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Mandschuland

Opferbehälter und Telegraphen

Das Meer schimmert kühl in unbestimmter blaugrauer Farbe über dem felsigen Strande. Die Sonne leuchtet über das satte braune Rot der Erde, Saatfelder fügen sich dazwischen mit ihrem blinkenden Grün.

Der Zug hält bald nach Sonnenaufgang in Mukden. Nicht weit von den langgestreckten, niedrigen, schon baufälligen Bahnhofsgebäuden aus der Russenzeit, dem Schauplatz erschütternder Szenen während des Krieges, erhebt sich der geräumige ziegelrote Bahnhofsneubau. Eine breite Straße führt zur Stadt. Es ist zuerst, als sei man in eine rasch entstandene Arbeiterkolonie geraten. Kleine, in Reihen geordnete steinerne Häuser wechseln ab mit hölzernen Wohngebäuden und Läden, wie sie nur Japaner bauen. Auf dem klirrenden Rickschawagen fährt man dem Geleise einer Pferdebahn und der zerfallenen Mauer eines uralten Baumgartens entlang. Aus den Wipfeln ragen die fremden Formen eines verwitterten Denkmals. Es ist eines jener Bauwerke, wie man sie in China nur vereinzelt trifft; man findet ihre Urform in den Lamaklöstern von Tibet und der Mongolei. Hier in Mukden steht ein Exemplar von besonderer Höhe. Das kubische Postament trägt einen auf Stufen gemauerten kesselartigen Opferbehälter; darüber ragt, von Grasbüscheln umgeben, eine in Ringen abgesetzte schlanke Pyramide, die ein hornartiger Aufsatz krönt. Eine windschiefe Telegraphenstange hebt sich zugleich mit dieser Stupa vom Himmel wie ein Schellenbaum mit rotblinkenden Saiten ab.

Der alte Opferturm ist das erste Wahrzeichen der völkergeschichtlichen Bedeutung, die Mukden schon unter den Mandschufürsten gehabt hat, als sie noch von China unabhängig waren. Nicht weit von hier liegt das Kloster der lamaistischen Mönche. In einigen der zu Tempeln umgewandelten Kaiserpaläste in Mukden, Peking und Jehol führen noch heute wie vor dreihundert Jahren diese Mönche mit ihren lebenden Buddhas, ihren Äbten und Novizen ein beschauliches Dasein. Hier in der äußeren Zone der Stadt sind sie die Grundbesitzer, und die nüchternsten europäischen Bauwerke erheben sich auf ihrem Grund und Boden. Gärten und Wohnhäuser reihen sich an der gut chaussierten Straße, dann folgt der mit Zink gedeckte Fabrikbau der angloamerikanischen Tabakgesellschaft und ein von Feldwegen durchzogenes Brachfeld mit den Anfängen eines öffentlichen Gartens. Im Hintergrund aber ragen im Schatten hoher Bäume dunkelgelbe Dächer und graue, mit grünen Löwen und Drachen geschmückte chinesische Amtsgebäude, aus deren Höfen die weißen Flaggenmasten fremder Konsulate ragen.

Diese Gebäude stehen außerhalb der Stadtmauer, die mit ihrer Steinwand von siebzehn Kilometer Länge zweihunderttausend Einwohner umschließt. Auch einige breit angelegte, von der Außenwelt durch Gärten abgeschlossene Amtsgehöfte stehen hier im Freien. An die Lehmwände stützen sich die rauchgeschwärzten, übelduftenden Hütten der Trödler, Grobschmiede und Garköche. Da stehen ganze Serien von Reis- und Bohnengerichten in billigen Schalen und bauchige Heißwasserspender, Vorbilder des Samowars, gelbe, niemals geputzte Messingkessel mit schrill pfeifenden Ventilen. Berge von Mais, Knoblauch, Rüben, Bohnen und Hirse liegen in einer offenen, von den Wortgefechten blaugekleideter Bauern und Kulis erfüllten Markthalle. Die Straße führt durch eine Bresche der Mauer und durch ein sonderbares Eisengerüst, das die moderne Form eines chinesischen Ehrenbogens vorstellt.

Vor zwei Jahren fuhr ich bei strömendem Augustregen zum ersten Male über diese Straße. Die fremden Konsulate waren erst eröffnet worden. Man sprach viel von den Bodenschätzen der Mandschurei. Es war eine Zeit bedeutungsvoller Empfänge bei dem alten vornehmen Generalgouverneur Hsü Schi-Tschang. In dem grauroten Saalbau, den er sich hatte errichten lassen, einem Monstrum des chinesisch-europäischen Baustils, fanden Bankette statt; Wein und Speisen brachte ein besonderer Eisenbahnzug aus dem vornehmsten Hotel in Tientsin; die westländisch gedrillte Militärkapelle spielte preußische und amerikanische Märsche, hinter jedem Gast standen Diener mit Windfächern, groß wie Tischplatten. Es waren fröhliche Abende im Mukden-Klub, es gab viele Picknicks in den Hainen der aus ihrer Ruhe aufgestörten nördlichen Kaisergräber. Die Stadt wirkte wie ein Magnet auf alle möglichen blonden Männer. Amerikaner, Deutsche, Engländer führten das Wort, die Russisch-chinesische Bank liquidierte. Jeden Monat wurde eine neue Behörde gegründet: ein Amt zur Empfangnahme und Übermittlung der Befehle, ein Informations- und Beratungskollegium, sehr viele neue Steuerbehörden, ein Bergamt, die Post, eine landwirtschaftliche Station, eine Behörde für Straßenbau und Verschönerung. Das Geld spielte keine Rolle. Die modern uniformierte Polizei hielt in den Straßen Ordnung, und immer lag in der Luft der helle Hörnerklang der neuen Regimenter, die draußen auf dem Exerzierplatz übten.

In den Mauern

Hinter der Stadtmauer schließen sich die Straßen zu engen Gassen einstöckiger Häuser mit Läden und leichtgebauten Buden, zwischen denen schmale unsaubere Gassen seitwärts führen. Von Maultieren gezogene Pekingkarren mit gewölbtem Dach, Glaskutschen mit nachreitendem Gefolge, Rindergespanne und Bauernwagen, die ihre Last von Bohnen oder Tabak bei den Händlern abladen, weibische, blaßblau gekleidete Chinesen, die im Gänsemarsch an den Seiten der Straße schlendern, gelbgekleidete Japaner auf Fahrrädern und eine Dampfwalze bewegen sich trotz der frühen Morgenstunde in einem lebendigen Durcheinander. Tempelgärten mit moosüberzogenen Mauern, mit halb zerbrochenen, grün glasierten Götterhunden und braun schillernden Pfützen vor den Eingängen stehen zwischen den Bienenzellen des Alltagstreibens. Über den aneinandergedrückten Dächern des Mohammedanerviertels ragt das runde, glänzende, mit kräftig gebogenen Falzziegeln gedeckte Dach der Moschee. Im südlichen Stadtteil reckt sich über den klosterähnlichen Gebäuden der französischen Mission der Neubau einer Kathedrale. Vor den blütenbedeckten Lotosteichen am seichten Westfluß liegt auf einer Anhöhe das englische Hospital mit seinen Nebengebäuden, die von den chinesischen Angestellten der Bibelgesellschaft bewohnt sind. Gehöfte und Dörfer, weite Gräberfelder zwischen den üppig grünenden Äckern und berühmte Tempel umgeben die Stadt in der von schönen Baumgruppen bestandenen sanften Ebene des Hunho. Und in Mukden selbst ist es eins der größten Vergnügen, die Gassen der Kupferschmiede und der Silberarbeiter zu durchwandern, wo die in barbarischer Zierlichkeit gebildeten Geräte und die billigen, mit einem dünnen farbigen Schmelz überzogenen Schmucksachen angefertigt werden. Oder die Straßen der Seidenhändler, die Reihen der Teegeschäfte mit ihrer reich geschnitzten und vergoldeten Außenseite.

Man betritt Geschäfte, wo ein paar hundert Arten von Fächern zu haben sind: aus feinem Stroh geflochtene Luftschaufeln und seidene, zart bemalte Schmetterlingsflügel; Fächer, die man nach zwei Arten auseinanderklappen kann, so daß sie das eine Mal eine mit kalligraphischen Tuschezeichen bedeckte Fläche offenbaren, das andere Mal die anmutigsten Liebesspiele. Was für eine Kunst lernt man kennen, wenn man in den Bilderläden die dünnen billigen Papierblätter aufrollt, die nach der groben Art unserer Neuruppiner Bilderbogen mit farbigen Darstellungen nach der Schablone bedruckt sind. Da sind die sogenannten Türhüter, die zum Neujahrsfest auf die den Blick in das Hausinnere abwehrende Wand in den Toreingängen geklebt werden. Eines dieser Blätter zeigt einen Krieger in einem aus bunten kostbaren Stücken zusammengesetzten Gewand, wie es heute nur noch die Schauspieler tragen. Es malt eine einzige Stimmung: die des Zornes. Das Kriegerische liegt in einer wahrhaft erschreckenden Erstarrung, in einer dunkelorangefarbenen Maske, der Farbe asiatischer Wut, in den ingrimmig aufgerissenen, schwarz und weißen Augen des Götzen, der zwei Schwerter in den Händen hält. Diese Heftigkeit drückt sich noch in den tollen Linien und Farben des Kleides aus. Man könnte das Gesicht oder irgendeinen Teil der Figur mit der Hand bedecken, und noch im Saum dieses von wilder Bewegung umhergerissenen Kleides läge die Kraft und Grausamkeit des Ganzen. Andere Figuren, köstlich in ihrer schlichten Geste, sind in einen Hintergrund hineingesetzt, der wie eine Tapete wirken könnte, erinnerte er nicht in seiner Frische und Künstlichkeit an einen von Blumen strotzenden Garten.

Zwischen diese Geschäfte, aus denen der starke Geist des alten China dem Beschauer wie ein strenger Tierduft entgegenstößt, mengen sich bereits japanische Schnellwäschereien, Drogerien und Fahrradhandlungen, von Griechen und Armeniern geführte Zigarettenläden, Läden mit allem erdenklichen europäischen Plunder. Neben den mit dicken rotgoldenen Hieroglyphen bedeckten schmalen Firmentafeln, den mannsgroßen, mit Päonien und Fuchsköpfen bemalten Stiefeln, den schaukelnden regenbogenfarbenen Kleidern, den goldenen Kugeln, den aus roten züngelnden Papierstreifen geformten Knäueln über den Läden der Chinesenstadt kleben die grellen und amerikanischen Plakate für Zigaretten, Petroleum, Mineralwasser und Pillen, »die bleiche Leute rosa machen«.

Massige Zinnen stehen über den Häusern, breit und abgesetzt wie ein Güterzug. Es ist das gewaltige Viereck der inneren Stadtmauer, eines zu Fels gewordenen Gefüges von Menschenhand, mit grünen Wipfeln oben und luftigen Hallen, mit Tempeldächern, die wie Schirme schweben. Plötzlich steht man unmittelbar vor dieser hohen, aus schwarzen Ziegeln erbauten Wand. Das Treiben der Straßen, in das die fremden Dinge hineingemischt sind, prallt ab an diesem Felsen der Mittelalterlichkeit. Die Straße teilt sich und führt durch Seiteneingänge in das meisterhaft angelegte Kastell und durch den dröhnenden Torweg. Jetzt ist man im Kern der Stadt. Die beiden Hauptstraßen kreuzen sich und enden in den vier Toren. Rote Turmgebäude bilden die Mitte. Auch der Kaiserpalast liegt im Umkreis dieser Mauer. Er ist ein Komplex roter Hallen, die mit gelben, reihenweise übereinandergelegten Hohlziegeln gedeckt sind und in grasbewachsenen Höfen träumen. Einige dieser Gebäude bewahren die Schatzkammern jener bedeutenden Herrscher, denen Peter der Große, die Generalstaaten, Frankreich und England, Geschenke sandten; kostbare Pelze und Solinger Waffen, goldene Stutzuhren, prunkendes Reitzeug. Schwerter, Helme und Steigbügel, goldene Geräte und juwelenbesetzte Dolche werden hier aufgehoben. Ein Speicher beherbergt noch das gesamte Geschirr des alten kaiserlichen Hofhalts, Stöße von kostbaren Schüsseln, Reihen schöngeformter Kannen, Vasen, Töpfe und Krüge, deren Kunstwert unschätzbar ist.

Teufelaustreibung

Die Lamas, die den alten Tempel außerhalb der Stadt bewohnen, luden mich zu einem ihrer seltsamen Feste. An diesem warmen Frühsommertag, wo weiße Wölkchen im Blau des Himmels segeln, feiern sie das Fest der Teufelaustreibung. Unzählige Raben, die im Wäldchen des Tempels ihre Zufluchtsstätte haben, schwärmen um die niederen Dächer und um die spärlich belaubten Äste der Ulmen und der Erlen, die von den Mistelbüschen wie von einer Menge großer Vogelnester beschwert erscheinen. Der Haupttempel steht auf einer von Stufen umzogenen Erhöhung. Durch die nebeneinander offenen, schmalen, vom weit ausladenden Dach beschatteten Türen schauen die zwölfarmigen goldenen Buddhas aus einer dichten Weihrauchdämmerung in die mit Gras bewachsenen Höfe hinab. Das Volk, das gewöhnliche chinesische Volk von der Straße, überschwemmt die Tempelhöfe. Es ist der Träger der abergläubischen Gerüchte über diese kahlgeschorenen, in violettbraune Kutten gekleidete Mönche, die an diesem einzigen Tage des Jahres ihre Mauerpforten der Menge öffnen. Und diese Menge folgt nun den Vorgängern mit einer wortlosen, steifen Neugier. Straßenjungen reiten auf der von einem kunstvollen Filigran durchbrochenen Mauer. Man sieht bei den männlichen Zuschauern nur das ewige Blau der chinesischen Straßenkleidung, vom himmelblauen verwaschenen Hemdgewand bis zum zerlumpten dunkelblauen Leinenkittel, und das ewige Braun der gerösteten nackten Oberkörper, der sonnverbrannten Gesichter. Auch die Frauen sind gekommen. Sie drängen sich schwatzend an den Treppen und hüten ihre Kinder in den blauen geschlitzten Hemdchen, entzückend rundliche Menschlein mit glänzend schwarzen Chinesenaugen. Die Knaben haben eine saubere Tonsur mit einem Kranze feingeflochtener Zöpfchen darum, die wie schwarzer Heiligenschein vom Schädel abstehen. Die Mädchen tragen ihr straffes Haar bis auf die Brauen gekämmt, am Wirbel einen mit roter Kordel umwundenen Schopf und hinterm Ohr eine Blume. Die Gesichter der Frauen sind weiß, mit karmesinroten Tupfen in der Augengegend oder mit eigroßen braunen Flecken, die symmetrisch auf die Stirn gemalt sind. Nur wenige zeigen ihre feinen gelbledernen Gesichter ungeschminkt. Auf den runden Köpfen stolzieren die Frisuren wie Türme, Segel oder Schiffsschnäbel aus glänzendem Ebenholz. Silberne Lineale sind quer hindurchgesteckt und künstliche Blumen, groß wie Untertassen, stecken an den Schläfen.

Das Schauspiel vollzieht sich in einem von Mönchen und Gästen gebildeten Viereck vor dem Eingangstor. In der Toröffnung steht der Abt. Man sieht ihn kaum vor lauter Schleppenträgern, Masken und Trabanten. Um ihn drängen sich auch die vornehmen Zuschauer, soweit sie sich nicht an den niederen fußhohen roten Tischen mit Tee und kleinen weißen Kuchen gütlich tun. Ich, der Europäer, stehe in diesem Gedränge wie von einem anderen Planeten herabgetropft. Ein chinesischer Herr im langen schwarzseidenen Kleid, er sieht aus wie eine alte Dame und trägt eine Pfauenfeder auf dem schwarzseidenen Käppchen, nötigt mich zum Sitzen. Auf Brust und Rücken trägt er die mit Goldfäden und farbiger Seide gestickten Quadrate, die seinen Rang anzeigen und ein ganzes Märchen vorstellen: eine rote Sonne mit goldenen Strahlen, blauweiße Meereswellen, einen emporfliegenden Reiher. Zehn Schritt entfernt ist der Hofstaat des lebenden Buddha in vollem Ornat versammelt: einige ganz rot, mit schwarz gezackten riesigen roten Bannern. Andere, die Vertreter des mandschurischen und mongolischen Adels, in langen engen Damastkleidern von hochgelber, fleischfarbener oder blaßgelber Seide, mit vergoldeten Holzhüten auf dem Kopf, die an umgestülpte Barbierschilder erinnern. Im Hintergrunde stehen Musikanten mit Querpfeifen aus bleichen Knochen, mit Flöteninstrumenten, die wie Miniaturorgeln aussehen und durch eine metallene Röhre geblasen werden. Andere handhaben bronzene Schellenspiele in hölzernen Rahmen. Das Merkwürdigste sind die kupfernen Posaunen. Zwei Mann müssen sie an Stricken tragen, ein dritter entlockt ihnen borstige Töne. Ein ungeheures Getöse und Geklirre bricht los. Muschelhörner tuten, es tönen die Trommeln, die an roten Stangen wie Fahnen getragen und mit hakenförmigen Klöppeln bearbeitet werden, Zimbeln und Schellenbäume rasseln, und die Flöten zerschneiden mit einem regellosen Zickzack das schrille Fortissimo.

Zwei Gruppen höllischer Tiermasken treten aus dem Viereck. Ein Kontertanz beginnt. Es ist ein Maskenball am hellen Mittag, der Kampf der dunklen und der hellen Dämonen. Schlangenfratzen, Hirschköpfe, Wölfe mit blutrotem Rachen, gehörnte Ochsenhäupter, grüne Drachengebisse umringen die helleren Gestalten. Alles löst sich auf in ein Schweben von weißen Gewändern mit breiten grüngelbroten Gürteln; schließlich bleibt nichts übrig als der Tanz eines einzelnen weißen Hampelmannes, der Arme und Beine ausstreckt und sich immerfort um sich selber dreht. Masken nehmen ihn in die Mitte, rotgekleidete Fahnenträger mit schwarzen Bannern und hellblauen dreieckigen Wimpeln bilden den Hintergrund und schließen sich zum Zuge, der sich zu einem Rundgang um die Mauern des Tempels aufmacht. Mönche voran, hinter ihnen die Musik, die Würdenträger und der Abt mit einem tragbaren Opfertisch. Dann folgt das Allerheiligste in einer gelben Sänfte. Nur einer hat Platz darin, ein kleiner, gelbgekleideter Knabe. Er hält in den Armen eine klirrende Buddhafigur, die so groß ist wie er selber. Eine besondere Kraft muß von dieser Figur ausgehen. Neben den Trägern drängen sich Frauen um die Sänfte. Sie bemühen sich, sie mitzutragen, zu schieben, zu stützen oder eine der herabhängenden Quasten zu erfassen. Geputzt und zerlumpt waten die armen Frauen im Staube, stolpernd und mit ausgestreckten Händen. Die Menge bildet eine Gasse und folgt mit schmutzigen Köpfen dem langen bunten Zug auf dem schattenlosen Weg um die Mauer.

An allen vier Ecken wird haltgemacht. Dann bricht jedesmal das Geknatter der Raketen los, die Posaunen blasen, die Sänfte wird niedergesetzt, der Abt, ein Tibetaner, sonst ein Herr mit manchen sehr menschlichen Neigungen, thront würdevoll auf seinem hohen Stuhl vor dem Opfertisch, umgeben von den grölenden Mönchen. Der Weihrauch in den kupfernen Kannen wird angezündet, Pfauenwedel zerteilen den Rauch, und eine Saat von Hirsekörnern fliegt in weiten Bögen über die Köpfe. Langsam nähert sich der Zug dem auf freiem Felde stehenden Ehrentor. Alles klettert über die Schwelle, dann hält die Prozession ihren Einzug in den weit geöffneten Tempeleingang und verstreut sich in den Höfen. Neugierige hocken wie blaue Vögel in den Zweigen der Bäume. Gongschläge aus einem der zerfallenen Pavillons im Tempelhofe begrüßen die Ankommenden. Tische werden in den Hof getragen, Mönche kauern nieder, quarren mit tiefen Bässen eine unendliche Litanei, füllen ihre hölzernen Trinkschalen mit einer Suppe, die aus Tee, Schafsfett, Hirsenmehl und Salz bereitet ist, und jede Pause ist ein Schluck.

Auch das zuschauende, von Skepsis und Aberglaube erfüllte Volk gerät in festliche Stimmung. Händler mit kandierten Früchten und faulen Birnen, die auf Stäbchen gesteckt sind, mit rotbemalten Kuchen und zopfähnlichem Ölgebäck haben sich auf den Schwellen des Tempels niedergelassen. Am Wegrand eröffnen Leute einen Handel mit allerlei Spielzeug aus Blech, kleinen Leuchtern, Wagen und Opfergeräten. Verkäufer von künstlichen Schmetterlingen, Vögeln, Affen aus Draht und gefärbten Borsten drängen sich durch die Menge. Draußen auf der Wiese sind Küchenzelte aufgeschlagen, es entsteht ein Volksfest, mit dem Quäken der Ausrufer und lustigem Vogelgezwitscher. Aber ein Frühjahrssturm erhebt sich über der Stadt. Die zahllosen blauen Gewänder flattern im Wind, der Staub fegt über die niederen Mauern des Tempelgartens und hüllt den uralten Ehrenbogen vor dem Tempel in Wolken, die gelb und beizend in die Augen gehen wie Holzrauch.

Experimente

Es ist ein Morgen ohne Wolken am Himmel, das Tageslicht scheint sonnenlos durch die von einem Schwall stechender Staubkörnchen erfüllte Atmosphäre. In den Grenzen eines verengerten und vergilbten Horizontes stehen Häuser und Bäume wie Schatten, von dem jagenden Staub kaum zu unterscheiden. Man watet wie ein Gegenstand, der sich nur noch seiner Schwere bewußt ist, in diesem Wirbel von trocken aufgelöster Erde. Durch diesen Sandsturm fahre ich zur landwirtschaftlichen Versuchsanstalt. In der Stadt kommt der Wagen nur im Schritt vorwärts. Draußen, wo der Wind frei über die Felder fegt und den scharfen Sand mit unerhörter Kraft emporwirbelt, machen die halberblindeten Pferde rastlose Pausen. Die Kleider sind wie mit Puder überschüttet; der Sand dringt durch das Sieb der Schutzbrille und legt eine Kruste auf Lippen und Zunge. Wir halten endlich bei einer Gruppe von niederen schmucklosen Gebäuden weit draußen. Der Kutscher verschwindet mit den ausgespannten Pferden, mich führt man unter das schützende Dach. Herr Tschang, ein junger, gescheit aussehender Beamter, nimmt mich in Empfang. Er ist der Leiter der Station, ganz erfüllt von dem Geist, den er während eines vierjährigen Studiums in Kalifornien in sich aufgenommen hat.

Im Ausstellungsraum hängen die in europäischen Lehranstalten üblichen Unterrichtstafeln über die hauptsächlichen Vogel- und Insektenarten, und Herr Tschang, der auf seine Wissenschaft und auf die Bedeutung seiner Anstalt nicht wenig stolz ist, hält mir ein Privatissimum. Auf einem Schautisch stehen in Stangengläsern und durchsichtigen Töpfen mandschurische Feld- und Gartenfrüchte, um die Ergebnisse der künstlichen Düngung klarzumachen; vor allem ein Dutzend verschiedener Bohnensorten. Die wichtigsten Arten der Soyabohne führen wegen ihres Aussehens die hübschen Namen Schwarzer Nabel, Goldbohne und Weiße Augenbraue. Bohnen sind neben dem Weizen, der im Norden der Mandschurei die noch vor kurzem jungfräulichen Gebiete bedeckt und sich ebenfalls bereits auf dem Weltmarkt bemerkbar macht, der Hauptgegenstand der Ausfuhr. Der Stoff, den sie der Erde entziehen, kann durch Pottasche ersetzt werden, darum bieten sie die Möglichkeit eines fast unbegrenzten Anbaus. Mais und Hirse werden schon von jeher von den mandschurischen Bauern angepflanzt. Man hat auch deutschen Rübensamen eingeführt, und da die Zuckerrübe im mandschurischen Boden einen hohen Zuckergehalt aufweist, so haben unternehmende Kapitalisten prompt Zuckerfabriken errichtet. Der dünnblätterige mandschurische Tabak hat infolge des zunehmenden Anbaues in den letzten Jahren das Monopol der billigen, aber schlechten japanischen Zigaretten gebrochen. Da der Mohnanbau in der südlichen Mandschurei zurückgeht, will die Verwaltung den Tabakbau und die Seidenzucht fördern. Man macht nun in Mukden die ersten Versuche. Durch das Fenster zeigt mir Herr Tschang die Gemüsegärten und die hochstehenden Kauliangfelder der Anstalt; der Sturm, der draußen wütet, hindert uns durchaus, einen Gang in die Felder zu unternehmen. Wir gehen wenigstens zu den Ställen.

Man hat versucht, die zähen kleinen mongolischen Rinderrassen durch schwere Milchkühe vom englischen Schlage aufzuhelfen. Rosige Yorkshireschweine sind eingeführt worden, um die Rasse der schwarzen chinesischen Borstentiere zu verbessern. Im Halbdunkel des Stalles drängt sich eine Schafherde. Einige Tiere schleppen sich wie krank am Boden. Das sind Mischlinge von Merinos mit mandschurischen Schafen. Ein eigentümliches Naturspiel kommt an diesen Mischlingen zum Vorschein. Die Merinos nämlich sind ganz weiß, und auch die mandschurischen Schafe sind weiß, nur manche haben am Kopf ein schwarzes Zeichen. Das Vlies der Mischlinge aber ist immer schwarz. Und viele sind, bei sonst gut entwickeltem Körper und befriedigendem Wollertrag, so schwach auf den Beinen, daß sie nicht gehen können. Sind nicht diese Bastardschafe ein Beispiel für die Art, wie die westländischen Ideen in manchen chinesischen Köpfen wirken?

Bergwerkstadt ohne Berg

Man braucht nach Fuschun kaum zwei Stunden mit der Bahn. Der Zug umfährt in einem Bogen die alte weit ausgedehnte Stadt, deren neue gotische Kirchtürme seltsam an Faust und Gretchen erinnern. Man wechselt den Zug an der kleinen Station Sunchiatun und fährt dann das breite Tal des Hunho hinauf, dessen Hügellinie die Russen einst heiß verteidigten. Blaue, zugespitzte Bergzüge winken in der Ferne. Gehöfte in weißblühenden Büschen, Gruppen windgebogener Bäume, die alte Gräber beschatten, liegen wie Inseln in den rotbraunen, sorgsam gepflügten Feldern. An der Brücke, die den Fluß mit eisernen Bogen überspannt, steht der Wasserturm, dessen Pumpwerk die Stadt Fuschun mit Trinkwasser versorgt. Aus einem erstaunlich geräumigen, mit übertriebenem Aufwand von Beton und Ziegeln gebauten Bahnhof tritt man auf eine sehr breite Straße im freien Felde. Diese Straße ist noch nicht ganz fertig, man erblickt erst in einiger Entfernung die schmucken Häuser der jungen Stadt. Echt japanisch ist nur die Straßenbahn, deren Schmalspurgeleise locker auf dem Boden liegen. Die offenen Miniaturwagen werden von Kulis gezogen.

Die Kohlenminen von Jentai am Jalu und die Gruben von Fuschun waren Gründungen der Europäer. Die russische Verwaltung begann schon während des Baues der Eisenbahn mit der Ausbeute der Kohlenfelder, die sich über zehn Kilometer in der Längsrichtung des Hunho ausdehnen. Doch die technischen Einrichtungen waren so mangelhaft, daß die Gruben noch nicht einmal so viel Brennmaterial lieferten wie für den Betrieb der Bahn nötig war. Die Japaner haben hier in ihrer zugreifenden Art innerhalb fünf Jahren eine Musterstadt entstehen lassen mit einem von zehntausend Menschen bewohnten Chinesendorf und einem gegen diese Nachbarschaft abgetrennten Verwaltungsviertel, das die Behausungen der japanischen Herrenbevölkerung enthält. Nachdem einmal die außergewöhnliche Ergiebigkeit der Flöze festgestellt war, begann man mit dem Bau einer Anlage, der die modernsten Hilfsmittel zu Gebote stehen und erreichte nach den ersten Betriebsjahren eine Tagesproduktion von zweitausend Tonnen, die nach dem Aufbau der neuen Fördertürme auf sechstausend gesteigert werden konnte und bald zehntausend erreichen wird. Schon macht die Fuschunkohle der chinesischen und japanischen Kohle in allen chinesischen Seehäfen bis Hongkong Konkurrenz. Gas und Elektrizität erzeugen die Gruben für den Bedarf der Stadt; man baut aber auch bereits Einrichtungen zur Gewinnung von Teer und Ammoniak und eine Anilinfarbenfabrik.

Es ist ein heißer wolkenloser Frühsommertag. Seltsam, man sieht von weitem schon die Schlote, die Fördergerüste, die kahlen Dächer der Grubenanlage, aber nichts von jener grauen rauchigen Luft, die selbst bei hellem Wetter über unseren heimischen Kohlenstädten lagert. Denn man hat die modernsten Rauchverbrennungsanlagen, im übrigen brennt die hier gewonnene Kohle mit sehr wenigen Rückständen. Am Eisenbahngeleise entlang, das die Gruben mit dem entfernten Bahnhof verbindet, gehe ich zu dem Verwaltungsgebäude. Es ist ein mächtiger, hinter drei Toreingängen versteckter Bau aus roten Ziegeln, der sich in seinen schweren, unbeholfenen Formen und seinem grünen Zinkdach an russische Vorbilder anlehnt. Man führt mich durch weißgetünchte Gänge an Schreibstuben und Zeichensälen vorüber, deren Türen offenstehen, in das Sprechzimmer des Direktors. Da stehen Glasschränke mit Gesteinsproben und uralten koreanischen Töpferarbeiten, die bei den Bohrungen in Fuschun gefunden worden sind. Es sind Zeichen einer frühen Besiedlung dieser Gegend. Angeblich sind es die Koreaner, die in vorgeschichtlicher Zeit tief in die Mandschurei eingedrungen waren. Die in der Töpferkunst wohlbewanderten Koreaner hatten das an manchen Stellen offen zutage liegende Brenngestein zur Feuerung verwendet. Auch eine Menge von Grünspan überzogener chinesischer Geldmünzen, viereckig durchbohrter Käsch-Stücke, die bei den Grabungen zum Vorschein kamen, gehören zu dem kleinen Privatmuseum.

Kuli-Unterwelt

Wir besichtigen die Maschinenräume, die Kraftstation, die Werkstätten und Aufbereitungsanlagen, die ebensogut in Deutschland stehen könnten wie hier in einer Gegend, die zuweilen noch von räuberischen Chunchusen beunruhigt wird. Wir gehen in eines der Bergwerke hinunter. Ein geräumiger, mit Blech gedeckter Gang führt mit steilen regelmäßigen Stufen in eine kühle Finsternis. Mein Führer macht mich auf einige Stellen in den Wänden aufmerksam. Es sind die zugemauerten Eingänge alter Stollen, die man nach der Flucht der Russen brennend fand. Immer tiefer steigen wir abwärts in dem schwankenden Lichtkreis unserer Grubenlampen. Doch die Galerie mit ihren schwarzglänzenden Kohlenwänden bleibt so breit und sauber, daß man sie in hellem Anzug durchschreiten könnte. Wir gelangen in einen ebenen saalähnlichen Raum, etwa hundert Meter unter Tag. Hier ist die Luft schon heiß und drückend. Elektrische Lampen leuchten von der Decke. Zwischen rot überzogenen Bänken steht ein langer Tisch mit den üblichen Aschenbechern und glimmenden grünen Räucherkerzen. Von hier aus führen engere Gänge zu den Abteilungen. Wir orientieren uns mit Hilfe einer Grubenkarte und besuchen einige Arbeitsstellen. Geschwärzte Kulis arbeiten mit Spitzhacke und Grubenlampe. Andere führen die klappernden Züge eiserner Karren, die wie Drahtseilbahnen in komplizierten Weichensystemen laufen. Wir gehen einen Kilometer weit in diesen meist geräumigen, nur selten zusammengeschnürten Gängen. In einer Nische blinkt der Stahlkörper einer elektrischen Maschine. Es ist gerade Mittagspause. Der Maschinist verzehrt, ohne seinen Platz zu verlassen, seinen harten Reis mit Hilfe der hölzernen Stäbchen aus einem zierlich bemalten Blechkästchen. Kulis führen uns dann wieder die steilen endlosen Stufen aufwärts ans Tageslicht.

Oben zeigt man mir auch die Unterkunft der chinesischen Arbeiter in den von der Grubenverwaltung gebauten Schlafhallen. Man beschäftigt dreitausend aus Schantung zugewanderte Chinesen. Die Leute kommen alle ohne Familienanhang und wandern mit der Jahreszeit in ihre Heimat zurück, um anderen Platz zu machen. Wir betreten ein schuppenähnliches Gebäude mit nichts darin als den gemauerten heizbaren Betten; auf jedem Platz liegt eine Strohmatte und das kleine Bündel, das die Habe des einzelnen enthält. In der Mitte der Halle steht eine Tonne mit gekochtem Reis. Davon bekommt jeder Kuli seine Portion; als Zuspeise gibt es höchstens ein paar Bohnen, junge Zwiebeln oder den beliebten Knoblauch. Der Saal ist gelüftet, aber die feine Abscheulichkeit der Chinesengerüche treibt uns bald wieder ins Freie. Wie auf den südafrikanischen Minen, so gibt es auch hier ein kleines Badehaus für die Chinesen und ein besonderes Krankenhaus für sie. Die Verwaltung fördert jetzt den Bau eines großen chinesischen Theaters im benachbarten Dorfe.

Modernismus

Eine leichte Hügellinie begleitet die auf der Talsohle angelegte Stadt. Oben, nahe den Baracken der Gendarmerie und nahe dem spiegelnden Reservoir der Wasserleitung steht in einem quadratischen hölzernen Zaun der Schintotempel mit seinem bühnenähnlichen Gerüst und dem schweren Dach. Es ist das einzige Bauwerk weit und breit, das unverkennbar den japanischen Charakter trägt. Alle Japaner auf diesen gut gepflasterten Straßen gehen in europäischer Kleidung. Man sieht von der Höhe weit über das grüne, kaum gewellte Land mit dem Gegensatz der von Baumkronen überragten chinesischen Gehöfte zu der nach einem durchaus unasiatischen Grundplan gebauten Verwaltungsstadt. Es sind Wohnhäuser im Stil neudeutscher Villen, von Gärten und Höfen umgeben; um den Platz reihen sich das Wohnhaus des Grubendirektors, das Volkshaus, das Postgebäude, der Klub und das Hotel. An den Nebenstraßen die Schule, das Krankenhaus und die gleichförmigen Wohnungen der niederen Angestellten.

Offenbar haben die Japaner den städtebaulichen Gedanken ihrer Grubenstadt dem Beispiel von Dalny entnommen. Amerikanisch ist die Einrichtung der Häuser. Allen liefert das Bergwerk elektrisches Licht, Trinkwasser und Gas, sogar die Heizung. Nirgends befindet sich ein Ofen, dafür geht heißer Dampf unmittelbar aus dem Maschinenhaus der Gruben nach den Häusern. Um Reparaturen besser ausführen zu können, und da es wohl auch zu kostspielig wäre, die Leitung in den Boden zu graben, so legte man sie in der Höhe der Telegraphendrähte über die Straßen hinweg, und nun sieht man überall diese mit Asbest umwickelten Röhren als weiße Linien zwischen den roten Häusern und in die Mauern verschwinden. Man hält diese originelle Anlage für eine praktische und billige Lösung des Problems, aber sie wird es schwerlich auf die Dauer sein.

Wir besuchen die Schule und das Krankenhaus. Die Zimmer sind öde, und die weißen Heizrohre, die an den Wänden in geringer Höhe über dem Fußboden liegen, so daß man sie in der Tür wie eine Schwelle überschreiten muß, machen einen fremdartigen Eindruck. Hier empfängt eine Schar frischer, hübsch geputzter Kinder Unterricht. Wie kleine Papageien plappern sie die englischen Vokabeln, die ihnen ein japanischer Lehrer mit harter Aussprache vorsagt. Da ist ein Kindergarten mit Schulbänken für die Zwei- und Dreijährigen. Unter dem Dach in einer heißen Mansarde ist der Spielplatz. Die Kinder, so sagt man mir, halten diese sauberen Räume selbst in Ordnung. Peinliche Ordnung herrscht auch in dem kleinen, gut eingerichteten Krankenhaus. Überall, im Operationssaal und im Schulraum, im Wohnzimmer wie im Hausflur, liegen an den Wänden die weißen Rohre, die jedes Haus vom Dampfkessel der Zentrale abhängig machen. Europäer würden sich in Räumen, wo man kein Möbel gegen die Wand stellen kann, nicht wohl fühlen. Die Japaner erheben nicht diesen Anspruch. Sie haben zwar fast alle in ihrer Wohnung eine europäisch eingerichtete Stube, doch wie die meisten nach Feierabend sofort in ihre leichten seidenen Gewänder schlüpfen, so bewohnen sie auch mit Vorliebe ihre in den oberen Stockwerken gelegenen, mit Schiebetüren, Matten und Blumen geschmückten Räume.

Auch im Klub kehren wir ein. Er ist, solange das Volkshaus noch unfertig dasteht, im Erdgeschoß eines Backsteingebäudes untergebracht; seine Zierden sind das große russische Büfett und zwei Billards. Es gibt als Erzeugnisse der Küche nur das japanische Bento, einen nahrhaften Kuchen aus Reis, Bohnen und Zucker, süß wie ein Bonbon. Unser Rundgang endet bei einem schmalen Hause mit ragendem Turm in wohlbekannter Bauart. Eine Kirche? Richtig, es ist die Kirche, und sie ist wie bei uns am Stadtplatz gelegen. Ihren Turm schmückt statt des Kreuzes der buddhistische Ringstab. Da man das Gotteshaus nicht allein den fünfzig japanischen Christen zuliebe bauen wollte, die es in Fuschun gibt, so wird die Kirche auch von den Buddhisten benutzt. Ein blaues Wandbild mit dem in feinen Goldstrahlen gezeichneten Buddha hängt in der Nische, vor der die zinnernen Opfergeräte stehen. Für die Christen aber sind die Bänke im Schiff, und wenn sie an der Reihe sind, dann verdeckt ein Vorhang den indischen Gott, und an der Stelle der ihm geweihten Geräte steht das Kreuz. Neben dem Kirchentor ist ein niederes Bretterdach angebracht. Ein Fahrradständer, denke ich. Nein, lächelt mein Führer; es ist ein Gestell zum Absetzen der Särge bei Leichenbegängnissen; ein solches Gestell findet sich neben dem Eingang jedes buddhistischen Tempels.


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