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»D' Schiaßlin«

Oft wandle ich in meinen Träumen auf den blumigen und geheiligten Pfaden meiner Kindheit. Da liegt es vor meinem geistigen Auge, das schlichte Walddörfchen an den moosig-grünen Ufern des munteren Teufelsbaches mit seinen einfachen Holzhäusern, auf deren flachen, oft bis an den Boden hernieder reichenden Schindeldächern ich wie ein Spatz herumsprang und auf deren schneidigen Firsten ich wie ein stolzer Reiter saß und erstaunt hinausblickte in den schönen, tannendunklen Hochwald mit seinen stolzen Bergkuppen und freundlichen Dörfern und Gehöften.

»Waldumrauscht und sangumklungen,
Träum'risch und gedankenvoll« –

weile ich dann wieder im einsamen, nachtstillen, blumigen und sonnigen Waldschlage, wo alles so feierlich schweigt, und nur die Lüfte in den uralten Wipfeln und Kronen rauschen, und die langen, vom Strahl der Sonne gebleichten Waldgräser, geheimnisvoll lispeln, während aus ferner, ferner Waldesweite heller Jodlersang der »Holzhackerbuam« sanft und melodisch klingt und in den wehenden Lüften verhallt.

Dann sehe ich sie wieder vor mir, die teueren Gestalten meiner Kindheit. So manches Bild taucht in der Erinnerung auf, das mich einst vermöge seiner Würde begeisterte oder ob seiner Schnurren und Sonderlichkeiten belustigte und zu allerhand Schabernack anregte.

Auch Du, altes, außergewöhnliches Weib, ja auch Du, pfeifenrauchende, schnupfende und fahrige »Schiaßlin«, belebst dann meine Erinnerungen mit Deiner Nähe, und es zwingt mich heute, mit Dir ein wenig zu plaudern, weil ich gerade heute ein gutes – »Mundstück« habe.

Du warst eine geborene Bayerin, und die stürmische Ilz hatte Dich oft an ihren waldfeuchten Ufern gesehen, wie Du Buschwindröschen und Vergissmeinnicht gepflückt und Kresse gegessen. Damals warst Du eine gar stattliche Jungfer von zwanzig Lenzen, doch übtest Du keine besondere Anziehungskraft auf die Burschen, denn Deine Natur neigte mehr zum Männlichen hin, Deine Stimme war rau, und oberhalb der Oberlippe zeigte sich sehr verdächtiger Flaum von schwärzlicher Färbung, den der Heger-Xaver einmal auf dem Tanzboden zum Gaudium aller Dirnen und Burschen als – »Schnurrer« konstatierte, auf welches »Leid« hin Du nicht mehr unter der Dorfjugend erschienst.

Einmal saßest Du so traurig im Fichtendickicht und schautest sinnend in die über Kiesel und Granitblöcke dahintollenden gischtenden Wellen der Ilz, als sich hinter Dir die Zweige teilten und der »Grenzjaga« vor Dir stand, der Dich schon lange insgeheim verfolgte. Heute hattest Du Deinen »Schutzgeist« nicht bei Dir, wie Du immer zu sagen pflegtest, wenn Dir etwas Widerwärtiges »passierte«. – Du verlorst Deine Ehre – und als sich der »Grenzjaga« bald darauf aus dem Staube machte, warst Du dem Irrsinn nahe, und Du musstest es ertragen, als die Leute mit dem Finger nach Dir zeigten. Hast viel geweint und gelitten, der Vater jagte Dich unter grässlichem Sakramentieren fort von Haus und Hof, und Du zogst so mit Deinem Aufseherbüblein, dem kleinen Sepp, bettelnd durch den Wald, bis Dir in meinem Heimatsdörfchen die »Weaner-Leni« ihr Stübchen öffnete und Dich mit Deinem Kinde gastlich und dauernd aufnahm.

Du wusstest Dich dankbar zu erzeigen, versahst ihr gewissenhaft das Hauswesen, wenn sie mit dem alten Richter in Resonanzboden-Holzgeschäften nach Wien reiste. Deswegen nannte man sie im Dorfe allgemein die »Wiener-Leni«. Als dann Dein »Büawei« (Büblein), wie Du Deinen Sepp nanntest, »davonging« in Gefilde, wo es kein Wiederkommen mehr gibt, weintest Du noch mehr, Deine Züge wurden rau und hart, die Augen lagen tief in ihren Höhlen und blickten matt und hohl, der Schnurrbart aber entfaltete sich zum Schrecken aller Dorfkinder in derartigem Maße, dass er sich ganz wohl mit demjenigen des alten Richters messen konnte, was viel sagen will, denn das Dorfoberhaupt war im Besitze eines martialischen »Schnurrers«.

Von nun an ging mit Dir eine merkwürdige Metamorphose vor sich: Wie aus dem »Goaswenzl« nach und nach ein »Weiberer«, so wurde aus Dir nach und nach ein »Überreiter«, wie die Waldleute ein Weib nennen, welches die Schranken seines Geschlechts überschreitet. Du trugst einen alten, filzigen Männerhut, einen langen, altmodischen »Schösslrock«, den Dir der Richter schenkte – Du weißt, es war einmal sein Brautrock – und einen blauleinenen Weiberkittel nebst großen Wadenstiefeln, wie sie im Hochwalde die Mannsleute zu tragen pflegen. Mit dem Wurst-Luisl schlossest Du Bekanntschaft – und dieser machte aus Dir – einen »Erzpascher«, und in der Tat gingst Du, als Mann verkleidet, oft über die Grenze und schmuggeltest Tabak und Salz herüber ins Böhmische wie der geriebenste Pascher. Dabei lerntest Du auch mit der Pistole umgehen, Du schossest mit Sicherheit das Eichhorn vom Baume und den Geier aus der Luft und im »Kronawittaschuiß'n« tat's Dir kein Gelernter nach.

Einmal erwischte Dich bei diesem etwas unsauberen Geschäfte der alte »Jaga«, er fasste Dich am Kragen, zog seine Hundspeitsche und klopfte Dir – den Staub aus dem Kittel. Nur dem alten Richter hattest Du es zu verdanken, dass nicht gegen Dich »geamtshandelt« wurde, aber Du musstest den »Monnern« im Dorfrate »auf Deine Seligkeit versprechen, das Schießen für immer auf den Nagel zu hängen«.

Um diese Zeit war es auch, dass Dir der »Goaswenzl« eine Ziege schenkte, und fortan wandtest Du derselben Deine ganze Aufmerksamkeit zu. Täglich sah man Dich, natürlich in Männerkleidung, mit dem Weidenkorbe auf dem gekrümmten Rücken, dem Pfannerschlage zuwanken, wo Du für Dein Milchtier Brombeer-, Ahorn- und Eschenlaub streiftest. Das Gaislein war Dir dankbar dafür, es versorgte Dich reichlich mit Milch, und die »Wiener-Leni« gab Dir täglich drei bayerische Semmeln dazu, die Du aber immer erst in der heilsamen Milch »aufweichen« musstest, sintemal sie Dein zahnloser Mund nicht hätte kauen können.

»Jo, d' Schiaßlin hot's guat,« pflegte das »Everl-Uilei« zu sagen, »dö konn süaße Milch und Semmeln ess'n, während i hantige D'reapfl (Erdäpfel) beiß'n muass!«

Du siehst also, Schiaßlin, dass sich der giftige Neid auch an Deinen harmlosen Wandel heranwagte, wie es ja leider zugeht auf der Welt!

Bei den Paschern hattest Du, Du sonderbares Weibswesen, das Schnupfen und Rauchen gelernt, und tatsächlich ging Dir der fette »Schmalzl« in Deinem gläsernen »Tabakbixl« und der von Grenzjägern geschenkte »Commisstabak« in Deiner Schweinsblase nur selten aus. Du warst im Besitze einer Gipspfeife, die Dir der joviale Dorfpfarrer, der »Thomerl«, geschenkt, und es war dein seligstes Vergnügen, in Mußestunden blaue Wölkchen aus derselben zu puffen, wobei Du Deinem alten Kater, der Dir immer wie ein Hund nachlief, sanft das Fell streicheltest, dass er behaglich schnurrte, und uns Dorfkindern wunderbare Mären erzähltest, dass wir vor Staunen »sperrangelweit« den Mund aufrissen.

Als Du in Deinen letzten Jahren kein »Tabakgeld« mehr hattest, sprachst Du die Dorfburschen »um eine Pfeife« an, und mit Vergnügen erfüllten sie Deinen Wunsch. Doch auch dann, wenn Du keinen Tabak aufzutreiben im Stande warst, wusstest Du Dir, Du pfiffige Schiaßlin, zu helfen! Du trocknetest die schönen Blätter der Waldbuche, die Dir dann einen köstlichen »Tabak« lieferten und die Du mit stillem Behagen rauchtest. Ein Grund mehr, dass Dich alle Dörfler anstaunten.

Wenn Dir jemand sagte: »Schiaßlin, lass' Dich doch einmal balwieren!« so pflegtest Du treuherzig zu erwidern: »A, ballei! Fallt mir nit ein! Wir san uiwei guate Freund' g'west, i und mei Boat, und es wird schon recht sein, wenn ma a mitsomm' ins Grob einisteig'n!« Und Du behieltest Deinen »Schnurrer«, der wie Dein Kopfhaar schon silberweiß schimmerte. Hast mich auch einmal recht ordentlich erschreckt, Schiaßlin!

An einem taufrischen Hochsommermorgen war es, als ich, ein Range von elf Lenzen, hinaussah ins Walddickicht, um nachzuschauen, ob sich in meinem Fanghäuschen über Nacht kein Rotkehlchen gefangen habe. Meine Erwartung ward leider nicht erfüllt, es hatte sich nur ein – Frosch in dieses rätselhafte Gefängnis verirrt. Doch ließ ich mich nicht abschrecken. Ich begann neuerdings »aufzurichten«, und als ich eben im Begriffe war, mich aus dem Staube zu machen – Du weißt, ich hatte damals große Furcht vor Gespenstern – teilten sich hinter mir die Zweige und vor mir standest Du mit Deinem grauenerregenden Schnurrbart. In meiner Bestürzung glaubte ich in Dir eine dem tiefsten Höllenpfuhle entstiegene Hexe zu sehen, und mit fliegenden Haaren und schnellenden Beinen nahm ich Reißaus, dass Rehe und Eichhörnlein entsetzt aufsprangen und mir nachjagten. Noch heute höre ich Dein schallendes Gelächter, das Du mir nachsandtest, und als ich die Überzeugung gewann, dass jene vermeintliche Hexe Du gewesen, da schämte ich mich zwar vor Dir, aber ein etwas unheimliches Wesen bliebst Du mir von jenem Augenblicke immerhin.

Und weißt Du es auch noch, Schiaßlin, wie ich einmal Dein – Lebensretter ward? Einmal, an einem schönen Sommerabend war's, ging ich mit meinem älteren Bruder, dem Franzl, vom Moldau-Ursprunge nach Hause. Als wir auf die waldlose Höhe des Kreuzbaumes gelangten, vernahm ich ein leises Wimmern und Wehklagen. Betroffen hielt ich den Atem an und lauschte. Da hört' ich's wieder, es kam von der Höhe. Nun blickte ich empor und schnellte erschreckt zurück. In unmittelbarer Nähe stand ein großer Ahorn ganz einsam in der Waldlichtung. Auf einem weitausgreifenden Aste sah ich ein Menschenleben hängen und ängstlich zappeln.

»Wer ist's?« schrie ich entsetzt hinauf. Da begannst Du, arme Schiaßlin, weinerlich zu flehen: »O, Büawei, guat's Büawei! Hoif ma' owi, sunst muass i mi' z'tout dahänga!«

»Schiaßlin!« schrie ich hinauf. »Was ist geschehen?«

»Lauwat (Laub) hon i 'zupft, do is hoit a Ost o'brocha – do bin i owig'fall'n und bin mit'n Kitt'l hänga blieb'n, sunst hätt'i mi' z'tout g'falln. O weh, o weh! A guate Hoibstund' häng' i schon so do, 's gonze Bluat geht ma' schon z' Kopf, und wenn ma' neamnd hoift, so muass i mi' z'tout dahänga!«

In der Tat guckte der Kopf bodenwärts, während die Füße sich gabelförmig in die Höhe reckten.

Da kletterten wir hinauf zu Dir und befreiten Dich aus Deiner todesbangen Lage. Der Franzl führte Dich nach Hause, und ich belastete meinen Rücken mit Deinem Korbe. Zu Hause begehrtest Du noch »eine Pfeife«, legtest Dich dann nieder und nach acht Tagen hattest Du Deinen irdischen Wandel – vollendet. ... Der Fall auf dem Ahornbaume war Dein Tod. Ich ging hinter Deinem Sarge und steckte Dir das rote Holzkreuzlein in den Grabhügel und nachher, Schiaßlin, warst Du im Dörfchen – vergessen.

Und nun lebe wohl, und lass' Dir's da droben bei unserem lieben Himmelvater gut gehen! Hast gelitten genug auf der Erde. Noch eines: Solltest Du wieder einmal auf die Welt kommen, so werde – Pfarrhofsköchin! Man sagt, solch ein Leut' soll's am besten haben, und Du hast obendrein die Genugtuung, einst in Deinen alten Tagen, wenn Du außer Kurs gesetzt wirst, ins – »Pfarrerköchinnen-Asyl« zu kommen! Lächelst Du?


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