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48. Die goldene Hochzeit

Es war am 11. Mai 1855, ein wunderlieblicher Mittag, das Wetter schien sich vorzubereiten auf den folgenden Festtag, die goldene Hochzeit der Großeltern.

Elisabeth hatte viel zu schaffen gehabt. Das alte graue Haus mit den Wappen über den Thüren, den hohen Fenstern und großen Räumen war wohl eingerichtet auf viele Gäste, aber alle konnte es doch nicht fassen, und Elisabeth hatte einen Theil davon übernommen. Für Tante Wina und Paula, die beiden Respektspersonen, war das bekannte Erkerstübchen eingerichtet; für Eltern und Geschwister war aber auch gesorgt. Elisabeth war ziemlich mit allen Anordnungen fertig, als die bekannte Hornmusik aus der Ferne erklang. Das war jedesmal für ihre Kinder ein Jubel, das zarte Verbergen hinter der Gardine mußte Elisabeth aufgeben, die Gesellschaft war zu groß. Ihr kleinstes Mädchen hatte sie auf dem Arm, vier liebliche Gesichter standen neben ihr und schauten durch die Scheiben, als der prächtige Zug vorüber kam, – der stattlichste von den Reitern schaute freudig hinauf nach seinem Reichthum, er war ein glücklicher Mann.

Elisabeth übergab ihr Kleinstes den älteren Geschwistern und eilte noch einmal zu Johannen in das Erkerstübchen, um noch einiges hier zu ordnen. Von hier aus sah sie ihren Mann auf den Hof reiten, mit demselben freudigen Herzklopfen als vor neun Jahren, und als er die Treppe mit schnellen Schritten herauf kam, beeilte sie sich um auch fertig zu werden. Als sie in das Wohnzimmer trat, stand er zwischen den Kindern, die ihn förmlich mit Fragen und Erzählungen bestürmten, und aus Furcht und Aerger, daß der Papa nicht nach ihm, sondern nach den anderen höre, schrie eines immer lauter als das andere.

Das ist aber ein unverschämtes Sperlingsnest! rief der Papa, gerade als Elisabeth eintrat. Er wandte sich zu ihr und der Sturm war für jetzt beruhigt.

Friedrich fing aber leise wieder an: Papa, die Kuchen sind alle schon da.

Papa, sie haben unser Sofa aus der Kinderstube in die große Erkerstube gesetzt, fuhr der kleine Otto fort.

Papa, aber einen Spiegel hast Du nicht in Deiner Stube, versicherte Mariechen, die Mama hat ihn wirklich fortgenommen.

Papa, soll ich Dir ein ganzes Fenster voll Braten zeigen? bat ein kleines Lieschen.

Es war wieder große Gefahr, daß das Zwitschern überhand nahm, die Vorbereitungen zum Besuch waren den kleinen Sperlingen zu interessant. Die Mama aber hatte ihm auch etwas zu berichten, und da er sie nicht verstehen konnte, kommandirte er noch einmal Ruhe.

Jetzt stand Elisabeth eben so lieblich plaudernd vor ihm, als seine Kinder, nur daß sie das Reich allein hatte und leiser reden konnte. Er hörte aufmerksam zu. Sie sah es seinen Mienen an, daß er Lust zum Lachen hatte; sie ließ sich dadurch nicht stören und erzählte alle ihre schönen Einrichtungen und klugen Einfälle. Jetzt bitte ich Dich, klopfst Du mir in der Tanten-Stube noch die neuen Bilder an, sagte sie; wir haben es nicht versucht, weil sie Dir doch nicht gerade genug hängen würden. Ja, es ist wahr, entgegnete Kadden, Du kannst zwar alles wunderschön, liebes Lieschen, aber Bilder gerade anhängen kannst Du nicht.

Ich will es Dir wenigstens überlassen, entgegnete Elisabeth. Zum Dank aber mußt Du mit mir in die neue Logirstube und in die Speisekammer kommen, Du mußt dort die fertigen Kuchen und die schönen Sachen bewundern.

Dieses Amt werde ich Friedrich übertragen, entgegnete Kadden. Friedrich, wandte er sich zu diesem, Du gehst mit der Mama, Du kostest von allen Kuchen und den schönen Sachen, und bringst mir genauen Bescheid.

Friedrich war sehr einverstanden damit. Die anderen Sperlinge wollten aber auch Posten, und das Gezwitscher nahm wieder so überhand, daß es ein Glück war, als zu Tische gerufen wurde, hier durfte ein für alle mal nicht gelärmt werden. Hier saßen sie mit gefalteten Händen und andächtig und still, der Vater sprach das Tischgebet, es war wohl ein lieblich Bild und die Worte standen darüber: »Siehe, also wird gesegnet der Mann, der den Herrn fürchtet.«

Als Nachmittag endlich alles bereit war, selbst die Bilder angehängt und die Kuchen bewundert, da kamen die Gäste an. Schlösser und der Geheimerath mit seinen erwachsenen Kindern zu Fuß, durch den jungen Wald und durch blühende Alleen, – das war ein lieblicher Spaziergang, sie hatten es weit besser als die vier Damen, die im verschlossenen Wagen saßen.

Tante Wina und Tante Paula standen wieder in ihrem Erkerstübchen am offenen Fenster, sie lüfteten ihre Hauben und erfrischten sich an der frischen Luft. Dieses mal ganz ohne spannende Erwartung, wie es ihnen hier ergehen sollte, sie wußten vollständig Bescheid.

Im Sommer nach Kaddens Krankheit hatten sie wieder ihren ersten Besuch hier gemacht, und zwar zu ihrer höchsten Befriedigung. Elisabeth war wirklich – darin kamen die beide Schwestern überein – ein rücksichtsvolles dankbares Kind, jetzt erkannte sie, was sie den Tanten schuldig war, ihr ganzes Wesen war freundlich und respektvoll. Wenn sie einmal den alten Ton versuchen wollte, wußte ihr Mann sie so ganz in der Stille aufmerksam zu machen, hatte die kluge Tante Wina sogleich bemerkt, und sie mußte ihm zugeben, daß er es am allerbesten verstand, mit ihrem verzogenen Liebling umzugehen. Elisabeth hatte ihnen aber auch gleich das erste Mal wieder versichert, sie sollten nicht glauben, daß ihr Mann immerfort in einer Zuckerwasser-Stimmung sei, er habe auch seine Geschäfte und habe nicht immer Zeit und Lust, sich um sie zu bekümmern, sei auch zuweilen verstimmt, habe Aerger mit seinen Leuten, und sie dürfe sich nie hinein mischen und nie die dumme Idee haben, ihn erziehen zu müssen, sie warte es ruhig ab, bis er wieder in guter Stimmung sei. Sie könne das auch ruhig abwarten, weil sie Beschäftigung in einem schönen Berufe habe und weil sie wisse, daß seine Verstimmungen nicht ihr gelten. – Elisabeth hatte diesmal in wirklicher Ueberzeugung gesprochen, die Tanten fühlten das, und Wina bestätigte es gern in einigen erhabenen Sentenzen. Wie schwer oder leicht ihr die verschiedenen Stimmungen des Mannes zu tragen wurden, behielt sie für sich, die Tanten würden es doch nicht recht begriffen haben, wenn sie gesagt hätte: Kämpfe sind in jeder Ehe, aber in einer christlichen sind sie ohne Gefahr.

Die Tanten aber kamen fast jedes Jahr wieder und überzeugten sich immer mehr von Elisabeths Glück, und die Liebe zu ihr und die Achtung für den verehrten Neffen stieg von Jahr zu Jahr. Ja, die immer von ihnen angefeindete Richtung, die ihnen in Kaddens Eigenthümlichkeit so entschieden wie nirgends entgegen trat, nannten sie in diesem Hause harmonisch. Tante Wina konnte jetzt sogar versichern, daß sie dieselben Ansichten habe, und gehabt habe von Jugend auf, und Paula vergoß Thränen der Rührung, wenn es irgend eine rührende Szene mit den Kindern gab. Die guten Tanten waren aber auch zehn Jahr älter geworden, das Schimmerlicht ihres vergnüglichen Lebens, ihrer Geselligkeit, ihrer ästhetischen und poetischen Genüsse spielte stark in ein unglückliches Grau hinüber, sie fühlten sich oft einsam und verlassen, hatten so das rechte alte Jungfern-Unglück im Herzen, ohne Aussicht auf Frieden, darum war ihnen die Nähe dieses Friedens schon eine unbewußte Erquickung.

Elisabeths helle Stimme rief die Tanten hinab in den Garten, hier waren die Kaffeetische bereit, und zu der Kinder Befriedigung sollte jetzt die Prüfung der Kuchen gewissenhaft vor sich gehen. Es war wirklich sehr gemüthlich hier, und Elise schaute mit dankbarem Großmutterherzen über die weißen Blüthen hinweg zum blauen Himmel hinauf.

Nach einiger Zeit erschien Stottenheim, der natürlich Cäzilien geheirathet hatte, sich auch von Kadden in das Schlepptau nehmen ließ, und ein glücklicher, wenn auch noch immer ein gesprächiger Mann war. Cäziliens Einfluß, und der Einfluß seines ganzen Lebens jetzt, ward übrigens immer mehr an ihm bemerkbar. Seitdem er sich nicht mehr bestrebte, ein nach allen Seiten hin nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu sein, sondern sich beschränkte auf sein Haus und auf einen kleinen Kreis, waren seine Gedanken nicht so zerfahrend und verschwimmend. Seine guten Eigenschaften, seine Gutmüthigkeit, sein Verstand, verdienten Anerkennung, und Kadden war und blieb trotz seiner großen Verschiedenheit sein treuer Freund.

Jetzt kam Stottenheim als Gesandter seiner Frau. Schlösser nämlich und Elisabeths erwachsene Brüder sollten bei ihnen einquartirt werden, er sollte die lieben Gäste jetzt persönlich versichern, wie sehr willkommen sie wären. Dann aber war seine Unterhaltung ausschließlich seinen alten Freundinnen, den verehrten Tanten Wina und Paula gewidmet, und wie er früher mit ihnen so herrlich über die Wahrheit des Lebens und die beglückenden Ansichten der Wirklichkeit reden konnte, sprach er jetzt von dem Glück seines häuslichen Lebens, von seinem ungewöhnlich begabten kleinen Mädchen, von seiner lieben stillen frommen Hausfrau, und daß es wirklich einen Frieden gäbe, der über die Wirklichkeit und über alle Vernunft hinaus die Seele befriedigen könne.

Für Emilien war diese Art zu schwatzen, wie sie es nannte, immer noch unerträglich, und jedesmal wenn sie mit Stottenheim zusammen kam, war es für sie eine rechte Aufgabe, ihn geduldig anzuhören und auch eingehend auf seine Fragen zu antworten. Sie gab es jedoch in ihrem Herzen und auch gern ihrem Manne zu, daß der Herr Christus auch für gutmüthige und oberflächliche Leute gekommen sei. Sie sah ein, daß Stottenheim nur ein kleines Pfund erhalten hatte, und daß der Herr wenig von ihm fordern wolle.

Vor Sonnenuntergang wandelte die ganze Gesellschaft auf dem bekannten Grasrain hinauf. Es war ein erquicklicher Maienabend. Elisabeth pflückte mit ihren Schwestern wieder liebliche Feldblumen, ihr Mann aber hatte keine Veranlassung, auf die jungen Mädchen eifersüchtig zu sein, und war ihnen ein aufmerksamer und liebenswürdiger Schwager. Als sie das Ende des Grasrains erreicht hatten, setzten sich alle auf einen grünen etwas höhern Wall und begannen zu singen. Kadden stimmte zu Elisabeths Vergnügen die Lorelei an: »Ich weiß nicht was soll es bedeuten« – Der kleine Friedrich und sein Schwesterchen fielen sogleich ein: »daß ich so traurig bin.« Das Lied kannten sie wohl, der Papa sang es, wenn er recht vergnügt war. Dann aber sang das ganze jüngere Chor: »Es ist bestimmt in Gottes Rath, daß man vom Liebsten, was man hat, soll scheiden,« und im Zurückgehen folgte ein hübsches Lied dem andern, bis der Schwestern Lieblingslied, das schöne Lied von Knak, von ihrem lieben Berliner Landsmann, den Schluß machte:

Laßt mich gehen, laßt mich gehn,
Daß ich Jesum möge sehn!
Meine Seel ist voll Verlangen.
Ihn auf ewig zu umfangen
Und vor seinem Thron zu stehn.

Süßes Licht, süßes Licht,
Sonne, die durch Wolken bricht!
O wann werd ich dahin kommen,
Daß ich dort mit allen Frommen
Schau dein holdes Angesicht!
Ach, wie schön, ach, wie schön
Ist der Engel Lobgetön!
Hätt ich Flügel, hätt ich Flügel,
Flög ich über Thal und Hügel
Heute noch nach Zions Höhn.

Wie wirds sein, wie wirds sein,
Wenn ich zieh in Salem ein,
In der Stadt der goldnen Gassen:
Herr, mein Gott, ich kanns nicht fassen!
Was das wird für Wonne sein!

Paradies, Paradies,
Wie ist deine Frucht so süß!
Unter deinen Lebensbäumen
Wird uns sein, als ob wir träumen:
Bring uns, Herr, ins Paradies!

Der folgende Tag war ein Maientag wie der 12. Mai im Jahre 1805, der Himmel war besonders strahlend, der junge Wald duftend, die Blüthen silberweiß, die Aurikeln glänzend in den farbigen Sammetkleidern, und aus der frischen thauigen Wiese schauten hundert und tausend bunte helle Aeuglein heraus und schimmerten wie lichte Seide und Edelgestein. Früh in der Kühle und im Morgenglanze wandelte ein Paar über die Wiese hin, unter den schattigen Rüstern am Bach entlang, nach den grünen Tannenhöhen. Sie wandelten nicht mit so leichten Schritten als vor 50 Jahren, aber rüstig und fest genug. Sie saßen dort oben auf der Höhe, sie schauten hinab in die liebliche blühende Welt und hinauf in das klare friedensreiche Blau des Himmels, und wenn sie heute beide nicht so gesprächig als vor 50 Jahren waren, so waren sie desto glücklicher.

Ja, lieber Fritz, sagte die goldene Braut, wir haben dem Herrn viel zu danken, in welchem Kreise dürfen wir den schönen Festtag feiern! Nun möcht ich aber jede irdische Sorge abwerfen, und so lieb mir da unten das liebe Geschwirre von Großen und Kleinen in unserem Hause ist, so werden wir recht gern wieder in Ruhe leben und recht gern bald in Frieden von dort oben hinabschauen auf Kind und Kindeskind.

Der goldene Bräutigam war damit einverstanden, sie standen ja beide selig harrend an der Himmelsthür.

Als sie zurückkehrten, war das ganze Haus in Bewegung. Alle Kinder groß und klein wurden zusammen gerufen, man mußte sich anziehen, um in die Kirche zu gehen. Die Frau Oberförsterin spielte heute die geschäftige Brautmutter, sie nahm die goldene Braut in Empfang, um ihr beim Anziehen behilflich zu sein, und darauf verschwanden alle in ihren Zimmern und es ward ganz ruhig im Hause.

Der Bräutigam stand bald darauf im stillen Wohnzimmer ganz allein, er war im festlichen Anzug und hatte den goldenen Myrthenstrauß vor der Brust. Er stand gedankenvoll am Fenster und gedachte der Zeit von damals, wo er so glücklich und erwartungsvoll harrte auf seine jugendliche Braut. War denn dies Sehnen, diese Erwartung erfüllt? Ja und so selig erfüllt. Er hatte sich eben recht vertieft in der Erinnerung ihres blühenden Jugendbildes, als die Nebenthür leise aufging und sie selbst eintrat. Ihre feine hübsche Gestalt war dieselbe, sie trug sich leicht und gerade, sie hatte ihr weißes Brautkleid an, aber ein reiches weißes Seidentuch und der Schmuck von schönen Spitzen verhüllte es fast. Auf dem Kopfe ruhte eine kleine weiße Haube und der goldene Kranz. Er schaute sie an, seine liebe Braut, ein liebes treues Mütterlein, mit der klaren Stirn und denselben großen kindlichen Augen und den lichten Zügen. Thränen traten in seine Augen, er schloß sie bewegt in seine Arme.

Ich danke Dir für alle Güte und Liebe und Treue, die Du mir bewiesen hast, sagte er: ich habe es Dir nie vergelten können, aber der Herr hat es Dir ja selbst vergolten.

Sie konnte ihm darauf nichts entgegnen, sie sah ihn auch durch Thränen an, aber so glücklich und dankbar, sie wollte sagen: Du bist mir immer ein lieber, gütiger und getreuer Hausherr gewesen.

Und mit dem Hübscherwerden hat es wirklich seine Richtigkeit, sagte er nach einer Pause, ich könnte mir doch gar nicht denken, wie Du hübscher aussehen könntest. – Sie lächelte und glaubte es.

Indem sie jetzt nach dem Sofa gingen und unter den großen Jugend-Bildern feiernd Platz nahmen, sahen sie erstaunt gegenüber an der Wand zwei Gegenstücke in schönen goldenen Rahmen: eine jugendliche Frau und ein Kürassier-Offizier. Otto! Elisabeth! riefen die lieben Großeltern in freudiger Ueberraschung.

Die Großmama hatte vor längerer Zeit den Wunsch geäußert, die Bilder zu haben. Wenn ich erst einmal in der Stube bleiben muß, und wenn Ihr gar versetzt werdet, hatte sie zu Elisabeth gesagt, so möchte ich Eure Bilder dort haben. Von Elisabeth war die Erfüllung dieses Wunsches nicht gerade von sich geschoben, sie hatte zugleich aber sich die Bilder der Großeltern damit vermachen lassen. Für jetzt hingen sie sich nun gegenüber und sahen sich freundlich an.

In dem Augenblick trat Onkel Karl ein, im schwarzen Festanzug, mit grauem Kopf und krummem Rücken. Er war nur zwei Jahr älter als der Großpapa und 78 Jahr alt, er sah aber weit älter aus als der rüstige Jubelbräutigam. Sein Gehör hatte er fast ganz verloren, aber seine Wirtschaft besorgte er so gut es ging. Sein ältester Neffe Wilhelm war ja wirklich Landrath in Woltheim geworden und stand ihm helfend zur Seite.

Die Großmama führte ihn jetzt zu den neuen Bildern, er war ebenso überrascht. Unser Liebling! sagte er. – Die Großmama nickte. – Wissen Sie, Frau Schwägerin, vor 25 Jahren?

Sie ist immer noch ein liebes Kind, rief sie ihm freundlich in die tauben Ohren. Und wie sie damals Tische und Stühle in Liebe umarmte, wandte sie sich zu ihrem Mann, so hat sie jetzt den Herrn umfaßt.

Nun ja und das Großmutterherz ist ohne Sorgen, fügte er hinzu.

Als sie jetzt beide durch das Fenster schauten, sahen sie den Liebling an der Seite ihres Mannes durch den Garten kommen. Elisabeth war schon früh mit ihren Gästen und Kindern gekommen, ihr Mann hatte nicht so früh Zeit, er war später nachgeritten, und wie so oft, das Pferd am Zügel, ging er neben Elisabeth den Weg am großen Ahorn her. Sie sahen die Großeltern am Fenster stehen, Kadden gab sein Pferd ab und eilte mit Elisabeth, das liebe theure alte Paar zu begrüßen.

Die Großmama küßte ihn. Du bist mein lieber Otto, sagte sie, und sollst mich auch von jetzt an Du nennen, weil Du mein liebes Kind bist. Er dankte ihr, glücklich wie ein Kind, sie war ja längst sein liebes Mutterherz.

Der Großvater begrüßte ihn auch wie einen lieben Sohn, und nannte ihn zum ersten Mal Du. Kadden sagte, daß er sie gleich so lieb gehabt, als er sie zum ersten Mal gesehen, und wohl geahnet habe, daß er, ein armer Mensch ohne Heimath, bei ihnen Heimath und Frieden finden würde.

Elisabeth aber – sie war zu glücklich, sie konnte nichts weiter sagen als wie vor 25 Jahren: Ich habe Euch zu lieb!

Schlösser hielt die kirchliche Feier, und was er sagte, konnten sich alle verheiratheten Leute noch einmal zu Herzen nehmen. – Darauf nahmen verschiedene Festtafeln die Gäste auf. Onkel Karls Absicht war unverkennbar, es sollte heute sehr hoch her gehen, und so gut es sich thun ließ, war er ein aufmerksamer Wirth. Den alten Friedrich hatte er auch in eine neue Livree gesteckt, damit er das Fest würdig mitfeiern konnte. Er war in den letzten Jahren zu Onkel Karls Kammerdiener und beständigem Gesellschafter avancirt, was ihm auch nicht schwer wurde, weil seine alten Schimmel gestorben waren und er sich mit den neuen Pferden, die jung und schnell waren und eigentlich meistens von dem Herrn Landrath benutzt wurden, nicht mehr befreunden wollte. Heute war er der Hauptdiener an der Hochzeitstafel, und da er sich des Onkels Taubheit wegen eine sehr laute Stimme angewöhnt hatte, war er überall mit seinen ebenso bedächtigen als höflichen Redensarten zu hören, was dem jugendlichen Theil der Gesellschaft ein besonderes Vergnügen war. Kadden hatte seinen Platz neben der Frau Generalin, Emiliens Mutter, erhalten. Der General war schon seit mehreren Jahren todt, und sie lebte ganz zurückgezogen ein stilles Wittwenleben. Es machte ihr heute große Freude, von ihrem seligen Manne zu sprechen, und von der Zeit, wo sie an seiner Seite lebte. Kadden war ja auch nicht nur ein Streiter im weltlichen Waffenrocke, er war ein Streiter des Herrn. Kadden sprach gern mit der liebenswürdigen gescheiten Frau, und ein Hauptthema ihrer Unterhaltung war: die Geselligkeit aus Rücksichten, aus Schwäche und Menschenfurcht, – und die als Pflichterfüllung gegen die Stellung, die der Herr Gott seinen Kindern oft mitten in der Welt anweist, – und wie es so wunderbar ist, daß die Welt augenblicklich ahnet und weiß, wie jemand ihr gegenüber steht. Ueber Kadden wunderte sich niemand, daß er weder Spielkränzchen, noch Theater, Conzerte und Bälle besuchte; wenn er aber bei wirklich nothwendigen Gelegenheiten allein oder mit seiner Frau dort erschien, wußte ein jeder, warum er kam. Ja die wohlmeinenden und verständigen von seinen Kameraden schätzten und achteten ihn gerade wegen seiner Offenheit und Entschiedenheit, sie waren auch gern in seinem Hause, wenn der Spieltisch hier gleich nicht zur Unterhaltung diente und zuweilen ein ernstes Gespräch unvermeidlich war. Wenn beim gemeinschaftlichen Musiziren Elisabeth es nicht lassen konnte, einen Lieblingschoral, der sie in der Zeit gerade sehr beschäftigte, mit ihrem Mann und ihren gläubigen Freunden zu singen, so hörten die andern Gäste recht gern zu, und Kadden überzeugte sich immer mehr, daß man nur im guten Vertrauen auf den Herrn und auf den heiligen Geist und mit aufrichtigem liebreichem Sinn für seine Brüder herausrücken könne mit dem, was der Seele einmal das Seligste und Reichste und das Liebste ist. Daß Bonsaks versetzt wurden, war ihm ganz lieb, besonders aber für Stottenheim und Cäzilien. Adolfine hatte sich verheirathet, und führte ein Leben, wie sie es von Frau von Bandow gelernt. Die beiden älteren Schwestern kamen zuweilen als angehende sentimentale Tanten nach Braunhausen, und Stottenheims Lebensaufgabe war es, wie er gern versicherte, sie zu bekehren. Bonsaks Nachfolger war, wenn auch nicht kirchlich gesonnen, doch ernster und bedeutender als sein Vorgänger, und seine Frau neigte sich entschieden zu dem kleinen gläubigen Kreise in Braunhausen. Sie hatte Elisabeth gleich gebeten, ihr zu sagen, wo sie sich an Werken der Wohlthätigkeit betheiligen könne, sie hatte bei Kaddens in einer größeren Gesellschaft Kurtius und Bornes kennen gelernt, nachher sich sehr zufrieden über diese Bekanntschaft ausgesprochen und auch reichliche Missionsbeiträge gegeben. Kadden schloß seinen Bericht und die Generalin war ganz mit ihm einverstanden, daß die Zeiten seit 1848 sich sehr geändert, daß es den jüngeren Leuten jetzt leichter werden könnte, mit ihrem Bekenntniß der Welt gegenüber zu treten, weil der Glaube und die Gläubigen zu Ehren gekommen waren, ja daß darin fast eine Gefahr lag, zu leichten Kaufs zu einem solchen Hervortreten zu kommen.

Nach dem festlichen Mittagsessen wurde der köstliche Maienabend lustwandelnd im Garten genossen. Als dann wieder alle Gäste in den Zimmern versammelt waren, sollte mit einem Liede das Fest beschlossen werden. Der Großvater saß mit der Großmutter im Sofa, Kinder und Kindeskinder, Verwandte und Freunde, saßen und standen um sie herum, die Oberförsterin hatte sich an das Klavier gesetzt.

Wir haben heute schon viele Lieder gesungen, sagte der Großpapa freundlich, immer Dank- und Loblieder, das war auch natürlich: wenn wir auf die Vergangenheit zurückschauen, haben wir dem Herrn zu danken und zu preisen. Jetzt beim Schluß des Festes, wo wir mit des Herrn Hilfe wieder in die Zukunft schauen wollen, möchte ich ein Lied mit Euch Lieben singen, das meiner Seele am nächsten liegt, mit dem Lied möcht ich mit meiner lieben Gefährtin einst an der Himmelsthür stehen und mit dem Lied, das ist unser Gebet, möchtet Ihr doch alle einmal dort stehen. Wer dies Lied von ganzer Seele singen kann, wird sicher angenommen. Das ist das Beste was ich Euch Lieben zum Abschied wünschen kann, das gebe der Herr uns allen.

»Aus tiefer Noth schrei ich zu Dir« – so stimmte er an und so stimmten alle mit bewegtem Herzen ein. Ja das war der schönste Schluß des frohen Festes.

Und ob es währt bis in die Nacht,
Und wieder an den Morgen,
Doch soll mein Herz an Gottes Macht
Verzweifeln nicht noch sorgen.
Er ist allein der gute Hirt,
Der Israel erlösen wird
Aus seinen Sünden allen.

Emilie stand mit Schlösser in einem Fenster, Elisabeth und Kadden zufällig neben ihnen. Emilie hatte ihres Mannes Hand ergriffen, sie sang mit bewegter Seele, mit dem Liede wollte sie auch an der Himmelspforte einst stehen, aber der Weg dahin lag nicht leicht vor ihr. Elisabeth sang mit heller lieblicher Stimme, sie stand an ihren Mann gelehnt, sah vertrauend und lieblich und voll Glückes Zuversicht, als ob sie nun geborgen wäre vor aller Noth des Lebens. Ja sie war es auch, ebenso der Mann, den ihre Seele liebte. Jetzt durfte sie seine Seligkeit so sicher in die ihre einschließen, sie hatten beide einen Herrn und einen Helfer neben sich: Jesus Christus gestern und heute und in alle Ewigkeit. Amen.


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