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Syrische Herberge

Obdach

In der Hitze des Tages verlassen wir die Hütte, in der es kühl war wie in einer Grotte. Die saubere Binsenmatte, die Melone aus dem Garten, das Mittagsgebet des Türken, der mit uns diese Höhle betrat und dann in entgegengesetzter Richtung weiterfuhr, war unsere Erquickung. Wir fahren jetzt im Schritt über die mit Steintrümmern besäte glitzernde Erde. Am Abend geraten wir in eine gelbweiße Wolke. Bauernweiber waten in Meereswellen von Getreide. Der Wind bläst über die Tenne und wirbelt die Spreu hinweg, einen stechenden, atemraubenden Rauch.

Im Hof der Herberge lehnen die Deichseln der Reisewagen; ein Türke, die Meerschaumkette in den Fingern, steht auf dem niederen Dache, um Luft zu schöpfen. Seine Frauen sitzen verhüllt und regungslos in der offenen Kammer neben dem Tor. Auf den Äckern, die das Dorf umgeben, sproßt dünne Saat; das niedere Gebirge in der Ferne ist wie aus einem blauen Edelstein geschnitten, mit einer hübschen purpurnen Wolke darüber. Kobi sagt: Auch hier wird man die Bahn nach Aleppo bauen. Kobi, dieser hagere, fiebergelbe Sohn eines Tirolers und einer Inselgriechin, oder was weiß ich, was sich da zusammenfand, als er an einer der Gassen von Pera geboren wurde, sucht Arbeit beim Bahnbau, er ist mit mir gegangen. Wir liegen im Wagen hinter dem armenischen Kutscher und einem mageren Proviant. Zu sprechen gibt es wenig. Eine schiefergraue Wolke verfinstert den Himmel, sie wächst riesengroß, ohne näherzukommen und bebt von Feuer wie eine mystische Säule. Als das Wetterleuchten aufhört, ist alles dunkel.

Ich sitze, von der Finsternis gefangen, auf einem runden Stein mitten im Dorfe. Irgendwo in den Lehmhütten, aus denen kein Lichtstrahl dringt, schreit ein kleines Kind. Ein Hund streicht vorüber, Schakale bellen. Ich richte mein Taschenlämpchen gegen etwas Ungeheueres, das rasch auf mich zukommt. Ein Esel, schwer beladen, springt zur Seite, er verschwindet wie das Gesicht des Führers. Dann brechen die Sterne in alter Ordnung durch den Himmel. Der Boden um mich her ist voller Gruben. Ich sitze ohne mich zu rühren. Endlich erscheint eine Laterne. Ein Mann setzt die Laterne zu Boden, hebt die Hände an den Mund und ruft.

Es ist Kobi. Wir setzen uns schweigend zum Abendessen, Eier, Brot, ein Trunk Wasser mit griechischem Kognak. Dann kriechen wir in den fensterlosen Raum. Mitten in der Nacht sehe ich Kobi, eine Kerze in einer Hand, seinen Gürtel als Peitsche in der andern; eine Fledermaus jagt ängstlich pfeifend umher, schießt ihm ins Gesicht und entwischt zu den Sternen. Eine Ziege kommt herein. Das Maultier vor der Tür hustet und beginnt sein steinerweichendes Geschrei.

Trümmer, glühende Wände

Hier am Rand der Wüste haben Städte gestanden. Säulenstücke, Simse, Kapitäle, Kanäle und Kammern, – alles ist dem Erdboden gleichgemacht. Zwischen den umgestürzten Brocken ragen die kalkweißen Mauern einer übriggebliebenen Grabstätte und die Ruinen erst vor Jahrhunderten gebauter Moscheen. Wir erreichen Ma'arrat en Noman. Die Karawanserei steht auf einem Hügel, der Normannenburg mit den vermauerten Fenstern gegenüber. Ein Säbel und eine Flinte, aus Holz geschnitzt, verwitterte Zeichen der ehemaligen Kaserne, hängen noch über der steinernen Inschrift am Tor. Der Hof ist mit Gras bewachsen. Weiße Tauben umflattern ein paar alte Männer in zerrissenen Soldatenmänteln. Der Flecken hier ist bewohnt, doch sind die Gassen von Steintrümmern fast verschüttet. Der Basar ist eine Färberwerkstatt, eine Schmiede, ein paar Lädchen, alte Mühlen, in denen Eselshufe poltern und Balken knarren. Dabei ein Badhaus. Magere Einwohner, in ihre Tücher gehüllt, sitzen stumm auf den Polstern. Ein Flickschuster, in weißem Turban, arbeitet inmitten eines Haufens zerrissener Schuhe und hört Knaben Koranverse ab.

Lautlos bin ich plötzlich von Kindern umgeben. Das Rudel folgt mir bis in die Torfahrt der Herberge, die wie ein altes Kloster ist. Sie sind braun und sehnig, ihre Gesichter sind mit roter Farbe beschmiert, ihre Augen verklebt, entzündet, triefend. Der Wirt schließt das Tor und trägt seinen Kram beiseite, Faden, Packnadeln, Nägel für den Bedarf der Reisenden, Zigaretten, Eier, einen Korb Trauben, ein paar Töpfe Dickmilch. Die Kutscher schlafen schon auf den Steinplatten des Kreuzganges, die Reisenden sitzen vor den Zellen beim Lagerfeuer, ein griechischer Geistlicher, ein paar Kaufleute, drei junge Armenier vom amerikanischen College in Beirut. Über ihrem Nachtgeschwätz leuchten winzig und scharf die Sterne.

Ein Reisetag

Immer noch Kapitäle, Steinsplitter, Löcher im Boden. Die Lehmhütten des Dorfes Schechun sind zahlreich, steil und sanft gerundet wie die Brüste der braunhäutigen Diana von Ephesus. Zwanzig Kamele, aneinandergefädelt, wogen daher und werden entladen. Pferden wird Streu und Futter zugetragen. Nur das alte Pferd am Ziehbrunnen, von einem Knaben geritten, arbeitet. Die Kutscher strecken sich am hellen Tage zum Schlafe aus wie immer; ich steige auf den Bock meines Wagens und sehe über die Mauer. Eine Herde dürrer schwarzer Rinder kommt in einer roten Staubwolke, Mädchen und Frauen schreiten leichtfüßig zwischen den Tieren, sie bücken sich in den Knien nach dem Mist, um ihn mit einer Schaufelbewegung auf den scheibenförmigen Körben abzuladen, die sie statuenhaft auf den Köpfen tragen. Still, aufmerksam, mit vorgeschobenem Leib gehen die Frauen ins Dorf. Das Dorf liegt in der Bodenfalte wie aus der Erde gegraben, der Teich ist mit zerrissenem Schlamm gefüllt. Jetzt glühen auf einmal die armseligen Lehmwände. Die Kristallsplitter am Boden blitzen wie Diamanten. Alles ist ein Rausch, ein goldener Posaunenton von Braun und Orange, Ocker, Gelb und Gold, einen Augenblick sind wir die Sonne selber. Dann verlöscht es. Ein Wind wie vom Meer trifft meine Schläfe, das Blau des Himmels, ganz dünn geworden, zerbricht wie Glas. Die Sterne brechen durch.

Reisende sitzen auf der Deichsel meines Wagens, Schwarzgekleidete, ein Franzose und ein rothaariger Syrier aus dem Jesuitenkolleg in Homs, unterwegs nach dem Libanon. Sie empfehlen mich dem Bruder Pförtner dort, er sei aus der Kölner Gegend.

Bahnarbeiter

Am nächsten Mittag Melonenfelder, Feigengärten. In den Bäumen Granatäpfel. Die Akazien an der Allee von Hama stehen wie in der Glut eines Ofens, die Häuser strahlen Hitze, sie haben Ecksteine aus schwarzem Basalt, viele haben zebramäßige schwarze Querstreifen. Der Fluß auf der Talsohle ist eine Wundergasse von Pappeln, Nußbäumen, Weiden, Reben. Am Wehr mit dem steilen, von Sträuchern flimmernden Ufer drehen sich Schöpfräder. Sie sind haushoch, altersgrau, älter und höher als die meisten Häuser hier; seit Jahrtausenden tauchen sie ihre Schaufeln in den Orontes und gießen kleine Bäche in die bemoosten hölzernen Rinnen, die über Dächer und Baumwipfel nach allen Seiten zu den Gärten führen.

Kobi will zum Bahnhof. Das rote Dach leuchtet auf der Anhöhe. Wir steigen zu den Baracken hinauf, die Bahnarbeiter sind beim Mittagessen. Eine hagere Frau, einen Männerstrohhut auf dem Kopf, tritt aus der Tür, um Tomatenabfall fortzuwerfen. Fliegen bilden schwarze Knäuel auf den nassen Tischen. Diese Bahnarbeiter haben in Anatolien, in Cilicien, am Euphrat, in Uganda gearbeitet. Einer, ein Barbar mit ungeheueren Kinnladen, sitzt vor der Rotweinflasche und der Wasserpfeife, er schaffte vor einem Jahr auf dem Bahnhof von Philadelphia. Der Ingenieur kommt. Kobi, allen bekannt, wird angenommen. Er fragt nach Veri, nach hundert Bekannten. Man weist uns das Feld hinab, an der Ziegelei vorüber. Frauen, Kinder sitzen apathisch in den schmalen Schattenstreifen vor den Türen arabischer Häuser. Wir entdecken Veri in einem Hofe, er hockt da, ganz allein, einen Frauenschal um die Schultern, einen weißen baumwollenen Hut ins Gesicht gezogen, er ist gelb, dürr, erloschen und verzieht keine Miene. Seine Stimme ist tonlos vom Fieber. Das Haus ist leer. Alle sind zum Begräbnis des Bambinos. – Und wie ging es euch in Uganda?

Uganda? Ettore, Luigi, der dicke Marco Zanetti und noch andere, – o Madonna, sie haben alle ihren Balg dort gelassen. Und nun das Kindchen. Sie begraben es soeben in einem Sandfeld an der Landstraße. Es hatte die Reise so gut überstanden ...

Wir gehen in die glühende Stadt hinab, an großen fabrikähnlichen Häusern vorüber. Die Türen stehen offen. Männer sitzen vor riesigen knallenden Webstühlen und weben rotweißkariertes Zeug da drinnen.

Das Gespräch der Schöpfräder

Das Hotel ist ein sehr schmales, ungewöhnlich hohes Haus mit der Stiege an der Außenwand. Der Wirt öffnet mein Zimmer mit einer Art von Feuerhaken. Am Nachmittag erscheinen Teppichhändler. Teppiche bedecken den Fußboden, die Wände. Man geht in Strümpfen umher, die Gäste sitzen auf den verbrauchten Sofas an der Seite, ein Glas Tee in der Hand. Mein Kopf ist wie gehämmertes Metall. Endlich erwacht die Straße. Die Türme, schmal wie Kerzen, die Würfel der Häuser, dahinein das Rufen der Muezzine, vereinen sich zu einem schwermütigen Schwarzgold. Das Gewimmel hängt in den Ästen der Akazien Lichter über sich auf. Stühle, Sofas, Podien werden auf die Straße gestellt. Lampen beginnen zu schaukeln, Knaben tragen da unten Abendessen, Scherbetgläser, Holzkohlen, Wasserpfeifen umher. Die Buden werden dunkel und hell im Strom der Fußgänger. Dazwischen sind weißseidene Burnusse, Reiter auf hochmütigen Pferden.

Kobi trägt vor mir die Laterne durch dunkle hochgemauerte Gassen. Aus einer Schmiede werfen uns Buben Knallpatronen vor die Füße und rennen schreiend davon. Wir betreten einen Garten an einer unbeleuchteten Straße und treffen muntere, kameradschaftliche Männer: Italiener, Franzosen. Einer schenkt mir eine römische Münze, heute beim Streckenbau gefunden. Wir sitzen unter einem Zitronenbaum am Rand des Brunnens, trinken weißliches Schnapswasser und kauen Oliven. Bei Tisch erscheint der Ingenieur mit seiner Dame. Erobernde, einzige, furchtlose, kränkliche Frau, mit Steinen behangen, geschminkt und alternd hier in der fremden fiebernden Stadt, über uralten Dingen.

Wir gehen nach Hause. Durch die Stille der Nacht dringt das Knarren der Schöpfräder. Jedes hat seinen Namen und seine eigene Stimme. Es ist ein Poltern, Flüstern, Knarren, eine halblaute eifrige Unterhaltung wie von lebenden Wesen, die im Bade plätschern. Unsere Schritte hallen in den Gewölben des Basares und locken die Wächter herbei, an jeder Kreuzung einen, mit dem Stock in der Faust. Ein Netz von Signalpfiffen folgt uns. Das Labyrinth, die Stadt ist noch warm wie ein lebender Körper. Das Musselin um das Bett in meinem Zimmer ist zerrissen, es wird gegen das Ungeziefer keinen Schutz mehr bieten. Was tun? Ich steige auf den Tisch und strecke mich aus.

Um zwei Uhr klopft der Kutscher. Der Wirt, verschlafen, hebt die Petroleumlampe von der mit Zeitungspapier bedeckten Kommode und leuchtet in die Straße hinunter, es ist noch alles Traum. Erst das Hüpfen und Anprallen des Wagens macht mich wach. Die Pferde galoppieren ganz leise den Berg hinauf durch tiefen Staub. Im Tal liegt die Stadt todbleich im eiskalten Sternenlicht. Nur der Himmel lebt. Sternschnuppen fallen jeden Augenblick. Lichtstreifen, Punkte blinken und erlöschen, dieser Himmel hat eine lautlose, funkelnde, böse Geschäftigkeit.

Pflanzenblatt

Jetzt hat sich alles geändert. Kobi hat mir die Hand gegeben und ist zurückgeblieben. Der Zug ist wie ein kleiner, rauschender, schnellfließender Bach. Er rollt wie eine Quecksilberkugel in der Falte der rosafarbenen Gebirgszüge. Die Ränder des Libanon begleiten die schmale Ebene und tragen auf ihren kahlen Wellen die Spitzen von Schnee ... Breit, ausgeflossen liegt Homs. Die Minaretts dieser Stadt sind glänzend schwarz wie Asphalt und schmal wie Schornsteine. Dazwischen die Kuppeln der Badhäuser, kahl wie Glatzen, auf dem Hügel die zerbrochene Zitadelle. Auch in dieser Stadt sind Hieroglyphen, Katakomben im Boden, es ist ein Nachhall von vergessenen Herrschern, von Amazonen und Römern in der heißen Luft. Eine ununterbrochene Kette von Beduinen, Bauern und Lastträgern reicht vom Bahnhof bis zum Basar. Leute steigen in den Zug. Ein Mann von hier, europäisch gekleidet, verläßt die Stadt nach einem Urlaub von drei Wochen, bedrückt von ihrer Langeweile. Er ist Postbeamter in Kairo. Er wünscht die schleunigste Ägyptisierung dieses Landes.

Dann ragen die glühenden hohen Rokokosäulen von Baalbek aus den Silberpappeln. Lauben, Steinbrüche flimmern. Kinder spielen auf den geschälten Baumstämmen der Oase. Bauern mit ihren Rindern durchwaten den schleiernden Bach, ein Kind bietet mir ein aus bunten Fäden gestricktes Täschchen an und wickelt die Geldmünze in sein Tuch. Zwei Frauen stehen plötzlich dabei, die ältere im dunkelroten, die andere im rosa Kleid. Ein Mann kommt aus dem Schatten. Er schenkt mir Walnüsse, weiße feste Kerne. Wir gehen alle in sein Haus und sprechen englisch; der jüngere Bruder, herangewachsen, steht im Begriff nach Boston auszuwandern, die anderen sind in Australien gewesen, sie haben Geld gespart. Das erneuerte Dach des Hauses beschattet breit den Altan. Nur der Vater, grau und schweigsam, sitzt vor der Tür, als ob die Armut noch nicht vorüber sei und raucht aus einer Blechkanne mit hölzernem Mundstück. Über uns ist das grellrote Dach und das tiefe Blau des Nachmittages, Milch und Früchte stehen vor uns. Wasser, bitte.

Leute bringen mich in das Hotel, kaum vermag ich dem Wärter über den Korridor zu folgen, dessen Steine so schwarz und glatt sind. Ich falle auf das Bett. Die Rosagekleidete stellt einen kleinen Becher mir zu Häupten und geht leise fort. In dem kleinen weißen Becher ist ein wenig Wasser und ein grünes weiches Pflanzenblatt, nierenförmig, mit pelzigem, biegsamem Stengel und einem würzigen frischen Duft. Wie leicht ist es da, ein wenig zu schlafen.


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