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[Vorwort]

Schöpfungswerk und Menschenarbeit

Vielleicht war die Erde, als alles wüst und leer war, schon einmal das Wrack einer früheren Schöpfung. In dem einen Menschen, der sich aus der Flut rettete, blieb der Urvater derer erhalten, die dann in unzähligen Vergewaltigungen ihre Knochen gebrochen, ihr Fleisch gemahlen, ihre großzügige Unordnung in kleine Ordnungen verwandelt haben. In den gleichmäßigen Gang der Jahreszeiten fügte sich als Thema der fortschreitenden Änderung der Erdoberfläche die Arbeit von Generationen.

Dich, der jetzt in der Eisenbahn durch das Land hinfährt, ergreift plötzlich der Eindruck der von vielen Geschlechterfolgen geleisteten geduldigen Arbeit. Die harten Formen der Berge sind ausgeglichen vom gepflegten und umgrenzten Bewuchs, die Berglehnen erscheinen wie ein gewolltes Gebäude, auf dem die hängenden Gärten jenes Zauberers Platz gefunden haben, der die sommerliche Spiegelung des Flusses, die zarten, angreifenden Nebel des Herbstes zur Arbeit am Weine zwingt. Die öligen und kristallenen Klumpen der Erde, aufgefunden in mühsamer Unterscheidung und Abgrabung, fallen in abgewogenen Mengen den Wagen und den Schiffen zur Last; die Fabriken sind die gemauerten Herde zu ihrer Umformung geworden. Durch die halmartigen Schlote entflieht das Gasförmige der vom Feuer gequälten Rohstoffe, aus den Mischungen und Verschränkungen der Materie entstehen neue Verbindungen, Gewebe, Geräte, die die Natur ohne den Menschen nicht bilden würde. So sind jene zu einem kurzen Dasein und Verbrauch künstlich zusammengesetzten Gegenstände unserer kurzlebigen, zusammengesetzten Natur verwandt. Arbeit durchzittert jene Dinge, wie sie uns durchzittert.

Ich gehe durch das Industrieland. Dort fällt der wie von unzähligen Zerstäubern ausgebreitete Ruß auf die Straßen nieder; die Ausdünstungen der Kohle, die säuerliche Luft der Gerbereien, der fade bittere Geschmack der Spinnereien, der stumpfe ungesunde Hauch der metallverarbeitenden Betriebe mischen sich in die Atmosphäre und erzeugen den scharfen Geruch der Städte. Ich fühle mich immer wieder zu den Städten hingezogen. Ich bestieg Türme, las Landkarten immer wieder, um die Städte, diese dichten, oft rätselhaften Gestaltungen, zu übersehen. Allmählich lernte ich die mittelmäßigen beiseitelassen und wählte einzelne Städte gleichsam zu meinen Göttern. Sind nicht heute die Städte allein noch die Träger des großen künstlichen Glanzes, die über den dunkeln Gewölben bedrückter Existenzen und unheilbaren Elends mutig das ganze Dasein der Menschenmasse in den Wind des Schicksals, in die Entscheidungen drängen? Sie sind alle zusammen der Ausdruck einer großen, noch unausgetragenen Bewegung, in die der ewig forschende, tätige, genußfrohe Mensch verwickelt ist, dieser tapfere, kühne Mensch, der sich vor keiner Verantwortung scheut.

Aber vielleicht scheut er sich nur deshalb nicht vor seiner Verantwortung, weil er sie in ihrem ganzen Maße nicht kennt? Alle Städte wollen das Unmögliche. Deshalb liebe ich sie. Ich lernte Städte durchschauen wie Personen. Sie sind die unerschöpflichen, schwer zugänglichen Werke der Generationen. Die Natur, gewiß, ist unsere große Mutter, unsere Zuflucht auch vor der verzehrenden Fiebrigkeit der Städte. Städte sind der Natur gegenüber männlich bis zur Zerstörung, aber sie wissen ihr auch zu schmeicheln; sie erscheinen zuweilen als die stolzesten Früchte der Natur, die ja selber durchaus nicht immer idyllisch und lämmerhaft ist. Der Mensch, der Möbel, Maschinen, Häuser, Trambahnen baut, Gärten und Alleen pflanzt und alles in seine Städte einschließt, geht mit allem Naturhaften eine Verbindung ein, die mehr ist als das Herumkratzen des Landmannes auf dem Boden.

Jede Stadt war einmal ein Wagnis und bleibt eine Herausforderung an das Schicksal, solang sie steht, voll Mut selbst zum Bösen, voll Mut, aus jeder einzelnen körperlichen und geistigen Wirkung des Menschen, aus seinen Arbeiten, aus seinen Zerstreutheiten breite Sammelwirkungen zu machen. Mir sind Städte bleibender, wichtiger als Staaten. Ich selbst komme mir manchmal vor wie eine Stadt.

 

Von den Festländern schweben die Gerüche über das Meer und senken noch auf die im Blauen dahinpflügenden Schiffe eine unsichtbare Wolke. So ergreift uns die Künstlichkeit dessen, was Menschen geschaffen haben, in den schwarzgoldenen, violett und gelbgoldenen Stimmungen großstädtischer Hauptstraßen bei Nacht oder vor den dünnen gläsernen durchsichtigen Mauern der mit Musik und Farben, mit Marmor und Fontänen geschmückten Warenhäuser, wo der endlos rinnende Lauf der Waren in der scheinbaren Ruhe ihrer Neuheit Halt macht. Diese Neuheit dauert nie länger als einen Augenblick. Wir ergeben uns alle der Arbeit, die kein Spiel mehr ist, um nicht verstoßen zu sein in der Menge der Mitmenschen, die sich mit den Trophäen des Erwerbs schmücken. Auf dem Lande gleicht der Umsatz der Lebenskraft der Menschen noch dem stillen Gedeihen und Früchteabwerfen der Bäume; aber in den Städten ist die Arbeit, der Kraftumsatz der Massen wie der Turmbau, der niemals fertig wird. Wenn er jemals fertig wäre, müßte er Glocken tragen, die in das Weltall hinausschallen.

Die Erde, die in ihren stumpf gefärbten steinernen Schichten noch eine Erinnerung an die Kämpfe ihrer Urzeit aufbewahrt, findet ihr Abbild in den stoßenden, sich still übereinander hinlegenden, nach Ruhe verlangenden Schichten der Völker. Neben den Abgründen, die sich öffnen, prangt die lachende, unbegrenzte Weide der Glücksfähigkeit des menschlichen Wesens auf dieser Erde, angedeutet in Spielen und Tänzen, in Zeremonien, in festlichem Gepränge, in großen Schaustellungen. Unsere Zeit kann für jeden, der noch an den Dingen seiner Nähe hängt, nur zweierlei Zukunft haben: den Verzicht eines abgestumpften, in seinen Erwartungen und Antrieben verarmenden Geschlechtes, oder die Überwindung des Raumes, die Herausstellung der Dinge in einer Kunst, die der Ausdruck eines unersättlichen Lebenswillens ist.


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