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Wie »der Postjogl« fensterln ging

Schön ist des Nordlands Winternacht, heißt es in irgendeinem Gedichte, und jedes warme Gemüt, jede für das poesievolle Stillleben am häuslichen Herde empfängliche Seele, jede kindlich angelegte Natur wird und muss ihre innige, herzerquickende Freude an der goldfunkelnden, ätherreinen, frostigen Winternacht finden. Millionen von Sternen, leuchtende Sonnen und schimmernde Planeten senden durch die kraftfrische Frostnacht Gruß und Frieden hernieder von den lichtgoldigen Toren himmlischer Allmacht und göttlicher Liebe, und das qualerfüllte, grambedrückte Menschenherz blickt tränenfeuchten Auges hinauf zu den freundlichen Goldlichtern der Himmelsglocke und klagt ihnen Leid und Weh', Kummer und Sorge, dabei seligen Trost erflehend.

Und wie wunderbar schön und gottvoll ist nicht der mondverklärte, goldsternige Wintermorgen! Noch liegt die Welt in tiefem Schlummer, nur die ewigen Sternlichter funkeln am azurnen Kronleuchter des Himmels, der Silberschein des Mondes verklärt die winterliche Landschaft und ruft in den feinen Eiskristallen die wundervollsten Farbenspiele lebendig – die munteren Hähne lassen einen herzhaften Ruf nach dem anderen durch das heilige Morgengrauen erschallen, der funkelnde Morgenstern lacht durch die blanken Fensterscheiben ins Schlafgemach träumender Menschenkinder und winkt ihnen die wohlgemeinten Grüße der himmlischen Milde und Barmherzigkeit zu. Und die Menschenseele träumt von den Wonnen des Paradieses, von Frieden und irdischer Beseliguug, bis die hellen Morgenglocken durch die sternlichte Frostnacht zur Rorate rufen, zum weihevollen, von den ernstmilden Klängen der Orgel getragenen Lobgesange:

»Maria, sei gegrüßet, Du lichter Morgenstern!«

»Maria, sei gegrüßet, Du lichter Morgenstern!« So klang es auch heute aus den Hallen des kleinen, uralten Holzkirchleins hinaus in den friedvollen, frostigen Wintermorgen,und die ernsten Tannen und Fichten des das schlichte Dörfchen umrahmenden Auwaldes rauschten leise zu den weichen Orgelklängen und glockenreinen Singstimmen der Wäldler. Gestern war der reiche, geldstolze Aumüller beim Pfarrer und bezahlte eine Rorate-Segenmesse »auf eine gute Meinung«. Wiewohl er im Besitze einer schönen, einträglichen Mühle, einer ertragfähigen Wirtschaft und einer rosigblühenden Tochter war, so fühlte er sich dennoch nicht ganz glücklich. Es fehlte ihm etwas, das ihm weder Geld noch Kind ersetzen konnte – nämlich das Weib. Vor fünf Jahren war ihm seine treue Ehegattin »davongegangen«, der Grabhügel da draußen auf dem stillen, das Kirchlein umschließenden Friedhof, welchen das kostbarste Kreuz ziert, birgt ihre sterbliche Hülle.

Der Aumüller, sonst ein ziemlich hartherziger Filz, betrauerte seine Ursel vier ganze Jahre lang, betete an ihrem Grabe und ließ für ihre arme Seele zweimal wöchentlich Messe lesen – er hatte es ja, der geldstolze Aumüller, warum sollte er mit dem schweren, klirrenden Silber nicht seiner besseren Hälfte Seligkeit erkaufen?

Aber im letzten Jahre war es anders geworden. Er wurde heiratslustig, und ein Witwer, der sich einmal auf Freiersfüßen bewegt, ist ärger als der glutvollste Bursche. Der Aumüller hatte sich bei der letzten Dorfmusik am Landkirchweihsonntage eine dralle Dirne, die Traudl, ausersehen und beim Kathreintanz aufgezwickt. Sie war ein fesches, gestelltes Mädel, wie er fingerschnalzend sagte, und es war ihm ein Leichtes, das arme, dienende Ding zu gewinnen, denn welche Magd wollte nicht gerne Aumüllerin werden?

Aber gar so leicht sollte denn doch nicht gehochzeitet werden! Einen Widerstand galt es zu besiegen, und dieser kam von keiner geringeren Seite als von der schmucken Rosl, des Aumüllers reizendem Töchterlein. Sooft der heiratslustige Witwer mit seinem Anliegen hervorrückte, bekam er von der Müllersmaid die Lektion derart gelesen, dass er sich für einige Tage grollend in sein Dachstübchen zurückzog.

Wer sollte es auch dem stolzen Müllerkind zumuten der erstbesten hergelaufenen Dirne einmal kindlichen Gehorsam zu schulden? So etwas ging über alle Begriffe hinaus – natürlich!

So verfiel der pfiffige Aumüller eines Tages auf den gewiss löblichen Gedanken, mit seinem energischen Kinde in Ausgleichsverhandlungen einzugehen. »Hör' einmal, Rosl«, begann er an einem stürmischen Winterabend, als die Jungfer am warmen Herde den schimmernden Flachs spann, »ich mach' Dir heut' einen Vorschlag: Du bist jetzt zwanz'g Jahr' alt, wär'st zeitig zan Heirat'n, denk' ich! Was moanst Du dazua?«

Die Rosl hob das blonde Köpfchen auf und sah den neugierig spähenden Vater prüfenden Blickes an.

»Möcht' mich halt da Voda schon gern aus'm Haus hab'n?« meinte sie nicht so ganz unrichtig.

»Dos just net!« meinte der Alte etwas verlegen. »Owa dos is g'wiss: D'Henn' g'hört zum Hohn und 's Moidl zum Buam! So will's God Voder! Host übrings höchste Zeit, sunst bleibst am End' noch übrig!«

Rosl lachte. »Dos net, Voda! Mei' Bua is mir g'wiss!«

»Wos? Du hätt'st schon oan d'Liab' g'schenkt? Du verdunnerte Hex', Du! Red', red'!« fragte der freudig überraschte Müller.

»Jo, Voda! So ist's und net onders!« kicherte Rosl.

»Und darf ma' wiss'n, wem?«

»Dem Postjogl!«

Aufsprang da der geldstolze Aumüller; mit der breiten, schwieligen Hand schlug er in den eichenen Tisch hinein, dass das Lämpchen tanzte, und zu schreien begann er: »Stad af der Stell' mit dem Bettelbuam! Do d'raus wird nix! Der Lecker kummt net auf die Aumühl', soll nur fein bei seiner Schindmähre bleib'n! Basta und Amen!«

»Ah recht«, erwiderte Rosl scheinbar ruhig, »bleib'n wir halt beisamm', i und da Voda, liegt a nix d'ron.« Und spann weiter.

Diese kühle Rede schien nun dem Alten doch einigen Kummer zu machen, denn es war eine ausgemachte Sache, dass ihm die Traudl lieber gewesen wäre als Haushälterin, als die Rosl. Deshalb begann er nach einer Weile abermals in freundlichem Tone: »Hör', Rosl, i wüsst Dir scho oan, der a mir zu Gesicht stand; wos moanst denn zum Seppi-Ferdl? Js dos net a fescha Bua? Krautsackerlot!«

»O Jegasl!« kicherte Rosl, »der hot jo an Blähhals und an krump'n Finger! Do draus wird nix! I hon's dem Jogl vasproch'n, entweder er oder koana! Liaba ledig bleib'n, hon i eahm g'sogt und g'schwor'n hon eahm's a! Jo, Voda, Ös hört's es!«

Der Alte sah ein, dass es mit einem gütlichen Ausgleich nicht ging. Er zog sich daher brummend in seine Dachkammer zurück, und bald durchdrang die Mühle sein lautes Schnarchen. Draußen hatte sich inzwischen der Sturm gelegt, und das Silberhorn des Mondes blickte durch die scharlachroten Beerentrauben der schlanken Ebereschen vor der Mühle ins trauliche Gemach, wo die Müller-Rosl, ein Liedchen summend, spann.

Da vernahm sie draußen vor dem Fenster das »G'sangl«:

»Und wir geh'n, bei der Nocht,
Gor so gern, bei der Nocht,
Scheint der gonze,
Gonze Himmel voller Stern,
Bei der Nocht!«

Es war die schneidige Stimme des Jogl, der seiner stolzen Braut einen nächtlichen Besuch abzustatten kam. Rosl öffnete das Fenster und ließ den heiß ersehnten Buam einsteigen; mit einem kräftigen Schwunge war er im behaglich warmen Stübchen und drückte seinem Diandl ein Schnalzendes auf den küsslichen Kirschenmund, dass Hinz, der Hauskater, erwachte und vergnügt zu schnurren begann.

Und als sie dann so liebeselig auf der grünen Ofenbank vor dem geräumigen Kamine kosend und plaudernd saßen, erzählte Rosl mit Tränen im Auge den heutigen Auftritt mit ihrem Vater und bat den Jogl, nachzudenken, wie sich der harte Sinn des Aumüllers erweichen ließe.

Jogl, ein witziger Bursche, kam bald auf einen originellen Einfall. »Ich hab's!« rief er freudig aus und zog seine Dirne heftiger an sich. »Hör', was ich Dir sag', so muass 's g'macht werd'n! Du verlangst von Deinem Vater eine Stütze in der Wirtschaft, also eine Dirn', und schlägst ihm die Traudl vor. Da wird er gewiss Feuer und Flammen werden. Ist nun die Traudl einmal im Haus', so wird's Dir ein Leichtes sein, ihr Vertrauen zu gewinnen. Dann wird sie in unseren Plan eingeweiht. Und was meinst Du dazu? Ich geh' ein paarmal zu der Traudl – fensterln, Du verrätst mich heimlich dem Vater, er erwischt mich – und der Teuf'l müsst nit kohlschwarz sein, wenn Dein Alter nicht über die Ohren eifersüchtig wird. Ich werd' ihm erklären: Weil ich die Rosl nit kriegen kann, so versuch' ich's mit der Traudl! Und er wird sich die Traudl sichern und mir die Rosl abtreten. Was sagst Du dazu, mein lieber Schatz?«

Und Rosl sah ihren Jogl mit unendlicher Liebe an und billigte seinen Plan ... Erst spät in der Nacht, als sich bereits der östliche Saum des Himmels purpurn färbte, verließ der liebegesättigte Jogl die Aumühle, und die treuesten Blauängelein gaben ihm das Geleite ...

*

Es war eine frostklare Adventnacht, mondhell und sternlicht. Die Traudl befindet sich seit einigen Wochen in der Aumühle und verlebt die angenehmsten Tage ihres Lebens. Die Rosl ist mit ihr eine Hand – die Traudl weiß längst, warum. Sie ist bereit, die Eifersucht des Aumüllers auf die Probe zu stellen. So verabreden die zwei spinnenden Mädchen, die heutige Nacht zur Ausführung des Jogl-Planes zu benützen, und Jogl wird mit ihrem Entschluss vertraut gemacht.

Der Aumüller war heute etwas angeheitert vom Casino zurückgekehrt; mit dem »Jaga« hatte er einen Streit gehabt, und weil ihm dieser den »dummen Bauer« auf den Kopf geworfen, so nahm er nicht im mindesten Anstand, dem Waidmann den steinernen Maßkrug zurückzuwerfen, so dass er bluttriefend nach Hause getragen werden musste. Triumphierend kam er in seiner Mühle an und meinte großmäulig zu seiner Rosl: »Heut' war ich der Andreas Hofer, hab' den Franzos' erschlagen!«

Während ihm Rosl den Nachttisch deckte, fragte er nach der Trandl.

»Die schloft schon längst in ihrer Kammer!« bekam er zur Antwort.

»Wohl recht müad, die Traudl?« bekümmerte er sich.

»Nit so sehr!« meinte Rosl. »Sie hot wos onders im Schild, Voda! I kunnt do G'schicht'n dazähl'n, dass Enk 's Hör'n und 's Seh'n vergang!«

Der Aumüller riss die Augen auf wie ein Dummer, der zum ersten Male gescheit wird und meinte ungestüm:

»So red' amol deutsch!«

Und jetzt sprach die Rosl deutsch! In verstelltem, weinerlichemTone erzählte sie dem Vater, wie der treulose Jogl aus Ärger über den Starrsinn des Vaters allnächtlich an das Fenster der Traudl schleiche und mit ihr dort oft stundenlang kose und auch das Heiraten verspreche. Im nächsten Fasching soll sogar schon die Hochzeit stattfinden! Die Traudl selbst hätte es beim Spinnen erzählt und auch verraten, dass der Jogl heute wieder käme, und nur aus diesem Grunde wäre sie so früh zu Bette gegangen.

Das war für den Aumüller freilich eine Hiobspost. Kein Wort sprach er, keinen Bissen aß er, keinen Schluck Bier nahm er, um in der Dachkammer nachzugrübeln, wie diesem Übelstande zu begegnen wäre.

»Treulose Dirn'!« begann er seinen Monolog, »ist dir also der Postknecht lieber wie der Aumüller? Das geht net, das därfst du net zualoss'n, Cenz, dass du dich so schnöd vom Postjogl vertreiben lässt, du muasst Herr werd'n und sollt der Jogl selbst dein – Schwiegersohn werd'n!«

Während er so deklamierte, klang von unten herauf ein schneidiges Liedl an sein Ohr:

»Traudl, erbarm' Dich mein,
Loss mi' beim Fensterl 'nein!
Draußt is so kalt da Schnee,
Tuat ma so weh'!«

Und dann gab es einen Jauchzer, dass es im Auwalde laut widerhallte. Der Müller geriet in fieberhafte Aufregung. Leise schlich er sich hinunter, den knotigen Stock schwang er in der zuckenden Rechten, und gerade kam er dazu, wie der Jogl am offenen Fenster der Traudl stand und heimlich mit der Dirn' flüsterte.

»Sündenlump!« donnerte ihn der Müller von rückwärts an, »heut' gehst Du mir net heil fort!« – packte ihn am Kragen und wollte ein Prügelkonzert beginnen. Aber der Jogl entwand sich seinen Fäusten und verschanzte sich, weil er mit dem zukünftigen »Schwäher« nicht raufen wollte, hinter einer Eberesche. Und nun ging die Lamentation mit der Traudl los. Alle möglichen Vorwürfe bekam die Magd zu hören, bis sie laut aufschluchzte. Endlich brachte sie die Worte hervor: »D' Leut red'n von mir schlecht, seit ich in der Anmühl' bin; sag'n, ich sei dem Müller guat zum – Munkeln, heirat'nt tät' er mich so net – und weil's dem Jogl bei der Rosl auch net besser geht, so hab'n wir uns das Wort geb'n, z'sommzuheirat'n, und im Fasching soll d' Hochzeit sein. Morg'n geh' ich aus 'm Deanst!«

Das war für den heiratslustigen Müller abermals eine niederschmetternde Neuigkeit, und es wurde ihm angst und bange dabei. In solcher Gemütsverfassung sprach er zum Jogl:

»Her gehst zu mir und losst mit Dir a Wörtl red'n!«

Der Jogl gehorchte. Der Müller aber fuhr fort:

»Ich denk', wir sprech'n ein g'scheidt's Wort mitsomm': Du b'halt'st Dir die – Rosl und gehst auf d' Anmühl', und i bleib' bei der Traudl und geh' privatiser'n. Bist einverstanden?«

In diesem Augenblicke stürzte die Rosl aus dem Hause und fiel dem Vater um den Hals, dabei heiße Dankesworte äußernd. Und die Traudl bekam dabei den ersten »ordentlichen« Kuss von ihrem »hitzigen« Bräutigam, und alles war geschlichtet.

In diesem glückseligen Momente aber gedachte der Aumüller seiner gottseligen Ursel, und deshalb bezahlte er des anderen Tages die Rorate »auf eine gute Meinung«, wohl auf die gute Meinung, dass sie ihm im Jenseits seinen tollen Streich verzeihen möge.

Und am »Stefflstog« zu Weihnachten führte der Aumüller die Traudl und der Jogl die Rosl zum Biere, und in den ersten Faschingstagen gab es im Dorfe große Doppelhochzeit. Der Postjogl wurde Aumüller und der Aumüller sen. wurde Privatier, und beide lebten mit ihren Weibern glücklich und zufrieden.

Erst als dem Jogl der erste »Prinz« geboren wurde, erfuhr der »Schwäher« den wahren Sachverhalt der Tatsachen, der ihn auch weidlich lachen machte.


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