Hermann Oeser
Des Herrn Archemoros Gedanken über Irrende, Suchende und Selbstgewisse
Hermann Oeser

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14.
Eros und Psyche in Himbach.

Es war an einem ersten August. Ich ging mit einem Herrn, der wie ich Badegast war, die Straße von Wollin nach Misdroy. Es war vor Sonnenuntergang, als wir Wollin verließen und eine schöne Landschaft durchschritten; rechts lagen abendlich-sanft beschienene Wiesenflächen, grüne Mulden, grüne Hügel; dann und wann sah man die Türme des alten Cammin; links lag die stille, weite Fläche des Haff, vor uns eine dunkle Wälderlinie. Mein Begleiter schwieg, er empfand wie ich die rührende Beredsamkeit des Abends. Indem wir weiterschritten, blaßten die Farben dahin, die Sonne war gesunken, die Stämme und Blätter der die Straße begleitenden Bäume hoben sich schwarz von dem mattweißen westlichen Abendhimmel ab, über dem schwarzen Waldrande erhob sich hie und da ein hoher einzelner Baum und stand schwarz und einsam in dem matten Silbergelb des westlichen Horizonts; der östliche Himmel war schon in das formlose tiefe Grau der kommenden 81 Nacht verschwommen; aus unbestimmten Weiten und Wäldertiefen erklang manchmal ein vereinzelter Vogelruf in geheimnisvollen Lauten.

Er ist nun gestern abgereist, sagte mein Begleiter, indem er zum erstenmal das lange Schweigen unterbrach.

Wer? fragte ich.

Der Fremde, den Sie den »stillen Fremden« nannten. Die Farben dieses Abends erinnerten mich an ihn und an die erste Begegnung, die ich mit ihm vor einigen Jahren an einem Tage und einem Abend wie dem heutigen hatte.

Sie kannten ihn schon längere Zeit und haben hier, soweit ich sah, kaum zwanzig Worte mit ihm gewechselt? fragte ich erstaunt. Wo lernten Sie ihn kennen?

Mein Begleiter erzählte im ruhigen Weitergehen durch den Wald, der uns aufgenommen hatte: Vor etwa fünf Jahren machte ich die bauliche Anlage der im sechzehnten Jahrhundert entstandenen Burgen zum Gegenstande genauer Forschungen. Zu diesem Zwecke wollte ich die Ronneburg in Hessen besuchen; ein Zufall nötigte mich auf dem Wege dahin und nahe vor meinem Ziele zu einem kleinen Aufenthalte in dem Dörfchen Himbach, und dort traf ich in dem kleinen ärmlichen Wirtshause mit jenem Fremden zusammen. Er war, ich denke, ein Herrnhuter und hielt sich eben damals in jener Gegend auf, um die alten Herrnhutersitze in Marienborn und Haag kennen zu lernen. Es wurde uns das Mittagbrot gemeinsam aufgetragen; wir sprachen, wie 82 natürlich, anfänglich ein paar gleichgültige Worte miteinander, bis mich sein eigentümlicher Blick bestimmte, eine bedeutendere Unterhaltung zu suchen. Erst schien mir sein Blick nur ein ruhiger zu sein, so ruhig, wie man ihn selten sieht; dann erkannte ich aber, daß es ein stiller Blick sei. Sein Benehmen und Sprechen war zurückhaltend, aber es war nicht eine auf Erfahrungen und gesellschaftlichen Anforderungen beruhende Zurückhaltung, das merkte ich bald.

Während einer Pause in unserem Gespräche war mein Auge zufällig an den Kacheltüren des großen eisernen Ofens haften geblieben, und ich sah erstaunt, daß sie die kapitolinische Gruppe von Eros und Psyche in Halbrelief trugen, in der die beiden zarten jugendlichen Gestalten nebeneinander stehend sich umschlungen halten und den Mund in einem reinen und glücklichen Kusse vereinigen. Das alte Kunstwerk war sehr unvollkommen wiedergegeben; dem Ofenfabrikanten war es ein Zierat wie andere gedankenlose Zierate gewesen; aber trotzdem war der kleine Schmuck eine Erinnerung an das Vollkommenere, und ich freute mich, hier in dem armen Dorfwirtshause fern von der Welt der Bildung diesem verblaßten und doch noch feinen Zeugnis eines edlern Lebens zu begegnen. Ich sagte lächelnd zu dem Fremden: Sehen Sie, hier haben sich Eros und Psyche nach Himbach verirrt. Der Fremde kannte die Mythe der beiden nicht, und ich erzählte ihm gerne von der innigen Liebe der Psyche, die das Königskind ein schwerstes Leben ertragen, von Feinden ersonnene Hemmnisse, ja 83 den irdischen Tod überwinden ließ, um sich Eros zurückzugewinnen. Es war eigentümlich, wie mir der Fremde gefolgt war. Man sieht zuweilen von der Musik tief Ergriffene die Augen schließen, um innerlich um so wacher und hingegebener zu sein; der Fremde sah mich still, aufmerksam und fest an, aber ich erkannte dennoch, daß seine inneren Augen schwer geschlossen waren. Nachdem ich geendet hatte, schwieg er lange und blieb schweigsam. Als ich am Abend meinen Weg fortsetzen konnte, bat er zu meiner Überraschung, mich eine Strecke weit das Tal hinabbegleiten zu dürfen.

Als er nun so neben mir herging – es war ein Abend wie der heutige, erst in seinen Farben so friedlich hell verklärt, und dann solch ein seltsamer, weißer Westhimmel – da fiel mir sein Gang auf; er ist ja heute noch ein jüngerer Mann, aber er ging wie müde und den Nacken gesenkt, als drücke eine unsichtbare, schwere Last auf seine Schultern. Da er kaum redete, so erwähnte ich mit einem halb verlegenen Scherze seiner Schweigsamkeit und Zurückhaltung. »Gedämpft« nannte man das, als ich Student war, sagte er rasch und mit einer gewissen Bitterkeit: meine Bekannten sagten, mein Blick sei gedämpft, meine Sprache sei gedämpft und mein Gefühl sei gedämpft. Er hatte recht, seine Sprache, so hell sie klang, sein Ausdruck, so freundlich er im allgemeinen gewesen war, hatte keine unendliche Resonanz, sein Wort überließ sich nicht sorglos sich selbst.

Nach einer neuen langen Pause, die ich nun auch nicht zu unterbrechen wagte, begann er plötzlich mit ganz 84 stillen, gleichmäßigen Worten, wie nur die Trauer sie sprechen kann:

Sie haben mir heute von Eros und Psyche erzählt. Lassen Sie mich Ihnen von meinen Jugendjahren erzählen. Mit meinem Vater fing es an. Er war ein gütiger Vater, er war wirklich gütig, aber wenn ich mit Knabeneifer übertreibend erzählte, oder mich beklagte, oder mit großen Plänen renommierte, dann strich er leise, begütigend oder herabstimmend mit der Hand über meinen Scheitel oder an meinem Arm herab. Ich erinnere mich mit einer mir unbegreiflichen Deutlichkeit, wie ihm Trauerausbrüche so unwillkommen waren, daß sein Trösten, und er mußte öfter berufsmäßig trösten, zuerst immer den Affekt zurückzudämmen suchte; er lächelte gütig, wenn die Freundinnen meiner Schwester laute Lustigkeit in unser Haus trugen, aber er sorgte schnell dafür, gewiß ohne es zu wollen und ohne es zu merken, daß das Gespräch sich auf Gegenstände richtete, bei denen der Mund und vielleicht auch das Herz stummer wurden. So wuchs ich in sein Wesen hinein, und als ich aus den Knabenjahren heraustrat, da fehlte mir der eine Mittel- und Quellpunkt, ein Gemüt und Wille beherrschendes Prinzip, aus dem eine leidenschaftliche Geschlossenheit des Handelns, eine stolze Treue gegen Ideen und Menschen, ein rühmliches Irren und ein rühmliches Hassen sich ergeben hätten. Als Sie mir heute mit so viel Lust, ja, wenn ich das sagen darf, so jünglingsmäßig von der Liebe der Psyche erzählten, da sah ich Sie mit Neid an, mit dem Neide des Bettlers, der den Reichen tafeln sieht.

85 Die Psychologen sagen, daß eine Vorstellung immer blässer ist, als die Sache einst empfunden wurde, deren schattenartiges Erinnerungsbild die Vorstellung nun ist; aber eine Vorstellung gibt es, die ist wärmer, leuchtender, kräftiger und hilfreicher als die Sache, das ist die Erinnerung an den Enthusiasmus der Jugendjahre, an die alten Ideale, und seien es die törichtesten, an das, was ich den Schwur der Jugend nennen möchte. Ich kenne so viele, ja, wie Sie, wenn ich Ihr Mienenspiel recht verstehe, die haben dies Gelöbnis ihres Knabenidealismus nicht gehalten, sie sind später satte, bequeme Philister oder Schlimmeres geworden; aber ich sah es, und ich sah es mit dem Neide des völlig Besitzlosen, wie diese Leute in den späten Mannesjahren mit Sehnsucht auf jenen Enthusiasmus zurückschauten, wie es nun ihr Glück war, daß sie einmal geschwärmt, geträumt und geschworen hatten. Diese Erinnerung gab ihrem späteren Leben nach einem langen Zwischenraume der Erbärmlichkeit und Nichtigkeit eine neue Schönheit, eine neue Ehre, einen neuen Inhalt. Sie erfahren den Segen des sonst ja anfechtbaren Römerwortes: Es ist genug, das Große gewollt zu haben.

Der Fremde brach hier ab und schwieg eine Weile, dann fuhr er mit verändertem Tone fort:

Als ich Student wurde, vertrug ich das Umschütten eines Glases nicht; der Aufwärter mußte zum Verdruß meiner Tischnachbarn oft und recht mitten in der Fröhlichkeit mit seinem Tuche über den Tisch fahren; ich sah bei mir und andern streng auf das Dekorum, – ich 86 konnte darauf halten, denn die Freunde hatten mir eine Vertrauensstellung eingeräumt. Da ich gereifter erschien als die andern, so nahte sich mir mancher mit Bekenntnissen; aber ich haßte Konfessionen und lehnte sie unauffällig ab. Ich war damals sehr zufrieden mit mir, wenn es mir wohl auch einmal war, als ginge in mir das Fenster nicht auf, wenn ich es öffnen wollte, um am Frühlinge teilzunehmen.

Dann aber kam eine Epoche – er sagte nicht welche und nicht wann – da merkte ich deutlich, daß etwas nicht richtig in mir sei. Ich fühlte, denn noch sah ich es nicht, daß ich ein Totschläger sei – daß ich da, wo ich liebte und wo man mich liebte, das Aufleuchten des Auges, das raschere Leben des Gefühls, das unbefangene Wort der andern totschlug. Ich wurde ängstlich, fing an, ein paar Stufen, ach nur erst sehr wenige, von meiner Höhe herabzusteigen, und ging, um zu wissen, wo der Sitz der Krankheit sei, zur Bibel. Es kam der Tag, von dem ich nicht gewußt hatte, daß er im Kalender stehe, da schlug ich zufällig – ganz zufällig, wiederholte er nachdrücklich und ging dann ein paar Schritte still weiter – ich schlug eine Stelle auf, die mir bis dahin völlig fremd geblieben war, den vierten Vers in dem zweiten Kapitel der Offenbarung Johannis: Ich habe wider dich, daß du die erste Liebe verlässest! Dies einzelne Wort gab mir, ohne daß ich ihm nur einen Augenblick hätte nachsinnen müssen, eine herbe Klarheit. Ich warf mich auf den Boden nieder, das Gesicht zur Erde gekehrt, und schrie, ich schrie laut, laut schrie ich: O Gott, 87 das also sagst du zu mir? Das hast du zugelassen in mir? Das ist der Sinn meines Lebens?

Ich hatte in einem einzigen Blick gesehen, daß ich nie eine erste Liebe gehabt hatte. Das war das gewesen, was ich für Reife, für Kraft gehalten hatte, worin ich mich wohlgefühlt hatte, wofür ich die Anerkennung der Menschen erwartet und ja auch reichlich gefunden hatte. Ich hatte keine erste Liebe gehabt, ich hatte niemals etwas mit ganzer, heißer Liebe ergriffen, ich hatte nie geirrt, also nie geliebt. Nun sah ich manches so hell beleuchtet, so betrübend deutlich: ich hatte bis dahin nie das Gefühl der Reue gekannt; ich las und hörte wohl von Reue und hatte eine literarische Vorstellung von ihr, ich hätte einen Aufsatz über die Reue schreiben können, aber ich hatte nie bereut, wie andere; wenn man in meinem Bekanntenkreise von der Wiedergeburt geredet hatte, so hatte ich kühl gelächelt und wohl auch einmal zu einem, der sie in schweren inneren Erschütterungen erfahren zu haben geglaubt hatte, gesagt: Ich rate dir ernstlich, mache in dir nicht zu viel Lärm um dich; ich hatte bis dahin große »Vorzüge« besessen, um derentwillen mich meine Freunde bewunderten: ich konnte nicht hassen, ich konnte rascher und aufrichtiger verzeihen als irgend ein Mensch, den ich kannte; ich galt allen als milde, ich hatte selbst eine ganz deutliche Vorstellung davon, daß ich wirklich recht milde sein müsse; man nannte mich eine harmonische Natur; man rühmte meinen Blick, wenn man ihn auch »gedämpft« nannte. Ich erinnere mich eines Lobes, das ich wie eine 88 Ordensauszeichnung angenommen und meinem inneren Menschen sorgfältig angeheftet hatte; ich hatte nämlich gehört, daß der Klubbibliothekar, ein alter Jurist, scharf, eckig, gescheit und, wie ich annahm, auch bedeutend, geäußert hatte, er freue sich immer, wenn ich Bücher zu holen komme, ich hätte einen so ruhigen, ehrlichen Blick, –

und nun sah ich, daß ich alles das nur hatte aus Armut, daß ich keine erste Liebe gehabt hatte, ja daß ich Furcht vor der Liebe hatte. Furcht vor der Liebe! Das war der ungewußte Beweggrund aller meiner Handlungen gewesen. Furcht vor der Liebe hatte ich mir in Lehrsätze und Maximen gefaßt, die ihren Ursprung weder mir noch anderen verrieten.

Ist er verheiratet? fragte ich meinen Begleiter.

Ich weiß es nicht. Aber er trug schon damals einen Ring am linken Goldfinger. – Nun, so schloß der Fremde, seitdem macht mein Herz die Flugversuche eines Vogels, dem Gott zwar Flügel, aber diese ihm nicht lang genug gegeben hat. Oder wollen Sie ein zweites Bild, ich stehe über der Flut, in der sich alle andern tummeln, am Rande des Sprungbretts, aber ich springe nicht hinunter, ich gehe zurück und gehe prüfend vor, um den Sprung zu tun, aber ich springe nicht ab, ich kann nicht. Die Welt rühmt mich nach wie vor, sie nennt mich fertig, gesammelt, etwas zurückhaltend, ja, sie nennt mich vornehm – – sie kennt mein Geheimnis nicht!

89 So schloß der Fremde. Wir trennten uns bald. Er war wieder wie erschöpft in sein altes Schweigen zurückgefallen und wollte offenbar allein sein. Ich schied von ihm bewegt, ja es ist nicht zu viel gesagt, erschüttert.

Aber daß er Ihnen das alles sagte! unterbrach ich meinen Begleiter.

Gott hat mir die Gnade gegeben, daß bedrückte Gemüter sich mir leichter erschließen, gab er mir in schlichter Antwort zurück. Und dies konnte wohl richtig sein; ich selbst hatte ihm manches in diesen Wochen eines ersten Verkehrs gesagt, von dem ich anderen gegenüber geschwiegen hatte.

Dann fuhr er fort: Ich hörte nun seitdem nichts mehr von ihm. Da traf ich ihn unerwartet vor vier Wochen hier; er erkannte mich sofort, wie ich ihn; sogleich sah ich aber auch, daß er allein bleiben wollte, und ich hielt mich darum so fern, wie Sie das ja selbst beobachten konnten; nur dann und wann reichte ich ihm, wenn wir uns begegneten, im Walde oder auf der Düne, eine Blume, um ihm zu zeigen, daß ich mit ihm lebe. Er liebt mit besonderer Vorliebe den Wegerich; ich erkannte das an der Freude, mit der er jedesmal die schlanken Stengel aus den andern Feld- und Waldblumen herausnahm; auch standen das einzige Mal, daß ich ihn besuchte, drei der zartblühenden und süßduftenden Stengel in einem schmalen, hohen Blumenglase auf seinem Tische. Als ich ihm einmal gerade nur ein Sträußchen Wegerich gab, sagte er dankbar: Sie helfen mich erlösen.

90 Beschäftigt er sich nicht zu viel mit sich selbst, und kann er da überwinden? Bleibt es nicht bloß bei der Trauer?

Er hat überwunden, ohne es zu wissen; er ist ein Dienender geworden! Ich sah es täglich, wie es ihn drängte, zu dienen. Kindern, Frauen, Müden, Kranken war er unauffällig und zwar nicht bloß der Welt unauffällig, sondern gerade sich selbst, in kleinen Dingen zu Dienste. Aus der Furcht vor der Liebe ist Sehnsucht nach der Liebe geworden, und wenn er sich selbst niemals genügen und ein starker Unterstrom der Trauer immer durch sein Wesen ziehen wird, so wird eben diese Trauer sein Wesen ausweiten, sein Herz lösen, sie wird der Zug sein, durch den ihn Gott stetig vorwärts und aufwärts ziehen wird.

Behalten Sie, so schloß mein Begleiter, das Bild dieses Mannes, der als Mann erst die Jugend in sich erfuhr, der als Mann erst lieben lernte, so wie ich es vorgestern sah. Ich war den Strand entlang nach Osten gegangen, von dem Meere beglückt und durch den dunklen Saum der Föhrenwälder ernst erfreut, und war darüber so weit gewandert, daß ich mich unerwartet nahe bei Schwantuß fand, als ich auf die verflossene Zeit aufmerksam geworden war. Ich erklomm die Düne und suchte meinen Rückweg über das breite, weiche Sandgeriesel, das zwischen kleinen, ärmlichen Föhren sich in das Wiesenvorland hinein ausbreitet. Da sah ich den Fremden am Rande des Gehölzes und des Wiesenlandes stehen; mein Weg führte mich an ihm 91 vorbei, er hörte meine im Sande verhallende Schritte nicht, mein Auge konnte darum lange an ihm haften bleiben. Er sah tief in Gedanken auf eine außergewöhnlich hohe Thymianstaude herab: ein Trauermantel hatte sich auf ihr niedergelassen und breitete die herrlichen Flügel aus und schloß sie wieder; ernst und still folgte das Auge des Fremden dem Spiele des Falters, sein inneres Auge sah den Irrtum der Vergangenheit und die Fehler, die aus ihm gefolgt waren; es sah liebend, verehrend und verlangend das innere Leben von Eros und Psyche – ich aber sah, daß Gott dem Manne, der ehedem nur halb gefühlt, halb gesehnt, halb getrauert, halb gelächelt hatte, nun ein ganzes Leid und einen ganzen Willen, sich der Welt und des Guten zu bemächtigen, geschenkt hatte. 92

 


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