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Die nahen Städte

Rom

Stahlstiche

Ich wohne im vierten Stockwerk eines hohen schmalen Hauses am Corso Umberto, in einem Winkel zwischen einem Vorhang und einer Papierwand, die Hauswirtin ist eine alte Frau von einer wahrhaft römischen Häßlichkeit. Ich bin in dieses Quartier durch die zufälligste aller Empfehlungen geraten und entdecke zu meiner Freude, daß es sich mitten in der Stadt befindet. Ich kenne niemand in der Stadt und gehe umher ohne Plan. Ich fahre mit der Elektrischen nach irgendeiner Richtung und suche zu Fuß den Rückweg. In der Frühe wecken mich die Kirchenglocken, es sind zwei, drei, vier, fünf und sechs aufeinanderfolgende eintönige Schläge, die von dumpferen Glocken ebenso eintönig beantwortet werden. Zeitig wie die Besucher der Frühmesse bin ich auf der Straße und nehme teil an den höflichen Begrüßungen zwischen dem Inhaber eines Milchgeschäfts und seiner aus Frauen, Arbeitern und Mädchen bestehenden Kundschaft. Die Frauen kommen mit ihren Flaschen, die Männer sitzen an den steinernen Tischchen, um ihren Milchkaffee zu trinken. Die Straße, an der ich wohne, ist eine der längsten der Stadt, sie ist schmal wie eine Tanne, ihre Nebenstraßen sind wie ein regelmäßiges Gezweig. Man sagt, daß durch diese Schlucht von Häusern die aus dem Norden kommenden Fremden früher mit ihren Reisekutschen zur Stadt hineinfuhren; die Straße endet an dem Stadttor der Piazza del Popolo. Ein wohlerhaltenes Haus ist an dieser Straße, das braun ist wie eine sonnverbrannte Haut; es trägt eine weiße kleine Marmortafel wie ein Pflaster. Hier wohnte Goethe. Der Hausgang führt durch das Haus wie ein Tunnel und endet in einem sonnigen und luftigen Garten mit Palmenwedeln, Oleander und kiesbestreuten Fußwegen.

Ich hielt bis jetzt jene Stahlstiche, die römische Bauten darstellen und die man daheim zuweilen an den Wänden von Studierzimmern und in den Mappen der Kunstfreunde sieht, für Seltenheiten. Diese römischen Veduten, schwarz-schwarz-weiße Abbilder zerfallener Triumphbogen, Aquädukte, Säulengebäude und Kirchen, bilden eine Art für sich; hier nun finde ich die düsteren Blätter überall in den Fenstern der Antiquare wieder, in der Gesellschaft alter Brokate, Möbel, Marmorbruchstücke und seltener Bücher. Zugleich entdecke ich sie selber überall, diese Reste einer majestätischen Baukunst, Fassaden der Renaissance, alte Patrizierhäuser mit Söllern und flachen Dächern, von denen die Bauart der Bürgerhäuser des alten Köln noch jetzt ein Nachklang ist. Schließlich sehe ich in Rom nichts anderes mehr als diese Veduten. Ich empfinde den tiefen Reiz dieser vom Zerfall umwitterten Physiognomien, ich finde in der Tat, daß sie ihr Geheimnis nur der geduldigen Radiernadel erschließen. Das Malerische um sie her ist der Alltag, das Gras auf den Simsen, die Buntheit eines Blumenverkaufsstandes oder der vorüberwehenden hellen Frauenkleider.

Diese Stahlstiche in den Fenstern der Antiquare sagen mir zuweilen erst nachträglich, was ich auf meinen Gängen gesehen habe; ich suche die Urbilder wiederzufinden, aber anstatt sie wiederzufinden entdecke ich neue. Durchdrungen von der Kraft einer ganz besonderen Atemluft, von einer Fröhlichkeit, die sich gern bewegt, finde ich es selbstverständlich, daß viele Häuser Denktafeln mit den Namen berühmter Männer tragen, die ihre besten Jahre in dieser Stadt verbrachten. Ich tauche den Blick in tiefe Straßenschächte, weide ihn auf Plätzen, die rund und strahlend sind wie die Sonne. In den Gassen, die das Kapitol umgeben, gibt es altertümliche Garküchen, dort rösten enthauptete Hammel über dem Kohlenfeuer, gelb, braun und schwarz mit Brandblasen und verkohlten Hautstellen, ein Anblick für Kannibalen. Das Volk ist untermischt mit Rotweingesichtern, mit zierlichen raschen Mädchen, die wie die Polizisten zu zweit an den Ecken stehen und das doppelte Blickfeld überwachen. Der Glanz einer in der Nebengasse versteckten Apotheke, die als Sprechzimmer des Arztes dient und deren Schränke, Töpfe und Waagen ein kleines Museum bilden, das Singende einer Kneipenüberschrift, die schwungvolle Aufschrift eines Modeladens hat etwas Fernöstliches und ist doch so europäisch. Die Häufigkeit der Kirchen, die Haustüren unter den mit Rosen und Glühlämpchen umkränzten Heiligenbildern, das Bild der Gottesmutter unter der Decke des Wurstladens oder der Kneipe erinnert an Moskau. Es kommt mir zum Bewußtsein, daß selbst der Kreml mit seiner von Zinnen gekrönten roten Mauer ohne die italienischen Vorbilder nicht denkbar wäre, daß auch die Kasanische Kathedrale nichts ist als eine Nachbildung der Peterskuppel; selbst die windschiefen, mit Säulenvorhallen gezierten Holzpaläste in irgendeiner Gouvernementsstadt der russischen Steppe sind noch Kinder von Rom. Peter der Große war der Sohn eines italienischen Architekten; Tschaadejews »Verneinung Rußlands«, die uns als der echteste Ausdruck der russischen Seele erscheint, ist ein Kind der römischen Logik; Wladimir Solowiew ist zwar Byzantiner, sein tiefes religiöses Gefühl wendet sich fragend über die russischen Grenzen nach Ägypten und an das ökumenische Byzanz, aber es verweilt schließlich wie gebannt bei dem scharfen Umriß von Rom.

Labyrinthisches Spiel

Abends, mit der Tasche voll Orangen, befinde ich mich plötzlich vor der Trinità de' monti; ohne gestiegen zu sein, fühl ich mich dem Himmel näher; mir ist, als stünde ich auf der Himmelstreppe; ich sehe wie im Traum die spanische Treppe hinab und gehe auf der Höhe weiter, durch eine dunkle, noch knospende Allee, auf deren Mauern Liebespaare plaudern. Unten liegt die von Lichtern glänzende Stadt; ich tauche die Hand in ein Brunnenbecken; es ist ganz dunkel geworden, ich wandere zwischen Gärten einen gebogenen Fahrweg hinunter und verliere mich wieder in steinernen Gassen. Endlich sinke ich auf eine Bank, vom Rauschen des Wassers eingeschläfert, das den großen Brunnen eines von roten Häusern und geschlossenen Toren umgebenen Platzes entströmt. Der mittelste dieser Brunnen ist eine Grotte und ein Obelisk, er ragt vor der Kirche, die den Circo Agonale beherrscht. Die Kirche ist zwischen vielen schmalen und ernsten Palastgebäuden die Mitte; in der Höhe ihres Giebels sind die Fenster des Nachbarhauses geöffnet, die Täfelung der beleuchteten Decke ist von unten sichtbar. Die Bogenlampen strahlen ohne die Schönheit dieses fast menschenleeren Platzes zu zerstören, dennoch wünschte ich, daß sie erlöschen möchten, denn dieser dunkle Platz ist wie für das Leuchten der Gestirne geschaffen.

Kirchen, Kirchen

Es ist Sonntag.

Ich höre wieder das eintönige Geläute der Kirchenglocken. Dieses metallene Klopfen, das härter und höher ist als die Stimme des Ausrufers auf dem Turme der Moscheen, erzeugt eine seelische Spannung, die kaum ins Bewußtsein tritt, aber zu einem Erinnern bereit macht. Es ist eine gewisse Anzahl und Art der Schwingungen, die genügt, um eine eigentümliche Regung hervorzurufen. Es ist, als vermöchten schon diese Tonschwingungen das Gefühl der Zugehörigkeit zum Christentum wach werden zu lassen; ich fühle plötzlich, daß diese Glockenschläge mich durch die Stadt treiben und daß für dieses Gefühl die Türen der Kirchen offen sind, hunderte sind bereit, mich aufzunehmen. Die meisten sind kühl und leer, es ist noch früh. In der ersten Kirche finde ich die schwarze und trockene Feierlichkeit eines Totenamtes; nur wenige Personen nehmen an den Zeremonien teil; beide Flügel der Kirchentür klaffen auf, das Tageslicht fällt herein, der Sarg wird im Zuge hinausgetragen, das Tor wieder geschlossen; selig sind die Toten, die in Rom sterben. In der zweiten Kirche erwacht mit dem ersten Posaunenruf der Orgel die heitere Buntheit eines festlichen Sommermorgens. In der dritten knien Frauen; eine Heilige ruht in einem gläsernen Sarg, seltsames Bündel von vergilbtem Atlas und silbernem Schmuck, Märchentraum von Schneewittchen, in das Dämmerlicht einer fast vergessenen Seitenkapelle eingezogen.

An diesem Morgen, der frisch ist wie der Tau, gehe ich durch das Gittertor der Villa Umberto. Ich gelange in einen Hain von schattigen alten Bäumen; auf der Anhöhe in der Nähe eines künstlichen altrömischen Landhauses sind junge Mädchen, die ihr Frühstück einnehmen, ins Gras gelagert; wenige Personen spazieren in den schwarzen Alleen, ein Weiher glänzt, ich befinde mich auf einer offenen Ringstraße, die zu einem Wäldchen hinüberbiegt, das Wäldchen beherbergt einen Wald von Büsten, die Namen halbvergessener Römer tragen; ins Freie hinaustretend befinde ich mich auf einem Hügel, zu dessen Füßen die Stadt liegt. Ich habe dieses Bild schon irgendwo gesehen, ich bin auf dem Monte Pincio. Eine Gruppe von Priesterzöglingen steht am Steingeländer, die Kutten sind schwarz, violett gesäumt und ein wenig unsauber; doch jede Gestalt steht schwarz und schlank gegen die Helligkeit, es sind englisch sprechende junge Leute mit Sportgesichtern. Eine ungeheuere Stadt liegt weißlich im Sonnenschein, eine steinerne Landschaft, durchzogen von Wildnissen und aufgedeckten Gärten, ein unvergleichliches Gemisch von Natürlichkeit und Menschenwerk, eine Landschaft im vollkommenen Sinne, aus dem Bäuerlichen erhoben zu einer Stadt des Adels, der Priester, der Architekten und Soldaten in einer unendlichen delphischen Luft.

In einer der schmalen Straßen zu Füßen dieses Hügels steht zwischen den Nebengassen eine graue Kirche, dem heiligen Anastasius geweiht; dieser griechische Name an einer römischen Kirche zieht mich an; zu ihr gehört das griechische Seminar, man wird dort vielleicht keine Griechen finden, wohl aber die Abgesandten slawischer und arabischer Grenzvölker, die in ihrer politischen Geschichte das orientalische Universum verlassen und die Einigung mit Rom vollzogen haben. Die Tür ist offen, die Kirche ist fast leer, der Gottesdienst hat begonnen. Priester und ihre Gehilfen in weiten braunroten Prachtgewändern amtieren; vor der Bilderwand stehen Mönche in würdigen Stühlen, ihre Mützen, ihre schwarzen Bärte erinnern an die Zauberer von Chaldäa; auf der anderen Seite stehen die Schüler des Seminars, die schürzenähnlichen Gewänder der Priesterlehrlinge sind von einem stumpfen Blau mit roten breiten Gürteln. Man feiert die Liturgie nach dem östlichen Ritus, die Verbeugungen sind tiefer, die Bekreuzigungen gehen von rechts auf das Herz zu, der Gesang ist orphisch, der Altar wie ein Herdfeuer, und der Umzug des Klerus mit den Fahnen und den symbolischen Geräten im Vordergrund des kleinen Kirchenraumes ist wie eine Expedition um die Welt. Die Waller strecken die Hände zur Reinigung gegen die Kerzenflamme, am Eingang des Allerheiligsten steckt der Priester jedem einzeln das geweihte Brot in den Mund, sie gehen kauend, mit geschlossenen Augen und zusammengelegten Händen an ihre Plätze zurück. Dieser Gottesdienst ist ein Alibi, kein Symbol für die Wiedervereinigung der abtrünnig gewordenen abendländischen Kirche mit der östlichen Schwester. Nur in Petersburg und bei einer Liturgie in der Kapelle der heiligen Barbara in Wien und in der Wiener Mechitaristenkirche fand ich diese Erhebung der orientalischen Langatmigkeit in das freie künstlerische Spiel, das nicht ermüdet.

Es geht auf den Mittag. Rom ist wie eine einzige Opferschale. Jetzt sind alle Gottesdienste; die Altäre funkeln, die Geistlichkeit steht in Parade im Dampf der Weihrauchkessel, im Getöse des Anrufs, im Schweigen atembeklemmender Augenblicke; und dieses Gewaltige vollzieht sich heute in allen Turmhäusern und Kapellen der Welt. Die Künstler früherer Generationen kamen nach Rom, um dem Geist der Antike zu begegnen; für mich überglänzt und verdrängt in dieser Stadt die Kirche alles andere. Das Kirchliche in ihr ist der sichtbare Niederschlag einer geformten Geistesmacht, die Europa trägt wie das Gerüst eines inneren Bestandes und bereit ist, noch mehr als Europa zu tragen, denn in dieser Macht ist vieles was größer erscheint als Europa. Europa, bebend in den Stürmen der Zeit, beginnt dieses Geheimnis zu begreifen; welch eine wunderbare Macht ohne Vorbild! Es ist das Phänomen unserer Zeit, daß sie begonnen hat sich mit diesem Kirchlichen an der Seite des Lebens auseinanderzusetzen. Die magischen Mittel, die sich in den Händen der Priester gesammelt haben, sind jene, von denen einst glückliche Völker zehrten. Diese geistige Substanz ist gleichsam von einer einzigen Anstalt an sich gezogen und um das »Weggenommene von anderen Völkern« vermehrt worden. So füllte sich das Schatzhaus der sichtbaren Kirche. Es ist als sei das Wissen der Völker in das Grab gelegt und darum das Leben der Menschen so arm und maßlos geworden, um sich zuletzt gegen die pessimistische Suggestion des römischen Rechts zu empören. Ein Kampf um die magischen Mittel zieht herauf, denn sie gehören in die Mitte des Lebens. Dieser Kampf wird aufwühlend sein wie der Kampf, den die Kirche des Mittelalters gegen die Ketzer, die Zauberer und die Tempelritter führte. Er wird Atavistisches entfesseln, aber auch das Göttliche freimachen, das schlummert.

Ich sah in diesen ersten Tagen die Peterskirche nur aus der Ferne. Die Kuppel ruht wie eine schlummernde Wolke vor dem milden blauen Glanz der sabinischen Berge. Plötzlich öffnet sich die Enge eines lärmenden Straßenzuges; der Obelisk steht mitten in der grauen Wüste des Platzes, umgeben von dem Säulenhalbkreis wie der Zeiger einer Sonnenuhr. Felsiger Eingang in die Höhle des Löwen, unendlicher steinerner Boden dieser braunglänzenden Halle, großes Goldoval über dem Altare, erfüllt vom Glühen des westlichen Himmels! Der felsige Ernst des Bauwerks liegt in einer Landschaft von Gärten, Äckern und Weinbergen, vor ihm breitet sich ein proletarischer Stadtteil. Eine Gasse trägt den Namen Ferrer. In winkeligen Straßen poltern rote Trambahnen, an engen Plätzen sind Wirtschaften, Ansichtskartengeschäfte, Wechselbuden bis hin an das helle weitgeschwungene Flußbett des Tiber. In einer Seitenkapelle des Domes stehen die beiden Säulen des salomonischen Tempels, barocke Schäfte, auch sie nichts als Trophäen in der Schatzkammer. An einem Pfeiler ist das weiße Grabmal der Stuarts, Männerköpfe, wie Gemmen in den Marmor geschnitten, römische Elegie, in der die schottische Ballade endet. Aus der Ferne des Raumes kommt Gesang: Knabenchöre, psalmodierende Männerstimmen; er entströmt einer von feierlichem algenfarbenem Licht erfüllten Kapelle, deren Vergoldung bis zur Galerie der Orgel hinaufsteigt. Das Volk, zusammengedrängt im Stehen und auf unbequemen niederen Bänken, bewundert die weißen Spitzenmäntel, die violett gesäumten Schultermäntel aus Maulwurfspelz, die berufenen Gesichter der Prälaten in den Chorstühlen. Hinströmende Litanei, geheimnisvoll wie der Gesang der Mönche in mongolischen Klöstern, tiefe Übereinstimmung zwischen der römischen und der tibetischen Liturgie, deren eigentliche Sprache nicht Grammatik, sondern Atem ist! Die ungeheure Kirche ist fast leer. Sie ist zu groß für eine Stadt von heute, sie ist aus dem Pfennig der ganzen gläubigen Christenheit entstanden, aus dem Ablaß, der den deutschen Aufruhr ausbrechen ließ; eine Anstalt wie diese kann nicht aus der Nähe leben, das Volk der Nähe betrachtet sie gleichgültig. Rom lebt seit einem Jahrtausend mehr vom Mark und Blut der nördlichen Völker als aus dem eigenen, seit jenen Sachsen, die durch Karl den Großen zu Tausenden geschlachtet wurden, bis an das Ende des Kaisertums, das ein römisches Erbe war, das sich in vier Kaisertümer spaltete und dem Ansturm von gestern erlag. Dieses geistliche Rom wird wie das weltliche Imperium der Verfallszeit am Leben bleiben, wenn es wie dieses den vorletzten Schritt tut und sich im Körper seines kräftigsten Unterworfenen selber festsetzt, jenen Römerkaisern gleich, die von dort noch jahrhundertelang in das Rheinland übersiedelten und über das Imperium herrschten. Oder würde es sich selber auflösen und den Schritt des höheren Glaubens wagen wie Petrus, der aus dem Schiffe trat und seinem Herrn auf den Wellen entgegenging?

Germaniker

Immer wieder kehre ich in dieses Stadtviertel zurück. Offenes Tor an einer kleinen Gasse; leblose Gasse, die bergan steigt. Ich gehe aufwärts und begegne niemand; ich durchschreite Torwölbungen und befinde mich mit einemmal auf einem der verschwiegenen Plätze des Vatikans. Wie in Fels gegraben und von Mauerbogen beschattet führt der Burgweg aufwärts in den Hof der Schweizerwache. Ruhevolle, symbolische und uralte Hoheit des Kirchenstaates, aus den Katakomben emporgewachsene Saat des gewaltlosen Staates, dessen Idee stärker ist als Heeresmacht; seltsames Zeichen des Herrschertums über allen Kirchentüren der Stadt, Krone und Schlüssel mit dem Wappen des regierenden Papstes, eigentümlich bastardiertes Wappen, dessen obere Hälfte den Kopf des kaiserlichen Adlers zeigt, im unteren Felde aber, das blau und gelb geteilt ist, das einfältige Abbild einer Dorfkirche. Deutschland, das von Konvertiten wimmelnde Deutschland von heute, das Bistümer und Klöster wieder herstellt, die seit der Reformation aufgehoben waren, huldigt nach seinem Niederbruch dem Hohepriester von Rom in ungeheuerlicher Treue. Wir wissen, daß die römische Kirche, diese mächtigste und einschließlichste Anstalt, die jemals da war, sich anschickt, die Regierungen der Welt zu regieren. Niemals war die Zahl ihrer Legaten größer als jetzt, wo die Trümmer mächtiger Staaten die Welt verpesten. Niemals waren die Fäden, die in den stillen Gemächern des Vatikans gesponnen werden, zarter und umfassender als jetzt, wo aus dem vergossenen Blut der Völker die Schatten aufsteigen. Aus den Völkern drängt sich vulkanisch das Wort. Man sagt, der Weg zum Papste führt in diesem Hause durch eine unendliche Reihe von Galerien und Vorzimmern. Der Eindruck dieser betäubenden Distanz muß jedes Wort ersticken, das aufflammen will, ehe die Zeit gekommen ist.

Der Weg zur Sixtinischen Kapelle führt durch Säle, in denen die weißen Marmorleiber griechischer Götter versammelt sind, durch Galerien, deren Wände die Landkarte grüner Provinzen und blauer Meere entfalten, durch kahle Treppenwinkel. Dann aber träufeln die Farben des dämmernden Raumes aus Wolken und Regenbogenfarben den lauen Regen. Schmale Tür als Einlaß, Fremde aus allen Nationen, Mädchen von schwedischer Schlankheit; auf einer der niederen Sitzbänke leuchtet das Scharlachrot eines Priesterkleides. Im Strom der Fremden in den Sälen, vor den Wandbildern Raffaels sammelt sich noch mehr von dem lodernden Rot; einer aus der Gruppe liest halblaut den Kommentar aus einem deutschen Buch. Die Aussprache ist westfälisch. Andere von diesen Mittelalterlichen, Rotgekleideten sind Landsleute aus Schlesien, aus der Schweiz und aus Schwaben, kraftvolle junge Köpfe der deutschen Rasse, bäuerliche und aristokratische Gesichter im Übergang vom Offizier zum Gelehrten. Es sind Germaniker, deren Kollegium von Ignatius von Loyola gegründet wurde, um Zöglinge aus allen Ländern des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation aufzunehmen. Dieses Kolleg war einst das vornehmste Werkzeug der Gegenreformation; auf die an der Quelle von Rom geholte Bildung stützte sich die Vehemenz des Gegenangriffs gegen die wittenbergischen Kanzeln, offenbar ist es noch heute eines der starken römischen Werkzeuge. Der Streit zwischen Rom und Wittenberg, der einst ein Streit der Gewissen war, ist längst ein Streit der Seminare geworden; der kirchliche Protestantismus, zeitgebunden wie Luther, der das Volk sich selber überließ und ein Diener der Fürsten wurde, weil für ihn die Hoffnung eines sich erneuernden Kaisertums auf den Fürsten ruhte, offenbart sein menschliches Teil, und dieses Teil ist römisch beamtenhaft, gelehrtenhaft, soldatisch bereit, sich einem höheren Rom unterzuordnen, das nicht da war und nicht kam. Es ist nun, als wolle schließlich nach Jahrhunderten des Kampfes das Werk des Augustinermönches zur Trophäe werden, eingereiht neben das Werk seines iberischen Gegners in den thesaurus ecclesiae. Es gab schon einmal eine Zeit, wo die Unruhe der Menschen so groß war, daß Rom erbebte; es war die Brandung, die sich vor der beschwörenden Handaufhebung des heiligen Franziskus stillte. Schon hebt sich die nächste gewaltige Welle aus dem Unendlichen, sie kündigt ein Ringen um den universalen Gedanken, vor dem die römische Institution nichts ist als eine Verschließung des Evangeliums, ein hierarchisch geordneter Kosmos, der zu eng geworden ist. In dieser Unruhe vollzieht sich etwas wie die Rückwälzung der Welt zu ihrer Seele; in dieser Unruhe sind Sehnsucht, Angst und Haß, die drei Wurzeln der Liebe und der Seele, in ihr ist ein Suchen dessen, was ewig im Norden liegt. Durch zwei Jahrtausende hat Deutschland an Rom den Tribut entrichtet, es empfing von Rom ein wenig vom Glanz seiner Südlichkeit, es zahlte den Tribut in den verstümmelten und verbrannten Urkunden seines eigenen Wissens, in seiner beispiellos blutigen Geschichte. Plötzlich erscheinen mir diese blonden Rotgekleideten hier in den Gemächern des Vatikans wie die letzten Geiseln aus den Völkerkämpfen der Frühzeit, ihre Kleidung ist aufreizend und brüllend wie der rote Leu der Alchemie. Diese von dem Basken gewählte Kleidung ist rot wie die Leidenschaftsnatur entfesselter Kräfte, bestimmt, jenen anderen entfesselten Kräften zu begegnen, deren Farbe ebenfalls die rote ist; vielleicht werden einst diese durch das Feuerbad von Rom Gegangenen in die Kämpfe eingreifen, die heraufziehen. Auch diese römisch Gekleideten sind Fleisch vom Fleische einer Jugend, die jetzt in einer Unruhe sondergleichen die Landstraßen und die Wälder Deutschlands durchwandert.

Volk

In den von Spiegelscheiben glänzenden Straßenzügen erstaunt mich der mit Nüchternheit zur Schau getragene Reichtum neu gegründeter Banken. Dieses Emporschießen der Banken in allen Ländern ist wie das Zeichen einer tropischen, hinterindischen Vegetation, der beamtenhafte Charakter dieser Institute vergrößert noch den Eindruck ihrer Undurchdringlichkeit. Diese Banken und ihre mit goldenen Ziffern bedeckten Marmorschilder mit ihrem Beigeschmack von hoher Politik und anonymen Interessen vermindern keineswegs den Eindruck von Rom, sie fügen ihn leichter zu allen Erscheinungen der Oberfläche. Abends in den Weinwirtschaften des Volkes höre ich die derbe und singende römische Sprache, die im weichen Tonfall zuweilen an die russische erinnert; weder das Deutsche noch das Französische hat diese Geigensaite. Dieses Volk ist im Dunst des braunen Weines sehr behaglich gebettet, es hat seine Zeichen der Erstickung, die kurzen und fetten Leute, deren Augen im Schatten liegen und körperliches Leiden, kurzes Leben verraten. Immer ist das niedere Volk brav und ergeben, unmündig und gelassen, immer mit irgendeinem Fest, einer Trauer, einem Gerücht beschäftigt; es betrachtet nicht unwissend, doch in tiefer Geduld den Pomp und die große Geste, die aus der Stadt emporwächst und den Fremden überwältigt, es ist katholischer als die Priesterkaste, die es selber hervorbringt; dieses römische Volk errichtete dem Giordano Bruno ein ehernes Standbild auf demselben Platz, wo einst die Kirche den Mönch verbrannte, es gab jener Gasse im Schatten des Vatikans den Namen Ferrer, und es hält die Gesinnung der uralten Kommune aufrecht, die im Alltag nichts ist als die Verwaltung des Bodens, des Wassers und des Raumes zum gemeinen Nutzen, aber bei erschöpfter Geduld die blutige Erhebung gegen die Vorrechte der Großen. Einst gab es selbst im russischen Volk eine Zeit, wo die unter der Versklavung ihrer Kirche leidende russische Seele durch den Mund ihrer Dichter nach Rom verlangte; sie glaubte in der Versklavung der Kirche die Ursache der Versklavung des Volkes zu erkennen, sie ersehnte die Befreiung dieser Kirche wie sie die Freiheit selber ersehnte. Das russische Volk hat als das erste diesen Traum abgeschüttelt, es löst sich in Blut und Schmutz von Byzanz, seiner geistigen Mutter, es erneuert zugleich die alte Absage an den Westen, dessen Geist der römische ist; auf den weißen Christus wartend steht es in der Empörung gegen das Gesetz, den Geist des Alten Bundes. Moskau, das von den Plebejeraufständen der Römer lernte und die Namen der Gracchen auf seine Mauern schrieb, ist selbst für das Volk von Rom ein Aufruf geworden, ein Name, der die Zögernden hinwegreißt über die bürgerliche Geste frondierender Freidenkerparteien in die drohenden Windstöße neuer Völkerbewegung. Rom und Moskau sind Ähnlichkeiten, aber in diesen Ähnlichkeiten ruht die stärkste Antithese, die das jetzige Europa kennt; auch Moskau ist mehr geworden als nur ein geographischer Begriff.

Cäsars Schatten

Ich komme vom Kolosseum. Ohne noch zu wissen, wo ich mich befinde, sehe ich die weißen Trümmer in der von Büschen und Lorbeerbäumen bestandenen Wiese. Zur Linken erhebt sich mit steilen Terrassen wie aus Stein geschnitten ein brauner Hügel, eine Burg in einem Wald von Zypressen. Es ist der Palatin; sonderbare Ähnlichkeit mit der Burg von Lhassa. Niemand begegnet mir auf dieser Grasweide zwischen der ländlichen Kirche, die in dieser Wildnis steht und den hohen Säulen der Tempel, die an die Häusermenge der Stadt und an den Lärm der Straßen grenzen. Ein kleines Holzschild nennt schließlich den Ort; es ist die Heilige Straße. Rätselhaft, warum das Forum von Rom weder erhalten blieb, noch daß seine Trümmer ganz verschwinden konnten; rätselhaftes Werk der Selbstzerstörung. Mitten in diesen Trümmern ersteht mir plötzlich Cäsars Gestalt.

Was an der durch Plutarch überlieferten Lebensbeschreibung auffällt, ist, daß der Grieche seinen Bericht damit anfängt, Cäsar als einen vornehmen Lebemann zu schildern, der fast durch einen Zufall ein großer Feldherr wird. Plötzlich erkennt sich dieser Feldherr als ein Werkzeug des Schicksals, und sein Leben wächst in das Erhabene. Mitten in den Bericht über die politischen Verwicklungen, die Reisen und die Feldzüge setzt Plutarch die ägyptische Episode, die Beziehung des gereiften, alternden Mannes zu Kleopatra. Das Bedeutende dieser Verbindung vollzieht sich aus dem Triebhaften; nichts wirkt gleichnishafter als diese Schicksalsverknüpfung. Schließlich schildert der Grieche die Rache für die Ermordung des Cäsar an Brutus und Cassius durchaus als das Werk einer unsichtbaren Schicksalshand. Kann diese Schicksalshand dieselbe sein, die Cäsar, allen Warnungen zum Trotz, an den Iden des März aufs Kapitol führte? Ist es dieselbe Hand, so offenbart sich da ein Spieler, der gleichsam mit sich selber Schach spielt. Ist es aber nicht dieselbe Hand, wer sind dann die unsichtbaren Gegenspieler, die Menschen wie Schachfiguren benutzen und ihre Gunst oder Mißgunst einzelnen Sterblichen zuwenden wie die Götter des Homer? Es bleibt noch eine dritte Deutung möglich, nämlich die von einem verborgenen größeren Schicksalsplane, der nicht nur das Schicksal einzelner Menschen gestaltet, sondern über dieses hinausgeht und erst den zuletzt Geborenen verständlich wird. Warum sagt Plutarch so wenig über die letzten Beweggründe des Brutus? Warum erweckt Brutus Sympathien fast gegen die Absicht des Plutarch? Plutarch will ein einmal wachgerufenes Widerstreben des Lesers gegen Cäsar nicht ganz beschwichtigen; durch diesen Zug wird seine Lebensbeschreibung zum Dokument eines irrationalen Geschehens. Plutarch war Priester in Delphi. Die späteren hatten es leicht zu sagen, daß ja im Reiche des Cäsar, das eine Wiederholung des Alexanderreiches war, der Christus geboren wurde, daß unter der furchtbaren römischen Herrschaft über Judäa der Messias wie ein Wasser aus dem Felsen sprang. Daß aus dem cäsarischen Machtbereich schließlich die stärkste Gegenwirkung gegen die Gewalt hervorging, setzt Brutus in eine mystische Verbindung mit Jesus, es reiht Cäsar in jene Spezies von Herrschern, die sich bis heute in Kaisern und Päpsten fortsetzt.

Ein Mann kommt auf den Wiesen daher, er sieht wie ein Franzose aus und scheint ein Lehrer zu sein. Er pflückt von einem Lorbeerbaum einen Zweig. Auf dem leeren steinernen Boden der Tempel begegnen mir zwei englische Offiziere in Khaki, straffe, übertrieben sauber gekleidete junge Leute mit dem Kodak, dem Reitstöckchen und dem Stadtplan in der Hand. Auf einer Stufe der Heiligen Straße sitzt eine englische Mutter mit ihrer fünfzehnjährigen Tochter, die ihr zärtlich begeistert den Arm um die Schulter legt. Amerikaner bummeln daher, ein Führer, der ein großes Buch unterm Arm mitschleppt, erklärt Grundrisse, Mauern, Kanäle. Welch ein Handwerk, auch nur zehnmal am Tage das Wort Via Sacra in englischer Aussprache zu wiederholen.


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