sinn auch nach einer solchen Ziege stehe. Und warst Du es nicht, der das Tier nach Finsterau führte, als es »bocken« wollte? Und wie lachte Dir das Herz im Leibe, als Du den zottigen, trotzigen »Goasbock« erblicktest!

Solch einen Bock Dein Eigen nennen, war fortan Dein ganzes Streben. Deine Ideale haben Dir nicht gelogen! Denn als die Mariandl, will sagen deren Geiß, drei Zicklein bekam, da gab sie Dir ein Paarl zum Geschenke, und Dein Anfang war gemacht. Er hat Dir nicht einmal Geld gekostet. Täglich sah man Dich nun – und da warst Du schon sechzehn Jahre alt! – in Begleitung Deines Ziegenpaares, den Laubkorb auf dem Rücken, die blauleinene Schürze um die Hüften, barfüßig und barhaupt, dem Waldschlage zuwandern, wo Du für Deine Lieblinge Ahornlaub und Himbeerkraut sammeltest mit dem Fleiße einer Biene. Oft, wenn Du so emsig zupftest und Dich Deine Getreuen so flehend ansahen, strecktest Du ihnen eine Handvoll hin und weidetest Dich an ihrer Fressgier. Seelenvergnügt zogst Du wieder mit ihnen ins Dorf zurück, wenn die Abendglocken klangen und die Sternlein am Himmel standen. Freilich hat Dein Vater oft bedenklich den grauen Kopf geschüttelt. »Alle meine Buben sind mir geraten«, pflegte er zusagen, »und nur der Wenzel schlägt aus der Art.« Doch Deine Mutter war Dein Anwalt, denn Du nütztest ihr im Hauswesen mehr als ihre beiden Töchter, Du wuschest das Geschirr, die Wäsche und den Fußboden, trugst ihr das Viehfutter aus dem Walde heim, versahst die abscheulichsten Stalldienste, melktest die Kühe und Deine Ziegen, stricktest Strümpfe, nähtest Hemden u. dgl.

So führtest Du diese Wirtschaft fort bis zur Assentierung, bedientest mit Deinen zwei Böcken die Ziegen der ganzen Umgebung, was Dir ein hübsches Geld brachte, denn für das Bocken verlangtest Du zehn bare Kreuzer, und dieses Geld legtest Du in Deine Truhe und kauftest dafür gelegentlich Schüsseln, Teller, Messer, Gabeln, Bilder, Leinwand, Flachs usf.

Die Männerwelt verachtete Dich, desto mehr aber hielten die Weiber auf Dich! Überall hieß es: »Der Wenzel, ja der Wenzel!« Deshalb warst Du auch aller Dorfweiber verlässlicher Freund und Ratgeber, und sie waren Dir erkenntlich, sie duldeten Dich in ihren Kreisen, wo Du freilich auch oft als Zielscheibe ihres Witzes herhalten musstest. Du wirst es sicherlich nicht vergessen haben, wie Du einmal beim Wagner eingeschlafen und wie Dir die Wagner-Lisl mit der Schere den rechten Flügel Deines gerade nicht schlecht gewachsenen Schnauzbärtchens weggeschnitten und die Stelle mit Holzkohle bestrichen hatte, so dass Dir alle Buben nachrannten mit dem Refrain auf den Lippen: »Goasara, hat Dir der Bock den Bort og'fress'n!«

Und nun kam der Tag der Assentierung! Das ganze Dorf sah mit Spannung der Entscheidung entgegen, ob Du wirklich ein »Zwiedorl« wärst – Wenzel, Du hast männlich gesiegt, wurdest assentiert und abgeführt und trugst zur Zufriedenheit Deiner »Houffaziere« drei Jahre lang den kaiserlichen Rock in Ehren!

Und als Du zurückkehrtest, ging Dein Vater ins Ausgedinge, und Du musstest Dich mit ihm ins finstere Ausgedingstübl setzen, und nun war es mit Deiner Ziegenherrlichkeit aus für immer! Du musstest als Holzhauer für Deine greisen Eltern das Brot verdienen und warst auch in der Tat ein braver Sohn. Nur der Schürze bliebst Du treu, die gabst Du nicht von Dir, Du trugst sie an Werk- wie Feiertagen, melktest nach wie vor die Kühe und trugst mit den Weibern Gras aus dem Walde. Nach der Zeit lerntest Du auch das Biertrinken und gingst zum Erstaunen aller fleißig auf den Tanzboden, wo Du bald der beliebteste »Tonza« warst. Dort warst Du der Schutzengel derjenigen »Menscha«, welche in Ermangelung eines »Buam« abseits im Winkel stehen bleiben mussten. Du, guter Wenzel, zogst diese Armen aus dem Staube der Vergessenheit hervor und »wacheltest« mit ihnen lustig herum, führtest sie dann zum Bier und unterhieltest Dich mit ihnen. Am Ostermontag oder am »Stefflstog« zu Weihnachten, wenn die Burschen ihre Diandln »einweisten«, d. h. zum Biere führten, da nahmst Du Dich der Verlassenen an und führtest mitunter zehn Weiblein ins Wirtshaus, denn bei Geld warst Du immer!

Und alle waren Dir in der Folge dankbar. Du musstest ihnen die Wehmutter holen, wenn sich bei Nacht und Sturm sonst niemand hinaus traute, was Du stets mit größter Bereitwilligkeit erfülltest. Dafür wurdest Du dann bei der Taufe mit Kornbranntwein bewirtet, der Dich immer sehr belebte. Der Weiber Freund bist Du lebenslang geblieben, wiewohl Du selbst keine gefreit hast. In den Rockenstuben warst Du der Harmonikabläser, und die Mädchen konnten Deinen Hüonsklängen nicht widerstehen, warfen Spinnrad und Rocken zur Seite und bewegten sich singend im munteren Reigen des Ländlers. Oft fasste und schüttelte Dich dabei selbst so ein heißes Tanzfieber, dass Du blasend auf die Bäuerin zusprangst und mit dieser blasend zu hopsen begannst.

Wenzel, und dann kam eine Zeit, wo sie Dich tot aus dem Walde heimtrugen. »Da Jaga« will Dich in der Nacht beim Holzdiebstahle betreten haben, es war aber gewiss nicht wahr. Und er brannte Dir die Kugel hinauf, dass Dein »Lebensliachtl« für ewige Zeiten erlosch! Alles hat Dich treu beweint, denn Du warst ein guter Kerl, und wenn man heute noch einen recht herzlich-braven Burschen hervorheben will, so sagt man im Dorfe: »Der is wie da Goaswenzl!«


 << zurück weiter >>