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33. Die bittere Freiheit

Der Himmel war wieder blau, die warme Augustsonne hatte bald Sturm und Unwetter vergessen lassen, Elisabeth bewohnte ihr Leinwandhäuschen und hatte sich von neuem gewissenhaft vorgenommen, nur immer für den einen kurzgemessenen Tag zu denken, – das ward ihrem schwachen Herzen und schwankenden Stimmungen am leichtesten. Sie beschäftigte sich wieder regelmäßig mit ihren Arbeiten, mit ihrem kleinen Haushalt, mit ihren lieben süßen Kindern, und lebte in Ruhe nach der Vorschrift des Arztes. Mit Anna und mit Frau Brandes und ihrer Tochter fand sie sich oft am Strande zusammen, und scheute auch ihre Gesellschaft nicht. Dem jungen Mädchen konnte sie es zwar nicht ganz vergessen, daß sie den Abend die Ursache ihres Kummers war und am Arme ihres Mannes ihre Stelle eingenommen.

Während die Damen dieses kleinen Kreises sehr gut beschäftigt und unterhalten waren, wurden die Herren, je mehr sich das Ende ihres Aufenthaltes nahte, unruhig; sie sehnten sich zurück nach ihrem Beruf und ihren Geschäften, und verabredeten zu ihrer Unterhaltung mit einander eine Seefahrt nach Spiekeroge, der nächsten kleinen bewohnten Insel. Herr von Kadden wurde dazu aufgefordert und nahm es an. Frau von Hohendorf erbot sich, Elisabeth und die Kinder während der Zeit ganz besonders in Pflege und Obhut zu nehmen, und Elisabeth war es zufrieden. Ja der Gedanke, zwei Tage allein zu sein, schien ihr ganz angenehm. Sie befand sich ihrem Manne gegenüber noch immer in einer gewissen Spannung, sich stets beobachtet zu wissen und stets so aufmerksam auf sich selbst sein zu müssen, wurde ihr schwer; sie wollte es in diesen beiden Tagen einmal versuchen, sich so frei und harmlos zu fühlen, wie als Mädchen. Ihre Augen waren zu klar und offen, ihr ganzes Wesen zu unmittelbar, als daß ihr Mann die Wahrheit nicht durchschaut hätte. Obgleich er es ganz natürlich finden mußte, that es ihm doch leid, und er verließ sie ernsthafter, als es ihr lieb war. Doch tröstete sie sich, daß er vielleicht nur zerstreut war! sie wollte sich hüten ihm Unrecht zu thun und ihren bösen Gedanken zu folgen.

Der Morgen war ihr in der gewöhnlichen Badeordnung und mit den Damen am Strande schnell vergangen, auch die ersten Stunden des Nachmittags; aber sich so frei und harmlos fühlen wie als Mädchen, das sah sie ein, das ging nicht mehr. Als sie im stillen Sonnenschein in dem kleinen Garten auf und ab wandelte, als sie die Hornmusik aus der Ferne hörte, da war es ihr einsam zu Sinne und so unruhig im Herzen. Sie ging nach der andern Seite des Hauses, wo sie das Meer und die ferne Insel sehen konnte. Sie schaute sehnend über die weiten Wasserwogen hin, und dachte sehnend, daß er wieder zurückkehrte. Sie war eine rechte Thörin, daß sie ihn fort wünschte, daß sie glaubte, die Freiheit sei süß; nein die Freiheit war sehr bitter, die Erfahrung sollte sie jetzt machen.

Die kleine Anna kam zur rechten Zeit, sie und die Kinder zur Mama zu rufen. Der Besuch war heute Morgen schon verabredet, Elisabeth hatte sich nur nicht recht entschließen können ihre Einsamkeit zu verlassen. Sie fand Frau Brandes und deren Tochter Luise bei Anna, und zwar waren sie in einer lebhaften Unterhaltung zusammen.

Schön, daß Sie kommen! begrüßte sie Anna, Sie müssen mir helfen, oder vielmehr uns helfen, denn Luischen ist auf meiner Seite.

Frau Brandes war eine sehr gutmüthige und brave Frau und entzog sich wenigstens nicht den tiefer gehenden Gesprächen, die in Frau von Hohendorfs Gesellschaft nicht zu vermeiden waren, und ihre Tochter hatte ein warmes und empfängliches Herz und hing in jugendlicher Liebe und Verehrung an der neuen ernsten Freundin.

Sie werden mir mein Luischen noch ganz konfus machen! sagte Frau Brandes gutmüthig; ich möchte nur wissen, warum sie bei den Soireen hier nicht tanzen soll.

Weil ich keine Lust habe, fiel Luischen ein.

Nun gut, wenn Du keine Lust hast, magst Du nicht hingehen, aber Ihr müßt nur nicht mir vorreden wollen, daß es Unrecht ist.

Doch, es ist Unrecht, sagte Anna freundlich.

Für mich gewiß nicht, fuhr Frau Brandes fort, ich versichere Sie, ich thue und denke und rede da eben nichts anderes, als wenn ich mit Ihnen zusammen bin, und ich versichere Sie, daß es mir eigentlich langweilig ist, da zu sitzen, und daß ich nur Luischens wegen hingehe.

Ich befreie Dich aber gänzlich von dieser Verpflichtung, sagte Luischen lachend, ich habe es hier meinen sogenannten Bekannten schon angekündigt, sie möchten sich freuen, daß sie mich als überflüssige Tänzerin los würden.

Das Gefrage und Gezischel ist mir nur so unangenehm, sagte Frau Brandes, die Damen haben mich gefragt, wir gehörten wohl nun zu den Frommen.

Mich haben sie auch gefragt, fiel ihr Luischen in das Wort, und ich habe gesagt: Ich gehöre noch lange nicht so viel dazu, als ich es wünsche. Aber, liebe Mutter, wenn wir nach Hause kommen, werde ich ein ganz anderes Leben anfangen.

Frau Brandes schüttelte bedenklich den Kopf. Ich liebe das Auffallende nicht, sagte sie, und ich sehe es doch nicht ein, warum.

Warum? fragte Luischen, weil es mein Glück und meiner Seelen Seligkeit ist, und weil ich nichts von der Welt mehr wissen will, und weil ich dem Herrn beweisen will, daß ich ihn lieber habe als die Welt. Nein, Mutter. Du glaubst nicht, wie wenig ich mich fürchte vor den Menschen, die sich über uns wundern und die über uns sprechen möchten. Aber, fügte sie nachdenklich hinzu, wir müssen auch gar nicht das alte Leben wieder anfangen, wir müssen mit einem Mal abbrechen; sonst ist die Gefahr, daß wir uns nach und nach wieder hinein ziehen lassen.

Befolgen Sie nur meinen Rath, nahm Anna das Wort, es ist so leicht, so leicht. Aber freilich nur entschieden wissen muß man, was man will; merken die Umgebungen ein Schwanken, so haben sie leicht gewonnen.

Sie haben gut reden, liebe Frau von Hohendorf, sagte Frau Brandes, Sie wohnen auf dem Lande und haben sich nach niemand zu richten; aber ich lebe in einer großen Verwandtschaft und eine Freundin hängt an der anderen.

Nun, sagte Luischen, das ist auch nicht schwer, wir sagen recht freundlich unsere Meinung, und sagen, auf welche Weise wir gern mit ihnen Umgang haben wollen, und dann ist es ihre Sache, ob sie darauf eingehen.

Sie haben das Mädchen gut angelernt! sagte Frau Brandes. Ich habe sie doch übrigens auch gottesfürchtig erzogen, setzte sie etwas gereizt hinzu.

Sonst hätte ich sie auch nicht so schnell anlernen können, sagte Anna freundlich. Ich weiß auch, daß Sie mir im Grunde nicht böse sind, aber ich rathe Ihnen herzlich, daß Sie Verkehr mit gläubigen Leuten suchen. Es ist solche Gemeinschaft doch eine rechte Stärkung und ein rechter Trost. Nicht wahr? wandte sie sich zu Elisabeth, die bis jetzt eine schweigsame Hörerin gewesen.

Elisabeth reichte ihr die Hand und nickte freundlich. In Gedanken setzte sie hinzu: Das habe ich hier empfunden.

Wer den Herrn einmal erkannt hat, ihn lieb hat, fuhr Anna fort, kann sich in der Welt nie wohl fühlen, der Verstand mag ihm die Sache noch so unschuldig und harmlos und gefahrlos vorstellen, der Stachel ist im Herzen, das Herz hat nicht eher Frieden, als bis es dem Herrn alles zum Opfer gebracht, Menschenfurcht und Eitelkeit und Hochmuth und all die Feinde, die dem Zuge der Seele widerstreben.

Aber liebste Frau, sagte Frau Brandes, eine Freundin von mir ist genöthigt an einem Hofe zu leben, ihr Mann verlangt es von ihr, die Dinge mit zu thun, die Sie als so große Sünde verwerfen.

Die Dinge an und für sich kann ich wohl nicht als Sünde verwerfen, entgegnete Anna schnell, nur die Art, in der sie geschehen. Wenn der Mann ihrer Freundin es verlangt, so muß sie es thun, sie thut es dann weder aus Menschenfurcht, noch aus Eitelkeit, noch aus Hochmuth, sie thut es aus Gehorsam, und weil es ihre Stellung in der Welt nothwendig mit sich bringt; das wird weder ihr Gewissen beunruhigen, noch die Welt zweifelhaft machen, auf welcher Seite sie steht, weil ja eben ihr ganzes Leben und Wesen außerdem für sie zeugen. Den meisten Menschen aber, die da vorgeben, gezwungen zu sein, möcht ich rathen, sich genau zu prüfen, ob es wirklich Pflicht und Gehorsam und Nothwendigkeit ist, was sie in die Welt führt, oder die Schwachheit und Unselbständigkeit des Herzens.

Nun, liebe Mutter, sagte Luischen, in solche schwierigen Verhältnisse gehen wir nicht, also wollen wir uns damit nicht beunruhigen, obgleich Frau von Hohendorf auch darin gewiß Recht hat, das der Herr in den schwierigsten Verhältnissen, wenn wir ihm unser Herz und alles, was sich darin verstecken möchte, Schwachheit und Eitelkeit jeder Art, aufrichtig übergeben, uns überall mit Frieden hindurch hilft. Wir nehmen uns einfach vor, mit Leuten nicht umzugehen, die uns nicht lieb sind und nicht mit uns eines Herzens Meinung sind. Natürlich nehmen wir Pflicht und Nothwendigkeit aus, ich meine eben die wirkliche Pflicht. Meinen Herrn Vormund werde ich pflichtmäßigst besuchen und ihm freundlich und dankbar sein, aber wenn er mich zum Ball einladet, dann bedanke ich mich schön. – Luischen sprach mit jugendlichem Muth und Eifer in der Art noch mehr, sie fühlte wohl, daß ihre gute Mutter eigentlich mit ihr einverstanden war, und daß sie sich gern zum Muth auffordern lassen wollte.

Endlich wandte sich Anna zu Elisabeth. Liebe Elisabeth, Sie sind heute so schweigsam.

Ich könnte doch nur zu allem Ja sagen, entgegnete Elisabeth. Ich rathe Ihnen auch, fuhr sie zu Luischen fort, machen Sie sich mit einem Male von der Welt los, denken Sie nicht, daß es nach und nach geht.

Ja, die Welt macht ein junges Glaubensleben nur irre, sagte Anna, und die Leute, die keine Gefahr in der Welt sehen, sind am übelsten daran.

Das geht auf mich, sagte Frau Brandes gutmüthig, aber ich will mich gern belehren lassen, und wenn mein Luischen ein solides und braves Mädchen ist und nicht so leichtfertig und putzsüchtig und vergnügungssüchtig, wie eigentlich – ja traurig genug ist es – die meisten jungen Mädchen jetzt sind, so bin ich es auch zufrieden. Und wenn sie auch hier die Gesellschaften nicht mitmachen will, ist es mir recht, weil es mir nebenbei sehr bequem ist.

Es wurde nun von andern Dingen gesprochen, Elisabeth aber blieb gedankenvoll. Ja, wie Luischen, so freudig und sicher bin ich auch gewesen, dachte sie, ich glaubte, es sei gar so leicht: mit frischem Muth hindurch; aber es ist nur leicht, wenn man es ernsthaft nimmt. Junge Mädchen sind leicht zu begeistern, wenn sie aber nicht treu im Gebet vor dem Herrn bleiben, nicht jede Kleinigkeit, die sie in der Liebe schon stören will, gewissenhaft zu überwinden suchen, wenn sie nicht einfach auf Grund des Katechismus auf die Gebote des Herrn und auf das Schaffen mit Furcht und Zittern ihre Freudigkeit, ihre Zuversicht und Seligkeit bauen, so ist von der Begeisterung nicht viel zu hoffen. Treu sein in der geringsten Regung der Eitelkeit, des Hochmuths, der Menschen- und Weltliebe! Wer treu im Kleinen ist, den will der Herr über Großes setzen. Die Macht der Welt besteht eben darin, daß sie mit geringen und unscheinbaren Kleinigkeiten ihren Kampf beginnt, und durch die Kleinigkeiten gestärkt immer fester und kecker auftritt. – Alles, was Anna gesagt, war so einfach, so leicht, so unfraglich; und doch wie schwer ist die Ausführung, dachte Elisabeth. Selbst jetzt, wo ihre Untreue sich traurig gerächt, wußte sie nicht, wie sich ihr Leben in der Heimath, ihren alten Verhältnissen gegenüber, gestalten sollte. Sie wußte es nicht, aber es durfte sie auch nicht sorgen, sie wollte auch zu Hause nie über einen Tag hinaussehen, und in den Schranken dieses engen Tages gewissenhaft und treu in der Liebe zum Herrn wandeln. Das war gewiß: wenn wir dem Herrn unser Herz und unser Leben übergeben, hilft er durch die schwierigsten Verhältnisse sicher und glücklich und fröhlich und freudig hindurch. – Wenn meine Mutter so entschieden und freudig wie Anna mir zugeredet hatte, so wäre es vielleicht anders geworden, dachte Elisabeth weiter, aber meine arme Mutter hat selbst immer geschwankt. Wie wird es diesem jungen Mädchen noch ergehen, wenn die Mutter ihr nicht fest zur Seite steht? Wie wird es ihr ergehen, wenn sie sich verheirathet? wenn die Noth des Herzens erst beginnt? Die Freiheit der Mädchenzeit ist lieblich und schön, das Herz ist sorglos und zuversichtlich, es sieht nur Freude und Glück vor sich und die ganze Welt im schimmernden Glanze. – Elisabeth wünschte nicht die sorglose Zuversicht ihrer Mädchenzeit zurück, sie beneidete auch Luischen nicht darum. die schweren Kämpfe, die sie durchkämpfen mußte, beklagte sie nicht. Sie nahm es im Glauben an, daß alles vom Herrn kam, selbst die Erfahrung, die sie heute machte, daß die Freiheit ihr nicht süß, sondern sehr bitter war.


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