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42. Die Welt dreht sich mit dem Winde

Am anderen Morgen war Stottenheim bei Bonsaks. Er fühlte sich auch nicht recht wohl, er hatte aber eben vor der Thür vom Doctor, der eilig an ihm vorbei lief, gehört, daß Kadden gefährlich krank sei. Er fragte, ob man hier schon etwas davon wüßte. Nein, die Damen hatten nichts gehört, der Oberst war heute noch kaum bei ihnen gewesen.

Das Schicksal scheint den armen Kadden wirklich mit seinen Unglückspfeilen zu verfolgen: nun liegt er gar krank, ohne Pflege, ohne Behaglichkeit, ich werde nur hin müssen und den Burschen etwas anweisen. Ich bin aber überzeugt, daß nur seine Gemüthsbewegungen, seine Kämpfe ihn krank gemacht haben.

Warum er sich nur so lange hinquält! sagte die Oberstin. Er ist sonst so entschieden, so männlich. Warum er keinen Entschluß fassen kann!

Adolfine saß mit einer Handarbeit beschäftigt sehr schweigsam.

Meine gnädige Frau, begann Stottenheim belehrend, die Sache ist für ihn wirklich nicht gering. Soll ich Ihnen gestehen, daß ich sogar, wenn ich mich in seine Stelle versetze, noch schwanke, was zu thun oder zu lassen?

Wie so? fragten die Damen.

Ich meine eben, wenn ich mich in seine Stelle versetze, fuhr Stottenheim fort; die Ansichten dieser Leute haben wirklich etwas Hinreißendes. – Cäzilie sah ihn einverstanden an. – Von der anderen Seite wieder betrachtet, hat er die volle Gewißheit eines unglücklichen Lebens vor sich. Nun denken Sie den Kampf, in welchem der arme Mensch sich befindet.

Ich glaube nicht, daß er sich scheiden läßt, sagte Cäzilie.

Wenn nicht – ja wenn nicht etwas den Ausschlag giebt, flüsterte Stottenheim.

Was den Ausschlag giebt? fragten die Damen.

Ich glaube, ich darf nicht darüber reden, entgegnete Stottenheim achselzuckend.

Das machte die Damen nur noch neugieriger, und Stottenheim war nicht hartherzig, auch war er ja hier im vertrautesten Kreise: Ich fürchte, sagte er, daß er eine andere Neigung im Herzen hat.

Eine andere Neigung? wiederholten die Damen im höchsten Erstaunen; nur Adolfine schwieg beharrlich.

Sie glauben nicht, mit welchem Entzücken er von Wangeroge spricht, fuhr Stottenheim bedenklich fort, von dem Umgang dort, bei dem eine liebenswürdige junge Frau und ein sechzehnjähriges blühendes Mädchen die Hauptpersonen waren. Welche von den beiden Damen es ist, weiß ich wahrhaftig noch nicht, aber ich versichere Sie, sein Herz ist in eigenthümlicher Bewegung, ich möchte sagen: gerade so wie vor seiner Verlobung.

Man hat ja ähnliche Dinge oft genug erlebt, versicherte die Oberstin.

Er thut mir aber doch herzlich leid, sagte Stottenheim, ich bitte Sie, was soll daraus werden! Den letzten schönen Tag, wo wir jetzt zusammen im Quartier lagen, war er den ganzen Nachmittag verschwunden. Er kam zurück, er war den ganzen Abend mit mir allein, aber er war wie in einem Traume und hat sich eigentlich nur mit einem zarten Feldblumen-Sträußchen unterhalten, wenn er auch glaubte, mit mir zu reden.

Ich begreife gar nicht, warum Ihr Euch den Kopf so zerbrecht, nahm Adolfine jetzt dreist das Wort: er wird in seine Frau verliebt sein! – Ein allgemeines Gelächter war die Antwort. – Adolfine sah herausfordernd um sich. Habt Ihr Kadden je etwas thun sehen, was die Menschen von ihm erwarten? fuhr sie fort; nein, er gefällt sich gerade im Gegentheil.

Adolfinens Ausspruch wurde noch herzlich komisch gefunden, und Stottenheim entfernte sich, um nach des verlassenen Freundes Pflege zu sehen.

Im Vorsaal von Kaddens Wohnung traf er den Burschen und fragte schnell: Was macht Dein Herr?

Er ist sehr krank, entgegnete der Bursche leise.

Habt Ihr denn ordentlich für ihn gesorgt? Wo liegt er denn? fragte Stottenheim weiter.

Wir haben sein Bett hier in die allerschönste Stube gestellt, entgegnete der Bursche und zeigte auf die nächste Thür, mein Bett auch; aber ich habe die ganze Nacht gar nicht geschlafen, ich habe ihm immer die Medizin gegeben.

Stottenheim nickte zufrieden und unterbrach des Burschen Erzählung, indem er die Thüre des Krankenzimmers leise öffnete und eintrat. In der größten Betroffenheit aber blieb er an der geöffneten Thüre stehen. – Da lag Kadden, bleich, mit geschlossenen Augen, in den weißen Kissen; auf einer Fußbank am Bett saß seine Frau, sie hatte ihres Mannes herabhängende Hand gefaßt und ruhte mit ihrer Wange daran, gleichfalls mit geschlossenen Augen. – Er trat schnell wieder zurück, schloß leise die Thür, er mußte sich erst besinnen. Er war völlig aus der Contenance.

Elisabeth schlug aus einem leichten schlummerartigen Ruhen ihre Augen auf, als sie die Thür sich wieder schließen sah. Sie ging leise hin, um zu sehen wer da war. Sie sah freundlich in Stottenheims betroffenes Gesicht und bat ihn einzutreten. Jetzt schlug auch Kadden die Augen auf. Stottenheim, der mit Elisabeth an das Bett getreten, erkundigte sich nun theilnehmend nach des Freundes Befinden.

Nicht gut fühle ich mich heute, sagte Kadden mit kurzem Athem.

Ich habe Dir es aber in der ganzen letzten Zeit angesehen, daß Du unwohl warest, versicherte Stottenheim.

Da war ich aber nur vor Sehnsucht nach meiner Frau krank, sagte Kadden mit einem leichten Lächeln und nahm Elisabeths Hand.

Wahrhaftig? ja wahrhaftig! stotterte der gute Freund.

Erkundige Dich doch auf der Post nach einem Brief, den ich dem Oberamtmann Wiebert zu besorgen gab, der für meine Frau war, sagte Kadden.

Sprich nur nicht, bat Elisabeth. Man sah es, wie schmerzhaft ihm das Sprechen war.

In dem Augenblick trat der Doctor ein, er sah bedenklich auf Stottenheim und sagte: Ich muß jetzt den unartigen Doctor spielen und mir jeden Besuch verbitten, jetzt ist Langeweile und Ruhe das Beste für meinen Patienten. – Stottenheim nickte einverstanden. Er reichte Kadden die Hand und verließ leise das Zimmer.

Als er zum Hause hinaus war, eilte er mit raschen Schritten nach Bonsaks. Nein, so etwas war noch nicht da gewesen! sein gutes Herz wußte nicht, ob es sich freuen oder ärgern solle, aber aussprechen wenigstens mußte es sich. Er fand die Damen Bonsaks noch ebenso versammelt, der Oberst war auch bei ihnen.

Was werden Sie dazu sagen, begann er sogleich, als er in das Zimmer trat und sein gewöhnliches höfliches Grüßen darüber vergaß: Fräulein Adolfine hat Recht!

Adolfine war feuerroth geworden und versuchte eine triumfirende Miene anzunehmen; es ging nur nicht recht.

Worin hat sie Recht? fragte der Oberst.

Kadden hat uns alle an der Nase herumgeführt, fuhr Stottenheim fort, und schilderte nun sehr blühend die ganze rührende, Scene, die er jetzt erlebte. Ich sage Ihnen, das Bild war herzbewegend. »Vor Sehnsucht nach meiner Frau bin ich krank gewesen,« sagte er, und wahrhaftig, es war sein Ernst. Und ich sage Ihnen, die junge Frau – so lieblich und hold und verlegen stand sie vor mir, dieselbe Erscheinung als damals, wo sie zum ersten Mal mit den Großeltern Ihnen einen Besuch machte.

Es ist eine gute, liebe Frau, sagte Cäzilie.

Aber wie in aller Welt kann denn ein solches Gerücht mit dieser Bestimmtheit ausgesprochen werden? fragte der Oberst ziemlich verlegen.

Der Oberamtmann Wiebert trägt jedenfalls die Hauptschuld, entgegnete Stottenheim, diese Nachrichten aus Wangeroge –

Dieses sechszehnjährige blühende Mädchen, fiel Adolfine spöttisch ein.

Mein Fräulein, sagte Stottenheim etwas gereizt, wir haben uns alle in dieser Geschichte nichts vorzuwerfen, wir wollen uns aber wahrhaftig darüber freuen, daß es so und nicht anders ist.

Beruhigt, Euch, sagte die Oberstin kopfschüttelnd, etwas muß an der Sache doch gewesen sein.

Sie sagten aber selbst, wandte sich jetzt Cäzilie zu Herrn von Stottenheim, daß Ihnen Ihr Freund versicherte, er wollte lieber sein Leben lang mit seiner Heftigkeit und Rohheit kämpfen, als seine Frau weniger zartfühlend wissen, das hat mir sehr gefallen von ihm.

Ja, ja, das hat mir auch gefallen, entgegnete Stottenheim.

Da ist er vielleicht in der letzten Zeit, fuhr Cäzilie fort, wo seine Frau krank war, immer traurig und verstimmt über sich selbst gewesen, daß er nicht zart genug mit ihr sein konnte.

Wahrhaftig, sagte Stottenheim, Sie haben Recht, Fräulein Cäzilie! Das ist ihm zuzutrauen.

So scheint er doch nicht aus Schaam und Verlegenheit gegen Sie geschwiegen zu haben? nahm Adolfine wieder spöttisch das Wort.

Stottenheim rückte unruhig auf dem Stuhl, er ärgerte sich über diese Malice; aber er konnte nichts entgegnen.

Ich begreife nur nicht, daß Sie mit ihm über diese Gerüchte nicht gesprochen haben, sagte Cäzilie.

Ja natürlich habe ich das, aber in dieser Hinsicht besitzt der Mensch eine herrliche Ruhe. Er hat mir eigentlich nichts entgegnet als: die Welt sei verwirrt. Jetzt ist es mir klar, es hat ihm förmlich Vergnügen gemacht, die Leute zu beschäftigen und sie, so zu sagen, anzuführen. Er wird aber wahrhaftig nächstens Gelegenheit nehmen, von der Freundschaft der Welt zu reden.

Er hat eigentlich Recht, sagte Cäzilie; mit welchem Vergnügen ist überall von dem Ereigniß gesprochen.

Vergnügen? Nein, sagte Stottenheim, ich wenigstens nicht.

Mit welchem Eifer wenigstens, verbesserte Cäzilie.

Eifer, nun ja, der Eifer galt aber nicht Kadden, er galt eigentlich mehr der religiösen Richtung, die sein Glück bedenklich machte.

Nun bitte ich Euch, Kinder, begann der Oberst, sprecht zu niemanden weiter davon. Es ist das Klügste, man thut als ob nichts gewesen sei; denn Ihr wißt, wer sich entschuldigt, beschuldigt sich.

Ja natürlich, versicherte Stottenheim, nichts, gar nichts muß man sich merken lassen, darum bin ich eben zu Ihnen gekommen. Kadden aber, das versichere ich Sie, wird Oberwasser haben samt seinem lieben Herrn von Budmar. – Cäzilie lächelte als wollte sie sagen: Wer weiß, ob sie nicht doch das Rechte haben.

Nun Kadden mag sein wie er will, er ist mein guter Freund, sagte Stottenheim, und ich habe das gute Gewissen, wenn auch unsere Ansichten noch verschieden sind, daß ich mich immer als Freund gegen ihn benommen habe. Jetzt eile ich nach der Post, um mich für ihn nach einem Briefe zu erkundigen, der verloren gegangen ist, und an dem ihm viel zu liegen scheint.

Was für ein Brief? fragte der Oberst.

Ein Brief an seine Frau, sagte Stottenheim, der entweder auf der Post oder schon beim Oberamtmann Wiebert verschwunden ist. – Vielleicht wissen Sie etwas davon? wandte er sich unbefangen an Adolfinen.

Was! Ich? sagte Adolfine und ward feuerroth.

Ich meine nur, fuhr Stottenheim noch unbefangen fort, weil Sie länger da blieben als wir. Ich erinnere mich, daß Kadden den letzten Tag schrieb und am anderen Morgen den Brief den Oberamtmann zur Besorgung selbst übergab.

Adolfine wagte nicht aufzusehen, sie sagte, indem sie roth war bis zur Stirne: Das ist wohl möglich.

Alle sahen sie verwundert an, allen war ihr Wesen auffallend, und allen kamen sonderbare Gedanken. Stottenheim aber war auch nicht auf den Kopf gefallen, er kannte Adolfinen zu gut, es ging ihm ein Licht auf. Junge Damen sind zuweilen übermüthig, neugierig sind sie immer, sagte er beobachtend. Sollte man vielleicht aus dem Briefe gesehen haben, daß Kadden in seine Frau verliebt ist?

Ja, wahrhaftig! lachte die älteste Schwester: das ungezogene Mädchen hat den Brief gelesen.

Nun ja, sagte Adolfine entschlossen, er ist durch Zufall in meine Hände gekommen. Nicht wahr, Herr von Stottenheim, wir übergeben ihn samt dem sechszehnjährigen blühenden Mädchen der Vergessenheit? – Die Eltern und Schwestern lachten, nur Cäzilie schüttelte den Kopf.

Ich muß gestehen, ich habe mich geirrt, sagte Stottenheim gereizt.

Und irren ist menschlich, fiel der Oberst ein. Es bleibt dabei, wir thun als ob gar nichts gewesen sei.

Den Nachmittag fuhr der Oberst trotz des schlechten Wetters nach dem Oberamtmann Wiebert, um ihm mitzutheilen, daß die ferneren Verhandlungen mit dem Oberförster überflüssig seien. Der Oberamtmann war erst verwundert über des Obersten Mittheilungen, dann aber erinnerte er sich ganz genau, auch gar nichts in der besprochenen Art von Wangeroge erzählt zu haben. Seine Erzählungen konnten unmöglich diese Gerüchte veranlaßt haben. Und der Oberst versicherte darauf, daß er überhaupt an das Ganze nicht geglaubt habe.

Als der Wind von der einen Seite kam, da hatte jeder etwas vorher gesagt und gewußt und geprofezeiht und gemerkt, das war alles nicht zu verwundern. Jetzt, wo der Wind anders kam, hatte niemand viel gehört und überhaupt nichts glauben wollen. Stottenheim aber versicherte mit fester Ueberzeugung, sein Freund sei in der letzten Zeit oft so ernst und betrübt gewesen über die Krankheit seiner Frau, und weil er mit der kränklichen Frau nicht zart genug umgehen konnte. Das war wirklich schön und rührend! – Es entstanden nun wieder ganz andere herrliche Gerüchte. Fräulein Amalie Keller versicherte, Kaddens wären die liebenswürdigsten und anziehendsten Leute ihres Kreises, und fand keinen Widerspruch bei dem aufrichtigen Wunsche, sie beide wieder, wie vor zwei Jahren, frisch und fröhlich in der Gesellschaft zu sehen.

So ist es mit dem Urtheil der Welt. Lächerlich, kindisch, springt es tappend um die Wahrheit herum; von der Gemeinheit, von der Lüge, von der Freude am Bösen, ist es ihr gar leicht, sich in weichlichen, sentimentalen und unerreichbaren Höhen zu ergehen. Wer vernünftig ist, geht durch gute und böse Gerüchte hindurch und hält sich nur an den Herrn, dem die Wahrheit unverborgen ist.


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