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Der »Krumpfingerl«

»Kriag'n toan's mi net,
kriag'n toan's mi net,
Zu den Soidot'n noarn's mi net –
Woi ba meina Urschl bleib'n:
Sie is mei Scheib'n!«

Er sang es mit heller Stimme, der »rote Thomas«, als er an einem milden Spätherbsttage dem Laubwalde zuschritt. Das Laub der Buchen war »herbstlich schon gerötet«, nur die Fichten prangten in ihrem unverwüstlichen Grün, ein Bild ewiger Hoffnung und Beständigkeit! Sonst zieht an so melancholisch-stillen Herbsttagen unsagbare Wehmut ein ins Menschenherz – aber bei dem Thomas war eine solche Gemütsstimmung nicht zu merken. Den Rechen auf der Schulter, stieß er einen Juchheschrei nach dem anderen aus, und als er den Waldsaum erreicht hatte, warf er sich unter einer fruchtreichen Hagebuche nieder auf die dürre Streu, blickte empor zum heiteren Himmel und ließ sich's scheinbar recht wohl gehen. Dann griff er in die Tasche, zog sein scharfes Schnappmesser hervor, setzte sich auf, betrachtete die Finger seiner Rechten und begann mit ihnen folgendes interessante Gespräch:

»Erstens, du, Dam! (Daumen.) Wos für an Nutz'n host du? Du muasst dabei sein ban G'wihrhoit'n – Host owa sunst koa b'sond're B'schtimmung! Also loss ma di steh'n!

Zweitens, du, kloana Schlingl, dich braucht da Soidot schon gor net, soist also leb'n!

Drittens, du, Longer (Mittelfinger) – du bist da Hagler, di' brauch' i wia 's Amen im Gebet! Af di' holt i wos, du bist mei Stoiz und mei' Ehr, wenn du den dicken Hagl-Sepp aufhagelst! Du muasst g'schont werd'n!

Vierter du, d'Herrenleut' hoiß'n dich 'n Ringfinger, weil sie af di d' Ring, dö Dummheit'n, affi steckan und donn glaub'n, sö san da Kaisa oder gor da Herrgott soist! Di' schau' i net on, taugst zu nix!

Eudli' du, Fünfter! Du Hoisakra, Hoisakra, Hoisakra! Du bist da Soidot'nfinger, du muast im Kriag 's G'wihr odrucka, af di' schau'n 's bei da Assantierung, weil du schuiß'n muasst, wann sich dö Houh'n streit'n und dabei doch gute Freund' sand ... du Hoisakra woist mi zan Militär bringen – Rob'nviach, verdunnert's, wird dir owa net g'linga! Weg muasst du sa(n), weg muasst du sa(n), sog' i, und soll's 's Leb'n kost'n! Vastond'n, du Hoisakra? Mi' kriag'n s' net zan Schuiß'n und Leut-da-Mord'n, i bleib' ba meina Urschl dahoam, mirk da's, du Hoisakra, auf dem dö Houh'n d' Sieglring' trog'n, und den s' Zeigefinger hoißen. Hin muasst du werd'n!«

Nahm da der rote Thomas – man nannte ihn so, weil er fuchsrote Haare und das Gesicht voll roter Sommersprossen hatte – ein Fichtenzweiglein und begann in seinem Zorn ganz ordentlich auf den unschuldigen »Hoisakra«, den vermeintlichen »Soldatenfinger«, loszuschlagen, dass dem Thomas während dieser sonderbaren Prozedur selbst nicht wohl zumute wurde.

Aber nicht genug an den Rutenstreichen, die dieser verfolgte »Hahnabdrucker« zu erleiden hatte – der entrüstete Thomas schnitt in seinem Übereifer mit dem blinkenden Schnappmesser die Sehne des Fingers im zweiten Knöchel durch, dass das Blut im Bogen aufsprang, nahm dann ganz ruhig ein Schnürchen und band das Fingerende fest an das untere, in den Mittelhandknochen steckende Glied und ging scheinbar befriedigt, teils pfeifend, teils rauchend an seine Arbeit, das »Strahrecheln«. Jetzt hatte er ja einen »krumpen« Finger!

*

Die Sternlein leuchteten bereits am Himmelszelt, als der Thomas ins Dörfchen zurückkehrte. Nach dem Nachtmahle ging er unter seine Kameraden in »d'Häusa«. Beim »Pedei« (Peter) waren heute bei zwanzig sehnige, tannenschlanke Waldburschen versammelt, die alle im »Auswärts« zur Stellung mussten. Sie saßen um den breiten, frisch gescheuerten Buchentisch herum und sangen, erfüllt vom Bewusstsein kommender Standesehre, das »Infanterielied«:

»Frisch auf, ihr Brüder von der Infanterie,
Zum Kampf für Ruhm und Ehre!
Heut' geht's für unser Vaterland,
Kämpft mutig mit der Waffen in der Hand!«

in welches auch der pfeifenrauchende Pedei auf der Ofenbank einstimmte, weil er auch einmal der Infanterie angehört hatte. Dann kam das Trutzlied auf den »Cujon Napoleon«:

»Napoleon, Du stolzer Geselle,
Du sitzest so hoch auf dem Thron!«

welches mit besonderem Eifer gesungen wurde.

Da öffnete der rote Thomas die Tür, und vielstimmiger Gruß schallte ihm entgegen:

»Sing mit!« hieß es von allen Seiten.

»Fallt mir net ein, dass i Soldatenlieder singet!« erwiderte der Thomas stolz.

»He, Thomas, was meinst damit?« hieß es wie aus einem Munde.

»Weil i mei Lebtag koa Soldat werd'n mag!« brüstete sich der Thomas.

Die Burschen stutzten. Endlich meinte der »Franzei-Seppl«:

»Mit Dir werd'ns kurze G'schichten machen – zu der Infanterie kummst.«

Und alle stimmten dem Seppl bei; nur der Thomas zeigte eine lächelnde Miene, dann wies er den Burschen seinen »krumpen Finger« vor und sagte:

»Omp'schl'n (Amseln – Einfältige)«, schaut's, dos is – a Soidot'nfinger; wenn der krump is, dann ist's aus mit der Infant'rie. He?«

Jetzt hub ein entsetztes Gaffen an.

»Sakramentsbua, is Dir eppant gor a Uglück zuag'stoß'n?« fragte der Pedei.

»Abalei«, versicherte der Thomas. »Wenn d' Herr'n Houffaziere (Offiziere) glaub'n, dass so uns z' gscheidt werd'n, so irr'n sö sich; da Waldler is listig und g'scheidt a. I mog koa Soidot werd'n, mog mi net für die Houh'n amal daschuiß'n loss'n und dess'tweg'n hon i mia den Finger krump g'mocht fürs gonze Leb'n. Toat's m a's noch, Gimp'ln, wenn's a Schneid hobt's!«

Die Verwunderung über diese einleuchtende Rede war groß, und alles bestürmte jetzt den Wunder-Thomas, das »Rezept«, wie man krumme Finger mache, bekannt zu geben. Dem Thomas machte es ein Vergnügen, seine Heldentat recht breit zu schildern – und augenblicklich verstummten die Soldatenlieder. Jeder Bursche nahm sich vor, die Probe zu machen, keiner aber hatte den Mut dazu, weil man die Schmerzen und die etwaigen bösen Folgen fürchtete. So blieb der Thomas der einzige mit dem »krumpen« Finger, und fortan hieß er im Dorfe nicht mehr Thomas, sondern »der Krumpfingerl«.

Dem milden Herbst folgte ein langer, stürmischer Winter, und als die Osterglocken klangen, da erstand Mutter Erde aus ihrem Winterschlafe, und der Lenz, der schmucke Freier, steckte ihr ein grünes Sträußlein an den jungfräulichen Busen. Die Wälder legten ihren Laubschmuck an, in den Schlägen sprosste frisches Grün, buntfarbig entfaltete Flora ihre Pracht und Herrlichkeit, und die Amsel sang ihren seelenerquickenden Morgenhymnus.

Im Walde war es schön. Alles jubelte und freute sich des Lebens, nur die Dorfburschen sahen mit heimlicher Sorge dem nächsten Tagen entgegen. Sollte es ja jetzt zur Stellung gehen.

Gar so streng wären sie heuer – hieß es von der Kommission – der Major, ein echter Haudegen, wäre ein wahrer Rekrutenfresser, beinahe alle »blieben«, man müsse Krieg wittern.

So manches Mütterlein weinte in ihre Schürze hinein, manches Bäuerlein schlich kummergebeugt im Hause umher.

Aus wäre es, wenn »sie« den Burschen zur Marine nähmen, wie sie es dem Matrosen-Bertus und dem Steffel getan. Da müsste er fort in die weite, weite Welt, und dann – wie leicht könnte da einer ins »Mier« (Meer) fallen und von einem Haifisch verschlungen werden. Oder wenn es dem Russen oder dem Franzosen einfiele, einen »Kriag« anzufangen, o Gott, da könnte es leicht geschehen, dass so ein Bursche erschossen würde oder mit einem Stelzfuß zurückkäme, wie der »Zensi« aus der heißen Schlacht von Lissa. O Jegerle, o Herr Jegerle!

So ungefähr lautete die Lamentation der Mütter, Dirnen und Basen.

Allein das frische, übermütige Burschenblut jagte gar bald die entwürdigende Angst zum Teufel und ging lärmend und jauchzend zur Stellung ins Bezirksstädtchen. Der Ortsvorsteher und die Dorfmänner gaben ihnen das Geleite, der Richter durfte sogar im Saale neben den hohen Herren sitzen und manchmal sogar dem Major oder Bezirkshauptmann mit einer Priese aufwarten.

Der Lauteste war heute der »Krumpfingerl«. Er hatte erstens einen guten Tag, konnte jauchzen und zechen, und zweitens das Bewusstsein, als untauglich erklärt zu werden. Deshalb zahlte er allen Leuten, die er kannte, einige Maß Bier, und die so Bedachten stießen gerne mit ihm an und tranken auf seine Gesundheit mit der Losung: »Ich bring' Dir's!«

Endlich war die Stunde da, wo es »sich zeigen« hieß. Angesichts der bewaffneten Gendarmen verstummte der übermäßige Lärm, nur einige bereits illuminierte Spaßvögel machten ihre Witze, wenn sie einen aus dem Saale »abführten« zum Schwur für Kaiser und Vaterland. Die Untauglichen, gewöhnlich Staatskrüppel genannt, stürmten stracks ins Wirtshaus zum Zapfen und huben neuerdings ein großes Trinken an, und wenn es den »Stodtleut'n« nicht recht sein sollte, so waren sie auch geneigt zu zeigen, wie die Wäldler raufen und dreinschlagen können. Aber die toleranten Stadtleute zeigten wenig Verlangen nach solch einem Luxus und hielten es für das Beste, die Wäldler nach Belieben gewähren zu lassen.

Endlich wurde der Thomas in den Saal gerufen. Kecken Schrittes ging er zum Maße. Der Korporal stutzte, als der krumme Finger sein Auge blendete und flüsterte dem Burschen ins Ohr: »Wenn er nicht zur »Sanität« genommen wird, so geht er frei aus für immer!«

»Sanität?« Das war für den Waldburschen ein spanisches Dorf, das verstand er nicht; er wollte sich schnell noch belehren lassen, was damit gemeint sei, doch der Regimentsarzt trat schon heran und untersuchte den »schön gebauten« Burschen.

Ein zufriedenes Lächeln schwebte um seinen Mund – die Brust war in Ordnung, keine Krampfadern und Plattfüße, kein Kropf und kein Bruch, ein Prachtkerl! Da streifte der Blick den krummen Finger, und flugs schwand die Freude.

Bedenklich sah der Arzt das seltsame Exempel an, er besah es von allen Seiten und »sinnierte«, dann fragte er den Burschen, wieso er zu solchem Finger gekommen?

Der Thomas verlor über diese Frage die Fassung und fing zu stottern an, während ein tiefes Rot sein Milchgesicht überzog. Der Regimentsarzt ahnte Verstellung und versuchte es, den verhängnisvollen Finger aufzuziehen – aber es ging nicht.

Der Arzt dachte an Widerstand, fasste das Fingerende an und riss es mit ganzer Kraft in die Höhe, dass zum zweiten Male das Blut im Bogen aufsprang und der Thomas wild aufschrie. Jetzt verlor der Arzt die Fassung. Da erhob sich der Major, drehte sich den meterlangen Schnurrbart, machte mit den Lippenmuskeln allerlei komische Zuckungen und Tänze und stellte sich mit der ganzen Strenge eines alten Haudegens vor den Thomas hin, ihn barsch anredend:

»Wenn er nicht gleich die Wahrheit spricht, wieso er zu diesem Finger gekommen, so erkläre ich ihn für tauglich und lasse ihn abführen!«

Da dachte der Thomas an die rätselhafte »Sanität«, vor den Augen begann es ihm zu flirren, die Sinne wollten ihm vergehen; der Gedanke, nun doch Soldat zu werden trotz alledem, war fürchterlich. In dieser Situation hielt er es für das Beste, alles der Wahrheit getreu zu erzählen und mit wachsendem Staunen hörten ihn die »Houh'n« an.

Als er mit seiner Beichte fertig war, sprach der Major mit Donnerstimme:

»Tauglich zum Sanitätsdienst!«

Der Thomas wankte zurück, da fassten ihn zwei Gendarmenarme und führten ihn ab zum – Fahneneid, den armen, armen Thomas.

Die Mutter weinte, die Urschl weinte, als der Thomas einrücken musste. Trotz des krummen Fingers leistete er wacker Dienste in den Spitälern, und als drei Jahre abgedient waren, ging er mit seinem krummen Finger freudig auf Urlaub und hochzeitete noch vor »Kathrein« mit der Urschl und blieb bis zum heutigen Tage – ich weiß nicht, ob er noch landsturmpflichtig ist – der lustige »Krumpfingerl«.


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