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Die Insel

Bucht von Valona

In der Frühe nähert sich das Schiff einem kahlen Gebirge. Mitten in der Küste öffnet sich die Bucht von Valona. Vor dieser Bucht liegt eine große Insel. Um die weißliche Bucht stehen Berge von mäßiger Höhe, kahl und knöchern. Keine Baumgruppe, kein weißes Landhaus erfreut das Auge, kein Garten, der behagliches Genießen verriete. Am Strand liegen schwarze Barken und hell getünchte Häuser, nur durch die gekräuselte Welle der Brandung geschieden. Ein paar Fischerboote von leichter türkischer Bauart schaukeln in der Bucht. Ein verrostetes Hafenboot fährt zu unserem Schiff herüber; hinter dem Schornstein weht die rote Türkenflagge, aber sie zeigt statt des Halbmondes einen schwarzen Adler, das alte Symbol von Byzanz. Dem Boot entsteigen Männer, deren Fes eingekerbt ist wie die serbische Militärmütze; einer von diesen Landleuten bringt Gegenstände zum Verkauf. Es sind zarte Strähne eines honigfarbenen, duftenden Tabaks in blauem Glanzpapier.

Dieser Hafen ist öde, aber auch die Reeden von Durazzo und Santa Quaranta sind nicht lustiger. Die Insel vor dem Hafen hat italienische Besatzung; nach dem Balkankrieg erschien an dieser Küste zum erstenmal die blauweiße Griechenflagge. Ich sah sie damals in Santa Quaranta auf der Spitze einer einsamen Zypresse; denn wo sollte man einen Flaggenmast herbekommen? Die wenigen Griechen unter der Bevölkerung bestrichen ihre Hütten mit blauer Farbe, blau ist die Nationalfarbe der Griechen. Und das Militär, das in kleinen Abteilungen aus dem Innern an das Meer gekommen war, lebte in weißen Zelten.

Valona liegt an der Enge zwischen Italien und dem balkanischen Festlandskörper. Seine Lage scheint dazu herauszufordern, eine Art Gibraltar anzulegen; hier läßt sich der Eingang in die Adria leicht versperren. Die Politik des neuen Italien diesem steinigen und von mißtrauischen Menschen bewohnten Lande gegenüber ist dieselbe wie einst die des römischen Senates und der venezianischen Republik. Die im Osten gelegenen Staaten haben immer wieder versucht, den Boden Albaniens zu einer Bedrohung Italiens zu benutzen, zuletzt das habsburgische Kaiserreich; aber auch die albanische Politik der mazedonischen Könige des Altertums war gegen Rom gestellt wie die der Kaiser und der Sultane von Byzanz. Das neue Griechenland hat dieses Streben aufgenommen. Die Gesetze der Erde sind unveränderlich, die großen politischen und strategischen Schlagworte lassen sich immer auf geographische Tatsachen zurückführen. Es gibt nur eine Kraft, die fähig wäre, das Verhängnis aufzuheben, das mit naturgesetzlicher Wucht auf immer neue Zusammenstöße hintreibt; den menschlichen Willen, der sich verbrüdert. Aber noch ist alles geblieben, wie es immer war; die Niederlassung von größter Ärmlichkeit, und im Besucher das Bewußtsein, daß dieses in einem toten Winkel gelegene Land noch nicht reif ist, ein öffentliches Schicksal zu haben.

Leere Küste

Die meisten Reisenden auf unserem Schiff sind Griechen. Während nun unser Schiff an der albanischen Küste hinfährt, zeigen sie einander die auf den Bergen von den italienischen Truppen angelegten Artilleriestraßen. Ein Athener Geschäftsreisender ist an Bord. Er hatte in Mailand zu tun; im Kriege war er Soldat und verbrachte zwei Jahre auf diesen unwirtlichen Bergen bei der Grenzwache. Er erzählt eine Episode aus der Vergangenheit, als der von den Großmächten unterstützte Ali Pascha von Janina die in Albanien angesiedelten Griechen auszurotten suchte. Die männlichen Bewohner eines Dorfes waren alle im Kampf gegen den Pascha gefallen, die Frauen, mit ihren Kindern auf die Berge geflüchtet, sahen sich umzingelt und beschlossen den eigenen Untergang. Sie warfen ihre Kinder in eine Schlucht. Dann nahmen sie einander bei den Händen, schritten den feierlichen Tanzreigen gegen den Abgrund und stürzten sich in die Tiefe. Aus den Worten des kleingewachsenen Atheners brechen Leidenschaft und Stolz. Jeder Grieche, sagt er dann, ist reich an Überlieferungen solcher Art.

Diese Küste ist kahl und steinig; ihre Wälder sind hin, sie dienten einst den Venezianern als Bauholz für ihre Flotte; ihre Grotten, die einmal das Versteck von Seeräubern waren, sind leer, vom Schaum der Brandung ausgespült. Auf den Abhängen gleiten Sonnenlichter, blaue Wolkenschatten. Ein trüber, schieferblauer Himmel ist im Südosten. Das Schiff wendet sich hinüber. Dort tritt der feste Umriß von Korfu hervor, kahler Gebirgsstock mit davor gelagerten bewaldeten Hügeln und verstreuten Landhäusern. Die Insel ist halbmondförmig; das Schiff umfährt die äußere Spitze und zielt in die Bucht. Das Meer liegt in breitem Silberglanz, es ist netzartig gerafft in weichen, kurzen, gleichmäßigen Wellen; im Hintergrund der Bucht schimmert zwischen Felsen die Stadt, über ihr erhebt sich wie ein majestätischer Ruhesitz des Meergottes der Kalkberg, dessen Name Pantokrator ist. Pantokrator, Allschöpfer. Der ist höher noch als der Meergott!

Die Inselstadt

Der Zauber dieser mit Gärten und Wäldern dicht bedeckten Insel, die Schönheit der vom Wolkenglanz beschatteten Ölbäume lädt zum Verweilen. Der stille Reiz eines griechischen Frauenantlitzes, das jungfräulich und gealtert erscheint, trifft mich ins Herz. Begegnet mir am ersten Tag Athene, ihrer Unsterblichkeit entäußert? Mein Aufenthalt hier dauert nur bis zur Nacht. Ich verlasse den Markt und die Ruderknechte und wandere zur Zitadelle. Ich war schon einmal hier an Land gestiegen; damals standen auf den Bastionen gefangene türkische Soldaten, unbeweglich wie eine lebende Palisade, und sahen auf das Meer. Unbeweglich standen sie, mit dem Meer vor ihren Füßen und warteten. Heute sind die Wälle leer und die Männer, die gewartet haben, verschwunden. Lang ist das Warten, kurz die Zeit.

Den Strand bilden rauhe durchlöcherte Kalkfelsen. Das Meer berührt sie wie ewiger Ruderschlag. Die leichte Brandung bewegt im Wasser die schwarzen und kupfergrünen Algenwälder. Drüben jenseits der Meeresfläche leuchten die albanischen Gebirge öde und rosenfarben. Die Seelandschaft ist von einer großen Stille, von einem unerhörten silberkühlen Glanz. Ich gehe die Wiese hinab, die Promenade am Strand führt zu dem Garten des Königs. Feingefiederte Pfefferbüsche, Eukalyptusbäume, deren Stämme wie Tierleiber gefleckt sind, dunkelflammende Zypressen erwecken einen ersten, noch unvollkommenen Eindruck von griechischer Landschaft. In der Nähe des alten Festungswerkes steht das Denkmal eines früheren Verteidigers der Insel in venezianischen Diensten, eines thüringischen Grafen. Kunstloses Standbild; nicht weit davon sind den früheren englischen Gouverneuren Korfus zu Ehren ein kleiner Rundtempel und ein Obelisk errichtet. Das alles ist außerhalb der Stadt, und es hat zu ihrer Gegenwart keine Beziehung.

Am Abend wandere ich durch Korfu, die Stadt. Sie ist auf engem Raum gebaut, die Häuser sind italienisch hoch, die Gassen dunkel, ein paar Ladenschilder in den Schmalgassen tragen slawische Aufschriften. Es ist ein wenig gegen das Gefühl des Griechenvolkes, aber der Name Korfu ist mit der Geschichte des jungen südslawischen Staates für immer verknüpft. Hier tagte die vertriebene serbische Nationalversammlung, hier fanden die Reste der versprengten Armee eine Zuflucht, hier erholten sie sich nach den grauenvollen Monaten des Rückzuges über die Berge; an den thymianduftenden Lagerfeuern auf diesem Eiland erhob sich nach langem Verstummen zum erstenmal wieder das serbische Lied. Auch diese Gäste schwanden wie ein Traum, sie fanden ihre Heimat wieder.

In der Dämmerstunde drängt sich durch die Gassen der Verkehr der Menschen, der Karren und der mit Lasten und Reitern beladenen Eselchen. Dazwischen werden Schafe getrieben, Hunde bellen. In den Schaufenstern zeigen sich Pyramiden von Strohhüten, großstädtischer Tand neben den mit Lampen beleuchteten Gewölben der Fruchthändler und der Metzger, an deren Türpfosten blutende und ausgeweidete Schafe hängen. Maskierte Nachzügler eines verspäteten Karnevals mischen sich in die Menge. Plötzlich ist alles in Erregung; Knaben drängen sich durch die Gassen, sie verkaufen kleingedruckte Zettel mit den aus Athen eingetroffenen Neuigkeiten der drahtlosen Station. Schmeichelhaft für die Insel, eine solche Station zu haben und nicht mehr wie früher Tage oder Wochen hinter den Weltereignissen zurückzubleiben; man erfährt alles über die gestrige Sitzung der Londoner Orientkonferenz, die Blätter der Hauptstadt entrüsten sich über den Vorschlag, daß irgendeine gemischte Kommission die Nationalitätenfrage von Smyrna studieren solle, ein General macht kühne Äußerungen über die Marschbereitschaft der Armee. Ich lese als ein Unbeteiligter diese Nachrichten; die Unruhe der Menschen würde nicht geringer sein, wenn von allem das Gegenteil gemeldet würde. Keine dieser Meldungen enthält irgend etwas Abschließendes, nichts, auf das die Menschen dieser Insel irgendeinen Einfluß hätten, man kann es mit Händen greifen, wie in ihre Köpfe das hineingetrieben wird, was nachher öffentliche Meinung heißt. Aber die Müßiggänger, die bei Sonnenuntergang unter den Arkaden bei einem Täßchen Kaffee sitzen, haben Stoff zur Unterhaltung, schließlich gelangt man auch da zu den Fragen des Tages.

Der Stier

Pausanias erwähnt in seiner Aufzählung der Delphischen Weihgeschenke einen ehernen Stier, den die Bewohner von Korfu den Göttern stifteten: der alte Geschichtschreiber erzählt dazu die Legende, daß ein Stier, der am Strande stehen blieb, die Inselbewohner durch sein Brüllen auf einen ungewöhnlich großen Schwarm von Thunfischen aufmerksam gemacht habe; der eherne Stier, ohne den Namen eines einzelnen Stifters errichtet, war der Dank der Insel für das Geschenk des Meeres. Korfu war einst das Land der Phäaken. Das Völkchen dieser Insel hat dem Ruhm des griechischen Namens auf immer etwas von dem odysseisch heiteren Glanz seiner Gastfreundschaft und Unabhängigkeit gegeben. Die heutigen Korfioten, die Oliven und Orangen bauen, wenn sie nicht Schiffer und Fischer sind, gelten als reiche Leute; viele von ihnen, sagt man, sind im Kriege Millionäre geworden, sie zogen Nutzen aus einer Glückszeit ihres Staates, des neuen Hellas. Aber sie wissen mit ihrem Reichtum nicht viel anzufangen, eine Industrie gibt es nicht im Lande, Handel und Schiffahrt sind in der Krisis. Besteht etwa der Reichtum dieser Phäakenenkel in Geldpapier und in den Möglichkeiten, mittels dieser Papiervorräte bei immer weniger Arbeit immer reicher zu werden, so werden sie eines Tages enttäuscht sein. Vielleicht wird ihr Bauernverstand ihnen sagen, daß eine Gelegenheit gekommen ist, das Leben aller, die diese Insel nährt, behaglich zu machen und das, was noch heute auf ihr wie Schmutz und Bettelei aussieht, zu entfernen. Sonst müßten sie wohl eines Tages erschreckt erwachen. Dies schöne Inselland, einst von kaiserlichen Personen aufgesucht als einer der sichersten und verborgensten Orte des Aufatmens, trägt ja auf seiner fernen Höhe das Achilleion der ruhlosen, tragischen Kaiserin Elisabeth von Österreich, das später dem letzten deutschen Kaiser als ein Ort der Entfernung in das stillgewaltige Gebiet der archäologischen Studien diente. Die Insel trägt nun den luftigen, vereinsamten Palast wie ein Symbol des großen Schicksals, das unwiderstehlich auch in das kleine nachwirkt.


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