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21. Notwendige Geselligkeit

Es war an einem stillen Novembertag, die Sonne brach zuweilen mit ihrem bleichen Schein durch eine dünne Wolkendecke, da fuhren die alten Schimmel in Braunhausen vor. Elisabeth eilte freudig hinab, ja es war die gute Großmama. Weil die Enkelin bei schlechtem Weg und schlechtem Wetter seit Wochen nicht zu ihr kommen konnte, mußte sie selbst kommen. Elisabeth war Mittag allein gewesen, ihr Mann hatte mit fremden Offizieren essen müssen, sie konnte ihn auch erst gegen Abend zurück erwarten, darum war ihr der Besuch doppelt lieb. Das Großmutterherz, das, seitdem das Flüstern in der Familie angefangen, nur immer mit Besorgniß Elisabeth wieder begegnete, dankte dem Herrn, als sie die Augen der jungen Frau so fröhlich und harmlos leuchten sah.

Du weißt, wir haben das Kränzchen doch angefangen, begann Elisabeth, als sie mit der Großmama Kaffee trank, etwas zagend, aber doch mit guter Zuversicht.

Ja, leider habe ich es gehört, entgegnete die Großmama, ich wünschte Euch anderen Umgang.

Aber es geht wirklich nicht anders, versicherte Elisabeth, Otto würde sich mit seinen Oberen verfeinden, wir wissen, daß er schon stark beobachtet wird.

Er thut aber nichts Unrechtes, unterbrach sie die Großmama.

Unsere Richtung schon ist ihnen Unrecht genug, fuhr Elisabeth eifrig fort, denke Dir, wenn wir uns von diesem Kreise ganz zurückziehen wollten, wie auffallend wäre das. Nein, Otto würde zu viel Unannehmlichkeiten davon haben. Uebrigens, liebe Großmama, fügte sie noch zuversichtlicher hinzu, ist wirklich für uns keine Gefahr dabei, wir stehen doch wirklich darüber, wir thuen es nur der Rücksichten wegen, die mein Mann seiner Stellung schuldig ist.

Weißt Du noch Deine Stimmung, als Du zum ersten Mal mit uns bei Bonsaks warest? fragte die Großmama.

Ich denke auch noch eben so, versicherte Elisabeth, nur meine Stellung ist anders, ich habe Muth, den Mädchen und Frauen dort entgegen zu treten, und hoffe sogar Gutes zu wirken.

Darin täuschest Du Dich, liebes Kind, sagte die Großmama sanft; bitte nur den Herrn, daß Du nicht Schaden leidest.

Die Großmama brach dieses Thema ab, weil sie es scheute, durch ein heftiges Eingreifen Elisabeths Vertrauen zu erschüttern; indirekt verstand sie weit besser zu reden, und zu Elisabeths höchstem Entzücken erzählte sie ihr bald von dem eigenen jungen Haushalt vor beinahe 50 Jahren. Als Mädchen denkt man doch, sagte die Großmama, daß mit der Verlobung und mit der Heirath das Lebensglück fertig ist und gar nichts weiter fehlen könne.

Ach ja, sagte Elisabeth, ich habe es auch gedacht, aber das Leben wird dann erst ernst, man erlebt dann erst etwas.

Und ehe wir den Ernst des Lebens nicht mit zum Glück rechnen, kann auch von keinem Glück die Rede sein.

Elisabeth nickte.

Und ehe wir Frauen all unser Sorgen und Schaffen im Haushalt, die geringste Arbeit, die uns obliegt, nicht in einem poetischen Lichte sehen, das heißt in dem einen Gedanken, daß auch diese kleinen Mühen und Arbeiten zu unserem Berufe gehören, zu dem sehr schönen Berufe einer stillen, frommen, christlichen Hausfrau, eher werden diese Arbeiten uns nicht süß. Ja, das liebliche Bild einer solchen Hausfrau muß uns Schritt vor Schritt begleiten in Küche und Keller und an den Arbeitskorb. Solch lieblich Bild mit des Herrn Hilfe zu verwirklichen, zu sorgen für Mann und Kind, ist des Herzens Lust und Befriedigung, und äußere Zerstreuungen, große Geselligkeit, alle Dinge, die viele Frauen meinen sich nach ihren alltäglichen Hausfrauenarbeiten schuldig zu sein, werden einer so selig befriedigten Frau zur Last. Als eine solche Hausfrau wird es ihr auch am leichtesten ihre Liebe treu zu bewahren, auf diesem guten Grunde finden weder Langeweile noch Eigensinn und üble Launen Gedeihen. Eine Frau, die schon ihr Schaffen in der Speisekammer und vor Kisten und Körben in einem solchen Sinne auffaßt, wird wohl auch ihre Liebe zart und lieblich in der Seele festhalten. Eine Frau, die in und mit dem ihr vom Herrn gegebenen heiligen Hausfrauenberuf, sich in aller Demuth und Einfalt selig in den Himmel hineinleben will, wird ihre Liebe, den Sonnenschein ihres Hausfrauenlebens, nicht sorglos daran geben. Arme Frauen, die ohne diese Sonne leben müssen, können wohl die ewige Sonne hinter den Wolken schauen und den Himmel über sich haben, aber es fehlen die Blumen in ihrem Leben, die einem Frauenherzen so nothwendig sind, und die nur im Sonnenschein der Liebe gedeihen.

Elisabeth hörte aufmerksam zu, es ward in ihrem Gewissen unruhig. Das Bild einer stillen, frommen, christlichen Hausfrau hatte ihre Seele noch nicht eingenommen, die Haushaltsarbeiten machten ihr auch noch sehr viel Vergnügen, aber doch nur wechselnd, und sie hatte schon öfters, wenn sie des Morgens vielerlei vorgenommen, ihrem Mann das scherzend vorgezählt und ihn aufgefordert, sie den Nachmittag dafür besonders zu amüsiren. Ja sie hatte auch schon oft Langeweile gehabt, weil sie von andern jungen Frauen den klugen Rath angenommen, doch lieber für wenige Groschen öfters eine Nähterin zu nehmen, als sich zu quälen. Daß diese Arbeiten keine Qual, sondern ein vom Herrn verliehener Beruf seien, an dem sie sich in Demuth selig arbeiten könne, hatte sie nicht überlegt. Sie hatte ganz ohne Noth die Arbeit abgegeben, hatte dann Langeweile gehabt, sich nach Zerstreuung gesehnt und gedacht: wie soll es mit der Zeit werden, wenn die Gewohnheit allen Reiz von meinem kleinen Haushalten genommen? Dann hatte sie aber auch weiter denken müssen: – Mit deiner Liebe kann es wohl auch nicht so bleiben, die Gewohnheit ist ein entsetzliches Ding.

Liebe Großmama, sagte Elisabeth leise, ich muß noch ganz anders werden. – Die Großmama sah ihr liebes Kind freundlich an. – Ich weiß nicht, wie es kommt, fuhr Elisabeth fort, daß ich nur immer so in die Welt hinein leben muß, ich möchte doch auch eine solche Hausfrau sein, aber in der Wirklichkeit vergesse ich es.

In dem Augenblick trat Herr von Kadden ein. Er war sehr überrascht und erfreut über den lieben Besuch, seine Liebe zur Großmama war ungestört und unverändert. Er setzte sich zu Elisabeth, und sie sagte nach einer Pause: Weißt Du, Otto, von der Großmama habe ich eben gehört, daß ich gar nicht bin, wie ich sein möchte. – Er sah sie fragend an. – Ich bin wirklich schon langweilig gewesen und oft übler Laune, fügte sie seufzend hinzu.

Man darf auch zu Zeiten üble Laune haben, tröstete die Großmama, man ist nicht immer frisch und stark, und neben das Bild einer lieben Hausfrau möchte ich das eines lieben Hausherrn stellen, der gern einmal Geduld hat mit unsern übeln Launen. Freilich müssen wir ihm die Geduld vergelten, wozu uns Gelegenheit oft genug wird. Männer können keinen Schnupfen vertragen, versicherte sie scherzend.

An Schnupfen leide ich nie, entgegnete Kadden ebenso.

Aber an Kopfweh, fügte Elisabeth hinzu.

Der Schluß und die Hauptsache von allem guten Rath bleibt doch der, den ich Euch schon oft gesagt habe, nahm die Großmama das Wort, und den es mich nicht verdrießen wird zu wiederholen, so lange ich hier mit Euch walle: Wollt Ihr immer guter Laune sein und Geduld und Liebe üben, so müßt Ihr den Frieden in der Seele haben, der da höher ist denn alle Vernunft. Volles Genügen müßt Ihr in diesem Frieden haben, dann gedeihet die Liebe von selbst. Habt Ihr den nicht, so wird sie vom Sturmwind des Unfriedens, den die Welt giebt, zerwehet, wenn dieser Sturmwind auch mit dem leisesten Säuseln anhebt, als mit Rücksichten der Geselligkeit, nothwendiger Gunst hochgestellter Leute, Scheu vor Bekannten, die anders als wir denken, kleinen Verlegenheiten darüber. Und nun, schloß die Großmama herzlich, nehmt mir nichts für ungut, ich habe Euch beide herzlich lieb und möchte Euch vor allem Uebel bewahren. – Um ihnen jede Antwort zu ersparen, rüstete sie sich schnell zum Abschied, die Schimmel waren auch schon vorgefahren.

Denselben Abend mußte das junge Paar zu Bonsaks. Nach dem lieben großmütterlichen Gespräch war Elisabeth etwas beklommen, als sie in die erleuchteten Zimmer trat. Es waren außer den gewöhnlichen Kränzchen-Mitgliedern heute noch Gäste geladen und die Gesellschaft sehr zahlreich. Elisabeth wurde von den jungen Mädchen und jungen Frauen, wie gewöhnlich, sogleich in Beschlag genommen. Fräulein Amalie Keller, mit den hellblauen klugen Augen, war noch immer in diesem Kreise der Mittelpunkt, zwei Jahre hatte sie nun wieder Bilder arrangirt und französische und deutsche Lustspiele gespielt, immer ohne Erfolg, ihr Herz war einsam und bei jeder neuen Erscheinung dachte sie ungeduldig: sollte es der wohl sein? – Adolfine dagegen war von allen Seiten gefeiert und erschien stets im Bewußtsein ihres Sieges, zuweilen schien es auch, als ob ihr Herz sich entschieden habe, aber man gab nicht viel darauf, weil sie noch nie beständig war. Auch jetzt war sie mit einem hübschen, aber wenig gelobten jungen Mann beschäftigt, aber weder ihre Eltern noch ihre Schwestern schienen sich darüber zu beunruhigen.

Heute spielen wir Gesellschaftsspiele, bestimmte Adolfine; liebe Frau von Bandow, Sie sorgen dafür, daß etwas Leben in die Sache kömmt!

Die angeredete Dame antwortete nur mit einem gewissen Lächeln, Adolfine war zufrieden damit. Sie verstanden sich beide sehr gut. Frau von Bandow war eine leichtfertige gewöhnliche Frau, die schon manchem jungen Herzen eine gewissenlose Leiterin geworden. In ihrem todten leeren Herzen war von Liebe zu ihrem Mann nicht mehr die Rede, sie amüsirte sich darum an allerhand kleinen Intriguen, besonders aber spielte sie gern die Hehlerin und Helferin interessanter Herzenssachen. – Sie arrangirte jetzt die Plätze an dem runden Tisch. Adolfinen zum Nachbar bestimmte sie mit größter Unbefangenheit den Referendar Maier, Adolfinens Liebling. Den Platz an der anderen Seite der Freundin nahm sie selbst ein. Adolfinens Schwestern, Elisabeth, Amalie, noch ein verheirathetes jüngeres Paar, ihr Mann und einige junge Herren mußten sich in bunter Reihe setzen. Herr von Kadden, als er aufgefordert wurde mit zu spielen, bat noch um Urlaub, er war gerade mit einem alten Justizrath, einem leidenschaftlichen Musiker, der deswegen auch nicht am Spieltisch saß, in ein musikalisches Gespräch vertieft. Elisabeth, die sich heute besonders einsam und verloren in dieser Gesellschaft vorkam, schaute zuweilen sehnend nach ihrem Gemahl, er schien sie auch zu verstehen, er war mit dem Justizrath ihr ganz nahe getreten.

Es wurden jetzt weiße Papierzettel ausgetheilt, ein jeder sollte vier Endworte aufschreiben, die Zettel wurden dann wieder gemischt und vertheilt, und nachdem ein jeder zu den ihm gewordenen Endworten den Vers gemacht, wurden die Zettel wieder gemischt und vorgelesen. Elisabeth hatte die Worte geschrieben: »Frieden – hienieden – schicken – beglücken.« Sie hätte auch ein Verschen dazu machen wollen, und war neugierig, wie es von andern würde angewendet werden. Unter Scherzen und Lachen waren die Gedichte gemacht, Stottenheim begann vorzulesen:

Wenn mit jungen Rosen
Frühlingslüfte kosen,
Denk ich an der Jugend Frühlings-Glück
Nimmer, nimmer kehrt es mir zurück.

Fräulein Keller! rief Frau von Bandow hämisch, – sie stand sich mit Amalien nicht gut.

Nein, Stottenheim hat das gemacht, versicherte einer von den Herrn, er liebt solche Elegien.

Die Forschungen dürfen nie zu tief gehen, bestimmte Stottenheim und las schnell weiter:

Was frag ich nach langweilgem Frieden,
Ich will Bewegung und Genuß hienieden,
Das Eine will sich nicht für alle schicken,
Ich will durch Lieb und Lust mich selbst beglücken.

Adolfine! hieß es allgemein. Das nenne ich mir einen Kraftspruch, lachte Frau von Bandow. – Adolfine schaute keck und stolz um sich.

Nachdem einige sehr gemüthliche Sachen vorgelesen waren und darüber hinlänglich gescherzt war, begann Herr von Stottenheim von Neuem:

Langeweile, nur nicht Langeweile haben!
Drum benutze jeder seine Gaben,
Kühn des Lebens Frohsinn zu erfassen;
Gehts nicht mehr, muß ers von selber lassen.

Frau von Bandows herrliche Lebensansichten, bemerkte Amalie kalt.

Jedenfalls das Beste, was man thun kann! versicherte Maier.

Wenn das Ende nur nicht zu traurig wäre, fügte einer von den anderen Herren hinzu. – Ein großer Theil der Gesellschaft, besonders Amalie und Adolfinens Schwestern, stimmten ihm bei, die Uebrigen erklärten sich für Frau von Bandow, Stottenheim suchte zu vermitteln, war aber augenscheinlich auf der soliden Seite.

Kadden hatte trotz seiner Unterhaltung alles mit angehört, er war unwillkürlich näher an Elisabeth getreten, er fühlte heute eine gewisse Unruhe, daß er sie in eine Gesellschaft geführt hatte, wo überhaupt über solche gewissenlose Ansichten nicht ein allgemeines verdammendes Urtheil gefällt wurde. Stottenheim las jetzt das Folgende:

Wer doch hätt ein reines festes Herz,
Das nicht quält der Reue herber Schmerz!
Das allein kann diesem armen Leben
Glück und Freud und selgen Frieden geben.

Ein allgemeines Schweigen erfolgte. Adolfine rückte unwillkürlich etwas von Maier zurück, und Frau von Bandow, die eben daran war, beiden einen neckenden Spruch zuzuschieben, hielt ihn unwillkürlich zurück.

Wer unter uns ist dieser Pastor? fragte Herr von Bandow zuerst.

A la bonne heure, dieser Spruch ist der Beste von allen! versicherte Stottenheim.

Die Mädchen und Frauen, außer Adolfinen und Frau von Bandow, stimmten ein, auch einige Herren schickten sich an, die Worte nach ihrem Sinne zu deuten, es entstand ein lebhafter Disput. Ob man das Leben ernst oder fröhlich nehmen müsse, war der Gegenstand. Die Confusion und Verwirrung der Gemüther, die hierbei zum Vorschein kam, war unbeschreiblich. Einer nannte Rechtschaffenheit und ein gutes Gewissen allerdings die Grundlage des Glücks; wieder einer redete über Tugend und allgemeine Menschenliebe; der eine lobte einen ernsten, der andere einen leichten Sinn. Frau von Bandow mit ihrer großen Rednergabe ließ sich aber nicht vom Kampfplatz bringen. Sie pries es die höchste Lebenskunst, das Leben zu nehmen, wie es einmal ist, und es immer mit den lichtesten Farben zu schmücken, natürlich alles ohne Unrecht zu thun, das verstand sich von selbst. Sie, meine liebe junge Frau, wandte sie sich zu Elisabeth, werden auch bald genug vom Schrecken aller Schrecken, von der Langenweile überrascht werden, wenn Sie fortfahren, in so einseitigen, düstern Lebensansichten sich zu vertiefen, selbst ihren Mann haben sie auf dem Gewissen, der ist ganz und gar verändert in der letzten Zeit.

So gefällt er mir gerade, versicherte Elisabeth.

Das wird sich ändern, neckte Frau von Bandow, er wird Ihnen fürchterlich langweilig werden und Sie ihm desgleichen, Sie sind jung und schön, Sie müssen mit der Jugend lustig sein.

Das würde aber meinem Mann nicht gefallen, warf Elisabeth zuversichtlich ein.

Desto besser, so wird er etwas eifersüchtig, neckte Frau von Bandow weiter, und nichts ist unterhaltender.

Das möchte Kadden sehr übel nehmen, versicherte Stottenheim lachend.

Gut, so duellirt er sich wegen seiner Frau, das wäre erst recht interessant, versicherte Adolfine.

Nein, so ernsthaft soll es nicht werden, fuhr Frau von Bandow leichtfertig fort, er darf sie höchstens auch wieder eifersüchtig machen.

Liebste Bandow, reden Sie nicht so! warnte die andere junge Frau, die zu den Spielenden gehörte.

Warum sollten wir uns denn gegenseitig plagen? fragte Elisabeth noch mit ziemlicher Courage.

Weil es einmal nicht anders geht, fiel Frau von Bandow ein, es ist schon eine unangenehme Ueberraschung, wenn der Herr Gemahl anfängt, mit jungen Damen lieber zu tanzen, als mit uns Frauen, und doch ist nichts natürlicher und einfacher, wir tanzen ja auch gern einmal mit anderen Herren.

Wir tanzen aber gar nicht, versicherte Elisabeth, wenn wir nicht zusammen tanzen.

O schöne, heilige Gelübde der Flitterwochen! lachte Frau von Bandow; wir wollen uns künftigen Winter wieder sprechen.

Das wollen wir, sagte Elisabeth mit zitternder Stimme.

Da beugte sich ihr Mann zu ihr, er reichte ihr so hübsch ruhig und ernst die Hand, als wollte er sagen: Ich bin hier, Dein lieber Gemahl, bei Dir mit seinem Schutz und seiner Treue. Allen war dieses einfache, ruhige Thun ganz verständlich, selbst Frau von Bandow sah mit Verwunderung auf den hübschen ernsten Mann, der ihre Leichtfertigkeit nicht zu schätzen wußte.

Elisabeth fühlte es plötzlich so seltsam heiß am Herzen und dunkel vor den Augen, daß sie schnell aufstand. Amalie, ihre nächste Nachbarin, sah sie bleich werden und stand mit ihr auf. Ich gehe mit Ihnen, sagte sie, es ist auch wirklich nicht mit anzuhören.

Kadden sah Elisabeth teilnehmend und forschend an, sie hielt ihn aber leise zurück, als er ihr folgen wollte, und setzte sich mit Amalien hinter ein Efeugitter, während am großen Tische die Unterhaltung ihren Fortgang hatte.

Sie sind eine gottlose, abscheuliche Frau, begann Stottenheim zu Frau von Bandow gewandt, wie können Sie andere Menschen nur so plagen!

Ein äußerst zartes Kind! flüsterte Frau von Bandow.

Die liebe Frau ist etwas nervös, flüsterte Stottenheim ganz väterlich, aber ich kenne sie genug, ich bin ja so oft bei Kaddens, es ist eine herrliche, charmante Frau.

Wie kömmt denn dieser Engel aber dazu, sich ein reines Herz zu wünschen und von herber Reue zu reden? fragte Frau von Bandow spöttisch.

Weil sie das Leben zu gewissenhaft nimmt, fiel Stottenheim ein.

Sie macht sich, fuhr Frau von Bandow fort, Vorwürfe, wenn sie auch einmal lachen muß, wozu sie eigentlich die besten Anlagen hat, – die arme Frau!

Ihre Zuhörer, besonders Adolfine, lachten mit ihr, darauf wurden noch in Eil einige Zettel vorgelesen, bis man zu Tische ging.

Elisabeth war bald wieder stark und wohl auf, aber sie blieb ernst den ganzen Abend, sie mußte immer an die Großmama denken, an das Bild einer edlen christlichen Frau, und dann Frau von Bandow und Adolfine dagegen halten. Aber auch ihren Hausherrn stellte sie prüfend neben die übrigen Herren. Um recht sicher zu sein, daß er wirklich ihr eigen sei, legte sie die linke Hand fest auf den Trauring. – Ja, wenn er noch so heftig ist und wenn du sehr viel Geduld haben mußt, dachte sie, und wenn er dich nie mehr so lieb haben könnte, als dein Herz es wünscht, so ist er doch dein lieber getreuer Hausherr und du willst dich in deinem seligen Beruf als eine stille, fromme, christliche Hausfrau in den Himmel hinein leben.

Als sie den Abend noch allein nach der Gesellschaft zusammen auf waren, konnte Elisabeth den Eindruck von Frau von Bandows Neckereien, den Gesprächen der Großmama gegenüber, nicht vergessen. – Ich habe doch nie daran gedacht, sagte sie zu ihrem Mann, daß ich eifersüchtig sein könnte.

Er sah ihr in die offenen hübschen Augen und sagte lächelnd: Ich bin eifersüchtig gewesen im Sommer auf Deine kleinen Geschwister.

Ja, das war recht unrecht von mir in der Zeit, entgegnete Elisabeth bedenklich, es ist nur gut, daß Du es mich nicht entgelten ließest.

Wie sollte ich das anfangen? fragte er.

Ich weiß auch nicht, fuhr sie fort, es muß doch aber möglich sein, daß jemand absichtlich dem andern damit wehe thut.

Nein Elisabeth, das würde ich nie thun, sagte er freundlich.

Wenn Du mich aber wirklich nicht mehr so lieb hättest? wenn Du jemand sähest – ihre Stimme zitterte, sie konnte nicht weiter reden.

Kannst Du Dir möglich denken, daß wir uns weniger lieb haben? fragte er.

Ich habe schon wunderliche Gedanken gehabt, fuhr sie fort, in müßigen, thörichten Stunden, und obgleich ich wußte, es sei gewiß nicht wahr, und mit Zittern an die Möglichkeit dachte, daß es wahr sein könnte, so sprach ich mir vor. Du habest mich nicht mehr so lieb und ich auch Dich nicht mehr, man könne sich aber daran gewöhnen, es sei nicht anders in der Welt. Es war nur kindisches Gedankenspiel, aber es war so verwegen von mir und ich kann es heute kaum fassen. Die Großmama würde das nie gethan haben, sie würde es für eine Sünde gehalten haben. Ich möchte mir diese Gedankenspiele auch verbitten, sagte er freundlich.

Und wenn sie mich selbst wieder quälen sollten, sagte Elisabeth bewegt, und wenn ich Dir selber sagte, ich hätte Dich nicht lieb, und wenn es Dir die ganze Welt sagte, so glaub es nur nicht; denn es ist doch und doch nicht wahr, ich habe Dich so in der tiefsten Seele lieb, wenn ich Dir auch ganz böse bin. Und wenn Du mich wirklich nicht so lieb haben könntest, – so habe ich doch den Ring hier, – der liebe Gott hat Dich damit –

Sie konnte vor leisem Weinen nicht weiter reden, sie wollte aber hinzusetzen: Der liebe Gott hat Dich damit zu meinem Herrn gesetzt, und ich will auch nichts weiter sein als eine demüthige Hausfrau. Ja, wenn auch das Traurigste mir vom Herrn bestimmt wäre, wenn mein Leben, wie die Großmama es heute nannte, ohne Sonne sein müßte, ohne Sonne und ohne Blumen, der Ring bleibt doch mein Ring und ich will mit ihm sterben.

Ihr Mann beruhigte sie mit freundlichen und liebreichen Worten. Er wußte es, sie war nur aufgeregt von der albernen Gesellschaft. Bei Tisch war zufällig die Unterhaltung ähnlich gewesen als vorher bei den Spielen. Der Oberst erzählte die Scheidungs-Geschichte einer seiner Nichten: die Leutchen hatten sich aus glühender Liebe und beinahe gegen den Willen der Eltern geheirathet, und nach nicht langer Zeit sehnten sie sich nach Trennung, Wenn die Sachen einmal so schlimm stehen, ist es auch immer besser, sie werden geschieden, hatte der Oberst hinzugesetzt, es ist ein Zusammenleben zu beider Verderben. – Wenn sie aber eine andere Verbindung treffen, hatte einer von den Herren eingewandt, so ist ein ähnlicher Ausgang wieder zu erwarten, – Meine Nichte hat wieder eine Verbindung geschlossen, hatte der Oberst achselzuckend erwidert, die freilich nicht viel besser ausgefallen ist. Die Erfahrung ist jetzt eine bittere Arzenei geworden, sie fügt sich in ihr Schicksal. – Kadden hatte darauf entgegnet: Da scheint mir doch die Ansicht, daß eine Ehe unzertrennlich ist, weil es Gott befohlen hat, rathsamer zu sein; wenn sich die beiden auch nicht mehr lieb haben, müssen sie sich vertragen, weil es Gottes Ordnung und Wille ist. – Stottenheim hatte auf diese Worte sehr pathetisch entgegnet: Zwei Leute, die so denken, sind eigentlich über die Fatalitäten einer unglücklichen Ehe hinaus, ihr Gewissen wird es ihnen nicht erlauben, sich gegenseitig das Leben unerträglich zu machen. Stottenheim hatte wie ein blindes Hühnchen ein Körnlein gefunden; die Nutzanwendung, die Kadden lächelnd davon machte, war ihm aber gar nicht recht: – Also, was das Glück der verheiratheten Leute betrifft, so ist es besser, sie haben die einseitigen und allerdings unzeitgemäßen Ansichten der sogenannten Frommen; es wäre nun die Frage, ob es nicht eben so gut wäre, auch schon mit diesen Ansichten die Ehe einzugehen, und sie sich schon unverheirathet anzuschaffen. – Dieser Ausspruch war dann von der Gesellschaft so gedreht und gewendet, daß er allen mundrecht wurde, es wurde wieder von edeln Charakteren und höheren Lebensansichten gesprochen, und Kadden hatte dazu geschwiegen, weil er weder Muth noch Freudigkeit zu solchen Streitigkeiten hatte.

Jetzt mußte er seiner Frau wiederholen, daß ein Mann, wenn er seine Frau auch nicht mehr recht herzlich lieben könne, sie doch, weil es Gottes Wort verlange, achten und ehren müsse als sein Gemahl. Mit diesem Trost und mit dem Gedanken, von morgen an ihre Speisekammer und alle ihre unangenehmen Arbeiten, und auch Kopfschmerzen und Schnupfenlaunen ihres Mannes und was daran hing, in einem anderen Lichte anzuschauen, kam Elisabeth endlich heute zur Ruhe.

Am andern Morgen sah sie wieder frischer in das Leben hinein, die Gespenster vom vergangnen Abend waren völlig verschwunden, das eine aber war ihr noch deutlicher, daß sie nie den Leuten in der Gesellschaft nützen, wohl aber sich nur immer mehr Unfrieden dort holen würde.

Als das nächste Mal das Kränzchen bei Bandows war, ging sie auf des Mannes eigene Anordnung mit ihm zu den Großeltern, und als es dann wieder bei ihnen selbst war, hatten sie die Großeltern zu Gaste geladen. Das war nun freilich seltsam, – die beiden würdigen Leute in dieser gemischten Gesellschaft; sie wußten aber sehr wohl, was sie wollten, und niemand war zuversichtlicher und frischer, als sie es waren, außer Elisabeth, die zu Frau von Bandows Verwunderung wirklich übermüthig war. Die Nähe der Großeltern war ihr ein doppelter Schutz, und seltsam war es, daß, Elisabeths Frohsinn gegenüber, Adolfine und ihre Genossen verstummten, ja als die Großmama sie als freundliche Wirthin anredete, beinahe verlegen wurden.

Aus Rücksicht für die Großeltern wurden die Karten nicht hervorgeholt, man mußte sich mit der Unterhaltung und mit Gesang und Musik begnügen. Die Stunden gingen doch schnell hin, und Stottenheim konnte es nicht lassen hin und wieder zu flüstern: Ein allerliebstes altes Paar! und unbegreiflich bei dieser Richtung: immerfort sind sie vergnügt, und wahrhaftig! eben so geistreich. Als die Bandow ebenso leise ihren Spott wagen wollte, sagte er ganz abwehrend: Nein, bitte, gnädigste Frau, die alten Herrschaften dürfen wir nicht angreifen, die haben ihr Leben für sich! Man weiß nicht, woran es liegt, aber sie haben ihre Sache gut gemacht. Ich kann es kaum den Leuten, die in ihrer Nähe sind, verdenken, wenn sie es ihnen nachmachen wollen, obgleich es gegen alle vernünftigen Lebensansichten streitet. Es bleibt mir, wie gesagt, ein Problem, aber es ist ein allerliebstes altes Paar.


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