Balder Olden
Anbruch der Finsternis
Balder Olden

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Zwölftes Kapitel

Frau Schniedecke sah bewundernd zu, als Gerda in Rümelins Zimmer einen Handkoffer auspackte, der seinen ganzen Feststaat für das Bankett zum sechzigsten Geburtstag Alexander Naumanns enthielt. Gerda breitete das Frackhemd, in dem die Brustknöpfe und Manschettenknöpfe schon steckten, über das Bett, legte schwarzseidene Strümpfe daneben, hing den Frackanzug über einen Bügel in den fast leeren, wackligen Kleiderschrank, schmückte den Frack mit einer Chrysantheme.

»Unser Herr Leutnant wird immer feiner«, sagte Frau Schniedecke. »Man freut sich ja, aber dann hat man auch wieder Angst um ihn – wenn er jetzt noch und noch vornehmer wird, dann wird er wohl eines Tages mit so einer Bude nicht mehr zufrieden sein. Und dann – dann –« 110

»Im Stich läßt er Sie nicht, Frau Schniedecke. Wenn er geht, dann sorgt er für einen anderen Mieter.«

»Ja, aber dreißig Mark und für den ganzen Monat voraus! Wer kann denn das heutzutage? Und dann, Fräulein, sehen Sie, es ist so ein Schutz für uns, daß wir den Herrn Leutnant im Haus haben. Wenn er auch nicht so richtig dabei ist, bei den Nazis, eine große Nummer muß er bei denen haben. Immerzu Botschaften und Ordonnanzen – wo er wohnt, da wird die SA sich nicht mausig machen.«

»Was haben Sie von der SA zu fürchten, Frau Schniedecke? Das sind richtige Soldaten, die Offiziere haben sie fest in der Hand. Jetzt, wo Hitler die Macht hat, wird der ganze Unfug mit den Schießereien nachts und das ganze Blutvergießen bald ein Ende haben.«

»Ich weiß nicht, Fräulein –«, Frau Schniedecke setzte sich und stützte kummerschwer das alte, verarbeitete Gesicht in beide Hände. »Das ist jetzt so wie Ruhe vor dem Sturm, das sagt jeder, aber auch jeder! Im Lautsprecher klingt alles noch so leidlich nach Frieden, aber schließlich sickert ja doch das eine oder das andere durch, und nachts kann man nicht schlafen vor lauter Angst. Irgendwas warten sie noch ab, die Braunen, irgendein Signal – und dann . . . Wir haben's doch gehört und gelesen, all die vielen Jahre durch, daß die Köpfe rollen sollen und das mit dem Blutvergießen und all das andere. Drei Tage und drei Nächte hat der Hitler verlangt für sein Blutbad.«

»Daran sehen Sie's ja selbst, Frau Schniedecke. Jetzt regiert er bald einen Monat, und es ist gar nichts geschehen. Kein Tropfen Blut ist geflossen, und so bleibt es auch, außer natürlich, wenn die Roten –«

»Ja, und wenn die Roten gar nichts unternehmen, dann wird er ihnen was in die Schuhe schieben! Mein Junge ist ja nirgends dabei, nicht bei den einen und nicht bei den anderen. Aber mein seliger Mann, der war 1918 überall dabei, er war im Arbeiter- und Soldatenrat und hat die ganze Revolution mitgemacht. Ebert und Völkerbrunn und alle, das waren seine 111 Freunde, und in der Gewerkschaft ist der Junge natürlich auch. War das jetzt recht von Hindenburg, finden Sie, daß das recht war, daß er auf einmal Hitler die ganze Macht im Reich hingeschmissen hat? Wer hat ihn denn gewählt als wir Sozialdemokraten? Unsere Reichsbannerleute, die sind auf die Dörfer hinausgezogen, und überall war Schlägerei und Blutvergießen, Tag und Nacht haben sie Dienst gehabt und nichts im Magen, schlimmer als im Krieg! Die Nazis, für die ist immer gesorgt worden. Löhnung haben die gekriegt und Verpflegung, Hosen und Stiefel und Gamaschen und alles. Aber unsere Jungens, mit leerem Magen hinein in den Kampf, immer wieder und noch und noch. Rechts haben die Nazis auf sie eingeschlagen und links Kommune. Versammlungen gesprengt, gehauen haben sie und sich geschlagen, Proletarier gegen Proletarier, das war ja dumm genug, aber die Führer haben's befohlen, und bei uns war Disziplin, da hat keiner gemuckst.«

»Danken Sie Gott, daß alles so gekommen ist! Sonst hätten wir jetzt die Roten, so wie in Rußland.«

»Ja, aber wir haben den Hindenburg verteidigt, und von uns hat er die Stimmen bekommen, sonst wäre er das erstemal nicht Präsident geworden und das zweitemal erst recht nicht. Die Nazis haben ihn Verräter geschimpft und angespuckt, an die Straßenecken haben sie sein Bild gemalt, ganz unten hin, damit die Hunde drauf pissen. Alle sind sie gegen uns gewesen, die Polizei und die Richter, die Reichsbannerleute sind ins Gefängnis geflogen und ins Zuchthaus, wenn's mal was gegeben hat, aber die Herren Nazi und die vom Stahlhelm sind immer mit Samthandschuhen angefaßt worden. Und trotzdem, durch dick und dünn mit Hindenburg und für Hindenburg. Kann das sein, daß er jetzt die ganze Macht, die er von uns hat, dem Hitler in die Hände legt, die Reichswehr und die Polizei und alle Stellen im ganzen Reich, wo einer was zu sagen hat? ›Wer Hindenburg wählt, schlägt Hitler‹ – das war für uns die Wahlparole! Aber jetzt ist es so gekommen, daß Hitler auf die einschlagen darf, die Hindenburg 112 gewählt haben. Seien Sie doch gerecht, Fräulein, das müssen Sie doch selbst sagen, daß das Verrat ist, tausendmal schlimmer als das, was der Kaiser 1918 gemacht hat. Der ist desertiert, na ja, er hat eben Schiß gehabt und hat sich in Sicherheit gebracht. Aber Waffen und Gepäck dem Feind in die Hände gespielt, das hat er denn doch nicht getan!«

Viel anders spricht Papa auch nicht, dachte Gerda. Sie konnte mit dieser gescheiten, redegewandten alten Waschfrau nicht argumentieren. Hans-Heinz hätte ihr die richtige Antwort geben können, aber der war nicht da.

»Das ist so in einem demokratischen Staat«, sagte sie endlich. »Einmal muß die größte Partei ans Ruder kommen, und vor allem: Hitler hat versprochen, daß die Arbeitslosigkeit aus der Welt kommt und daß jeder Deutsche wieder sein Brot hat. Sehen Sie, Frau Schniedecke, darauf kommt's uns doch allen in erster Linie an. Wenn Ihr Junge wieder einen Posten hat und ordentlich verdient, dann kann es Ihnen auch egal sein, wer Reichskanzler ist.«

»So sieht Hitler aus! Vier Wochen regiert er jetzt glücklich, aber von Arbeit und Brot haben wir noch nichts gemerkt. Alle Beamten hat er davongejagt, die seit 1918 ihre Pflicht getan haben, und seine Schnösel hat er auf ihre Plätze gesetzt. Im Anfang hat er dreihunderttausend SA gehabt, und jetzt sollen es ja schon sechshunderttausend sein. Die bekommen Arbeitslosenunterstützung und außerdem Löhnung und Montur und Essen. Aber die anderen sind Neese, und wo soll's auch herkommen? Schließlich kann er den einen nur geben, was er den andern nimmt, davon, daß er uns die Mäuler stopft und die Versammlungen verbietet und die Zeitungen, davon wird kein Aas satt. Aber da geht die Tür, entweder ist das der Herr Bräutigam oder mein Junge.«

Gerda kannte den Schritt ihres Geliebten zu gut, der war es nicht! Aber vielleicht wußte der Junge, wann Hans-Heinz nach Hause kommen würde, er war ja längst eine Art Bursche oder Ordonnanz bei ihm. Sie sprang auf, ging an die Tür:

»Kommen Sie doch herein, Karl! Was gibt es Neues?« 113

Der Kellnerbursche, dieser stämmige, große Bengel mit dem trotzigen Gesicht, war merkwürdig scheu.

»Was es Neues gibt?« fragte er, nachdem er vor dem vornehmen Fräulein einen schönen Diener gemacht hatte. »Ich weiß nicht, vielleicht ist es besser, man redet gar nicht davon.«

»Vor mir brauchen Sie keine Angst zu haben, Karl, Ihre Mutter hat sich das Herz ausgeschüttet, und wir sind die besten Freunde geblieben. Außerdem, schweigen kann ich auch.«

»Es ist nur das – wissen Sie noch, wer die Mörder von PotempaAls am 22. August 1932 fünf SA-Männer wegen des grausamen Mordes an einem kommunistischen Arbeiter aus dem oberschlesischen Dorf Potempa auf Grund einer bestehenden Verordnung gegen den politischen Terror zum Tode verurteilt wurden, richtete Hitler ein Telegramm an die Schuldigen, in dem er die »Kameraden angesichts des ungeheuerlichen Bluturteils« seiner »unbegrenzten Treue« versicherte. Am 2. September 1932 wich Papen aus Furcht vor den überall erhobenen faschistischen Drohungen zurück und empfahl dem Reichspräsidenten tatsächlich die Begnadigung der Verurteilten zu lebenslänglichem Zuchthaus, aus dem sie – einige Monate später – als gefeierte »Kämpfer der Bewegung« entlassen wurden. sind? Ja, mir scheint, daß Sie sich dran erinnern, Fräulein – heutzutage hört man ja so viel und vergißt es wieder, aber das vergißt man eben doch nicht so leicht! Sieben Mann hoch sind sie bei einem Arbeiter eingebrochen, in stockdusterer Nacht, das war ein armer, schwächlicher Kerl, und ein anständiger Kerl. Wenn er auch Sozialist war, sonst kann man gar nichts von ihm sagen.

Die Mutter haben sie in die Ecke gestellt und ihr einen Revolver vor den Kopf gehalten: ›Wenn du muckst, bist du hin, Alte‹, und dann über den Jungen her mit ›Heil Hitler‹! Aber wissen Sie, Fräulein, nicht kaltgemacht, dann wäre ja alles gut gewesen. Sondern die Augen aus dem Kopf geschlagen und die Eingeweide aus dem Bauch gequetscht, jede Rippe haben sie ihm einzeln zerbrochen, zwei Stunden lang Folter und Blut. Aber da hat der Junge immer noch gelebt, und die Mutter hat zuschauen dürfen.

So haben sie's gemacht mit ihm, bis er endlich wirklich kalt war. Damals hatten wir die Sondergerichte, da stand auf jeden Dreck Todesstrafe, innerhalb vierundzwanzig Stunden zu vollstrecken. Gefaßt haben sie die Bluthunde, nur ein paar davon sind ausgekommen, und die anderen haben sie richtig zum Tode verurteilt. Gern haben sie's nicht getan, die Herren Richter, aber diesmal haben sie keinen Ausweg gewußt, und von Begnadigung konnte da auch keine Rede sein. Wenigstens sonst hat man nie was von Gnade gehört, wenn's gegen die Roten oder Reichsbanner ging, zehn Jahre Zuchthaus, zwanzig 114 Jahre Zuchthaus, weil einer nur in der Wut mal um sich geschlagen hat. Die von Potempa sind aber schleunigst begnadigt worden, telegrafisch, daß sie nur keine Angst um ihr wertes Leben zu haben brauchten. Und Hitler hat ihnen telegrafiert. ›Meine Kameraden‹, hat er sie angeredet und hat gesagt, er wird nicht ruhen und rasten, bis die Schmach getilgt ist und sie wieder ihre Freiheit haben. Sieben Mann gegen einen und langsam zu Tode gefoltert – das sind die Kameraden vom Herrn Reichskanzler!«

»Ich erinnere mich an alles, Karl, und Ihre Mutter auch. Aber das ist doch schon wieder lange her. Lassen Sie die Scheusäler, die sind bestraft. Lebenslängliches Zuchthaus, das denke ich mir viel schlimmer als Todesstrafe.«

»Ja Kuchen, Fräulein. Eben habe ich sie gesehen! Im Triumph sind sie durch die Straßen geführt worden, begnadigt – ach was, begnadigt, zu Nationalhelden erklärt! Solche Gesichter wie die habe ich in meinem Leben nicht gesehen. Bulldoggen sehen daneben aus wie Lämmer. Und was meinen Sie, was aus denen wird?«

Es entstand eine Pause, der Junge knirschte mit den Zähnen, er hielt die geballten, klobigen Fäuste an seine Stirn.

»Raten Sie nicht lang, gib dir keine Müh, Mutter, du findest es doch nicht. SA sind sie geworden, Gruppenführer natürlich, Schnaps und Bier haben sie bekommen und zu fressen, daß ihnen die Bäuche platzen, und in der SA-Kaserne ist den ganzen Tag Sonntag. Das sind Jungens, auf die man sich verlassen kann, denkt der Herr Reichskanzler. Ein paar Hundert oder ein Tausend von der Sorte sitzt ja vielleicht noch hinter Schloß und Riegel, aber die werden jetzt alle herausgeholt und mobilgemacht, alle zweibeinigen Metzgerhunde im ganzen Reich. Sonst gibt es wahrscheinlich gar nichts Neues heute, Fräulein.«

 

Hans-Heinz kam eilig heraufgestürmt, riß die Türe auf und war hocherstaunt, als er seine Braut, Frau Schniedecke und den Burschen Karl beieinander sitzen sah, alle drei mit 115 versteinerten Gesichtern und wie von einem gemeinsamen Unglück zusammengeschlagen.

»Das ist lieb, Gerda, daß du da bist und daß du mit meinen guten Schniedeckes Freundschaft geschlossen hast. Aber ihr solltet euch nicht Räubergeschichten erzählen, schließlich gibt es doch auch noch Kaffee und Kuchen auf der Welt, und ich kann dir sagen, daß Frau Schniedecke im Kaffeekochen was los hat.«

»Ich will's gleich beweisen«, sagte die Waschfrau. »Eigentlich hätte ich schon längst dran denken sollen, wenn man so ein feines Fräulein zu Besuch hat. Aber wir sind so ins Plaudern gekommen, und da vergißt man schließlich das Wichtigste. Also was darf's denn für Kuchen sein, der Käsekuchen unten ist sehr schön, und vielleicht mit Schlagsahne? Der Karl geht schon einholen. Lassen Sie man, Herr Leutnant, ich kann's auslegen, und morgen kommt's dann eben auf die Rechnung.«

»Wenn ich nur Zeit hätte, nur Zeit«, stöhnte Hans-Heinz, als er mit Gerda allein war. »Wie hübsch wäre das jetzt, wir würden die guten Schniedeckes ordentlich traktieren, und danach könnten wir noch eine Stunde lang ganz allein miteinander sein. Aber mehr als eine halbe Stunde läßt mir der Gestiefelte Kater nicht. Ich muß heute noch für ihn mit Schnierwind sprechen, tot oder lebendig. Um sechs Uhr dreißig wird der Herr Minister in einem seiner Ämter erwartet, dann muß ich zupacken.«

»Was hat Papa ihm Wichtiges zu sagen?«

»Der alte Herr tobt mal wieder – Schnierwind hat's wirklich nicht leicht. Er kann es ihm nicht recht machen. Er hat sich jetzt einmal festgelegt auf die neueste Parole: ›Vierzehn Jahre marxistischer Herrschaft haben Deutschland an den Rand des Abgrunds gebracht.‹ Wenn Schnierwind so was gefunden hat, so ein saftiges Wort, bei dem man sich was denken kann, dann bringt er's eben immer wieder und wieder, in seinen Reden, am Rundfunk, in seinen Leitartikeln, bis jedem Menschen in Deutschland die Ohren davon dröhnen. Jetzt 116 will's aber das Unglück, daß dein Herr Papa während dieser vierzehn Jahre dreimal Reichsminister gewesen ist, im ganzen vier Jahre lang, und die marxistische Mißwirtschaft auf sich bezieht. Außerdem behauptet er, das sei eine Ohrfeige für Hindenburg, der seit bald zehn Jahren Reichspräsident ist, mehr Macht hat, als irgendein Potentat in einem parlamentarisch regierten Land je gehabt hat, und daß er allein die Minister ernannt hat.«

»Sehr taktvoll kann ich das von deinem Herrn Schnierwind auch nicht finden, Hans-Heinz, und von Hitler erst recht nicht. Erst verbeugt er sich vor Hindenburg bis auf die Erde, macht das reinste Kotau, und am anderen Tag zerrt er ihn durch die Gosse.«

»Vielleicht hast du recht, Gerda, Takt ist eigentlich nicht Schnierwinds starke Seite. Du weißt, wie ich den Burschen am Anfang gehaßt habe – ihm ist alles nur Sport, er macht Politik, wie andere Fußball spielen. Es macht ihm einen Heidenspaß – du weißt doch, wie man ihn nennt, ›Wotans Mickey-Maus‹ –, dem alten Bären so hintenrum einen Fußtritt zu geben, daß es den großen Herren im Palais kalt über den Rücken läuft. Aber Hindenburg selbst merkt es ja gar nicht, Schnierwind behauptet, er sei schon lange tot, und die Getreuen stauben jeden Tag seine Mumie ab. Die Hauptsache ist schließlich, daß so ein Wort in die Massen fährt und alles elektrisiert. Was Schnierwind sich denkt, kann uns einerlei sein, er ist eine Kreuzung aus Rotzbub und Bonaparte, aber das Volk sieht nur den Bonaparte.«

»Was würde das Volk sagen, wenn eine junge Dame, sagen wir die Tochter von Herrn von Reischach, eines Tages im Unterrichtsministerium erschiene und dem Reichsminister Dr. Schnierwind rechts und links ihre fünf Finger ins Gesicht malte? Papa hat mich rausgeworfen, aber seine Tochter bin ich trotzdem, und ich kann dir sagen, daß es mir in den Händen juckt.«

»Laß das lieber, Schnierwind würde sich eine glänzende Reklame daraus machen! Aber wenn du vor ihm stehst, 117 würdest du es vielleicht gar nicht tun, erstens, weil er ein so armseliges Männchen, und zweitens, weil er wirklich bezaubernd ist. Du machst dir keinen Begriff, wie er über seine eigenen Frechheiten lachen kann und wie er sich über den dicken Adolf ununterbrochen lustig macht. Dabei ist er ja doch die Seele der ganzen Bewegung, die großen Ideen sind von Hitler, aber alle Taktik ist von Schnierwind. Mickey-Maus als Reichsverweser –«

»Dann wollen wir über etwas Ernsthafteres sprechen als über das Dritte Reich. Herr Naumann würde gern sehen – er mag dich, er ist vernarrt in alle frischen jungen Menschen –, wenn du morgen abend zu seinem Bankett in den PEN-Klub kämest. Es gibt ein gutes Nachtessen für drei Mark, das jeder selbst zahlt, man kann ein Glas Bier oder eine halbe Flasche Wein trinken, und alles ist ganz unfeierlich. Aber einen Frack mußt du trotzdem haben, sonst fällst du auf, und ich will nicht, daß du auffällst, sondern ich will mit dir renommieren. Deshalb habe ich . . .«

Rümelin bemerkte erst jetzt die Pracht in seinem Kleiderschrank und bekam ganz runde Augen.

»Steifes Hemd, Kragen, weiße Weste, Schlips. Du bist ja das reinste Heinzelmännchen! Aber wo hast du das auf einmal her? Und wie glaubst du, daß mir irgendein Anzug gleich passen soll?«

»Das ist so, Hans-Heinz – Herr Kronfelder kann das Bankett nicht mehr abwarten. Sein Platz im Zwischendeck nach Jerusalem ist gebucht, der Dampfer wartet nicht, und drei Tage muß er vorher noch seinen Eltern widmen, unten in Schlesien. Nun haben wir festgestellt, Yella und ich, wie ihr euch neulich so halb feindselig, halb als Kameraden gegenüberstandet, daß ihr absolut die gleiche Figur habt. Ihr seid beide 1,78 groß und habt Kragenweite 39. Stimmt's? Und da habe ich ihm den ganzen Staat für einen Koffer und einen Plaid eingetauscht, und wir waren beide selig.«

»Dann glaubst du also wirklich, ich kann in einem jüdischen Frack und in einem jüdischen Hemd . . .« 118

»Nationaljüdisches Hemd, nationaljüdischer Frack!« lachte Gerda und fiel ihm um den Hals. »Du wirst nicht so schön sein wie im Küraß, aber trotzdem wirst du in diesem jüdischen Frack aussehen wie ein germanischer Gott!«

 


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