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22. Neuer Reichthum und neue Zuversicht.

Weihnachten verlebte Elisabeth mit ihrem Manne vergnügt bei den Großeltern; Januar und Februar zog sie vor still und zurückgezogen zu leben, und, als im März die Frühlingssonne so warm durch die Fenster schien, da war es ihr als ob sie ein Wunder erlebt, – ein liebes Kind lag neben ihr in der Wiege. Sie lauschte andächtig den leisen Athemzügen und Bewegungen unter dem grünen Schleier, und faltete die Hände und pries den Herrn für diese unverdiente Gnade. Nun, war sie fest überzeugt, konnte von keiner Langenweile mehr die Rede sein, nun war ihr Beruf erst ein recht seliger. Das Kindlein hatte ihr doch noch gefehlt: sie konnte es einmal nicht vertragen, wenn ihr Mann zerstreut und beschäftigt neben ihr her ging, ihr Herz hatte sich dann gleich einsam gefühlt; jetzt hatte sie ein Wesen, was sie mit vollem Herzen immer warm umfassen konnte. Wie bei ihrer Verlobung nur einzig und allein ihre Liebe die Gewähr ihres Glückes sein sollte, so war es jetzt aber ganz gewiß und sicher dieses süße Kind.

Kadden war glücklich mit seiner Elisabeth, am meisten bewegte ihn aber eigentlich nur die Freude, die sie an dem Kinde hatte, und er versicherte seiner Schwiegermutter, die zur Pflege des Kindleins gekommen: der Junge werde ihn erst recht interessiren, wenn er ihn auf sein Pferd heben dürfe, – worauf Elisabeth ihm die tröstliche Versicherung gab: wenn er bis zum Herbst mit dem Kinde umzugehen würde gelernt haben, so wollte sie es ihm dann selbst hinauf reichen. Der Sommer verging Elisabeth im ungestörten Glücke. Wenn ihr Mann ärgerlich oder heftig oder verstimmt war, was allerdings jetzt öfter als im ersten Sommer vorkam, so hatte sie ihren lieben kleinen Friedrich, der sich ihre Sorgfalt und ihre Liebe so gern gefallen ließ. Sie hielt es auch nicht der Mühe werth, immer gleich Verständigung mit dem Manne zu suchen; es machte sich ja meistens recht gut von selbst, und ihr Otto war dann immer wieder so gut und freundlich, daß sie meinte, sie sei die glücklichste Frau von der Welt.

Das Flüstern in der Familie hatte sich nach und nach wieder verloren. Elise war bei dem längeren Aufenthalte im Frühling zu sehr von dem Glücke ihrer Kinder überzeugt, und hatte es offen ausgesprochen. Freilich hatte sie sich auch ebenso überzeugt, daß beide mit ihrem inneren Leben nicht weiter gekommen waren. Beide waren noch ebenso schwankend zwischen dem Herrn und der Welt, und ebenso schwankend zwischen dem gewissenhaften Bekämpfen ihrer Fehler und dem sich gänzlich ihnen Ueberlassen. Elise hatte Scenen erlebt, die ihr bange machen konnten für die Dauer dieses jugendlichen Glückes, das schwerlich härteren Versuchungen widerstehen konnte, da schon Kopfschmerzen, Nervenverstimmungen und wechselnde Launen es so sehr bedrohten. Elise hielt aber die Hoffnung fest, daß beider Seelen von einem höheren Sehnen und von der Macht des Gottes-Reiches schon ergriffen waren, und daß der Herr ihr Sehnen hören und ihnen selbst Kraft und Festigkeit verleihen würde, sich der Welt ab, der gefährlichen Welt von außen und von innen ab und Ihm zuzuwenden.

Leider hatte sie, was ihr eigenes Verhältniß zur Tochter betraf, sich auch bei diesem längeren Aufenthalte nicht inniger eingelebt als früher. Elisabeth hatte jetzt Mann und Kind, sie lebte jetzt eben so harmlos neben der Mutter hin, als sie es immer gewohnt war, und immer mußte Elise wieder klagen: Du hast es versäumt von Jugend an. Elisabeths Hin- und Herschwanken konnte sie noch nicht anders als für die Folge ihrer eigenen Schwachheit ansehen, und gar oft hatte sie in dem kleinen Logirstübchen des Abends allein gesorgt und geweint und den Herrn gebeten um Segen und Frieden für den jungen Hausstand da unten.

Nur eines hatte sie damals erreicht: sie hatte bei Gelegenheit von mehreren während ihrer Anwesenheit vorgekommenen Sammlungen zu wohlthätigen Zwecken die Bekanntschaft zwischen Elisabeth und zwei liebenswürdigen jungen Frauen veranlaßt, der Frau des gläubigen Predigers und einer jungen Assessors-Frau. Beide lebten streng zurückgezogen von der Welt, und letztere war besonders eine geistvolle, lebendige Frau, die prächtig für Elisabeth paßte. Der Sommer hatte aus verschiedenen Ursachen den Verkehr nicht sehr begünstigt, es war noch beim zarten Hinhorchen und Versuchen geblieben, zum Winter aber zweifelte Elisabeth selbst nicht, daß sie sich mit den Frauen sehr befreunden würde, besonders da die beiden Männer auch bedeutende Leute waren, und ihr Mann sich jedenfalls mit ihnen besser unterhalten mußte, als mit Stottenheim und dessen Freunden.

Der Herbst war gekommen, Elisabeth war frischer und blühender als je, und sehr vergnügt, sie schaute mit wahrer Herzenslust auf das Leben und auf ihr Glück. Sie war jetzt so weit, wie einst der Großvater von ihr gesagt hatte: Wer mit so warmer Liebe Tische und Stühle umfaßt, kann auch die Welt warm umfassen. Sie gedachte aber nicht, sich der Welt zuzuwenden, sie glaubte sich sicherer als je, sie war lieblich und harmlos und wünschte nur, daß es immer etwas wundervoll um sie herum wäre.

Zu diesem Wundervoll ließ sich mancherlei gestalten: ein sonniger Nachmittag, wenn sie mit ihrem Kinde auf dem Grasrain spielte, und ihr Mann mit dem Pferde heran ritt und sie den Jungen nun wirklich dem stolzen und glücklichen Vater in die Arme gab; – oder ein Gang in verschiedene Obstgärten, um die Sorten der Aepfel und Birnen zu prüfen und die Wintervorräthe sich selbst aus den herrlichen Haufen einzusammeln; – oder ein Missionsfest im nächsten Dorfe, wo ihr Herz durch einen fremden Prediger so innig bewegt wurde, wo sie ein Sehnen fühlte, was da hinaus ging über ihr Glück, was da seliger als die Liebe zu ihrem Mann und ihrem Kinde war.

Das war aber auch ganz wundersam, daß sie nach dieser Erquickung und Erhebung der Seele auch die Liebe zu ihrem Mann weit schöner und wärmer in ihrem Herzen fühlte, und unwillkürlich griff sie ihren Trauring mit Freuden fester, als sie, nach der Predigt, ihn neben dem fremden Prediger und dem Großpapa stehen sah, und der Großpapa seine Hand ihm auf die Schulter legte und so ernsthaft und doch so freundlich dem Gast versicherte: wenn er alter Mann einmal bei diesen Gelegenheiten aus der Reihe träte, würde mit des Herrn Hilfe hier ein junger Streiter Christi bereit sein, für ihn einzutreten. Worauf ihr Mann entgegnete: daß ihm diese Predigt wohl Muth zum Streite machen könnte.

Außer dem Missionsfeste war bei schönem Herbstwetter auch das Tauffest bei Schlössers. Elisabeth kränkte zwar Emilien mit ungewünschten Rathschlägen über die Pflege des kleinen Kindes, und wurde wieder bitter von Emilien gekränkt, die nicht ganz ihre Befürchtungen über Elisabeths leichten Sinn auch als junge Mutter verbergen konnte; aber die Männer, die zwar immer noch in derselben zarten Entfernung, aber doch in derselben Liebe und Theilnahme zu einander standen, machten den Schaden wieder gut. Bei Elisabeth von Grund des Herzens, – sie mußte ihrem Manne zugeben, daß sie immer gar zu zuversichtlich und belehrend rede, und beruhigte sich mit dem Gedanken, sie sei schuld an der kleinen Scene. – Emilie war freundlich, weil es so am besten war; ihre Vorurtheile gegen Elisabeth blieben dieselben, und Schlösser verfolgte das Gespräch heute nicht weiter, sondern behielt sich auf bessere Gelegenheit auf, es in Liebe wieder anzuknüpfen. Sie hatte, seitdem das Flüstern in der Familie aufgehört, consequent vermieden, eingehend über Elisabeth zu reden; wenn gelegentlich von ihr gesprochen wurde, war immer in ihren festen Zügen zu lesen: Ich habe Geduld und Ruhe es abzuwarten, es wird sich finden, ob ich nicht dennoch leider Recht habe.

Als die schönen Herbsttage vorüber waren, mußte Elisabeth an andere Unterhaltung denken. Daß Mann und Kind ihr doch noch nicht genug waren, gestand sie sich nicht. Sie sah sich nach passendem Umgang um, und das war auch kein Unrecht. Sie dachte an Pastor Kurtius und Assessor Bornes. Ein Verkehr mit diesen Leuten würde ihr und ihrem Mann natürlich lieber sein, als der so sehr fade und langweilige Kreis bei Bonsaks. Eines Morgens nach der Kirche überlegte sie es mit ihrem Manne und war ganz erfüllt von der Aussicht. Wir kommen dann regelmäßig mit ihnen zusammen, sagte sie, ihr Männer lest uns schöne Sachen vor, wie sie es in Berlin bei Generals thun, wir musiziren zusammen und singen Choräle. Wir können auch Missionsschriften lesen, fuhr sie eifrig fort, und Du, lieber Otto, – sie küßte ihm die Hand und sah ihn bittend an, – Du erlaubst mir, daß ich an dem Missionsverein theilnehme, Du glaubst gar nicht, wie nöthig mir so etwas ist.

Er war so nachdenklich, er sah ihr auch freundlich in die hellen Augen, aber er sagte seufzend: Denke Dir, Elisabeth, wenn ich mich ganz von meinem Bekanntenkreise zurückziehe, wenn ich ein Kränzchen mit andern Freunden einrichte, ob ich wohl überhaupt hier weiter leben könnte. Wenn ich nicht Militär wäre, oder wenn ich Gesinnungsgenossen unter meinen Kameraden hätte! Ich sehe die Möglichkeit nicht vor mir, die Rücksichten, die mir als jüngerem Offizier obliegen, so ganz aus den Augen zu setzen.

Elisabeth ward auch nachdenklich. Ihr Mann hatte doch wohl Recht, und sie wußte nichts dagegen zu sagen. Bonsaks nahmen so sicher an, sie würden wieder am Kränzchen teilnehmen, besonders da es in diesem Jahre ein anderes als im vergangenen Jahre sein sollte. Frau von Bandow hatte damals auf die leichtsinnigste Weise Adolfinens Liebschaft unterstützt, es war Stadtgespräch geworden, und Kadden selbst hatte dies dem Obersten mitgetheilt. Es gab einen öffentlichen Bruch, Bandows wurden bald darauf versetzt, ebenfalls der Referendar Maier, Adolfine war durch diese Demüthigung bedrückt, ja es schien, als ob sie wirklich Neigung hätte solider zu werden. Bonsaks waren Herrn von Kadden sehr dankbar, sie sprachen es auch offen aus, der Umgang mit der herrlichen vortrefflichen Elisabeth wäre ihnen der liebste für die Töchter. – Wie sollten sie sich nun rücksichtslos dieser Freundschaft entziehen? Was würden Stottenheim und die übrigen Freunde sagen? Nein, es mußte ein Ausweg gesucht werden.

Elisabeth hatte in ihrem elterlichen Hause so viel von Rücksichten reden hören, von Geselligkeit aus Rücksichten, die sich mit dem vertrauteren Umgange, den die Eltern in der Stille gepflogen, recht wohl vertragen hatte. Daß sich dieses halbe unentschiedene Wesen in der Seele der Mutter nie vertragen hatte, ahnete Elisabeth nicht. Der Stachel, der Elisen immerfort quälte, der in der Ermahnung und dem Beispiel der eigenen Mutter immer von neuem in ihre Seele gedrückt wurde, der fehlte Elisabeth, und sie machte jetzt selbst den Vorschlag, sie wollten es ganz den Eltern nachthun: mit den Vorgesetzten und Kollegen des Mannes im nothwendigen äußeren Verkehr bleiben, und dann zur eigenen Erquickung sich an den andern Kreis innig anschließen. Ihr Mann war damit einverstanden, er war auch ganz einverstanden als Elisabeth zuversichtlich hinzusetzte: Schaden kann uns beiden der Verkehr mit Deinen Freunden nicht, wir sind ja beide über dies langweilige äußerliche Treiben hinaus, wir thun es nur aus gewissen Pflichten und Rücksichten und können uns vielleicht mit der Zeit immer mehr zurückziehen.

Ganz so hatte sie ihre Mutter oft sprechen hören. Daß es andere Ansichten waren, als die der Großeltern und von Oberförsters, – war sie ganz mit ihrer Mutter einer Meinung, – das lag in dem Unterschiede des Stadt- und Landlebens. Die Landleute können darüber kein richtiges Urtheil fällen. Sie konnten sich auch nicht in die Verhältnisse hier in Braunhausen versetzen. Darum war es richtig und natürlich, man folgte der Eltern Beispiel. – Elisabeth überlegte dabei nicht, daß ihr Vater sehr ruhig war und von der Außenwelt wenig berührt wurde, nicht zu vergleichen mit ihrem Mann, der lebhaft und leicht verletzt, viel eher von den Verlegenheiten und Unannehmlichkeiten dieses doppelten Verkehrs leiden mußte. Auch daß ihre Mutter durch ihren scharfen Verstand und ihr überhaupt kritisches kühleres Wesen fester stand, als sie mit ihrem leichten warmen Sinn.

Es wurde also ganz ruhig der Entschluß gefaßt, am Kränzchen wieder theilzunehmen und zu gleicher Zeit mit dem ihnen lieberen Kreise zu verkehren. Mit dem Missionsverein, bat Herr von Kadden, möchte Elisabeth noch etwas warten. Seine Bekannten sollten sich erst an diesen neuen Umgang überhaupt gewöhnen; Herr von Stottenheim, der gutmüthige unparteiische Mensch, sollte sich selbst überzeugen, daß diese neuen Freunde trotz der ernsten Richtung liebenswürdig und anziehend waren; dann konnte man mit der Zeit weiter gehen und sich auch mit der Missionssache bekannt machen.


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