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27. Eine neue Bekanntschaft

Mittag wurde Elisabeth auf Johannens Rath nicht geweckt, weil sie doch nichts essen würde, als aber nach zwei Uhr der Wagen vorfuhr, ging Herr von Kadden selbst in das Schlafzimmer, sie zu wecken. Sie schlief noch fest und ihre Wangen waren geröthet. Er rief leise ihren Namen, sie that ihre Augen langsam auf, sie schaute ihn ganz freundlich und harmlos an, – ja sie hatte geträumt, es wäre alles nur ein Traum gewesen. Aber nur wenige Sekunden, da richtete sie sich schnell auf, ward feuerroth und sah vor sich nieder.

In dem Augenblick kam ihr kleiner Friedrich in das Zimmer, er lief zu ihr, schmiegte sich an ihr Knie und war sehr zärtlich. Sie legte ihre Hand auf seine Locken und sah ihn nur bange und traurig an, sie wagte ihn nicht zu liebkosen, es war ihr als ob sie ihren Mann nicht daran erinnern dürfe, daß die Frau, die er nicht mehr lieben, ehren und achten konnte, die Mutter seiner Kinder sei.

Der Kleine forderte sie zum Fahren auf, sie machte sich schnell fertig. Die Wirthin war mit ihren Leuten bei der Abfahrt zuvorkommend bei der Hand, alle betrachteten die schöne junge Frau mit Theilnahme, und fürchteten, der Stoß möchte doch wirklich ihrem Kopfe Schaden gethan haben.

Im Wagen saß das Kindermädchen wie gewöhnlich mit der kleinen Marie neben ihr, ihr Mann und Friedrich saßen ihr gegenüber. – So nahe ihm, das war zu schwer, sie mußte ihres Traumes gedenken und des Glückes, was sie bei dem Gedanken empfand: es war ja nur ein Traum! Sie konnte ihre Thränen nicht zurückhalten, so sehr sie kämpfte. Sie mußte jeden Augenblick fürchten, daß er ihr zürnend das Weinen verbot, – das hatte er ja oft genug gethan, jetzt war es kein böser Wille, wenn sie es dennoch nicht lassen konnte. Sie beobachtete ihn ängstlich, indem er mit Friedrich sprach. Als er unwillkürlich zu ihr aufblickte, sah er, wie sie so bange ihre Blicke auf ihm ruhen ließ und schnell und unbemerkt die Thränen verbergen wollte. Er saß einige Augenblicke schweigend; als aber Johanne mit den Kindern nach der Straße schaute, bog er sich zu ihr und sagte mit stockender Stimme: Eiisabeth, ich will Dich ja nicht hindern zu weinen.

Er hatte ihre Hand gefaßt und hielt sie traurig in der seinen. – Sie verbarg jetzt ihr Gesicht mit dem Taschentuch und ließ ihren Thränen freien Lauf.

Auf dem Dampfschiff ging sie gleich in die kleine Damenkajüte. Sie fürchtete sich vor Menschen, und scheute sich mit ihrem Mann zusammen zu sein. Johanne, die schon einmal mit der Frau Oberförsterin nach Nordernei gewesen war, wußte sehr schön Bescheid mit einer Dampfschiffahrt und nahm gleich für ihre Frau und für die Kinder die besten Ecken zur Nacht in Beschlag. Sie richtete sich förmlich mit ihrer kleinen Häuslichkeit hier ein, mit den Fläschchen und Betten und Spielsachen der Kinder, aber auch einen schönen Rosenstrauß nahm sie aus ihrem Korb, und stellte ihn in ein frisches Wasserglas. Elisabeth, die in einer Ecke ruhte, richtete sich auf und fragte: Was hast Du da für Rosen?

Johanne, die über diese ersten Worte, die ihre liebe Frau seit gestern Abend unaufgefordert sprach, sehr erfreut war, erzählte, daß es die von Braunhausen waren. Sie hatte sie gestern ganz schön kühl und frisch aus dem Moose genommen und in Wasser gestellt: die sollten in Wangeroge noch lange blühen, weil es auf der Sandinsel nicht viel Blumen geben sollte.

Friedrich brachte sie jetzt seiner Mama und sagte: Du mußt riechen Mama, wie schön sie riechen. Elisabeth beugte sich eben über die Blumen, als die Thür aufging. Eine Dame trat ein, eine hohe Gestalt mit großen dunkelen Augen und schönen dunkelen Haarflechten. Zwei Kinder hatte sie bei, sich, ein Mädchen von vielleicht zehn, einen Knaben von acht Jahren. – Ei, hier sind auch Kinder! sagte sie freundlich: das ist schön! wir wollen gleich für uns hier Plätze belegen.

Elisabeth hatte sich rasch abgewendet, sie hörte die Dame noch mit den Kindern plaudern, den Knaben redete sie Paul, das kleine Mädchen Annchen an, und auch dem kleinen Friedrich legte sie freundliche Fragen vor. Elisabeth war froh als Johanne sagte: Nun wollen wir oben hingehen, die Mama bleibt hier, die ist unwohl.

Das Schiff setzte sich bald in Bewegung, Elisabeth lag unter einem kleinen Fenster, sie sah das Wasser vorüber spritzen und schäumen, aber es ward ihr fast schwindelnd, sie schloß die Augen. Sie hätte gern wieder geschlafen, und weil es ihr am Morgen mit den Jugenderinnerungen geglückt war, wollte sie es damit wieder versuchen. Aber immer störte sie das eine Bild: es war als ob ihr Mann neben ihr säße, ihre Hand ergriff und traurig sagte: Ich will Dich ja nicht hindern zu weinen. Stunden vergingen so, die Thüre ward öfters aufgemacht, Leute schauten neugierig hinein, Johanne kam zuweilen und forderte sie auf, nach dem Verdeck zu kommen, weil es so schön sei; Elisabeth konnte sich nicht entschließen. Endlich, es war schon Sieben durch, da brachte Johanne die kleine Marie zur Ruhe und schilderte ihrer lieben Frau noch einmal, wie schön es oben sei, auch erblicke man schon das Meer. – Elisabeth fragte nach dem kleinen Friedrich und hörte, daß er mit dem Herrn auf dem anderen Theile des Schiffes, auf dem zweiten Platze sei, der Herr ging der wenigeren Menschen und des größeren Raumes wegen dort lieber auf und ab.

Dies bestimmte Elisabeth, die heiße Kajüte und ihr unbequemes Lager zu verlassen. Mit niedergeschlagenen Augen ließ sie sich von Johannen durch die vielen fremden Menschen führen und nahm auf einem Stuhl Platz, der ganz nahe dem Steuer nach dem Wasser hin gerichtet, stand. – Ihr Erscheinen hatte die Aufmerksamkeit der Gesellschaft erregt: wer war die junge kranke Frau? – In dem Augenblick trat ihr Mann mit dem kleinen Friedrich näher, und die Aufmerksamkeit verdoppelte sich nur. Der nachdenkliche, ernste Herr ist also ihr Mann und die niedlichen Kleinen sind ihre Kinder, flüsterte man sich neugierig zu. Kadden fühlte diese Aufmerksamkeit drückend und entfernte sich wieder.

Elisabeth hatte fast eine Stunde so gesessen, die kühle Luft that ihrem heißen Kopfe wohl, sie dachte nicht mehr an die fremden Menschen in ihrer Nähe, die auf- und abgehend ihr stilles bleiches Gesicht doch beobachten konnten, – da erschien der kleine Friedrich um ihr gute Nacht zu sagen. Die Mama war aber heute wieder wohl, sie mußte noch an sein Bett kommen und mit ihm beten, war seine Forderung. Sie versprach es und folgte ihm nach wenigen Minuten in die Kajüte.

Wie unangenehm war es, daß die fremde Dame mit den beiden Kindern schon darin war. Fast hätte sie das abhalten können, mit dem Kinde zu beten; aber Friedrich saß aufgerichtet in seinen Kissen und sah mit gefaltenen Händen wartend nach seiner Mutter. Sie bezwang sich, kniete, wie sie es gewohnt war, bei dem Kinde nieder, das andächtig seine kleinen Verse sprach. Elisabeth sagte leise: Amen, und: Behüt Dich Gott! küßte das Kind und wandte sich wieder verlegen zur Thür. – Hier stand die Dame mit den Kindern; sie hatten alle drei die Hände gefaltet und sahen gerade so natürlich und andächtig aus, als ob sie nichts Besonderes und Auffallendes mit angehört hätten. – Sie eilte die Treppe hinauf, sie hatte sich vorgenommen, die ganze Nacht wo möglich oben zu bleiben, so wohl gefiel es ihr hier; auch fürchtete sie sich vor der Dame, die in ihren Augen so etwas Fragendes und doch Theilnehmendes hatte, daß sie sich fast beunruhigt dadurch fühlte.

Als sie wieder auf das Verdeck kam, fand sie leider ihren Stuhl besetzt, sie mußte sich auf eine Bank setzen, und wandte sich so gut als möglich dem Meere zu. Ihr gegenüber saß ihr Mann, – er hatte sie nicht kommen sehen, er schien auch die neugierigen Leute um sich herum vergessen zu haben, – mit dem Arm auf die Brustwehr gelehnt, schaute er mit kummervollen Blicken in das Wasser. Der Gedanke: ob sie aber auch bei dir bleiben will, und ob du sie dazu zwingen möchtest? quälte seine Seele.

Als die Sterne schon einzeln am Himmel auftauchten und viele von den Reisenden in der Kajüte sich einen Ruheplatz gesucht, saß am Kajütendach gelehnt die Dame mit den dunkelen Augen und den dunkelen Haarflechten, neben ihr ein hoher stattlicher Herr, ihr Gemahl. Herr Ernst von Hohendorf war sein Name.

Du kannst es mir glauben, flüsterte die Frau, sie sind beide unglücklich, seit beinah zwei Stunden sitzen sie sich so theilnahmlos gegenüber, man muß Mitleid mit beiden haben, ich weiß nur noch nicht, für wen das meiste.

Herr von Hohendorf lächelte. Du kannst glauben, liebe Anne, sie sind beide seekrank, sagte er, gerade dann sitzt man sich so theilnahmlos und elend gegenüber.

Wie kannst Du über die Leute nur noch scherzen! zürnte Frau Anna.

Ich bin überzeugt, daß die andern Leute eben so denken als ich, und daß Du die einzige bist, die sich eine so interessante Reisegeschichte daraus macht.

Nein, ich weiß es noch besser, unterbrach sie ihn schnell: Du willst mir nur den Gefallen nicht thun und mit dem Herrn ein Gespräch anknüpfen.

Ein unzufriedenes Zucken ging über das Gesicht des Mannes, aber er sagte doch wieder lächelnd: Soll ich hingehen und ihn fragen, warum er traurig ist, ihn bitten, daß er mir seinen Kummer mittheilt?

Nein, das sollst Du nicht, entgegnete sie eifrig. Du sollst überhaupt nichts, fügte sie sanfter hinzu, ich glaubte nur, Du könntest ein oberflächliches Gespräch mit ihm anknüpfen, da sie auch nach Wangeroge gehen, und es Leute sind, mit denen wir dort verkehren werden.

Verkehren werden, wirklich? unterbrach er sie wieder lächelnd.

Ja, gewiß, sagte sie, ich habe mir es wenigstens vorgenommen.

Wenn Du Dir etwas vorgenommen hast, so ist die Sache freilich bedenklich, war seine Antwort.

Ich weiß nicht, begann sie jetzt, indem sie seine Hand nahm und ihn nachdenklich ansah, ich muß doch heute etwas in meiner Art und Weise haben, was Dich immerfort zum Widerspruch reizt.

Er schüttelte den Kopf und sah sie liebreich an.

Ich bin von der Reise aufgeregt, sagte sie, das weiß ich wohl; Du vielleicht auch? fragte sie lächelnd. Aber lieber Ernst, ich meine nur, wir werden Umgang mit ihnen haben, wenn Du es wünschest. Weil wir aber schon vorher darüber sprachen, ob wir gläubige Freunde finden würden, so versteht es sich von selbst, dachte ich, daß wir Bekanntschaft mit ihnen machen. Du hättest sollen die junge Frau vorhin mit dem Kinde beten sehen, so würdest Du nicht zweifeln, daß sie zu uns gehören. Dieser Gedanke nimmt mir gleich jedes fremde Gefühl, und wenn Du es mir erlaubst, will ich wenigstens mit der Frau ein Gespräch anknüpfen.

Ich erlaube Dir zu thun, was Du doch nicht lassen kannst, sagte er freundlich, ich werde auch gleich darauf Deinem guten Beispiel folgen und einen Versuch bei dem Herrn machen.

Anna sah ihn dankbar an und wandelte dann nach der Seite hin, wo Elisabeth saß.

Sie setzte sich unbefangen zu ihr und sagte: Unsre lieben Kinder schlafen alle sehr süß.

Sie sind müde von der Reise, entgegnete Elisabeth verlegen und ohne aufzusehen. Es entstand eine Pause. Wie wunderbar es ist, diese immer herrollenden Wogen zu beobachten, sagte Anna. – Elisabeth nickte. – Sehen Sie das Meer auch zum erstenmal? fragte Anna weiter. – Elisabeth antwortete ebenso, aber schlug die Augen dabei auf. – Ich weiß noch nicht, fuhr Anna fort, in welche Stimmung es mich versetzt, erst hatte dies Unendliche, Unaufhörliche meinem kleinen armen Herzen etwas Beengendes. – Elisabeth nickte wieder und sah prüfend in die schönen vertrauenerweckenden Augen der freundlichen Frau. – Ich dachte mir, fuhr diese unbefangen fort, wenn ich dort auf einer kleinen Sandinsel Schiffbruch gelitten, und getrennt wäre von allen, die mein Herz liebt, und müßte dies Rauschen mit meinem sehnsuchtsvollen Herzen hören.

Elisabeth sah unwillkürlich nach ihrem Mann, sie hatte doch seltsamer Weise auch gedacht: wenn das Schiff sie fort trüge in diese grenzenlose Ferne, und sie müßte was sie liebte zurücklassen.

Anna verstand den Blick, Elisabeths große kindliche Augen konnten so lebhafte Empfindungen nicht verbergen. Nicht wahr? sagte Anna, wenn man bei sich hat, was man lieb hat, da däucht dies Rauschen und dies Aufschwellen und immer Wiederkehren der Wogen der Seele ganz anders, sie fühlt darin das unermeßliche und nicht zu umfassende und immer neue und immer reiche Anwogen der Gnade und Barmherzigkeit des Herrn. – Elisabeth nickte wieder, sie kniff aber die feinen Lippen so fest aufeinander und ihre Augen standen voll Thränen. – Mit großer Wärme sagte Anna: Wo die Gnade und Barmherzigkeit des Herrn uns umrauscht, da ist wohl Trost. Elisabeth stand schnell auf und sah über die Brüstung in das Meer, zu gleicher Zeit aber reichte sie der liebreichen Frau unwillkürlich die Hand. Eine Theilnahme in diesem Sinne that ihrem einsamen verlassenen Herzen wohl, ihr Abwenden sollte nicht mißverstanden werden.

Die Dämmerung war tiefer und auf dem Schiff war es immer stiller geworden. – Wollen wir jetzt nicht hinab zu unsern Kindern gehen? fragte Anna freundlich.

Ach nein, entgegnete Elisabeth hastig, ich will hier bleiben, hier oben ist mir weit wohler.

Anna machte noch einige Versuche sie zum Hinabgehen zu bewegen, sie fürchtete die kalte Nachtluft für ihre zarte Gesundheit. Elisabeth aber schüttelte den Kopf und ließ sich nicht bewegen. Da gingen noch einzelne Damen umher und andere saßen auf den Bänken, sie war also nicht allein.

In dem Augenblick traten die beiden Herrn näher. – Sie waren beide nicht geeignet schnelle Bekanntschaften zu machen, und Herr von Kadden wäre vielleicht noch abgeschlossener gewesen, wenn er nicht die Frau dieses Herrn so gütig gegen seine Kinder gesehen und ebenso jetzt gegen seine Frau. Herr von Hohendorf hatte ihm gesagt: da ihre Frauen und Kinder zusammen Bekanntschaft machten, und sie beide Wangeroge zum Ziele hätten, wollte er sich ihm vorstellen. Kadden hatte ihm darauf seinen Namen genannt und beide hatten von gewöhnlichen Dingen gesprochen. – Sie traten jetzt zu den Damen, Herr von Hohendorf etwas neugierig, denn er hatte sich vollständig überzeugt, daß Herr von Kadden nicht seekrank war, und daß seine kluge Frau ein rechter Seelendurchschauer war. Die Herren wurden den Damen vorgestellt, dann rieth Herr von Hohendorf, sie möchten hinab in die Kajüte gehen. Anna berichtete Elisabeths Entschluß, die Nacht hier zu bleiben.

Du gehst doch wohl lieber hinab, sagte Herr von Kadden ruhig, Du würdest Dich hier erkälten.

Elisabeth entgegnete kein Wort, sie griff nach einer Decke, die auf der Bank lag, und wollte sich gleich entfernen, weil der fremde Herr so beobachtend seine Blicke auf sie gerichtet hatte. Herr von Kadden merkte ihre Absicht und sagte freundlich: Du solltest erst noch Thee trinken, Du hast nicht zu Abend gegessen.

Nicht zu Abend gegessen? fragte Anna verwundert.

Ich hatte so Kopfweh, sagte Elisabeth leiser zu ihr gewendet, ich trinke auch lieber Wasser.

Indem brachte der Kellner den bestellten Thee und setzte ihn auf ein nahes Tischchen.

Anna wandelte mit ihrem Gemahl dem Steuer zu, sie schauten nach dem Sternenhimmel über sich und nach dem Himmel, der im Wasser glänzte, und Anna flüsterte leise: Sieh nur, wie wunderbar dies Paar ist: wie besorgt reicht er ihr den Thee, und sie trinkt ihn aus wie ein Kind, nur weil er es verlangt.

Ist sie vielleicht etwas geistesschwach? fragte er nachdenklich.

O nein, fiel Anna lebhaft ein, das ist sie gewiß nicht. Nein, ich will Dir sagen, sie haben sich gezankt.

Herr von Hohendorf müßte wieder lächeln. Weißt Du auch vielleicht wer von beiden die Schuld hat?

Nein, das weiß ich nicht; aber richtig ist es. Sie ist unglücklich, und wenn es nicht diesen Grund hätte, würde ihr Mann theilnehmend sein.

Allerdings ein einfacher Schluß, sagte Herr von Hohendorf, und sie fuhr fort: Schuld haben sie wahrscheinlich beide, aber die Frau thut mir mehr leid; ein Mann fühlt seine Schuld nie so drückend als eine Frau.

Liebe Anna! mahnte ihr Mann.

Ich spreche nur so, fügte sie seufzend hinzu, weil ich meistens die größte Schuld habe, und es giebt doch kein größeres Unglück, als den Kummer über eigene Schuld. – Herr von Hohendorf hatte zur Antwort ihre Hand ergriffen und seinen Arm um ihre Schulter gelegt. – Wenn man einen Mann hat, der darüber steht und einem wieder heraushilft aus dem Elend, fuhr Anna leise fort, das ist wohl gut, aber das verstehen die wenigsten Männer.

Die Frau dauert mich sehr, begann sie wieder, und man muß Gelegenheit finden, zu ihm von vernünftigen Männern zu reden.

Liebe Anna! warnte ihr Mann.

Sei nicht bange, fiel sie lächelnd ein, ich weiß doch wohl, wie man sich mit Herren in Acht nehmen muß.

Elisabeth hatte den Thee schnell getrunken und eilte nach der Kajüte; sie fürchtete doch eine Unterhaltung mit Frau von Hohendorf. Ihr Mann trug ihre Decke und begleitete sie bis an die Thür. Er reichte ihr die Hand und sagte: Gute Nacht. Ihr banges Herz konnte aber dies Gute Nacht nicht erwidern; ihre Brust war wie zugeschnürt, und als er ihr die Hand reichte, hätte sie nur weinen mögen.

Sie lag schon, als Frau von Hohendorf leise eintrat und neben ihren Kindern ihren Ruheplatz nahm. Elisabeth sah durch das Fenster die Sterne blinken, sie hörte das Wasser rauschen, und fühlte sich von den Wogen auf- und abgetragen. Sie hätte sich gern wieder mit Jugenderinnerungen in den Schlaf gebracht, das ging aber nicht; es war einmal geglückt und hatte jetzt den Reiz verloren. – Doch war es auch bei dem Betrachten der Gegenwart nicht mehr so gedankenlos grau in ihr und über ihr, sie konnte ihr Unglück überlegen. Sie gedachte ihrer Brautzeit, wie sie bewundert war und verwöhnt wie eine Königin, sie gedachte des schönen Maienmorgens ihrer Verlobung, und ihres Muthes, ihrer Zuversicht zu einem unveränderten Glück in Freude und Herrlichkeit. Jetzt sah sie die Trümmer dieses Glückes in ihrer entsetzlichen Demüthigung. O wie bitter war das doch, wie entsetzlich! Lieben konnte sie ihn nie wieder, die Hand, die sich drohend gegen sie erhoben, konnte sie nie wieder in Liebe halten und fassen. Aber ist dies alles eine Strafe des Herrn? Das mußte sie auch denken, ach und so vieles mußte sie bedenken und konnte sich nicht durchfinden. – Sie falteten die Hände und hörte wieder die Worte: »Wo die Gnade und Barmherzigkeit des Herrn uns umrauscht, da ist wohl Trost.« Wenn sie es auch noch nicht recht erfassen konnte, sie fühlte sich umgeben und getragen von diesem Rauschen, und schlief darüber ein.

Das Schiff mußte gegen Morgen mehrere Stunden ruhen, bis die Fluth kam, die es den Booten möglich machte sich zu nähern und die Passagiere in Empfang zu nehmen. Von den Booten wurden Menschen und Sachen wieder auf große Wagen geladen, um durch das ganz flache Wasser an das Land zu fahren. – Die ganzen Insel-Bewohner schienen versammelt, um die neuen Passagiere zu begrüßen, fröhliche Hornmusik klang ihnen schon aus der Ferne entgegen. Frau von Hohendorf schaute entzückt auf die vom blauen Meer umrauschte kleine sonnige Insel, auf die grünen Hügel, die freundlichen Häuser und niedlichen Anlagen; hier mit Mann und Kindern stille Wochen zu feiern, war ein zu schöner Gedanke. Elisabeth dagegen war durch die Hornmusik, die so hell in den Morgen hinein schmetterte, nur trauriger bewegt, sie hatte Heimweh nach Braunhausen, nach der Zeit, wo diese Töne sie nach dem Fenster lockten, um dann ganz ungesehen nach dem ersehnten Gruß zu schauen. – Sie hatte den kleinen Friedrich auf dem Schooß und weinte still in seine weichen Locken.

In der allgemeinen Unruhe des Ankommens und Absteigens, des Wohnungsuchens, blieb sie unbemerkt, bis sie sich in einem kleinen freundlichen hellen Schifferhäuschen dicht am Meere befand. Das ganze Haus bestand nur aus zwei Stuben, einer Schlafstube und der Küche. Die Küche, die sehr reinlich und hell, mit einem weißen Fliesen-Heerd und hellem Geschirr geschmückt war, wurde von den Wirthsleuten bewohnt. Eine der Stuben nahm Johanne mit den Kindern ein, und die freundlichste Stube, sowie die Schlafstube mit dem Fenster über dem Meer, war für die Herrschaft.

Elisabeth stand am Fenster ihrer kleinen Wohnstube und sah auf ein Gärtchen und auf grüne Sandhügel, daran die freundlichen Häuser hin und her zerstreut lagen. Die Stille that ihr wohl, sie war doch nicht gezwungen mit so vielen fremden Menschen zu verkehren. Da trat ihr Mann, in das Zimmer, und wieder schwer war ihr Herz: wie soll das werden? so viel mit ihm zusammen? Es trieb sie zu den Kindern zu gehen, und doch wagte sie nicht, in dem Augenblick, wo er herein gekommen, das Zimmer zu verlassen. Plötzlich trat er zu ihr und sagte ernst, fast düster: Elisabeth, wirst Du Dich wieder entschließen können mit mir zu reden?

Ein schnelles, banges Ja flog von ihren Lippen. Sie war so angegriffen und schwach, und es ward ihr vor seinen düsteren Blicken wieder bange.

Willst Du mit den Kindern vor die Thür an den Strand gehen? fragte er freundlicher.

Nur noch etwas möchte ich allein sein, – möchte mich ausruhen, fügte sie verbessernd hinzu.

Er verließ sie, er fand die Kinder vor der Thür, er konnte aber unmöglich mit ihnen spielen, er ging allein den einsamen Strand hinauf. Der Gedanke, der ihn die ganze Nacht gequält: ob sie bei ihm bleiben möchte, und ob er sie dazu zwingen möchte? lag erdrückend auf seiner Seele. Er hatte in seiner Heftigkeit nicht gewußt was er gethan; lag nach dem bürgerlichen Gesetz nicht vielleicht schon in solchen Scenen ein Scheidungsgrund? Daß Elisabeth und ihre Angehörigen unter Gottes Gesetz standen, war ihm gestern ein Trost gewesen; heute wurde es ihm immer klarer, daß damit nichts gewonnen war. Wird Elisabeth Furcht und Haß und Widerwillen bezwingen wollen? Wird sie sich auch willig dem Gesetze Gottes fügen? Nein. Er wußte, daß sie in der letzten Zeit immer mehr dem Herrn entfremdet war; das Zureden ihrer Eltern und Großeltern half ihm nichts, beider Leben wäre dadurch nur elender geworden. Er mußte jetzt an seinen Obersten denken, wie er einst sagte: Wenn es mit zwei Leuten erst so weit gekommen ist, daß sie sich gegenseitig das Leben schwer machen, dann ist es am besten, sie trennen sich. – Er war in einer Stimmung, daß er meinte, sie wären jetzt so weit. Elisabeth mußte sich nach Freiheit sehnen. »Es ist alles aus, es ist auch so am besten«: die Worte hörte er immer. Ihr Herz war ihm gewiß längst entfremdet, er war nur blind gewesen. Warum schaute sie denn, auch wenn er freundlich zu ihr war, nur scheu und zagend zu ihm auf? Er suchte den Grund dieses Wesens in ihren Nerven, in ihrer Verstimmung; jetzt konnte er sich nicht mehr über den wahren Grund täuschen. Er mußte sich gestehen, daß die letzte unglückliche Scene längst vorbereitet war, daß sie nicht aus heiterem Himmel kam, und daß ihn ein unbegreiflicher Egoismus diesem traurigen Ende immer näher und näher zugeführt hatte. – Die Welt mußte ihm jetzt rathen, sich nicht länger zu quälen, sie würde sein Glück aufgeben, sie würde ihm so klägliche, so vernünftige Vorstellungen machen, wogegen er gar nichts erwiedern konnte. Er fühlte sich in einen Gesichtskreis gebannt, den Welt und Sünde ziehen, – so eng, so eng, er konnte nicht darüber hinauskommen. – Ein Mensch, der über diesen Dingen steht, kann nicht begreifen, wie ein armes schwaches Herz sich so plagen kann, und doch seufzen die meisten Herzen unter dem Drucke der engherzigen beschränkten Sündenwelt. Sie überlegen, sie prüfen, sie drehen sich wie in einem Kreise, und kommen doch nicht weiter.

Er vertiefte sich so sehr in solche Fantasien, daß er sie für die einfachste Wahrheit und Wirklichkeit nahm. Es erschien ihm eigentlich selbst die größte Demüthigung, seine Frau gezwungen um sich zu sehen. Er überlegte, ob es doch nicht thöricht war, nicht in Bremen umzukehren; das Gerede, die Neugierde der Menschen mußte gegen das wirkliche Unglück verschwinden. Es war vielleicht besser, wenn sie jetzt bei den Großeltern war, vielleicht konnte sie dort das Hilfesuchen wieder lernen, was sie bei ihm verlernt hatte?


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