Balder Olden
Anbruch der Finsternis
Balder Olden

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Vierzehntes Kapitel

Rümelin war im Sturmschritt zur Brandstätte geeilt, um zu erkunden. Dank seiner Ausweise war er ungehindert durch die Polizistenkette gedrungen und hatte mit einer Sensation, die aus Grauen und Lust seltsam gemischt war, in die himmelrot lodernden Flammen geblickt, die rings um die Kuppel des Reichstags prasselten. Keuchend vor Erregung und Eile, kam er jetzt in das Haus des PEN-Klubs zurück, von Naumanns kleiner Geburtstagsgemeinde hatten sich nur wenige Teilnehmer verloren. Wie Verschwörer saßen sie beisammen, sprachen im Flüsterton, warteten auf Nachricht.

»Die Kommunisten!« rief Hans-Heinz noch in der Tür des Vorraums mit hochgereckten Armen. Sein blondes Gesicht, sein weißes Frackhemd, alles war schwer mit Ruß bedeckt, er sah aus, als sei er mitten durch die Flammen gegangen, und seine blauen Augen blitzten aus der dunklen Maske.

»Es ist eine groß angelegte Verschwörung der Kommunisten, ein Fanal, das Moskau befohlen hat! Das sollte das Signal sein zum Aufstand der Roten, um sich über Europa zu stürzen!«

»Daran habe ich keinen Augenblick gezweifelt!« rief Völkerbrunn, dröhnend, als spräche er in einer Volksversammlung. »Wir haben sie niedergehalten, vierzehn Jahre lang, aber jetzt fühlen sie, daß ihre Stunde gekommen ist. Vier Wochen Hitler-Regierung, und schon ist der Weg frei zum Bolschewismus!«

»Sie haben sich verrechnet, sie haben sich bitter verrechnet!« schmetterte Rümelin. »Gerade das hat gefehlt, um zu 131 zeigen, wie nötig wir die eiserne Hand Hitlers brauchen! Sie werden sie fühlen, diese eiserne Faust!«

Jetzt drängte sich alles, diese ganze, verschreckte, bebende Gesellschaft, um den jungen Offizier, der plötzlich beredt war und in seinem leidenschaftlichen Enthusiasmus wirklich aussah wie ein germanischer Gott.

»Der Attentäter ist schon gefaßt! Ein Holländer – natürlich, es ist ja eine internationale Verschwörung – ein armseliger, elender Bursche, der das Heiligtum des deutschen Volkes in Asche gelegt hat. Natürlich ist er nur das Werkzeug gewesen, aber trotzdem, selbst der Strick ist für ihn zu gut.«

Der Präsident der Dichterakademie hob erstaunt seinen schweren Kopf.

»Woher weiß man, daß der Mann Kommunist ist?«

»Weil er sein Parteibuch in der Tasche getragen hat, weil die abgefeimtesten Teufel immer die dümmsten sind! In Hemd und Hosen, sonst hatte er nichts an, ist er durch die Korridore gerast, sogar seinen Rock hatte er benützt, um einen Brandherd zu legen. An zwanzig oder dreißig Stellen zugleich hat er das Feuer angesteckt und hat gedacht, er könnte in der Verwirrung entkommen. Oh, da hat er sich getäuscht, da hat er sich furchtbar getäuscht! Auch die Herren kommunistischen Abgeordneten, die ausgerechnet nachts um zehn Uhr noch in ihrem Arbeitszimmer saßen und die eigentlich die Urheber des Ganzen sind, auch sie haben sich bitter getäuscht! Alle drei sind sie verhaftet, von ihnen entgeht keiner der Rache!«

Gerda fragte:

»Es muß doch eine Brandwache im Hause stationiert sein? Haben die gar nichts gemerkt?«

»Erst als es zu spät war. So teuflisch raffiniert war dieser Plan angelegt, so von langer Hand vorbereitet, daß alle Vorsicht zunichte geworden ist. Hitler schäumt vor Wut – ›Da sieht Europa die grinsende Fratze des Bolschewismus‹, hat er gesagt. Er wollte die drei Verbrecher sofort an die nächsten Laternenpfähle hängen lassen, die Polizei hat sie ihm mühsam entrissen.« 132

Jetzt drängte sich Alexander Naumann durch den Kreis, er sah mit geducktem Schädel und geballten Fäusten fast wie ein ergrauter Ringkämpfer aus. Seine buschigen Brauen waren zu Wulsten geballt, sein Mund wütend verzerrt.

»Woher wissen Sie, was Hitler gesagt hat?«

»Weil er selbstverständlich der erste an der Brandstelle war! Er und all seine Großen, Göring, Schnierwind, Kerrl, Frick, Graf Helldorf – es hat keiner gefehlt! Wenn das Staatsschiff in Gefahr ist, steht der Kapitän auf der Brücke und nirgends anders!«

»Das ist doch unfaßbar!« knirschte Naumann. »Vor einer Stunde hat noch kein Mensch etwas von dem Brand geahnt – wie kommt es, daß die ganze Regierung sofort vor dem Reichstag versammelt ist? In acht Tagen ist Reichstagswahl, seit Wochen und Monaten rasen sie alle im Flugzeug durch Deutschland, von einer Versammlung zur anderen, von einem Mikrophon zum anderen – der eine müßte heute in Königsberg und der andere in München sein, der dritte in Köln und der vierte in Breslau – wie kommt das? Wie kommt das?«

»Sie hatten eine Nachtsitzung im Palais des Reichstagspräsidenten Göring.«

»Seltsam! Geht nicht von diesem Palais zum Reichstagsgebäude ein offener Korridor?«

»Das weiß ich nicht. Es ist auch unwichtig, vollkommen unwichtig. Die Hauptsache ist, daß sie alle auf dem Posten waren – damit hatten diese Schandbuben nicht gerechnet. Wo Hitler und Göring sind, da gibt es keine Verwirrung, und wenn die ganze Welt zusammenbricht. Da gibt es kein Entkommen, da folgt die Rache jeder Untat auf dem Fuß!«

Naumann trommelte mit beiden Fäusten auf den eigenen Schädel, er war ganz von Sinnen, in dreißig Jahren hatte seine Frau ihn nie in einem solchen Zustand gesehen. Er stöhnte:

»Ja, bin ich denn wahnsinnig? Bin ich wahnsinnig, oder ist die ganze Welt wahnsinnig geworden? Wissen Sie, was das heißt, einen Riesenbau, einen ungeheuren Steinbau, der ein paar Tausende Quadratmeter Boden bedeckt, so zu 133 unterminieren, daß er in zehn Minuten aufflammt wie eine Fackel? Haben Sie als Offizier keine Ahnung, daß eine ganze Abteilung geübter Feuerwerker das kaum zuwege brachte? Soll ein zerlumpter Proletarier das mit seiner Schachtel Streichhölzer und einem fadenscheinigen Rock fertiggebracht haben? Soll man glauben, daß ein Mensch auszieht, um das ungeheurste Verbrechen unserer Zeit zu begehen, in Hemd und Hosen, aber mit seinen Legitimationspapieren in der Tasche? Man soll mir sagen, ob ich das alles wirklich gehört habe!«

Jetzt knirschte Naumann nicht mehr, jetzt brüllte er wie ein Verzweifelter:

»Bin ich im Irrenhaus? Sechzig Jahre lang habe ich meine fünf Sinne beisammen gehabt, niemand hat an meinem Verstand gezweifelt bis zu dieser Stunde – bin ich plötzlich wahnsinnig geworden? Sechzig Mann Feuerwache liegen Tag und Nacht im Reichstagsgebäude mit allem Löschwerkzeug ausgerüstet, und ein barfüßiger holländischer Arbeitsbursche, der gar nicht ahnen kann, wie so ein Haus von innen aussieht, dreht ihnen eine Nase und leistet ein Stück Arbeit, das ich mit einem ganzen Zug Infanterie in Stunden nicht zu Wege brächte? Und dieser Dämon läßt sich dann trotzdem fangen wie eine Ratte, der man ein Stück Speck hinhält – und das geht allen glatt herein, das wird einfach geglaubt? Hitler und Göring und alle glauben das? Sie wollen ein Reich von sechzig oder siebzig Millionen Menschen regieren – und glauben das! Und glauben das!«

Die Frauen warfen sich dazwischen, Frau Naumann und Yella hingen sich an Naumanns Arm, Gerda trat ihrem Bräutigam entgegen, der vor diesem Ausbruch fassungslos stand.

»Es sind doch lauter Tatsachen«, schrie er. »Es kann doch kein Mensch zweifeln, es darf doch kein Mensch zweifeln, jeder Zweifel ist ein Verbrechen am Vaterland!«

»Hans-Heinz, ist denn jedes Wort Evangelium, das aus Hitlers Mund kommt?«

»Aber was ich mit meinen Augen gesehen habe, Gerda – glaubst du, glauben diese Herren und Damen hier, daß ich 134 ein Nachtwandler bin und Gespenster sehe? Den Burschen selbst und seine Komplizen habe ich gesehen, wie sie in den Polizeiwagen spediert wurden, gegrinst hat der Halunke, hämisch und höhnisch gegrinst wie ein Teufel! Ich habe Hitler selbst gesehen, schäumend vor Wut und Empörung und ganz fassungslos über soviel menschliche Gemeinheit. Wer soll das sonst getan haben, wenn nicht die Kommunisten? Wer denn, Herr Naumann, wer denn, wer denn, Herr Naumann? Glauben Sie, es ist die erste Brandfackel, die Moskau über Europa schwingt?«

»Ich habe diesen erbärmlichen Burschen nie etwas anderes zugetraut«, bestätigte ihm Völkerbrunn. »Nein, das doch nicht. Das habe selbst ich nicht von ihnen erwartet! Ihre Gemeinheit übertrifft alles, was ich ihnen zugetraut hatte, aber auch ihre Dummheit! Denn jetzt ist es aus mit ihrer Partei, mit dieser Massenverblendung! Jetzt werden sie in Scharen vom Sowjetstern abfallen – zu uns!« – – –

Damit endete diese denkwürdige Geburtstagsfeier. Noch dröhnte der Feuerlärm über den Platz der Republik, der in weitem Umkreis von Polizei zerniert war. Aber Hans-Heinz legitimierte sich und nannte die Namen der prominenten Gesellschaft, die so jählings in den Umkreis einer Weltkatastrophe geraten war. Ein Polizeioffizier eskortierte den kleinen Zug erschütterter Menschen. Preußische Polizisten standen stramm und salutierten, den Karabiner im Arm, so kamen sie glücklich durch den Kordon, durch einen Ring von aber Tausenden bis zum Irrsinn erregter, gaffender, brüllender, tobender Menschen und erreichten den Frieden der inneren Stadt, in der alles voll Ruhe und Ordnung schien.

 

Punkt sieben Uhr erschien Karl Schniedecke mit dem Frühstücksbrett in den Händen im Zimmer »seines« Leutnants und donnerte militärisch:

»Guten Morgen, Herr Leutnant, wünsche wohl geschlafen zu haben.«

Rümelin stand schon am Waschtisch, Seifenflocken und 135 Wasser spritzten um ihn, sein trainierter Körper dampfte von Gesundheit.

»Danke, Karl. Wundervoll geschlafen.«

Er griff nach zwei Stühlen, die ihm jeden Morgen als Hanteln dienten, packte jeden an einem Bein und begann mit Kniebeugen, Vorwärts- und Seitwärtsstoßen sein Morgentraining.

Wirklich, er hatte wundervoll geschlafen und von lauter lichten, schönen Dingen geträumt, von Gerda, die durch den Kuß Naumanns gleichsam zur Königin des gestrigen Abends geworden war, von Yella, die in ihrem glasgrünen Kleid, mit dem traurig lächelnden Gesicht, das sie gestern gezeigt hatte, wie ein Genius, unberührbar, durch ein Meer von Flammen geschritten war. Das war ein seltsamer Traum gewesen – die Flammen hatten Yella umzüngelt, aber sie hatte ihrer nicht geachtet, und die Glut hatte ihr kein Leid zugefügt.

»Was fehlt dir, Karl?« fragte Rümelin plötzlich, ganz aus den Erinnerungen des gestrigen Abends und dieser traumreichen Nacht heraus. Der Junge sah fahlgrün aus. »Bist du krank, oder hast du einen Kater?«

»Haben Herr Leutnant wirklich – heute Nacht gar nichts gehört?«

»Was soll ich gehört haben? Gar nichts habe ich gehört.«

»Auch nicht das Geschrei? Gleich nach dem Geschieße dieses Geschrei?«

»Keine Spur. Komm schon heraus mit der Sprache, was war denn los?«

»Der Satan ist los, Herr Leutnant!«

Der Kellnerbursche hielt sich den Bauch, als raste die Angst darin, sein Unterkiefer hing herab, er keuchte schwer durch den weit offenen Mund.

Während Rümelin sich das Hemd über den Kopf zog und in die Kleider stieg, befahl er teilnehmend:

»Da, setz dich auf deinen Allerwertesten, Junge, und trink eine Tasse! Es ist genug für uns beide. Wenn schon jemand geschossen und geschrien hat, so was kommt mal vor, und du 136 bist doch kein bleichsüchtiges Fräulein. Stell dir vor, du wärst Soldat und müßtest in den Krieg.«

Karl gehorchte, er nahm einen Schluck Kaffee, aber selbst der wollte nicht herunter, und auf einmal liefen ein paar dicke Tränen über sein derbes Jungensgesicht.

»Krieg, Herr Leutnant . . .?«

Er wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab und starrte verzweifelt auf Rümelins Schuhe, die er vorhin blitzblank gewienert hatte.

»Wenn ich mir Krieg vorstelle«, stöhnte er, »dann ist das gar nicht so schlimm, Herr Leutnant. So ein richtiger Krieg nämlich, der ist bestimmt nicht so schlimm. Da hat jeder sein Gewehr oder seine Kanone, und wenn die anderen schießen, dann schießt man auch, und im schlimmsten Fall kriegt man so ein Stück Eisen gegen den Deetz, und dann ist es eben aus. Weiter kann einem da nicht viel passieren.«

»Also was ist dir denn sonst passiert heute Nacht? Mach schon vorwärts, ich habe nur noch fünf Minuten.«

»Mir? Mir ist natürlich gar nichts passiert. Sonst säße ich ja nicht hier, Herr Leutnant. Aber heute geht's an den und morgen an den anderen, viel schlimmer als Krieg, tausendmal schlimmer als Krieg. Bei Müllers, unten im zweiten Stock, da sind sie gewesen. Was Müller schon mit dem Reichstagsbrand zu tun hat! Der hat andere Sorgen, mit seiner kranken Frau und acht Stunden Nachtschicht hinter sich. Aufgemacht hat er nicht, aber die, wie die Wilden, mit Revolvern die Tür aufgeschossen, und hinein und den armen Müller zusammengedroschen –; wenn Sie runtergehen, in seine Wohnung, dann sehen Sie noch die dicken Blutlachen auf dem Boden. Der hat geschrien, kann ich Ihnen sagen, wie ein Schwein hat der geschrien, wenn's zum Metzger geht. Und warum? Weil er Setzer ist bei der ›Roten Fahne‹, deswegen! Die Frau im Nachthemd zum Fenster heraus, mit der Kleinen – was soll sie sonst machen? Stillhalten, bis es an sie geht? Dann schon lieber Arme und Beine gebrochen, hat sie gedacht. Hinter ihr her geschossen haben sie auch noch, in den Hof hinein, 137 aber bei Nacht treffen sie ja nicht. So ist das gewesen, Herr Leutnant, und ihn haben sie weggeschleppt, kein Mensch weiß, wohin.«

»Wer soll das gewesen sein?«

»Na, wer soll's schon gewesen sein? SA ist es gewesen, aber sie haben gesagt, gebrüllt haben sie, daß sie Hilfspolizei sind. Solche Polizei wie die in Potempa! Und dann sind noch ein paar verhaftet worden, aber richtig verhaftet, von der Polizei. Einer bei uns im Vorderhaus und einer im Haus schräg da gegenüber. Alles wegen dem Reichstagsbrand!«

Rümelin sagte trocken:

»Es kann mal einen Unschuldigen treffen. Aber ganz unschuldig ist natürlich kein Kommunist, die haben's alle voraus gewußt und ihre Pläne geschmiedet. Was soll man denn machen – sollen wir uns alle die Hälse abschneiden lassen und das Dach überm Kopf in Brand stecken lassen? Wo solche Verbrechen begangen werden, mein Junge, da heißt's eben durchgreifen.«

Karl stöhnte:

»Ist schon gut, Herr Leutnant, aber heute trifft's den und morgen den anderen, und ebensogut wie dem Müller kann's uns an den Kragen gehen. Und wenn Sie jetzt ausziehen, Herr Leutnant . . .«

Rümelin war mit seinem Anzug fertig, in Breeches und hohen Ledergamaschen – er machte ja seinen Dienst auf dem Motorrad – sah er ganz militärisch aus.

»Ich hab's, Junge! Eigentlich bist du ein Angsthase und verdienst die Ehre nicht, aber sie werden schon einen Kerl aus dir machen. Du wirst SA-Mann! Mich kostet es ein Wort, dann stehst du morgen auf dem Exerzierplatz. Knochen hast du ja wie ein Gaul, und dann ist es auch mit der Arbeitslosigkeit und mit dem Kohldampfschieben zu Ende. Also, hier ist meine Hand, eingeschlagen, und morgen kriegst du deine braune Uniform?«

Der Junge würgte an seiner Antwort:

»Ich mit denen, Herr Leutnant? Mit denen, die gerade aus 138 dem Zuchthaus herauskommen, die mit den Mördergesichtern?«

»Es kann sein, daß ein paar schlechte Elemente sich in die SA hineingeschlichen haben. Die werden wir schon wieder herausbringen. Gerade solche Jungens wie dich brauchen wir deswegen. Anständige, ehrliche Jungens, aus denen man richtige Soldaten machen kann!«

Karl schwankte, die Versuchung war groß, der Ekel, der in ihm aufstieg, entsetzlich.

»Und – mein Vater? – Wo der Alte doch mit Ebert und Völkerbrunn und all den anderen . . .«

»Das trägt dir keiner nach. Und schließlich haben die in ihrer Art ja auch nichts anderes gewollt, als Hitler heute will: Deutschland vor den Bolschewiken retten. Das ist unsere einzige Pflicht, und da kann jeder mittun!«

Gleich darauf raste Rümelin auf seinem knatternden Motorrad den täglichen Weg zu Major von Reischachs Grunewaldvilla. Der Gestiefelte Kater war mit seinen dreiundsechzig Jahren unentwegt auf dem Posten, sein Tag verlief nach der Uhr.

Die Straßen waren beängstigend leer, als schliefe Berlin im hellen Morgenlicht. In fünf Tagen sollte die Reichstagswahl sein, von der Hitler erklärt hatte, wie immer sie ausginge, würde es für viele Jahre die letzte sein. Von allen Häusern, von allen Dächern wehten Hakenkreuzfahnen, daneben die schwarzweißroten Fahnen der Deutschnationalen Partei. An den Litfaßsäulen klebten riesige Wahlplakate, die er alle schon studiert hatte, keine andere Partei als die Hitlers und die Reischachs waren dort vertreten, hatten in diesem seltsamen Wahlkampf ihre Stimme erheben dürfen. Sie hatten die Zeitungen – denn die Blätter aller Opposition waren verboten oder zitterten davor, verboten zu werden –, sie hatten den Rundfunk, in dem früh und spät ihre besten Redner zu ganz Deutschland sprachen, bis ins letzte Dorf hinein, sie hatten die Litfaßsäulen, hatten die Straße.

So macht man Politik! dachte Rümelin stolz. So macht man 139 das Volk einig und stark. Wahnsinnige Narren, die da glaubten, diese Einigkeit sei zu stören, wenn sie das Haus zerstören, in dem sie sich manifestieren sollte! Als ob das Haus von Wichtigkeit war – die alten Germanen haben ihr Thing im Wald abgehalten – der Wille war alles, gar nichts die Materie. Aber war nicht das Parlament überhaupt ein überstandener, verwundener Begriff ? Hitler befahl, die anderen gehorchten . . .

 


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