Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

36. Die Freundschaft der Welt

Kadden fand in seinem Hause alles zu seinem Empfange bereit, wie es vor seiner Abreise verabredet war. Die gute zuverlässige Köchin, die bis jetzt das Haus gehütet, sollte die Wirthschaft führen, den Burschen hatte er zu seiner Bedienung. Nach dem einsamen Mittagsmahl versuchte er es, sich mit Arbeiten zu beschäftigen. Aber wie seltsam zerstreut und hingenommen war er, seitdem er die Luft von Braunhausen athmete. Seitdem ihn Stottenheim, mit der oberflächlichen und doch so sicheren Art, in sein altes Leben einzuführen gesucht, war es ihm als ob er in den letzten Wochen geträumt, – als ob er der Welt ebenso machtlos gegenüber stünde, – als ob sie mit eben demselben Rechte wie früher sich seiner bemächtigen dürfte. Wenn er sich hätte entschließen können, nach Woltheim zu reiten! Aber er mochte Elisabeths erstes Zusammensein mit den Großeltern nicht stören; er konnte nicht anders glauben, als daß sein Erscheinen dort heute lästig war. Eine geheime Scheu vor dem ersten Besuche dort bestärkte ihn in dieser Annahme.

Gegen Abend erschien Stottenheim mit einigen andern Offizieren, alle freuten sich ihn wiederzusehen, und es gelang ihm, ihnen gegenüber ruhig und unbefangen zu sein. Ihre Aufforderung, mit ihnen nach einem öffentlichen Garten zu gehen, war natürlich, er war im Sommer immer mit ihnen gegangen und hatte keinen Grund es jetzt abzuschlagen. Ein Spaziergang mußte ihm wohlthun nach der langen unangenehmen Reise, und in der jetzigen Stimmung wußte er nichts Besseres vorzunehmen. Er ging mit, und um sich nur nicht unterhalten zu müssen, schlug er selbst eine Partie Kegel vor. Das ist ein vernünftiger Mensch, dachte Stottenheim befriedigt, der wird sich bald über alle Unannehmlichkeiten hinwegsetzen.

Als sie in der Dämmerung von ihrem Vergnügen zurückkehrten, kam plötzlich der Oberförster hinter ihnen her gefahren; nicht allein Stottenheim, auch die andern Offiziere bemerkten, wie unangenehm Kadden dies Begegnen war. Natürlich hielt der Oberförster an, er begrüßte ihn, konnte aber auch seine eigene Spannung nicht verbergen, und der allezeit fertige Stottenheim übernahm glücklicher Weise für den Freund das Wort. Er erzählte, wie sie ihn abgeholt und mit ihm eine Partie Kegel unternommen hätten, um ihm sein einsames Leben zu versüßen. Kadden war unzufrieden mit dieser Erzählung, und vergaß in seiner Zerstreuung Grüße für Frau und Kind und die übrige Familie.

Am folgenden Morgen hatte er wie gewöhnlich Dienst, Nachmittag wollte er den schuldigen Besuch bei Bonsaks machen, und dann gegen Abend wo möglich nach Woltheim. Die Familie des Obersten, durch Stottenheim von dem beabsichtigten Besuche unterrichtet, war in großer Erwartung den Nachmittag, besonders aber Adolfine, deren müßige, thörichte Fantasie von seltsamen Bildern erfüllt war. Schon im ganzen letzten Jahre, wo Herrn von Kaddens Ehe als eine unglückliche besprochen wurde, wandte sich ihr ganzes Interesse, ihre Theilnahme auf den anziehenden jungen Mann, der ihre erste Jugendliebe gewesen, und nicht gewöhnt, den bösen Gedanken, die über den Kopf stiegen, zu wehren, hatte sie an dieses Interesse bestimmte Bilder ihrer Zukunft geknüpft. Sie machte sich nicht die geringsten Vorwürfe über diese Gefühle, sie hatte ihn ja nicht zur Untreue verleitet, nein, Elisabeth war durch ihr unvernünftiges Wesen selbst schuld daran, und wenn der Oberst jetzt entschieden es öfters aussprach, für den armen Kadden sei eine Trennung von der Frau das vernünftigste, so folgerte sie einfach: Ich würde eine weit passendere Frau für ihn sein. Daß die Sache nun wirklich so weit war, als ihre Fantasie es nur geträumt, das erregte sie mächtig, und in sorgsamer Toilette und mit strahlenden Augen hörte sie Stottenheims Berichten zu, der sich schon vor Kadden eingefunden, weil er bei diesem interessanten ersten Besuche natürlich nicht fehlen durfte.

Aeußerst freundschaftlich und vertraulich überlegte er mit den Damen das Schicksal des Freundes. Er hatte eben sein Zusammentreffen mit der jungen Frau am Bahnhof erzählt, Kaddens Abschied von ihr, sein ganzes Wesen den Abend im Gesellschaftsgarten, und endlich das verhängnißvolle Begegnen mit dem Oberförster, dem weder ein Gruß an die Frau noch an die Großeltern aufgetragen wurde. Ich bin überzeugt, versicherte er, daß Kaddens Herz gewiß schon ganz und gar getrennt von seiner Frau ist, und daß er sie nur unter einem guten Vorwand zu den Großeltern geschickt hat, um sie auf diese Weise los zu werden.

Sie glauben wirklich, daß er sich scheiden läßt? fragte Adolfine gespannt.

Ich sehe wahrhaftig keinen anderen Ausweg, so leid es mir thut, war Stottenheims achselzuckende Antwort.

Wir wollen dem armen Mann wenigstens wünschen, daß es ihm gelingt, sagte der Oberst sehr väterlich. Nach meinen Erfahrungen, die ich in der Welt gemacht habe, ist immer, wenn einmal eine Ehe erst so zerrüttet ist, besonders bei zwei Persönlichkeiten wie diese, keine Rettung mehr möglich. Man muß gestehen, sie ist eine besondere, eine eigenthümliche Frau. Wenn sie einen Mann hätte, der sich von ihren Wunderlichkeiten nicht berühren ließe, der einfach und fest seinen Weg ginge und sie von der Wahrheit des Lebens zu überzeugen suchte, so ginge das. Er hat sich aber in einem gewissen jugendlichen fantastischen Aufwallen zu sehr von ihrer Richtung hinreißen lassen. Jetzt wird er freilich den Unsinn einsehen, jetzt wird er sehen, wie weit er damit gekommen ist.

Ich habe ihm einmal ganz freundschaftlich die Gefahr seines Irrthums vorgestellt, begann Stottenheim eifrig, ich habe ihm wahrhaftig gezeigt, was wahr und richtig und was thöricht und unpraktisch ist, habe ihm vorgestellt, warum er mit seiner Frau nicht harmlos und heiter leben könne, und daß sie sich gegenseitig mit ihren schwärmerischen Ansichten beunruhigten. Ich versichere Sie, der Mensch gerieth in die höchste Aufregung darüber, können Sie glauben, daß er mich versicherte, nicht seine idealen Ansichten machten ihm Noth, nein nur die elenden Ansichten der Welt und der Gesellschaft, und er hoffte, seine arme Elisabeth dem Gifthauche dieser Gesellschaft zu entreißen; ja er wollte lieber sein ganzes Leben mit seiner Heftigkeit und Rohheit kämpfen, als seine Frau nur etwas weniger zartfühlend zu sehen. Ich hatte ihm nämlich gezeigt, wenn er eine einfache verständige Frau hätte, die so kleine Gewitterschauer, die in jeder Ehe vorkommen, etwas kaltherzig abzuschütteln wüßte, würde er weit ruhiger leben.

Natürlich, sagte Adolfine einverstanden, und setzte in Gedanken hinzu: Wenn der Mann aufbraust, hält man sich die Ohren zu, und amüsirt sich während seiner schlechten Launen so gut es geht.

Das sind eben die unglücklichen Ansichten dieser beschränkten frommen Leute! sagte der Oberst kopfschüttelnd, und ich fürchte, daß Kadden schon zu sehr von diesen Menschen sich hat umgarnen lassen, daß es ihm schwer werden wird, sich loszureißen.

Können Sie nicht mit ihm sprechen? sagte Adolfine zu Stottenheim. Sie sind sein Freund, Sie müssen ihm rathen.

Ich fürchte, ich fürchte nur, entgegnete Stottenheim sehr wichtig, daß er sich jetzt vor mir schämt. Kadden hat einen zu selbständigen und stolzen Karakter, er wird sich nicht entschließen können, mir nach dem, was wir zusammen verhandelt haben, Recht zu geben. Er muß wirklich in einer höchst fatalen Situation sein.

Man muß überhaupt auch in solchen Dingen vorsichtig sein, sagte der Oberst verständig. Ich werde schon Gelegenheit finden, mit ihm zu reden. Der arme junge Mann hat ja niemanden in der Welt, der sich für ihn interessirt. Für jetzt wollen wir freundschaftlich ihm das Leben hier recht angenehm zu machen suchen, damit er sich erst überzeugt, wie aufrichtig wir es mit ihm meinen.

Man erzählte sich noch, daß der Mann von Kaddens Schwester nach Berlin versetzt sei, daß die Schwester eine sehr liebenswürdige vernünftige Frau sein sollte, und hoffte von dem Einfluß dieser Schwester viel für das neue Glück des Freundes.

Adolfine war an das Fenster getreten, sie sah den Erwarteten die Straße herauf kommen, und sagte zu Stottenheim, der zu ihr getreten war: Sehen Sie nur, wie düster sieht er aus.

Fürchterlich, fürchterlich! war Stottenheims Antwort.

Wenige Minuten später trat Herr von Kadden ein. Es entstand erst eine kleine verlegene Begrüßungsscene, da aber Kadden unbefangen und ruhig war, besannen sich die Uebrigen auch, und die Unterhaltung wurde lebhaft. Zuerst war das Herbstmanöver, das eine Menge fremder Truppen in diese Gegend zog, der Gegenstand der Unterhaltung, Kadden interessirte sich dafür und erkundigte sich nach all den Einzelnheiten. Dann kam man natürlich auf seine Reise und auf Wangeroge, er schilderte das Meer und seinen Aufenthalt dort, die Erinnerung an sein stilles und liebliches Zusammenleben mit Elisabeth machte sein Herz warm, und obgleich er ihren Namen nicht zu nennen wagte, und obgleich er überhaupt nur mit wenigen Worten sprach, so gab diese Erinnerung seinen Schilderungen etwas Bewegliches, was die Zuhörer nicht gleich mit ihren Voraussetzungen zusammenreimen konnten. Nur Adolfine war entschieden darüber: Das Gefühl der Freiheit hat ihn so beseligt! Und wirklich dieser warme und wieder so gedankenvolle Ausdruck in seinen Zügen war ihren verwirrten Fantasien sehr anziehend. Als Kadden doch nicht lassen konnte zu erwähnen, daß der Aufenthalt am Meere seiner Frau sehr wohl gethan, erhielt er kaum eine Antwort. Es war zu auffallend, als daß er es nicht hätte merken sollen, nur der allzeit fertige Stottenheim versicherte eiligst, daß sie allerliebst ausgesehen, ganz frisch und wohl, als er das Vergnügen hatte sie an der Eisenbahn zu treffen. Kadden empfahl sich und Stottenheim ging mit ihm. Er war zu unangenehm berührt durch das sonderbare Wesen der Bonsakschen Damen, als er von seiner Frau gesprochen, als daß er nicht Stottenheim augenblicklich nach der Ursache hätte fragen sollen.

Mein lieber Freund, begann Stottenheim bedächtig, ich kann Dir nicht verhehlen, daß man hier überall weiß, wie Du mit Deiner Frau stehst.

Wie stehe ich mit ihr? fuhr Kadden auf.

Stottenheim erzählte nun sehr vorsichtig von den Gerüchten, die hierher gelangt waren.

Die Welt ist verwirrt, sagte Kadden ruhiger, Du aber weißt recht gut, daß meine Frau ihrer Gesundheit wegen gerade in Wangeroge so ganz für sich leben sollte, und darum allerdings wenig in Gesellschaft war.

Mich hat es auch durchaus nicht gewundert, sagte Stottenheim vertraulich, ich wußte ja wie die Sachen hier schon standen, aber liebster Freund, ich versichere Dich, mein Herz fühlt mit Dir das Unglück, was das Schicksal über Dich verhängt hat. Mir wirst Du die Wahrheit nicht verbergen wollen, ich wußte ja längst, daß dieser Conflikt, der die Leute beschäftigt, nothwendig kommen mußte, nicht durch Deine Schuld, wahrhaftig nicht durch Deine Schuld.

Der die Leute beschäftigt? fragte Kadden mit bebender Stimme, vielleicht auch die Familie meiner Frau?

Natürlich, fiel Stottenheim ein, sie sind Feuer und Flamme, ich hörte nur, wie die Frau Oberförsterin sich darüber ausgesprochen hat.

Die Frau Oberförsterin? wiederholte Kadden bitter, und sagte dem Freunde, weil er eben vor seiner Hausthür angekommen war, kurz Adieu. Als dieser ihn zu einem Spaziergang gegen Abend aufforderte, nickte er zerstreut und ließ sich ebenso zerstreut von seinem Burschen, der feiernd auf der Straße stand, die Hausthür öffnen. Gedankenvoll ging er in seinem Zimmer auf und ab; erfüllt von diesen Nachrichten und noch bedrückt von dem Besuche bei Bonfaks und wirklich unwohl und mit benommenem Kopfe, konnte er unmöglich nach Woltheim, er entschloß sich hier zu bleiben.

Elisabeth war den Tag vorher glücklich mit den Kindern bei den Großeltern angekommen. Sie wurden sehr freudig empfangen, gleich so liebreich erfrischt und gepflegt, sie schienen gar keine anderen Gedanken als die der Liebe und Theilnahme für sie zu haben. Sie hatten aber noch andere Gedanken, und trotz des Scheines fühlte Elisabeth, daß etwas zu erörtern war, daß außer der Liebe auch Sorge ihre Seelen beschäftigte.

Als die Kinder früh schon ruhig einschliefen, Oberförsters ihren Besuch gemacht hatten, und Onkel Karl wieder seinen einsamen Geschäften nachging, standen die Großeltern mit Elisabeth am Fenster und schauten, wie die Abendröthe sich immer tiefer hinter den Tannenbergen senkte. Da nahm der Großvater Elisabeths Hände in die seinigen, er sah ihr freundlich in die Augen und sagte: Nun Elisabeth, wie geht es Dir?

Elisabeth, in der ängstlichen Sorge, die Großeltern nicht zu betrüben, sagte bewegt: Ihr lieben Großeltern sollt Euch nie mehr sorgen um mich, der Herr will mir wieder helfen, ich bin sehr froh, – wenn ich auch unglücklich wäre, setzte sie leiser hinzu. – Aus ihren Augen schaute, als sie sprach, eine so liebliche Zuversicht und Freudigkeit, daß den Worten wohl zu glauben war.

Das Großmutterherz hatte den Liebling umarmt und sah traurig aus, es war ihr mit dem Unglück doch nicht recht, und die Bestätigung von der Welt Gerede, die sie in Elisabeths Worten fand, legte sich schwer auf ihr Herz, Der Großvater aber richtete Elisabeths Kopf leise auf und sagte zu seiner Frau: Nun dürfen wir nicht traurig sein, sieht sie nicht wirklich glücklich aus?

Elisabeth, von der warmen Empfindung ihres Herzens überwältigt, schlug ihre Hände zusammen und sagte: O Ihr habt Recht gehabt, immer Recht gehabt, es giebt nichts Seligeres, als wenn man den Herrn lieb hat, ihm vertraut und gar nichts anderes will als von ihm getragen sein. Man kann alles, alles dafür hingeben! Nun müßt Ihr mit mir froh sein, und Euch nicht betrüben, setzte sie weinend hinzu.

Hast Du gar nichts zu klagen? fragte die Großmama.

Nein, sagte Elisabeth nachdenklich, alles was mir der Herr geschickt hat, war zu meinem Heil.

Nun gut, sagte der Großvater kurz, so sollst Du uns auch nichts klagen; wenn Du Frieden hast, wollen wir mit Dir dem Herrn danken.

Er wird auch alles gut machen, auch mit der Zukunft, sagte Elisabeth vertrauend und hoffend.

Er wird es gut machen, entgegnete der Großvater, die ewige Seligkeit ist unsere Zukunft, und wenn wir in Gott schon hier selig sind, so fürchten wir uns auch vor diesem kurzen Erdenleben nicht. Nicht wahr, Elisabeth?

Ich fürchte mich nicht, sagte sie erst getrost.

Das war die Mittheilung, die Elisabeth den Großeltern zu machen hatte, weiter wollte und konnte sie nichts sagen. Es war auch vollständig genug. Wenn es ihr weh und bange und einsam werden sollte, konnte sie sich von ihnen trösten lassen in der Hoffnung, die über Glück und Leid hinaus geht, bei ihnen fand sie immer Verständniß und immer Liebe und Nachsicht.

Als sie noch erwähnte, daß sie ihrer Mutter schreiben wollte, hörte sie, daß diese in den nächsten Tagen erwartet wurde. Sie sah bange den Großvater an, er lächelte. Ja Großvater, sagte Elisabeth seufzend, ich fürchte mich, sie wird unglücklich sein, und das thut mir so sehr leid.

Und der Herr wird ihr die Trübsal auch zum Segen sein lassen, entgegnete der Großvater, das muß Dich trösten.

Den andern Nachmittag kam die Frau Oberförsterin wieder. Sie wäre schon früh gekommen, hätte sie ein Besuch nicht abgehalten; sie mußte den Eltern das Begegnen ihres Mannes mit Kadden erzählen. Sie war sehr beschäftigt mit der Sache, und obgleich sie es treu meinte, hatte das schwache Herz sein Theil daran. Solche Ereignisse, wenn sie auch noch so traurig sind, sie sind doch interessant und werden auch von Christen oft gern und zuviel besprochen. Sie stand jetzt mit ihren Eltern im Fenster und schüttete ihr Herz aus. Die Sache war gar nicht zu bezweifeln: anstatt hierher zu kommen, hatte er den Nachmittag mit den Offizieren gekegelt, er hatte auch keinen Gruß für Frau und Kind.

Die Großmutter hörte es sehr traurig an, der Großvater aber sagte: Wir müßten recht undankbar sein, wenn wir den Herrn nicht preisen wollten für das, was er schon gethan hat. Elisabeth ist so wohl und frisch, ist so ganz anders, ist zufrieden, das ist genug.

Sie ist also nicht unglücklich darüber? sagte die Oberförsterin nachdenklich. Es ist wahr, sie ist ganz anders als vorher, ich habe mich auch schon darüber gewundert. Freilich, wer weiß, wie er sie behandelt hat? Endlich regt sich doch auch der Stolz und das Selbstgefühl einer Frau, und die Liebe muß endlich verschwinden.

Der Großvater ließ sich auf keine Erklärungen ein. Elisabeth im hellen Sommerkleide, eine weiße Georgine auf der Brust, spielte mit ihren beiden Kindern auf dem Rasenplatz. – Sie sieht mir gerade nicht aus, als ob Stolz und Selbstgefühl ihr Trost wären, sagte er nach einer Pause, in der sie alle drei Elisabeth sinnend beobachtet hatten.

Lieber Vater, Du verstehst es, wie ich es meine, sagte Julchen.

Ja ich verstehe Dich, sagte er ernst, und wir wollen uns nicht mit unnöthigen Gedanken zerstreuen, wir wollen fleißiger beten und für uns alle sagen: »Abwend all unsern Jammer und Noth!«

Er trat mit beiden Frauen in den Garten. Elisabeth war in unruhiger Erwartung, – ihr Mann mußte heute kommen, – sie wollte eben wieder auf die Wiese gehn, als sie in dem Reiter, der an der Hecke her kam, den Burschen erkannte. Sie eilte mit Friedrich an der Hand und der kleinen Marie auf dem Arme hin. Der Bursche reichte ihr einen Brief und mit klopfendem Herzen sah sie hinein.

Liebe Elisabeth! ich fühle mich heute unwohl, morgen
hoffe ich Dich und die Kinder zu sehen. Gott befohlen!
O. v. Kadden.

Nachdem sie die Worte gelesen, war ihr erster Gedanke, sie müsse mit den Kindern zu ihm fahren, aber das wagte sie doch nicht, sie wollte erst schreiben. Die Großeltern waren mit der Oberförsterin indessen näher getreten, Elisabeth theilte die Nachricht mit und fragte, ob sie wohl selbst hin müsse.

Ist der Herr sehr unwohl? fragte Herr von Budmar den Burschen.

Ich hörte doch, daß ihn Herr von Stottenheim zum Spazierengehen abholen wollte, sagte der Bursche beruhigend.

So ist es nicht nöthig, daß Du hingehst, sagte der Großpapa freundlich zu Elisabeth, hoffentlich kommt er morgen selbst.

So bestellen Sie, daß wir morgen warten, sagte Elisabeth und konnte schwer ihre Traurigkeit verbergen. Laß den Papa auch bitten, daß er kömmt, wandte sie sich zum kleinen Friedrich. Der Kleine machte seine Bestellung. – Du kannst noch nichts bestellen, sagte dann Elisabeth so gedankenschwer zu ihrem kleinen Mädchen.

Das Großmutterherz mußte sich abwenden, um ihre Thränen zu verbergen, alle gingen schweigend zum Hause zurück. Elisabeth blieb mit den Kindern außen, während die Uebrigen in den Gartensaal traten.

Ich werde doch morgen selbst zu ihm fahren, sagte der Großvater, nachdem sie alle drei einige Zeit schweigend neben einander gesessen hatten.

Aber, lieber Vater, nahm die Oberförsterin bescheiden und doch in ziemlicher Aufregung das Wort, das würde ich nicht thun, er müßte doch zuerst kommen.

Liebes Julchen, wenn es mir aber leichter wird zu ihm zu gehen, als daß er zu mir kommt? entgegnete Herr von Budmar.

Die Welt sagt schon, wir möchten ihn mit aller Gewalt halten, wir möchten ihn nicht lassen, fuhr Julchen fort.

Nun ja, das wollen wir auch nicht! unterbrach er sie verwundert, darin hat die Welt ganz recht.

Es ist aber eine große Demüthigung für unsere Familie, sagte die Oberförsterin wieder, ich würde wenigstens, wenn wir auch nie in eine Scheidung willigen, ihm Elisabeth doch nicht wieder aufdringen.

Aber Julchen, sagte die Großmama zürnend, so weit ist es doch noch nicht!

Ihr habt es von Anfang an nicht glauben wollen, sagte Julchen bedenklich, jetzt aber muß man der armen Elisabeth wegen vorsichtig sein. Ich begreife nur nicht, daß sie sich gegen Euch nicht ausgesprochen hat.

Ich begreife es, sagte die Großmama schnell.

Ich auch, fügte Herr von Budmar hinzu, und die Unterhaltung war damit abgebrochen.


 << zurück weiter >>