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46. Die kluge Enkelin

Der Spazierritt war nur in der Nähe des Gartens versucht und glücklich abgelaufen. Jetzt war Elisabeth dabei, für die Gesellschaft alles schön zu machen und anzuordnen, als sie plötzlich die Schimmel vor dem Hause erblickte.

Es waren die Großeltern – zur Freude der ganzen Familie. Sie wurden begrüßt und hinauf geführt, und erfuhren gleich die bevorstehende Gesellschaft. Die Großeltern erzählten dagegen, daß sie Elisen und Schlössers anmelden sollten. Nach näherem Ueberlegen ergab es sich, daß sie mit der nächsten Post ankommen müßten, und da es ungefähr jetzt die Zeit war, griff Kadden schnell zur Mütze, um nach der Post zu eilen und die Ankommenden dort zu begrüßen.

Es ist recht hübsch von ihm, daß er gleich hingeht, sagte die Großmama zu Elisabeth, Emilie wird sich darüber freuen.

Emilie freut sich doch darüber nicht, entgegnete Elisabeth nachdenklich. Sie hat mir einen zu sonderbaren Brief geschrieben, als ich ihr damals voller Freuden Ottos Genesung gemeldet hatte. Wenn ich freudig bin, denkt sie immer, sie muß mich vor den Täuschungen des menschlichen Herzens warnen, sie will durchaus nicht, daß ich meinen Mann so lieb habe. Ich möchte nur wissen, was sie sich eigentlich von ihm denkt. So recht bin ich nicht daraus klug geworden.

Kennt Dein Mann den Brief? fragte der Großvater. Nein, war Elisabeths Antwort, ich habe ihn gleich verbrannt.

Laß sie nur, sagte die Großmama; ein jeder Mensch hat seine schwachen Seiten.

Ich fürchte mich jetzt gar nicht vor ihr, versicherte Elisabeth, Otto ist viel zu vernünftig. Nur kann ich ihr nicht zu Gefallen sagen, daß ich ihn nicht lieb habe, und kann ihr doch nicht verhehlen, daß ich glücklich bin. Ich hoffe aber, sie wird sich endlich überzeugen lassen.

Die Großeltern lächelten und der Großpapa sagte: Oder sie ist ein altes dummes Mädchen.

Elisabeth hörte jetzt die bekannten Stimmen vor der Thür, sie hörte die Thür klingeln und lief den lieben Gästen entgegen. Das Wiedersehen mit der Mutter war ein wirkliches Entzücken. Jetzt konnte Elisabeth ihre Augen groß und freudenvoll aufschlagen, jetzt sollte ja die Mutter nur Glück und Frieden schauen! – Emilie sah ihren Mann bedenklich an: die arme Elisabeth war noch nicht anders, sie war noch nicht enttäuscht, harmlos, kindlich, strahlend vor Glück, und Kadden, dieser seltsame Mann, der war heut eben so.

Als die ersten Begrüßungen vorüber waren und sie nun um den Kaffeetisch Platz nehmen wollten, trat Kadden mit Elisabeth zu seiner Schwiegermutter und sagte scherzend: Nun liebe Mutter, sieh uns ordentlich an: sind wir nicht beide wieder jung und frisch geworden?

Ja, sagte der Großpapa harmlos, das Leben bringt gesunde und kranke Tage, Ihr Lieben habt es gleich recht im Anfang durchgemacht.

Als ich Sie ungefähr vor einem Jahr sah, wandte sich Schlösser freundlich zu Elisabeth, da waren Sie recht elend.

Mit Gottes Hilfe ist alles hinter uns, entgegnete Elisabeth mit ihren eigenthümlich warmen Blicken.

Unbegreiflich! dachte Emilie, jetzt wollen sie alles auf die äußerliche Krankheit beziehen, selbst mein Mann stimmt ein.

Sie kommen aber heut auch alle wie eingeladen, fuhr Kadden fort: Sie können sehen, daß wir wieder lebenslustig sind, wir haben heute Abend große Gesellschaft.

Emilie sah ihren Mann wieder ernsthaft an, der aber ganz unbegreiflicher Weise entgegnete harmlos: Nicht wahr, Emilie, das lassen wir uns gefallen? Wir haben den Winter sehr einsam gelebt, wir wollen mit Ihnen lebenslustig sein. – Kadden setzte sich zu ihm und erzählte von den zu erwartenden Gasten.

Wahrend dessen stand Elisabeth, ihre beiden Kinder an der Hand, vor Emilien. Sie hatte so viel Liebes und Schönes von ihnen zu erzählen, und Emilie war auch wirklich herzlich bewegt von den lieblichen Kindern. Zu ihrem Erstaunen mußte sie aber bald sehen, daß Kadden, ganz wie damals bei dem Brautbesuch, Elisabeth verstohlen seine Hand hinhielt und diese an seine Seite eilte. Elisabeth hätte ihr nur vorher noch versichern müssen: Solch ein Glück habe sie sich nicht träumen lassen! dann wäre es dieselbe Szene gewesen.

Hatte es Kadden darauf abgesehen, heute Elisabeth, wie er es als Bräutigam gekonnt, mit einer kleinen Krone zu schmücken? Heuchelei war das wirklich nicht; den Vorwurf hatte er noch nie verdient: nein, er schien im Gegentheil sich nur immer noch zurückhalten zu wollen, aber alles, was er von ihr sagte, war ein Lob. Er erzählte, daß sie ihm zu Gefallen wieder geritten habe, trotz dem Schrecken, den er ihr im vergangenen Jahre wegen der Windmühlenflügel machte, und erzählte auch harmlos die Geschichte von damals.

Das war auch Unrecht, versicherten Elise und die Großmama.

Ja wirklich! fügte Emilie hinzu.

Er hat mir aber heute versichert, bei ähnlicher Gelegenheit will er es wieder thun, sagte Elisabeth ganz vergnügt.

Auch wenn es Dir so unangenehm ist? forschte Emilie.

Ja, freilich, entgegnete Elisabeth; aber siehst Du, liebe Emilie, wandte sie sich in einem sehr zuversichtlichen belehrenden Ton zu der Forschenden: wenn wir etwas unangenehm finden, was unseren Männern lieb ist, so giebt es keinen anderen Ausweg und keinen kürzeren Ausweg, wir müssen es auch angenehm finden. Es ist allerdings nicht leicht, aber doch nicht so schwer als es scheint, und dann ist es einmal nicht anders.

Emilie versuchte zu lächeln. Sie schaute ihren Mann dabei nicht an, sie hätte ihn an nicht sehr glückliche Versuche erinnern können. Freilich hatte sie sich wirklich seinen Wünschen gefügt, hatte in der ersten Zeit ihre Lieblingsarbeiten aufgegeben, und würde sich auch jetzt nie entschlossen haben, irgend die Vorsteherin eines Vereines zu werden, obgleich sie in aller Stille thätig war, und in aller Stille durch ihren Einfluß sich viele Dinge gestalteten. Sie that das aber in einer gewissen Resignation, sie hätte nie wie Elisabeth harmlos darüber scherzen können, ja sie hatte ihren Mann einmal feierlich gebeten, diese Sache nie zu erwähnen. Es blieb ein wunder Punkt in ihrem Herzen, von dem sie immer noch hoffte, ihr Mann würde endlich ihr Märtyrerthum anerkennen und ihr gerührt nachgeben. So war es nicht nur in der einen Sache, es war auch in vielen Kleinigkeiten, die das Leben brachte, so: sie fügte sich ihrem Manne mit großer Selbstüberwindung, aber er konnte immer durchfühlen, daß sie etwas vollbracht hatte, und beider Herzen wurden dabei nicht warm. Elisabeths wirkliche Freude am Nachgeben, ihre Zuversicht, daß es einmal nicht anders sei, fiel auf ihr Gewissen.

Als jedoch die Großmama scherzend zu ihrer Tochter sagte: Nicht wahr, Elise, von der jungen Frau könnte man selbst noch lernen? – konnte Emilie nicht schweigen, und zwar mit einem Versuch zum Scherz sagte sie:

Das würde aber ein sehr einseitiges Verhältniß sein, wenn der Mann immer Recht und die Frau immer Unrecht haben soll; die Männer müssen endlich konfus werden, was überhaupt Recht und Unrecht ist.

Die Sache ist doch nicht ganz so, wie sie scheint, nahm der Großvater das Wort: eine Frau hat entweder mit einem vernünftigen oder mit einem unvernünftigen Manne zu thun. Ein vernünftiger Mann wird immer sein Unrecht einsehen, wenn er auch nicht immer in der Stimmung ist, es gleich auszusprechen; die Stimmung geht aber vorüber und er wird es dann eingestehen.

Und wenn er es einmal vergißt, fiel die Großmama ein, so nehmen wir auch mit dem guten Willen fürlieb, weil wir wissen, daß wir einen vernünftigen Mann haben.

Richtig, fuhr der Großpapa fort, jedenfalls ist es besser, man macht uns nicht aufmerksam darauf, es müßte denn auf eine sehr liebenswürdige und freundliche Art sein.

Es darf nie persönlich werden, fiel die Großmama ein, man darf aber wohl allgemeine Bemerkungen machen.

Ja, allgemeine Bemerkungen, versicherte Kadden, das versteht Lieschen auch recht gut. – Die Großmama nickte ihr freundlich zu.

Nun wollt ich den zweiten Punkt betrachten, fuhr der Großpapa fort, wenn eine Frau einen unvernünftigen Mann hat. Das ist freilich traurig, und die Frauen, die nicht so unglücklich sind, können dem Herrn alle Tage dafür danken; aber am besten ist es auch da, die Frauen geben den Männern Recht.

Die Großmama scherzte, daß dieser zweite Punkt für sie alle von keiner Bedeutung sei; das Gespräch wurde von den andern scherzend weiter geführt. – Elisabeth war sehr vergnügt dabei, sie hörte nur Lob, und das war ihr, weil es wahrscheinlich nicht nur eine Eigenthümlichkeit der Männer, sondern auch der Frauen ist, sich lieber loben als tadeln zu lassen, sehr angenehm.

Emilie konnte indessen durchaus nicht über das einseitige Verhältniß fortkommen. Eine denkende Frau kann nicht immer nachgeben, dachte sie, es ist von Männern ein entsetzlicher Egoismus, das zu verlangen. Elisabeth ist unbegreiflich, daß sie es kann, daß sie dabei so vergnügt ist. Der Zufall wollte es aber, daß Emilie in der Art heute noch mehr geprüft wurde.

Der kleine Friedrich, der eine ganze Zeit mit einem Bleistifte bewaffnet an einem Tischchen gesessen, reichte jetzt seinem Papa ein Papier und flüsterte: Nun schenke das Bild meiner Großmama. Seine Großmama aber war Elise, er wollte sich erkenntlich beweisen für eine große Zuckertüte, mit der sie sich bei ihrem kleinen Liebling wieder eingeführt und bekannt gemacht.

Der Junge hat einen vortrefflichen Zeichenmeister, sagte Kadden, indem er seiner Schwiegermutter das Bild reichte, und den kleinen scheuen Geber auf seinen Schooß nahm.

Das ist ja das Bild aus unserer Kinderstube! sagte Elise im höchsten Vergnügen.

Gieb es mir, unterbrach sie der Großpapa, wenn es das ist, dann kann ich es am besten beurtheilen. – Er nahm es in die Hand und nahm zugleich Friedrich zu sich. Elise aber bewunderte mit dem Vater das Bild, der dann mit dem kleinen Künstler eine ernsthafte Unterhaltung anknüpfte.

Richtig, da ist der runde Berg mit den runden Büschen. Die Büsche hast Du gemacht, sagte er zu dem Kleinen. – Dieser nickte sehr einverstanden. – Da sind die beiden Pappeln, die Striche hast Du auch darin gemacht, fuhr der Großvater fort, es ist ein üppiger Wuchs.

Der erste ist aber ein Weihnachtsbaum, unterbrach ihn der Kleine.

Das ist deutlich zu sehen, versicherte der Großpapa, und eine Sonne läßt Du Deiner Großmama scheinen, die Strahlen sollen ihr schon gefallen. Und welch, ein herrlicher Rauch! Ueber die Fensterformen ist der Junge entschieden noch nicht einig gewesen.

Der Kleine nickte wieder sehr einverstanden und zeigte nun dem Großpapa, was alles die Mama an dem Bilde gemacht habe: das Haus, das Mädchen mit den Gänsen, und überhaupt alle dünnen Striche.

Ja, ja, versicherte der Großpapa, Du hast eine geschickte Mama, ich darf hoffen, sie erreicht einmal meine kluge Großmama.

O, sagte Kadden, Elisabeth hat in diesem Winter alle schönen Künste wieder hervorgeholt, und ich mit ihr, wir lesen Englisch zusammen und spielen Clavier.

Englisch lest ihr? sagte Elise erfreut, das ist gut! So verlernt es Elisabeth nicht, und die theuren Stunden sind nicht vergebens gewesen.

O nein, entgegnete Elisabeth stolz, ich werde meine Kinder bald selbst unterrichten.

Wie war es denn? fragte der Großpapa: als Brautleute habt Ihr auch zusammen gelesen.

Das haben wir, entgegnete Kadden. Damals haben wir es gelassen, weil wir uns wegen unserer Aussprache nicht einigen konnten. Mein Englisch muß sich in der Zeit wahrscheinlich erholt haben, es ist besser geworden, meine Lehrerin ist jetzt sehr mit mir zufrieden. – Elisabeth ward etwas verlegen, der kluge Großpapa sah sie zu forschend an. – Augenblicklich aber kommt mir die Sache verdächtig vor, fuhr Kadden fort, ich fürchte sie ist nicht ehrlich mit ihrem Lob. Beim Clavierspielen habe ich mich auch schon oft beklagt, daß sie nicht wahrheitsliebend ist: wenn wir aus dem Takt kommen, ist sie gleich bei der Hand zu behaupten, sie habe sich wahrscheinlich verzählt; und wenn ich zu auffallend der Schuldige bin, versichert sie, ich habe eine besonders schwere Stelle, sie hätte langsamer spielen müssen. Ich habe mir aber vorgenommen, mir das ernstlich zu verbitten, man wird endlich ganz konfus. Wenn sie nun wirklich falsch spielt und die Schuld hat, dann fürcht ich doch immer, sie sagt nur so, und ich komme nie zu meinem Recht.

Da haben wir es, sagte der Großpapa, jetzt merke ich, daß ich nicht allein eine kluge Frau habe.

Aber jetzt merke ich, fuhr Kadden fort, daß es alles Absicht war; denn heute hat sie mir offen den Vorschlag gemacht, wir wollten uns gegenseitig nur loben.

Nein, versicherte Elisabeth erröthend, ich habe gar nichts beabsichtigt, ich habe immer nur gethan, was mir gerade am liebsten war zu thun, und der Gedanke, daß wir uns lieber gegenseitig nur loben wollen, ist mir auch heute zum ersten Mal eingefallen.

Der Gedanke ist so übel nicht, sagte der Großpapa.

Ich habe doch Recht, fuhr Elisabeth zum Großpapa gewandt, scherzend fort: Männer können keine Vorwürfe vertragen; ja, wenn sie unfreundlich sind, und man sagt es, wird die Sache gewöhnlich bedenklicher.

Lieschen! warnte Kadden.

Nein, beruhigte ihn der Großvater, jetzt ist sie im vollen Rechte: sie spricht in allgemeinen Bemerkungen, wer sich nicht getroffen fühlt, braucht sich das nicht anzuziehen; denn es giebt immer löbliche Ausnahmen von der Regel.

Wahrend man darüber scherzte, blieb Emilie ganz ernsthaft. Obgleich sie sich auch weit lieber loben als tadeln ließ, konnte sie den Gedanken nicht fassen: was soll daraus werden, wenn sich diese beiden Leute nur loben wollen?


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