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Beim »Sunwendfeste«.

Es war den Abend vor »Johanni«, und die Dörfler feierten getreu der Sitte ihrer heidnischen Ahnen das Fest zu Ehren des sterbenden Baldur, das deutsche »Sunwendfest«. Auf des Lusen granitbedeckter Kuppe lag schon längst kein Schnee mehr, und im Laubwalde waren soeben die zarten, rosigen und schneeigen Buschwindröschen verblüht. Der Sommer führte jetzt die Herrschaft in Berg und Wald, und sein Regiment war mild und freundlich. Soeben sank die Sonne in den schwarzwaldigen Westen hinab, und das schönste Abendrot spannte am tiefblauen Himmel weithin seine feurigen Flügel aus, während über die majestätische Kuppe des Kubani der mildleuchtende Vollmond emporstieg. Johanniskäferchen schwirrten mit feurigem Scheine durch die sommertrauliche Dämmerung, aus den ährenschweren Kornfeldern tönte der sinnige Gesang der Wachtel, die scheuen Grillen ließen froh und laut ihr anheimelndes Gezirpe vernehmen, und von den Waldbergen nah und fern sangen die Abendglocken rührend-mild in die heilige Sonnwendnacht hinaus. Die Dörfler beteten entblößten Hauptes den Abendsegen.

Sonnwendzeit – schönste Zeit!

Mitternacht war nahe, als plötzlich hoch oben auf dem Dorfhügel eine riesige Feuersäule aufloderte; gleichzeitig begann es auf allen umliegenden Höhen, auf allen Bergspitzen weit und breit aufzublitzen und aufzulodern. Das ganze Waldband schien ein feuriger Brand zu sein. Schwarz und schweigsam lag der Wald im Zauberbanne der Mitternacht, nur erhellt und magisch beleuchtet von den gewaltigen Feuergarben, die im Volksmunde sittengemäß »Sunwendfeuer« genannt werden. Hurtig geschwungene brennende Pechbesen erzeugten die seltsamsten Feuerringe und Ellipsen, hundertstimmiges Freudengeschrei weckte den Wald aus seiner Nachtruhe auf, melodischer Zwiegesang verhallte im Tann, wildverschlungene Tänze wurden um den brennenden »Sunwendhaufen« aufgeführt. Die Männer saßen rauchend auf flechtenbesetzten Granitblöcken und sprachen von der »guten alten Zeit«, die Weiber pflegten unermüdlich des unentbehrlichen Neuigkeitsaustausches, Burschen und Dirnen paarten sich und lustwandelten scherzend und jodelnd im flammen- und mondbestrahlten Plane, Knaben und Mädchen tummelten sich munter im grünen Hage herum, und selbst der würdige Pfarrer wohnte dem alten »heidnischen« Feste mit sichtlichem Wohlgefallen bei.

Sonnwendzeit – schönste Zeit!

Der Matrosen-Bertus war der lustigste. Er war die eigentliche Seele des heutigen Festes, denn seine Stimme wurde von den Dorfburschen gehört und geachtet, denn er überragte alle bei Weitem an Bildung und Erfahrung. Vier Jahre lang hatte er sich bei der kaiserlichen Marine als Matrose in der weiten, »wässerigen« Welt herumgeschlagen, in Pola hatte er während des Wachestehens in stiller Geisterstunde den – Teufel durchbohrt, wie er aus Ehrenwort versicherte, in der Meerenge von Gibraltar rang er mit den salzigen, gierigen Wellen um sein teures Leben, in Tunis bestand er mit einem glutvollen Negermädchen ein köstliches Liebesabenteuer, in Smyrna schlug er einen Pascha, in Marokko kämpfte er mit einem Tuareg und in New-York hätte er »durchbrennen« und eine »millionsreiche Dollarswitwe« heiraten können, wenn er sich – den Spaß hätte machen wollen; allein ihm stand der Sinn nach der schönen deutschen Waldheimat und nach seiner weißköpfigen Else, des Försters holder Tochter, und so kam er vor einem Jahre auf bleibenden Urlaub nach Hause.

Heute saß er mit Else, seinen rechten Arm um ihren Nacken geschlungen, unter einer breitästigen Steinbuche und ließ seinen Gesang ertönen:

Und dos Woldesleb'n,
Dös hat uns God gegeben! Holli holla ho!
Wia do d'Vögerl singen
Und die Lämmer springen!
Holli holla ho!

Wia do Bleaml'n blüah'n
Und die Bam' sich rühr'n! Holli holla ho!
Schön'res kann's nit geben,
Als dos Woldesleben!
Holli holla ho!

Herz am Ros'nplatzerl (Rasenplätzchen)
Mei' herztausig's Schatzerl! Holli holla ho!
Und möcht beim Woldesrausch'n
Mit koan Kini tausch'n!
Holli holla ho,
Holli ho.' –

*

Während sich auf diese Art Jugend und Alter ergötzten, saß abseits auf einer Rone, umwölbt von dem zartgrünen Blätterdache einer festgrundigen Hagebuche, die Höllbäuerin mit des Dorfrichters lieblicher Jungfer, der rotwangigen Leni, zart und schön wie eine Hochwaldblume. Beide schauten mit stiller Wehmut in die traumselige Mondnacht hinaus, und hin und wieder entrang sich ein schwerer Seufzer der grambedrückten Brust. Lenis Augen umflorten sich mit feuchtem Schimmer, als sie des Matrosen-Bertus' freudvollen Gesang vernahm, und Tränen benetzten ihre Wangen, während die anderen sich in rauschendem Jubel des Lebens freuten.

Dieser Bertus! Wie glücklich war er bei den Soldaten, und welch tragisches Geschick ward ihrem Steffel, dem Erben des Höllhofes, bestimmt! Mit Bertus wurde er zu den Matrosen assentiert, und beide rückten wohlgemut nach Pola ein. In den Wogen des Ägäischen Meeres, nahe an der Küste von Anatolien, verschwand er spurlos und war nicht mehr zu finden. Das Schiff flog pfeilschnell weiter, während dessen der arme Steffel um sein Leben rang. Von Seite der politischen Behörde langte bald darauf an die Höllbäuerin die Nachricht von dem Tode ihres einzigen Sohnes ein, und als der Bertus nach Hause kam, bestätigte er die amtliche Anzeige. Die Höllbäuerin weinte sich beinahe die freundlich blauen Augen blind, und Leni war vor Schmerz um den Verlust ihres Geliebten dem Irrsinn nahe. Lange Zeit lag sie auf der Krankenlage, und als sie endlich genas, blieb ihr eine tiefe Melancholie zurück. Fortan verkehrte sie nur mehr mit der Höllbäuerin, der Erinnerung an ihren Steffel lebend. Heute trat sein Bild lebendiger denn je vor ihre Seele und leise, kaum hörbar, hauchte sie halb singend, halb flüsternd die Weise vor sich hin:

»Mei' Büaberl is g'storb'n, o je!
Mei' Herzerl vabluat, o weh!
Mei' Freud' is dahin,
Weil valoss'n i bin!«

Die Höllbäuerin vernahm diese Melodie und im tröstenden Tone sprach sie:

»Muasst da dos Load aus'm Herzen schlog'n, Lenerl; wos amoi g'scheh'n is, könn ma nimma ondast mocha. Vagiss den Steffl, bet' für sei' orm' Soi tägli a Voda-unsa – und nimm den Reschpizent'n, host a guats Broud ba - n - eahm!«

Das gute Weib wollte trösten und war selbst so sehr des Trostes bedürftig, denn helle Tränen rollten nach diesen Worten aus ihren freundlichen Augen.

Leni aber sprang vom Sitze empor, indem sie leidenschaftlich ausrief: »Beim heiligen Sunwendfuija schwör' ich's: Liaba den Toud, als mein Steffl die Treu' brech'n; Basl, koa solch's Wort mehr!«

In diesem Momente kreiste eine glänzende Sternschnuppe durch das lautlose Universum, indes der Sunwendhaufen in hellen Flammen stand und die brennenden Pechbesen flogen.

»Wenn i ba man Steffl wär'!« wünschte Leni beim »Sternoreischt'n« – und kaum war dieser Wunsch ausgesprochen, so entstand unter der Dorfjugend eine seltsame Bewegung. Gleichzeitig erklang von der Landstraße aus dem nahen Fichtenwalde eine helle Burschenstimme, welche die Weise sang:

»Do drob'n auf'm Schrout (Erker)
Steht der Tuifl und da Toud,
Dö pass'n af mi,
Owar i geh' eah' net hi(n).«

Und ein übermütiger Jauchzer folgte dem ebenso übermütigen Liede. Dann klang es wieder:

»Mei Diandl, do bin i,
Jatzt bleib' i bei Dir,
Jatzt wirst Du mei Weiberl,
Koa Mensch nimmt Di mir!«

Und aus hundert Kehlen schallte es jetzt durch die Sonnwendnacht: »Da Steffl geht um! Bet's für sei' Seligkeit!« Die Höllbäuerin und die Leni erkannten nur zu gut Steffls Stimme, und sie fingen an, heftig zu zittern und zu weinen. »O God, er regiert! Er is in ara Toudsünd' aus der Welt gonga, iatzt hot sei' Geist koa Ruah!«

»Hon i's mit'n leibhofting' Tuifl vorm Pulverthurm in Pola afg'numma,« prahlte jetzt der Matrosen-Bertus, »so werd' i a mit'n Steffl ferti' wer'n« – und kecken Schrittes eilte er dem Walde zu. Angespornt durch diese Verwegenheit, eilte bald die ganze männliche Jugend waldwärts, um den Bertus zu schützen, wenn es »auf was ankommen sollte«.

Da geschah etwas Wunderbares: Der Bertus erschien bald darauf mit dem »toten« Steffl Arm in Arm und eilte mit ihm hastigen Schrittes der Rone zu, auf welcher die Höllbäuerin und Leni saßen und weinten. Leni stieß einen gellenden Freudenschrei aus, als sie ihren Steffl leibhaftig in der Matrosen-Uniform vor sich sah, und in wilder Hast flog sie an seine Brust. »Du lebst?« konnte sie nur fragen, und dann fing sie vor Freuden an zu weinen.

»Warum hast Du uns nicht geschrieben, dass Du lebst?« sprach jetzt die Mutter im zärtlichsten Tone.

»Weil i mi von Lenis Treu' überzeug'n wollte«, antwortete der Steffl, und dann musste er seine wunderbare Rettung erzählen. So erfuhr man, dass der Steffl nach furchtbarem Ringkampfe mit der Salzwasserflut sich an die Küste von Rhodos rettete, dessen Bewohner ihn freundlich aufnahmen und pflegten. Von hier aus brachte ihn ein griechisches Schiff nach Athen, von wo aus er den Weg über Nord-Griechenland, Albanien und Montenegro – denn bei Geld war er immer – nach Dalmatien einschlug, bis er endlich nach mannigfachen Gefahren Pola erreichte, wo er für seinen wackeren Patriotismus mit einer Belohnung auf Urlaub geschickt wurde.

Alles lauschte gespannt dieser Darlegung und drückte seine Bewunderung über solchen beispiellosen Mut aus.

Während dessen bemächtigten sich die Flammen des »Kini« – eines aus dem Sonnwendhaufen hochaufragenden Tännlings – und züngelten prasselnd himmelwärts. Endlich fiel der König, der Haufen stürzte mit großem Geräusche zusammen, die Flammen erloschen, und nur eine Rauchsäule stieg jetzt empor zum treuen Sternenhirt, dem silbernen Mond.

*

Die Dorfuhr schlug die dritte Morgenstunde.

Von Osten her strich jetzt ein kühles Lüftchen, die Burschen und Mädchen paarten sich und wandelten heimzu, Steffl führte seine Mutter und seine Leni.

Und als die »Lond- oder Kaiserkirchweih« ins Land zog, gab es im Dorfe eine große Doppelhochzeit. Die beiden Matrosen führten ihre lieblichen Dirnen zum Brautaltare. Das ganze Dorf war zu diesem Feste geladen, denn der Steffl sagte:

»Hätt' m'r's net, so tät' m'r 's net!«

Und er bewies es den Dörflern mehr als genügend, dass er 's hatte.


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