Balder Olden
Anbruch der Finsternis
Balder Olden

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Elftes Kapitel

Endlich klopfte Josef an und wurde begrüßt wie ein Befreier.

»Nur keine Entschuldigung, wir haben uns schon herrlich amüsiert! Wir dachten, ihr kommt gar nicht.«

Aber Josef entschuldigte sich doch – er war auf der Straßenbahn angepöbelt worden, von einer ganzen Gruppe Nazis.

»Raus mit euch Stinkern – auf nach Palästina!« hatten sie gebrüllt.

»Mit deinen Muskeln darf man nicht nervös werden«, sagte Yella und grub ihre Nägel in seinen Boxerarm.

»Ach, wenn ich – Mann gegen Mann! Aber sie sind ja immer mindestens vier gegen einen, und alle bewaffnet. Wenn aller Handel stockt – es wird ja nichts mehr gekauft seit Hindenburgs Staatsstreich, alle Ordres sind storniert –, dann blüht immer noch die Totschlägerindustrie. Stahlruten, 101 Schlagringe, Taschenkeulen – es gibt neue Geschäfte, bei denen nichts anderes im Fenster liegt, ganze Arsenale!«

»Ein Cocktail, Herr Kronfelder – von Yellas zarter Hand für Sie gemischt.«

»Eigentlich trinke ich nie – aber – auf die Reise nach Palästina! Die Leute haben ja so recht – nur raus mit uns allen, raus, raus raus! Vor der Gedächtniskirche steht jeden Tag ein Junge von höchstens zehn Jahren mit einer Sammelbüchse und schreit: ›Für den Palästina-Express! Raus mit den Juden! Einen Groschen für den Palästina-Express!‹ – Ich habe ihm den Groschen hineingeworfen. Also, auf eure Jugend, auf eure Schönheit, ihr schönen, jungen Mädchen!«

»Und kein Wort mehr von Politik, Josef!«

»Nein, kein Wort! Ich bin eigentlich – eigentlich sollte ich glücklich sein. Mich drückt ein Geheimnis, Yella, es drückt, es brennt beinahe, es will heraus. Soll ich?«

»Kann man einen Rumba dabei spielen, Josef?«

»Aber natürlich, es ist ein gutes Geheimnis.«

Die Platte wurde aufgelegt, der Rumba klang, schwelgend in quietschenden Halbtönen.

»Du weißt, daß ich gespart habe, Yella? Ich habe richtig gehungert, um zu sparen – ich habe wie ein Geizhals gelebt. Du hast nicht umsonst kein bißchen Galanterie von mir gehabt, keine Bonbons, keine Blumen. Ich war ein schäbiger Galan.«

»Einen Tanz, Josef? Das heißt, den ersten natürlich mit Gerda.«

Er sprang auf, umfaßte Gerda, schritt in langsamem Onestep mit ihr durch den Raum – und sprach weiter:

»Ich habe Aktien gekauft, die einzigen, die Aussicht hatten, zu steigen, wenn Hitler kommt, Flugwerke, Stahlwerke, Tuchfabriken. Es war frech, ich habe frech spekuliert, mit ein paar hundert Mark Differenzgeschäfte! Als kleiner Bankangestellter – tadi dada, dadi dahi«, sang er den Takt des Rumba mit, um Gerda in Takt zu bringen, »– darf man das überhaupt nicht, am wenigsten auf Differenz. Aber ich habe alles auf 102 diese Karte gesetzt. Und sie steigen, steigen, sind schon gestiegen! Hatühatühatühata, die Hausse, die Hausse ist schon da!«

Dabei küßte er seiner Dame die Hand.

»Sie tanzen wie eine Feder, wie eine Professional, Fräulein Gerda!«

»Und du bist reich geworden, Josef?«

»Steinreich! Schau her!«

Er griff in die Tasche, zog zwei bunte Hefte hervor, fächelte sich mit ihnen Wind zu, streute sie in Yellas Schoß.

»Zwei Passagen nach Jerusalem! Unser Schiff geht am 10. März von Triest. Es ist alles klar, die Einreisepapiere, die Eisenbahn mit hundert Kilo Passagiergut, die Überfahrt im Zwischendeck. Alles von der deutschen Rüstungshausse. Wir heiraten drüben – von einem Nazistandesamt lassen wir beide uns nicht aneinander trauen! Wir heiraten als Juden in einem jüdischen Tempel!«

Die Musik zwang ihn, sich mit Gerda im Arm ganz rasch auf der Stelle zu drehen, den Duft des seidenumkleideten, festlich gesalbten Mädchens im Arm, während er sagte:

»Mit siebzehn Jahren war ich Kriegsfreiwilliger, es war die Todesangst meiner Jugend, der Krieg könnte vorübergehen, ohne daß ich dabei war. Gegen die Franzosen, Belgier, Engländer, Amerikaner, Senegalneger und Inder haben wir gekämpft – mir war jeder recht, es ging ja für Deutschland.«

»Tschumba, tschumba, tschumba, tschum«, machte die Grammophonplatte und war zu Ende.

»Jetzt ist mir zumute wie einem Zuchthaussträfling auf der Flucht. Deutschland ist ein einziges Zuchthaus geworden – nicht eine Stunde zu lang will ich hier bleiben!«

Er küßte Gerdas Hand und lud Yella zum Tanz ein.

»Noch einmal denselben Rumba«, bat Yella. »Es ist so viel Verve drin.«

Die ersten Takte tanzte sie sehr ernsthaft, ganz schulmädchenhaft ernst, sie fürchtete, aus dem Rhythmus zu kommen. Dann küßte sie Josef auf den Mund.

»Bist du mir böse, wenn ich nicht gleich mit dir fahre? Den 103 Doktor mußt du mich rasch noch machen lassen, die Eltern sind schon traurig genug, aber sonst würden sie böse sein.«

»Was hast du da drüben vom Doktor? Palästina hat Akademiker zum Schweinefüttern genug. Da drüben braucht man Hände.«

»Trotzdem. Es kann ja auch sein, daß wir doch mal zurückkommen! Vielleicht wird Deutschland wieder einmal Heimat.«

Dann endlich, endlich kam Hans-Heinz.

»Verzeihen Sie mir, gnädiges Fräulein, verzeih mir, Gerda! Es war nicht möglich früher, wir hatten eine Konferenz, ich habe wie auf Kohlen gesessen, aber weg haben sie mich nicht gelassen. Eigentlich haben wir immer Konferenz, bald beim Gestiefelten Kater, bald bei Schnierwind oder Gott weiß wo sonst, Schnierwind hat eine ganz große, neue Idee – er will ein Autodafé über die schlechte, undeutsche Literatur abhalten. Alle Bücher, die in den letzten Jahren erschienen sind, alles, was das deutsche Gemüt zerfrißt, zersetzt, mit undeutschem Geist erfüllt, soll vor der Universität auf einem riesigen Scheiterhaufen verbrannt werden. Das wird eine Lohe geben, die bis in die letzte, düsterste Kammer von Deutschland blendet!«

Josef und Yella tanzten mit verkniffenen Lippen weiter, bis ihre Platte abermals zu Ende ging. Gerda stieß mit ihrem Bräutigam an, sie fand ihn sehr schön in seiner Begeisterung, und ihre Augen kosten sein Gesicht. Aber dann flüsterte sie zärtlich:

»Heute nachmittag – ach, eigentlich ist es ja schon Abend – hast du Urlaub von all deinen Ämtern, Hans-Heinz! Wir wollen tanzen und lustig sein und gar nicht an Politik denken.«

»Ich weiß, ich bitte abermals um Verzeihung. Alle Straßen sind voll von Politik, den ganzen Tag Parademärsche, SA, SS, Stahlhelm – sie marschieren ununterbrochen kreuz und quer durch die Stadt. Für einen richtigen Soldaten ist es kein so herzerhebender Anblick, man könnte beinahe sagen, sie laufen daher wie eine riesige Hammelherde. Aber mit Militärmusik und mit echter Begeisterung! Einmal eine Stunde lang oder 104 zwei an all das nicht denken – das ist allerdings ein herrlicher Einfall! Diese neuen Tänze, die kenne ich natürlich nicht. Habt ihr keine Walzerplatte? In der Tanzstunde war ich nicht schlecht, als Primaner, aber da hat's nur deutschen Walzer und Polka gegeben, und seitdem habe ich eigentlich keine Gelegenheit mehr gehabt.«

Sie suchten alle vier eifrig nach der gewünschten Platte, plötzlich fragte Hans-Heinz:

»Sie haben kein Telefon hier im Zimmer, Fräulein Naumann?«

Er wurde ganz verlegen.

»Es kann sein, daß ich angerufen werde, vielleicht in einer sehr dringenden Sache.«

»Ich kann ein Telefon hereinholen. Aber eigentlich wollten wir ja gerade . . .«

»Es ist mir furchtbar. – Aber wenn es Sie nicht zu sehr belästigt . . .«

Während Yella ging, um den Apparat zu holen, sagte Josef:

»Ihr Autodafé wird vielleicht meinen Weg beleuchten, wenn ich Deutschland verlasse, Herr Rümelin. Es wird sich mir einprägen: der Geist Europas auf dem Scheiterhaufen.«

»Nicht der Geist, sondern der Ungeist Europas, Herr Kronfelder!«

»Und Sie sind unter den Großinquisitoren, die zu entscheiden haben, was europäischer Geist und was Ungeist ist?«

»Friede!« schrie Gerda entsetzt. »Wir haben alle Burgfrieden gelobt für heute abend!«

»Ich muß aber doch Herrn Kronfelder antworten, wenn er . . .«

»Herr Kronfelder ist Zionist, auf der Reise in die Heimat seines Volkes. Er ist genauso Nationalist wie du und ich – willst du behaupten, daß wir den Nationalismus gepachtet haben? Hat nicht jeder Mensch das gleiche Recht auf sein Volk?«

»Selbstverständlich, Zionisten sind diejenigen Juden, die in unserem Lager wirklich geachtet werden.« 105

Rümelin streckte Josef Kronfelder die Hand entgegen.

»Wir sind nicht Gegner, sondern Kameraden, Herr Kronfelder! Aber auch sonst gilt unser Kampf, soweit wir Antisemiten sind, nicht dem einzelnen, sondern dem fremden Element, das zu unserem Volkstum nicht paßt.«

»Sie meinen uns?«

»Nicht den jüdischen Schriftstellern, Rechtsanwälten, Ärzten, Professoren, sondern dem jüdischen Geist im ganzen. Wir können ihn achten, aber wir müssen uns seiner erwehren.«

»Ich weiß, Herr Rümelin. Das deutsche Volk hat ein Dutzend Juden zu seinen Lieblingsschriftstellern gemacht, geht zum jüdischen Arzt, wenn es Angst um sein Leben hat, zum jüdischen Anwalt, wenn es Angst um sein Geld hat. Wir hatten immer nur da Erfolg, wo das freie Spiel der Kräfte herrscht, wo niemand kommandiert wird, sondern jeder seine eigene Wahl trifft. Ich verstehe sehr wohl, ich verstehe es absolut – dagegen hilft nur höhere Leistung oder – der Scheiterhaufen!«

Endlich hatte Gerda die Walzerplatte gefunden, legte sie mit zitternden Fingern auf und schloß den elektrischen Kontakt. Der Walzer klang froh und beruhigend – war hohe Zeit gewesen, daß er einsetzte.

»Hab gar keine Angst«, sagte sie an der Brust ihres Verlobten. »Im Anfang muß ich vielleicht ein bißchen führen, aber du wirst gleich wieder drin sein. Ach, Hans-Heinz, du hättest dein ganzes Leben lang viel mehr tanzen sollen, du und wir alle!«

Yella war wieder erschienen, sie trug das Telefon im Arm wie ein kleines Tier und streichelte es.

»Du sollst ganz artig und still sein, du kleiner Kläffer! Wir wollen dich hier dulden, aber nur, wenn du artig bist!«

Gleich darauf tanzte auch sie mit ihrem Freund, sie hatte die letzten Worte des Männerdiskurses gehört und legte, halb zärtlich, halb gebietend, die Finger auf seine Lippen. Gerda sah das und folgte sofort ihrem Beispiel – vier schöne junge Menschen, zwei innig verschlungene Paare, tanzten in einem 106 festlichen Raum, folgten dem süßen, melodiösen Takt eines Walzers aus Großvätertagen und schwiegen, denn die beiden jungen Männer trugen einen rosenfingrigen Maulkorb.

Sie saßen nach diesem Tanz um den Teetisch, vor kleinen Pyramiden zärtlich bereiteter Sandwiches, Schalen mit leuchtendem Obst und süßen Bäckereien.

»Weiß niemand eine lustige Geschichte?« fragte Yella. »Wir wollen uns reihum jeder eine Geschichte erzählen, die er selbst erlebt hat, aber sie muß wirklich erlebt sein und darf gar keinen Stachel haben.«

In diesem Augenblick begann ein peinliches, tödliches Schweigen. Jeder suchte in seinem Gedächtnis, jeder sortierte die Gespräche, die Erzählungen und Begegnungen seiner letzten Wochen. Aber wenn er ansetzte, um zu sprechen, erkannte er rasch, daß nichts ohne Stachel war, daß jede Situation und jede Pointe den anderen verletzen konnte.

Aus dieser Verlegenheit rettete das Telefon mit gellendem Wecken. Yella meldete sich, sagte »Sofort!« und gab Rümelin den Hörer. Man hörte das rauhe Gebell des Gestiefelten Katers, man verstand kein Wort, spürte aber, daß Unwillen, ja Empörung in die Muschel tobte.

Rümelin antwortete nur immer wieder: »Jawohl, Herr Major! Zu Befehl, Herr Major! Werde die Meldung überbringen, Herr Major!«

Dann horchte er eine Weile ohne Entgegnung, dann sprach er:

»Ich glaube nicht, daß Herr Minister Schnierwind sich von diesem Plan abbringen läßt. Es ist ein Blitzableiter, wie er sich ausdrückt. Er fürchtet, daß die Erregung der Massen, wenn jetzt nichts geschieht, was sie geistig beschäftigt –«

Wieder bellte und fauchte es zornig aus dem Hörer, dann versprach Hans-Heinz begütigend:

»Zu Befehl, Herr Major! In einer halben Stunde zur Stelle«, und hing an.

So blieb noch eine Viertelstunde . . .

Mit dem Tanzen war es nichts mehr, der edle Rum, der 107 verschwenderisch in den Tee floß, besserte nichts, nur das Telefon, das immer wieder die Ansätze zu einer Unterhaltung zerriß, brachte über diese toten Minuten hinweg. Noch zweimal wurde Rümelin verlangt, einmal Kronfelder, es war die Rede vom Scheiterhaufen, von Judenboykott, von einer Parade jüdischer Kriegsteilnehmer – in dieses duftende Zimmer, in dem jetzt viele elektrische Birnen strahlten, in dem vier junge, verliebte Menschen tun und lassen durften, was sie wollten, wetterte der grausame Tag, schwelte der Haß, heulte der Hunger.

Die geschmückten Mädchen waren blaß, trotz des Rouge auf ihren Lippen. Josef Kronfelder war weiß wie das Tischtuch und atmete schwer. Hans-Heinz Rümelin versuchte mühselig, seiner Braut ein wenig Heiteres aus dem Elternhaus zu berichten.

»Ich komme nur dienstlich hin, aber ist es nicht rührend – immer hat deine Mutter zufällig im Vorsaal zu tun, wenn ich komme oder gehe, und immer gibt sie mir so zärtlich die Hand. Der Gestiefelte Kater vermeidet es, dich zu erwähnen, er hat verboten, daß Mama und Peter dich anrufen. Aber wenn ich mich zum Wegtreten melde, entfährt ihm beinahe täglich das Kommando: ›Grüßen Sie meine Tochter!‹, und dann winkt er ganz rasch ab.«

Als Rümelin schon im Treppenhaus stand, kam Gerda ihm nachgestürzt, warf sich an seine Brust, schlang die Arme um seinen Hals. Sie drängte sich mit den leuchtend blauen Pyjamabeinen an sein Knie, drückte ihm wilde, verzweifelte Küsse auf Mund und Augen. Er war ganz betroffen, hatte keine Minute mehr zu verlieren, stammelte nur immer wieder:

»Es ist ja alles bald ganz anders, Gerda, es ist ja nur der Übergang, hab mich nur weiter lieb, Gerda!«

 

Gleich darauf brach auch Kronfelder auf, auch er nahm auf der Treppe Abschied von seiner Braut.

»Nicht nur du, nicht nur du und ich, auch deine Eltern, alle Menschen, die Menschen bleiben wollen, müssen jetzt aus diesem Lande fliehen. Scheiterhaufen für den Geist und Galgen 108 für die Körper – hast du nicht gesehen, welche Mordgedanken dieser Bursche hinter seiner blankpolierten Stirne hat? Jetzt bricht der Urwald über Deutschland herein, in dem der Mensch des Menschen Wolf ist, die Barbaren sind los! Sie haben die Maschinen, die Motore, die Druckmaschinen, den Rundfunk, sie fliegen in der Luft. Aber alles, alle Technik ist nur Instrument ihrer Barbarei, verlängerte Raubtierzähne, verlängerte Klauen. Wenn sie uns ausgerottet haben und alles, was auf dieser Welt noch Geist ist und Herz hat, dann werden sie übereinander herfallen und einander zerreißen, die Menschenfresser!«

»Glaub ihnen nicht, Josef – das ist Feuerwerk, scheußliches, barbarisches Theater, aber nichts Wirkliches. Sie brüllen nur, brüllen sich aus, sie müssen ja! Vierzehn Jahre lang haben sie gehetzt und gehetzt, Blutorgien versprochen. Jetzt haben sie Angst vor ihren eigenen Versprechungen, das ist alles. Du hast doch gehört, was Schnierwind gesagt hat: Blitzableiter. Sie brauchen Blitzableiter.«

»Glaub mir, Yella, ich kenne diese Bestie besser. Schnür dein Bündel, laß all die schöne Seide zurück, pack dir ein paar Bücher ein und einen blauen Overall, einen Kamm und ein Stück Seife, und weiter brauchst du nichts, und flieh mit mir in die Steinwüsten, in die Kultur!«

 

Als die enttäuschten Mädchen sich ausgeweint hatten, riefen sie Väterchen Naumann und Herrn von Büding herauf, an ihre verlassene festliche Tafel.

Vater Naumann nahm seine große, schöne Tochter, die für ihn immer noch das Töchterchen war, auf die Knie, trank mit ihr aus einem Glas und streichelte über die knisternde Seide ihres Anzugs.

Büding saß heiter neben Gerda auf der schwellenden Couch und erzählte:

»Der Polizeipräsident von Berlin hat meinen Reisepaß eingefordert, weil er fürchtet, ich könnte ins Ausland gehen und Propaganda gegen das neue Deutschland machen. Es ist doch 109 seltsam, wie wenig diese Menschen ihre Gegner kennen. Als ob ich je daran denken würde, meinen Posten zu verlassen! Hier ist doch mein Posten, ich muß für die Kultur kämpfen, wie ich sie verstehe. Deutschland gehört doch uns, genausogut wie den anderen. Sie, Fräulein Gerda, und Ihre Freundin Yella – es gibt ja tausend anderes, aber ihr beide seid ein Symbol – ihr seid zart und klug und Träger unseres guten deutschen Geistes. Wenn ich davonliefe, das hieße doch, euch und all das andere im Stich lassen.«

Er küßte Gerdas Hand, aber es war ihr, als müßte sie seine Hand küssen.

»Das ist noch besser als Schachspielen, was Büding?« rief Naumann. »Die schönen Mädchen haben sich den Abend ein bißchen anders gedacht, aber wir zwei haben allen Grund, uns zu freuen.«

Naumann sollte in ein paar Tagen seinen sechzigsten Geburtstag feiern, bei einem Bankett im Hause des PEN-Klubs. Er war so fröhlich, so jung, wie die beiden Mädchen sich an diesem Nachmittag ihre Jungens gewünscht hatten.

 


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