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43. Schwere Stunden und selige Stunden

Vierzehn Tage gingen vorüber. Elisabeth war wohl zuweilen bange, aber sie traute der Versicherung des Arztes, der keine Gefahr sah, und sie war zu glücklich und zu sehr erfüllt in der Pflege des geliebten Kranken. Ihre Mutter hatte sich augenblicklich als Krankenpflegerin oder wenigstens zur Gesellschaft für Elisabeth angeboten, auch die Oberförsterin hatte sehr gutherzige Vorschläge zu machen, aber es ward alles verworfen. Kadden wollte lieber gar keine Pflege als eine fremde, Elisabeth wollte weder Hilfe für sich noch für ihre Kinder. Die Kinder wohnten sicher mit Johannen in ihrem kleinen Reiche, ihre Nähe war Elisabeths einzige Zerstreuung, und ihres Herzens Freude war es, wenn sie in die Krankenstube kommen durften und des Vaters liebe warme Aufmerksamkeit rege machten.

So war ein lieber stiller Tag nach dem andern hingegangen. Elisabeth lebte in der dämmrigen Stube, sie hörte das leise Picken der Uhr, sie sah danach, sie reichte ihrem Kranken Medizin und Erfrischungen. Wenn er dann mit einem Blick des Dankes und der Zufriedenheit zu ihr aufsah, fühlte sie es warm am eigenen glücklichen Herzen. Ihr liebster Platz war die Fußbank vor seinem Bett, da lauschte sie seinem Athmen und suchte sich Sorge und Trost darin. Wenn sie müde und abgespannt sich an die Kissen lehnte und seine Hand liebreich auf ihrem Kopfe einen Ruheplatz gesucht, dann ruhte sie wohl stundenlang so unbeweglich, um ihn nicht zu stören, und schlummerte selbst darüber ein.

Die Genesung und Belebung der Kräfte, die, nachdem die Lungenentzündung glücklich geheilt war, bestimmt erwartet wurde, zögerte sich von einem Tage zum andern hin. Elisabeth bemerkte sogar, daß der Kranke oft sehr abgespannt war, daß er oft mit halbgeschlossenen Augen im leichten Schlummer lag, und der Arzt, der diese Schwäche anfänglich für die natürlichen Folgen der Krankheit nahm, mußte sich bald von einem nervösen Zustande des Kranken überzeugen. Er verhehlte das Elisabeth nicht, schrieb auch selbst an den alten Herrn von Budmar, von dem jetzt etwas bedenklicheren Zustande seines Patienten und bat um eine andere Einrichtung bei seiner Pflege.

Die Großeltern kamen denselben Nachmittag beide in Braunhausen an; bis jetzt war die Großmama nur einige Mal allein im Krankenzimmer gewesen, und zwar nur kurze Zeit, weil sie ihre Anwesenheit unnöthig fand. Elisabeth war bange und traurig, und das Anerbieten der Großmama, heute wenigstens hier zu bleiben, nahm sie mit Dank und Thränen an. Sie war bei ihren lieben Gästen viel im Nebenzimmer, weil, wie sie wehmüthig bemerkte, ihr Mann jetzt immer im Schlummer lag und doch nichts von ihr hatte. Nur einmal ließ er sie rufen, da traten auch die Großeltern zu ihm. Er kannte sie, er freute sich sie zu sehen, und ging auf des Großvaters Vorschlag, noch jemand zur Pflege für sich anzunehmen, willig ein. Ja Elisabeth sollte bestimmte Zeiten der Ruhe haben, sie sollte sich dann ganz drüben zu den Kindern verfügen. Auf des Großvaters Vorschlag wurde Stottenheim. der sich so dringend zur Pflege angeboten, auch gewählt, er war Kadden bekannt und gewohnt und eigentlich auch lieb, er konnte kommen und gehen, selbst ohne Elisabeth zu stören. Damit diese sich nun wirklich Zeit zur Ruhe und Pflege nahm, versprach die Großmama dem Kranken, sehr viel hier zu sein.

Drei Wochen waren wieder vergangen, schwer und bedenklich. Elisabeth hatte mit der Großmutter eben ein tröstliches Gespräch gehabt, sie sprachen von der Himmelshoffnung, und daß ja dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht sollen werth sein, die an uns soll offenbaret werden. Elisabeth fühlte es wohl sehr dunkel um sich, aber sie streckte gläubig ihre Arme nach oben hinauf und wollte sich gern nur von dort stärken und trösten lassen. – Sie trat jetzt in das Krankenzimmer.

Als sie sich dem Bette näherte, verließ Stottenheim seinen Platz und trat in das Fenster. Der Novembersturm wirbelte seine ersten Schneeflocken durch die Straße, es war schaurig außen, und Stottenheim fühlte es wie einen Felsen auf seiner Brust. Er sah keine Hoffnung für den Freund und keinen Trost für die Frau.

Kadden schlug seine Augen plötzlich auf, er sah sich etwas unruhig um, und fand nur Elisabeth knieend vor seinem Bette. Elisabeth, sagte er leise, lies mir das Lied vor: »Aus tiefer Noth.«

Sie nahm das Gesangbuch und las, er hatte ihre Hand gefaßt und hörte aufmerksam, und wenn sie vor Weinen nicht lesen konnte, dann strich er ihr theilnehmend mit der Hand über die Stirn.

Elisabeth, mit dem Herrn bin ich fertig, sagte er leise; ich hoffe nur auf seine Gnade. Ich weiß auch, daß Du mir verziehen hast, fuhr er nach einer Pause fort, aber ich muß Dich noch einmal darum bitten. Ja, Du meine liebe Elisabeth, verzeihe mir alles Herzweh, das ich Dir gemacht, bitte auch alle Deine Lieben für mich um Verzeihung. Ich hätte ihnen jetzt weniger Sorge machen wollen; aber wie der Herr will. – Sie küßte seine Hände und hatte keine Antwort. Er sah sie bittend an. Elisabeth, ergieb Dich in den Willen des Herrn! sagte er. – Elisabeth nickte und versuchte zu lächeln trotz ihrer Thränen. – Der Herr wird Dich trösten, Du hast es ja erfahren, daß Du Dich nicht verlassen kannst auf Menschen.

Er legte die Hand vor die Augen und weinte bitterlich. Elisabeth beugte sich über ihn, sie küßte seine bleichen Lippen, sie bat ihn so liebreich, nicht traurig zu sein; sie wollten ja beide sich in des Herrn Hand geben, sie fühlte es auch so tröstlich am Herzen. Er schloß die Augen wieder, er schien sehr erschöpft.

Die Großmutter hatte durch die geöffnete Thür alles beobachtet, und ohne die Worte zu vernehmen, hatte sie es wohl verstanden, sie hatte mit ihren lieben Kindern geweint und gerungen. Jetzt schlich Elisabeth zu ihr.

O Großmutter, sagte sie, ich habe jetzt eben zum ersten Mal erfahren, welch ein Trost darin liegt, zu wissen, daß eine Seele, die wir so herzlich lieb haben, selig sterben kann. – Die Großmama sah sie herzlich und einverstanden an. – Großmama, der Herr kann machen, daß wir ihm das Liebste geben. Aber es sind entsetzliche Tage, ehe man sich dazu entschließen kann. Er allein hat es gethan, er hatte meine Seele umgewandelt.

So lange wir nicht das Liebste willig in seine Gnadenhände übergeben, so lange haben wir hier nicht Frieden, entgegnete die Großmama. Der Herr will unser Herz allein haben, er spricht: Laß dir an meiner Gnade genügen. O, Großmama, fuhr Elisabeth fort, ich weiß nicht wie mir ist, mir ist so selig zu Sinne; ich weiß auch, Er kann das Herz betrübt und kann es froh machen. Großmama, hast Du wohl auch Dein Liebstes einmal dem Herrn willig übergeben können?

Ich? sagte die Großmama wehmüthig, ich habe ja meinen lieben Fritz in den Krieg schicken müssen, in so entsetzlich mörderische Schlachten, ich habe Monate lang die Nachricht seines Todes erwarten müssen, da, Elisabeth, hat es mich der Herr gelehrt, ihm mein Liebstes zu übergeben, da hat Er mich gelehrt, daß die Liebe zu ihm immer den ersten Platz im Herzen behaupten muß, daß ich mir an seiner Gnade wirklich genügen lassen müsse. Ja, Elisabeth, wer nicht in Trübsal und in der Einsamkeit selig und zufrieden sein kann, der kann es auch nicht im Glücke, das will ich kühn behaupten. Und wenn der Herr Christus mir nicht lieber wäre, als alle, die mein Herz liebt, so könnte ihre Liebe mich nicht so beglücken, als sie mich beglückt; so müßte Sorge und Angst mich beunruhigen, je wärmer und je ausschließlicher ich sie nur mein eigen nennen möchte. Das Bibelwort sollte unser sich nach irdischer Liebe sehnendes Herz wohl bange machen: »Verflucht ist der Mann, der sich auf Menschen verläßt, und hält Fleisch für seinen Arm, und mit seinem Herzen vom Herrn weicht.« Und wenn der Herr mit der Frage uns nahe tritt: Hast du mich lieb? – wohl dem Herzen, das da sprechen kann: Ja, Herr, ich habe Dich lieb über alles! und wer da sprechen kann: »Herzlich lieb hab ich Dich, o Herr! ich bitt, wollst sein von mir nicht fern mit Deiner Hilf und Gnaden; die ganze Welt erfreut mich nicht, nach Himmel und Erde frag ich nicht, wenn ich Dich nur kann haben.« –

Elisabeth sah still und sinnend vor sich hin. Jetzt aber, liebe Großmama, begann sie nach einer Pause, müßt Ihr mir erlauben, diese Nacht allein bei ihm zu wachen, jetzt habe ich Ruhe dazu, jetzt will ich getröstet dort sein und will die Erinnerung an die Qual der letzten Tage verwischen. Schaden kann es mir doch nicht, fuhr sie fort, als die Großmutter noch zu schwanken schien, und wenn es mir auch etwas schadet, meine Seele sehnt sich danach.

Die Großmama war verständig genug, das einzusehen. Stottenheim wurde für heute entlassen, und Elisabeth sah sich ganz allein in dem stillen Krankenzimmer, und fühlte sich, als ob sie mit dem geliebten Kranken im Vorhofe des Himmels stände. Ihre Seele war im Gebet, sie wußte nicht, was später werden sollte, sie wußte nur, was jetzt mit ihr war, sie fühlte Ergebung und damit einen Frieden, den kein Verstand und keine Vernunft und kein natürliches Herz begreifen und verstehen kann. Als sie ihr Gesangbuch nahm, um darin zu suchen, Worte, die zu ihrer Stimmung paßten, konnte sie nicht anders als unter den Dankliedern suchen: sie blätterte hin und wieder und ihre Gedanken vertieften sich endlich in den Dankesworten:

Sollt ich meinem Gott nicht singen?
Sollt ich ihm nicht dankbar sein?
Denn ich seh in allen Dingen,
Wie so gut er's mit mir mein.
Ists doch nichts als lauter Lieben,
Das sein treues Herze regt,
Das ohn Ende hebt und trägt,
Die in seinem Dienst sich üben.
Alles Ding währt seine Zeit:
Gottes Lieb in Ewigkeit.

Wenn ich schlafe, wacht sein Sorgen
Und ermuntert mein Gemüth,
Daß ich alle liebe Morgen
Schaue neue Lieb und Güt,
Wäre mein Gott nicht gewesen,
Hätte mich sein Angesicht
Nicht geleitet, war ich nicht
Aus so mancher Noth genesen.
Alles Ding währt seine Zeit:
Gottes Lieb in Ewigkeit.

Wie ein Vater seinem Kinde
Sein Herz niemals ganz entzeucht,
Ob es gleich bisweilen Sünde
Thut und aus der Bahne weicht:
Also hält auch mein Verbrechen
Mir mein frommer Gott zu gut.
Will mein Fehlen mit der Ruth
Und nicht mit dem Schwerte rächen.
Alles Ding währt seine Zeit:
Gottes Lieb in Ewigkeit.

Seine Strafen, seine Schläge,
Ob sie mir gleich bitter feind,
Dennoch, wenn ichs recht erwäge,
Sind es Zeichen, daß mein Freund,
Der mich liebet, mein gedenke,
Und mich von der schnöden Welt,
Die mich hart gefangen hält.
Durch das Kreuze zu ihm lenke.
Alles Ding währt seine Zeit:
Gottes Lieb in Ewigkeit.

Das weiß ich fürwahr und lasse
Mirs nicht aus dem Sinne gehn:
Christenkreuz hat seine Maße
Und muß endlich stille stehn.
Wenn der Winter ausgeschneiet,
Tritt der schöne Sommer ein:
Also wird auch nach der Pein,
Wers erwarten kann, erfreuet.
Alles Ding währt seine Zeit:
Gottes Lieb in Ewigkeit.

Weil denn weder Ziel noch Ende
Sich in Gottes Liebe findt.
Ei so heb ich meine Hände
Zu Dir, Vater, als Dein Kind,
Bitte: wollst mir Gnade geben,
Dich aus aller meiner Macht
Zu umfangen Tag und Nacht
Hier in meinem ganzen Leben,
Bis ich Dich nach dieser Zeit
Lob und lieb in Ewigkeit.

Ei so heb ich meine Hände zu Dir, Vater, als Dein Kind! Das konnte sie nicht oft genug sagen, daran knüpften sich die Kindesgefühle, in denen sie sich so still und sicher zu des Herrn Füßen fühlte. Sie hörte die Uhr wieder leise picken, sie sah nach ihr, sie reichte dem Kranken Medizin und Erfrischungen, sie ruhte so still an seiner Seite, sie lauschte seinem Athem, ohne Sorge und ohne Angst, es war ihr ja so friedlich im Herzen.

Nur einmal schlug er die Augen ordentlich auf und sagte: Elisabeth, bist Du noch hier?

Ich bleibe ja hier bis Du wohl bist, sagte sie.

Er lächelte leise und schloß die Augen wieder. Ja ihre Nähe war ihm doch die liebste.

Sechs Tage waren wieder vergangen, die Großmama war nach Woltheim zurückgekehrt, aber ihre Gebete blieben im Krankenzimmer und bei ihrem Liebling, den sie gefaßt und glaubensvoll verlassen, den sie aber nur noch inniger und glaubensvoller dem Herrn anempfehlen mußte. Der Arzt erwartete von diesen Tagen die Entscheidung der Krankheit. Elisabeth wußte es; die Stunden aber gingen ihr beim leisen Ticken der Uhr jetzt wieder ruhig eine nach der anderen hin. Wenn die Wogen des Kummers über sie kommen wollten, dann sprach ihr betendes Herz: »Ach so heb ich meine Hände zu Dir, Vater, als Dein Kind!« Der Herr hielt sie über den Wogen und führte sie wie in einer träumenden Begeisterung an den schweren Stunden hin. Ja wunderbar war es: seitdem sie sich ergeben, da stammte zuweilen die Hoffnung neben der Ergebung auf. Ein Kind, daß sich völlig dem Willen des Vaters hingiebt, in Demuth, in Vertrauen und Liebe, das hat auch das Recht, ihn dringend zu bitten, ja ihn mit Bitten zu bestürmen.

Nachdem der Kranke in einer Nacht schon mehrere Stunden ruhig geschlafen hatte, saß Elisabeth gegen Morgen an seinem Bette und lauschte seinen Athemzügen. Du, Herr, kannst Leben aus dem gedrohten Tode schaffen, dachte sie gläubig und schaute bittend hinauf. Ja sie bat und bat immer wieder, und als da plötzlich die Hoffnung in ihrem Herzen so lichte und helle Strahlen warf, da sagte sie gläubig: Herr, die Ergebung ist von Dir, aber auch die Hoffnung ist von Dir. Ach so heb ich meine Hände zu Dir, Vater, als Dein Kind; bitte: wollst mir Gnade geben, Dich aus aller meiner Macht zu umfangen Tag und Nacht hier in meinem ganzen Leben, bis ich Dich nach dieser Zeit lob und lieb in Ewigkeit!

Als sie das letzte Wort gesprochen, schlug ihr Mann die Augen auf. Er nahm ihre Hand und sagte: Ich war eben in Wangeroge und habe das schöne Meer rauschen hören. – Elisabeth sah ihn glücklich an, – das war das Segensrauschen des Herrn. – Denke Dir, fuhr er leise fort, ich habe lange, ich weiß nicht wie lange, mir nicht vorstellen können wie Licht und Sonne ist, es war mir immer, als ob ich von grauen hohen Bergen umgeben war, die ich immer von mir fortschieben mußte, weil sie mich zu erdrücken drohten. Ich habe so viel dagegen gekämpft, ich wollte mir andere liebliche Bilder vorstellen, ich konnte es nicht, jetzt kam mir ganz von selbst das Bild des Meeres, so erquicklich, so frisch, so sonnig. – Elisabeth hatte seine Hand ergriffen und weinte leise. – Nun weine nicht mehr, fuhr er nach einer Pause leise fort, ich glaubte auch, ich sollte sterben, um durch meinen Tod zu predigen; aber ich weiß jetzt, das ich durch des Herrn Gnade leben soll und durch mein Leben predigen.

Sie sah ihn an, als wollte sie sagen: Ich weiß es jetzt auch.

Jetzt aber sollst Du schlafen, bat er freundlich, Du sollst Dich nicht um mich kümmern, ich schließe die Augen, ich sehe das rauschende frische Meer vor mir und den hellen Sonnenschein, und weiß, ich schlafe ein, ich bin sehr müde.

Elisabeth reichte ihm noch einmal Medizin, und ging wirklich in das Nebenzimmer, um mit leichtem Herzen, mit seligem Herzen, ganz sorgenlos einmal seit langer Zeit zu schlafen.

Als es dämmerte, stand sie auf. Sie ging leise in das Krankenzimmer. Ihr Mann schlief ruhig. Zum ersten mal war in seiner Lage etwas wirklich ruhendes. Elisabeth eilte in die Kinderstube, die Kinder wachten und waren allein, sie trat an Friedrichs Bett. Jetzt, lieber Friedrich, müssen wir dem lieben Gott danken, daß er den Papa wieder gesund macht, sagte sie freudig. Sie hatte ja oft genug mit ihm des Abends gebetet: »Und mach unseren Papa wieder gesund.« – Sie nahm das Kind aus dem Bett und das kleine Mariechen dazu, sie hatte sie beide auf dem Schooß, sie drückte sie an ihr Herz, sie sagte bewegt: Ich danke Dir, lieber Gott, und meine Kinder danken Dir auch.

Da trat Johanne ein. Nun Johanne, danke Du auch dem Herrn, mein Mann ist besser.

Wirklich, wirklich? sagte Johanne, – sie mußte sich auf einen Stuhl setzen vor Ueberraschung, ihre Kniee zitterten, O Ihr lieben Kinderchen! sagte sie, der Herr hat Euch nicht vergessen. Sie sprach auch noch weiter, aber Elisabeth reichte ihr nur herzlich die Hand und verließ die Kinderstube.

Sie ging in die Küche, sie wollte der Köchin dieselbe frohe Mittheilung machen, fand sie aber nicht. Sie eilte die Treppe hinab, sie mußte zu dem Burschen in den Pferdestall, der Schnee wirbelte zwar leise auf eine schon ziemlich hohe Schneedecke hinab, aber das hinderte sie nicht. Dieser getreue Pfleger und älteste Freund des Kranken verdiente wohl den Weg. Sie trat in den Stall, der Bursche putzte das schöne braune Thier und bemerkte ihr Eintreten nicht. Wilhelm, rief sie freudig, ich muß Ihnen doch sagen, daß der Herr nun durch Gottes Gnade wirklich besser ist.

Der getreue gutherzige Mensch, dem es in den ganzen Wochen nicht wohl gewesen war, hielt mit der Arbeit inne, er stand wie versteinert. Du barmherziger Gott, das ist nur gut; sagte er, und die Thränen liefen ihm über die Backen.

Ja das ist gut, wiederholte Elisabeth und trat auch zu dem Pferd, sie streichelte ihm die Mähne, sah ihm freudig in die hübschen Augen und sagte: O du liebes, gutes Thier, du kannst dich, auch freuen, du sollst den lieben Reiter wieder tragen.

Sie hatte aber nicht viel Zeit, sie lief eilig in das Haus zurück. Aber die guten Wirthsleute mußten es doch wissen, dachte sie, als sie an deren Thür vorüber ging. Sie klopfte an die Stubenthür und trat schnell ein. Die Leute waren ganz erstaunt über den frühen Besuch. Ich weiß ja, Sie freuen sich mit mir, sagte Elisabeth, mein lieber Mann ist nun besser.

Ist der Doctor schon da gewesen? fragte die Frau mit freudiger Theilnahme.

Nein noch nicht, entgegnete Elisabeth, aber ich weiß es ohne den Doctor, er hat ja die Nacht vergnügt mit mir gesprochen, und schläft jetzt ruhig wie ein Kind.

Jetzt eilte sie die Treppe hinauf und begegnete der Köchin mit dem Frühstück. Ist es denn wahr, sagte diese, unser lieber Herr ist besser?

Ja, sagte Elisabeth, er ist besser, nun wollen wir sehr froh und dankbar sein. Jetzt könnten Sie mir auch Frühstück bringen.

Nach einer Stunde kam der Doctor zusammen mit Stottenheim. Elisabeth trat ihnen im Vorzimmer entgegen. Ihre hellen Augen schimmerten gar so freudenvoll, sie vergaß es, daß sie einen alten ungläubigen Doctor vor sich hatte, und daß Stottenheim sie etwas schwärmerisch finden würde. Mein lieber Mann ist besser, sagte sie; ja in dieser Nacht, da fühlte ich so plötzlich, daß der Herr ihm helfen wollte, und Er hat geholfen.

Der Doctor darf doch aber auch ein Wörtchen mit reden? sagte dieser mit einem leichten Lächeln.

Ja, Sie sollen sich mit uns freuen, entgegnete Elisabeth.

Wir sind aber im besten Fall noch nicht über alle Berge, fuhr der Doctor etwas ärgerlich fort.

Aber der Herr wird weiter helfen, versicherte Elisabeth mit einem Ausdruck des Vertrauens und der Hoffnung in ihren lieblichen Zügen, daß den Doctor eine gewisse ästhetische Rührung ankam und er ihr nichts entgegnen konnte.

Als sie sich zu Stottenheim wandte: Nun, lieber Herr von Stottenheim, werden Sie den Herrn mit uns preisen, – sagte er in besonderer Erregung:

Ja wahrhaftig, von ganzem Herzen.

Der Doctor war während dessen an das Bett getreten, der Kranke lag noch im ruhigen Schlafe. Er beugte sich über ihn, er prüfte den Puls und trat dann zurück. Ja, begann er mit einverstandenem Kopfnicken, in dieser Nacht ist die Krisis gewesen, der Puls geht bei weitem ruhiger, die Haut ist kühl und feucht.

In dem Augenblick schlug der Kranke die Augen auf. Er sah freundlich um sich und sagte: Ich habe geschlafen.

Dann aber wandte er sich zu Elisabeth und reichte ihr die Hand. Sie kniete vor seinem Bette. Es hatte zwar kaum der Bestätigung des Arztes bedurft, es war für sie aber doch wieder eine neue Freudenstufe.

Der Doctor verordnete mit der sorgsamen Pflege fortzufahren, und Elisabeth entgegnete: jetzt solle die Pflege erst recht angehen.

Aber andere Pflege will ich mir jetzt ausbitten, sagte Kadden freundlich, indem er Elisabeth ansah; und auch der gute Stottenheim soll jetzt ruhen.

Er reichte dem Freunde dankbar die Hand. Beide wollten protestiren, aber der Doctor selbst bestimmte es so. In der Nacht sollte überhaupt nicht mehr gewacht werden, der Bursche sollte hier schlafen und, wenn auch nicht ganz regelmäßig, die Medizin geben.

Elisabeth begleitete die beiden Herren in den Vorsaal, sie mußte noch etwas sagen: Ich danke Ihnen doch, lieber Herr Doctor, für die große Mühe und Sorgfalt, die Sie für uns hatten; Sie aber müssen auch dem Herrn danken, daß er diese Mühe gesegnet hat.

Der Doctor lächelte: Ja das Leben hing an einem Faden.

Der Herr hält aber diese Faden in seiner Hand, sagte Elisabeth, er hat ja jedes Haar auf unserem Haupte gezählt, wie tröstlich muß das jedem Arzte sein.

Der Doctor nickte, und Elisabeth empfahl sich.

Ein schöner Glaube, sagte Stottenheim, als er mit dem Doctor auf der Treppe war; was ich in diesen Wochen erlebt habe, kann keine Feder beschreiben.

Die junge Frau ist eine kleine Schwärmerin, entgegnete der Doctor lächelnd.

Diese Schwärmerei ist aber bei ihr ein natürlicher Zustand, sagte Stottenheim.

Der Doctor nickte und trennte sich von Stottenheim. Dieser eilte zu Bonsaks, eine Person war da, der er mit der guten Nachricht eine besondere Freude machte, das war Cäzilie.

Er fand die Familie zusammen, und erzählte lebhaft, daß Kadden außer Gefahr sei. Er hatte in dieser ganzen Zeit immer Berichte aus der Krankenstube gebracht, und Adolfine hatte, als er Elisabeths wunderbare Ergebung in Gottes Willen schilderte, keck behauptet: sie könne, wenn sie so ruhig an seinem Sterbebette stände, ihren Mann nicht lieb haben. Darum wandte sich Stottenheim etwas pathetisch zu ihr und sagte: Wenn Sie jetzt die Freude von Frau von Kadden sehen sollten, würden Sie nicht zu behaupten wagen, sie habe ihren Mann nicht lieb.

Es ist aber förmlich unvernünftig, fuhr Adolfine auf, jemand, den ich leidenschaftlich liebe, ruhig sterben zu sehen.

Darum glaube ich auch, daß es einen Frieden giebt, der höher ist als alle Vernunft, sagte Stottenheim, wenn es mir auch unbegreiflich ist, wenn es auch gegen alle vernünftigen Lebens-Ansichten streitet.

Es sind Wunder des Glaubens, sagte Cäzilie warm.

Ja, fiel Stottenheim ihr in die Rede, unser Herr Pastor sprach kürzlich, daß der Glaube noch jetzt ebenso große Wunder wirke, als damals, wo der Herr Christus auf Erden war; ich verstehe jetzt, was er damit sagen wollte.

Himmlischer Gott! dachte der Oberst, jetzt fängt der auch an! – Er nahm das Wort und sagte: Liebster Stottenheim, Sie haben da jetzt eine jämmerliche Zeit durchgemacht, Ihre Nerven sind aufgeregt.

Das mag sein, entgegnete Stottenheim, ich habe dort eine Zeit verlebt, die keine Feder beschreiben kann, aber ich werde nie wieder wagen, Kaddens Glauben anzugreifen.

Ei wer wollte das auch thun? sagte der Oberst. Kaddens Glauben hat mich noch nie genirt, ebenso wenig der seiner Frau: sie sind die liebenswürdigsten, herrlichsten Leute, erstens sprechen sie nicht von ihren Ansichten, und dann sind sie vergnügt und vernünftig mit ihren Freunden.

Ja ja, Kadden weiß das schön zu vereinigen, versicherte Stottenheim; ich weiß recht gut, welche Ansichten er hat, und wie er über die Ansichten der Welt denkt.

Er mag meinetwegen denken was er will, sagte der Oberst eifriger. Denken Sie doch, wie beide Leutchen im vorletzten Winter, ehe sie krank wurde, so allerliebste Gesellschafter waren. Die Zeit wird, wieder kommen, und dann werden Sie auch das bischen Schwärmerei an dem Krankenbette vergessen.

Frau von Bonsak berechnete nun mit ihren Töchtern, wie lange sie sich noch gedulden müßten, um Herrn und Frau von Kadden wieder unter sich zu sehen, und Stottenheim versicherte, vor dem neuen Jahre, wie der Arzt im besten Falle versichert habe, sei nicht darauf zu rechnen.

Elisabeth schrieb den ersten Tag fast immer Briefe, nur zuweilen stand sie auf, um den unermüdlichen Schläfer anzusehen. Der erste Brief wurde sogleich durch den reitenden Burschen nach den Großeltern geschickt, auch für Tante Julchen hatte sie herzliche Bestellungen und Grüße zu senden. Dann schrieb sie an ihre Eltern, dann an Tante Wina einen kurzen Dankes- und Freuden-Erguß und zuletzt einen Brief an Emilien. Das letzte Zusammensein mit ihr schien sie gänzlich vergessen zu haben, sie hatte nur die theilnehmenden Erkundigungen von ihr und ihrem Manne vor sich, sie wollte ihnen nur Freude mit der Freudennachricht machen, und da dieser Brief der letzte Erguß ihres so bewegten Herzens war, so wurde er der längste. Sie schrieb auch unter anderem:

Ja, liebe Emilie, ich habe nur immer die Worte im Herzen und vor den Ohren und leise auf den Lippen: »Ich bin nicht werth aller Barmherzigkeit und Treue, die Du an Deinem Knechte gethan hast.« Der Herr hat alles an mir gethan, weil ich sein schwächstes Kind war: auf Adlers Flügeln hat er mich getragen, er hat mein Leben zu meinem Heil geführt. Die letzten schweren Wochen, die ich verlebte, ich kann Dir nicht sagen, liebe Emilie, wie trostreich sie auch waren. Ich kann es jetzt zwar nicht fassen, daß der Herr meinen Willen in seinen fügen konnte, ich habe wirklich meinen lieben Otto ihm willig hingeben können, darum soll ich ihn aber jetzt auch doppelt lieben; nie habe ich geträumt, daß mein Herz so wunderselig lieben könne, nie habe ich das ganze Leben so lieblich, so weit und selig vor mir gesehen. – Ich werde aber nicht meinen Otto allein so lieb haben, ich werde Euch Lieben alle, die meinem Herzen nahe stehen, weit aufrichtiger und inniger lieben, der Herr wird mir helfen, ich bin nichts, so gar nichts ohne Ihn, und bin so ruhig und getrost an Seinem Herzen. Weißt Du, Emilie, mein Lieblingslied in der Adventszeit, die wir zusammen erlebten: »Herr ich lieb Dich! Herr ich lieb Dich! ach, von Herzen lieb ich Dich.« Ich habe damals dem Herrn das Lied oft mit Thränen gesungen, und wenn ich es auch mit thörichtem Herzen gethan, Er hat mich dennoch erhört, Er hat mich selbst gelehrt, wie ich ihn lieben soll, und Seiner Gnade will ich auch nun diese Liebe, ja mein ganzes Herz anvertrauen ...

Als dieser Brief in Emiliens Hände kam, war Schlösser bei ihr. Er trat zu ihr, um erwartungsvoll und theilnehmend mit hinein zu sehen. Emilien legte sich ein jedes Wort, das sie lesen mußte, wie Felsen auf die Brust. Das war Elisabeths alte Sprache, so liebewarm und liebereich, so glückeszuversichtlich. Kann denn Liebe wirklich so beseligen? Darf man denn das Leben so leicht nehmen? Darf man denn so gedankenlos und hold und einfältig sein, wie ein Kind? Ja man darf und kann es nicht nur, man soll es auch. Wenn der Herr Christus den ersten Platz im Herzen einnimmt, darf das Herz auch selig lieben; wenn Er unseres Lebens Führer und Regierer ist, dürfen wir das Leben leicht nehmen, und wenn Sein Wort und der Glaube an Ihn unsere Seele erfüllt, dann können wir auch sorglos und einfältig sein, wie ein Kind; dann wird Er uns gebrauchen, wozu Er uns haben will und geschickt machen zu Seinem Dienst.

Emilie sagte kein Wort, nachdem sie den Brief gelesen. Sie wußte nichts zu sagen und ihr Mann schwieg beharrlich. Endlich entschloß sie sich zu einigen verlegenen Worten: Wir wollen uns freuen und wollen wünschen, daß der Herr sie in diesem Sinne erhält.

Zweifelst Du noch? fragte er.

Nein, nicht eigentlich für Elisabeth, war ihre Antwort, wie wird es aber mit ihm? – Und plötzlich ging ihr ein Licht auf. – Könnte man jetzt, wenn er wohler wird, nicht auf ihn wirken? fragte sie lebhafter: ihm jetzt den rechten Weg zeigen?

Das wird Elisabeth von uns allen am besten können, war Schlössers Antwort.

Es war ihr wie ein Traum, das zu hören. – Elisabeth soll am besten von allen es verstehen, jemand den Weg zum Heil zeigen? Noch mehr aber war es ihr seltsam, daß sie nichts entgegnen konnte, daß sie ihrem Manne recht geben mußte.

Wir wissen auch gar nicht, wie es mit ihm steht, fügte er nach einer Pause hinzu.

Wilhelm, denke an das letzte Mal, wo wir ihn sahen, mahnte Emilie mit erzwungener Sanftmuth; denke wie er so stolz, so sicher, so unfreundlich von uns Abschied nahm, wie er die arme Elisabeth behandelte. Ich gönne es ihr ja, daß sie sich mit ihrem warmen Herzen über seine Liebe täuscht; von ihr glaube ich es schon, daß sie wieder so selig wie damals als Braut lieben kann, aber über ihn wollen wir uns trotz der Andeutungen der guten schwachen Großeltern doch nicht täuschen. Elise selbst glaubt das nicht, sie sehnt sich nach der Tochter, sie durfte aber nicht hinreisen, weil Kadden sie nicht haben wollte.


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