David Christie Murray
Ein gefährliches Werkzeug
David Christie Murray

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Sechzehntes Kapitel.

Prickett hatte, in Verfolgung seiner eignen Absichten, Esden sofort nach seiner Rückkehr von Wootton Hill den ihm von Fräulein Pharr ausgestellten Check eingehändigt und der Anwalt war gleich nach der Bank gefahren, um den Papierstreifen in Gold umzuwechseln. Hätte er auf seiner Flucht jenes verhängnisvolle Beweisstück nicht verloren, so wäre alles so glatt von statten gegangen, und sicher würde er schon bald das auf so eigentümliche Weise entlehnte Kapital haben zurückerstatten können. Als die Grainger gekommen war, um ihm ihre Mitwissenschaft zu bekennen, hatte er thatsächlich schon das Geld in Händen gehabt. Halb mechanisch nahm er das in zwei Leinensäcken fest verpackte Geld aus der Lade, in der er es verwahrt hatte, hervor. Er öffnete das eine der beiden Säckchen und zählte hundertundsechzig Pfund davon ab. Lediglich um dieser Summe willen hatte er sich um seine Selbstachtung gebracht und nun wollte er sie auch um jeden Preis haben, ob er sie einmal zurückbezahlen konnte oder nicht. Ja, er fühlte sich sogar von einer Art falschen Heroismus' begeistert bei dem Gedanken, daß er zu seinem eignen Schaden seinen schwachen Freund rette. Er band den Sack wieder zu und verpackte die hundertundsechzig Pfund sorgfältig in starkes braunes Papier, siegelte das Paket, legte einen mit Bleistift beschriebenen Zettel dazu und umschloß das Ganze noch mit einem Bogen Schreibpapier, den er mit Bindfaden umwand und mit der Adresse versah. Darauf verwahrte er das übrige Geld in einer schwarzen Handtasche, setzte seinen Hut auf und ging. Auf der Straße traf er bald einen Dienstmann, den er das Paket an seine Adresse besorgen und auf Antwort warten hieß. Er gab dem Mann eine halbe Krone und bat ihn, die Antwort in den Briefkasten vor seiner Wohnung zu stecken. Dann nahm er einen Wagen und fuhr nach Pricketts Privatwohnung.

»Führen Sie den Herrn herauf,« sagte Prickett lächelnd zu seinem Hausmädchen, als Esden angemeldet wurde. »Was soll's nun wieder geben?« fragte er sich selbst. »Hast noch nicht genug Sand in den Augen, Joseph?«

Er legte seine Pfeife weg und erwartete den Besucher in der Nähe der Thür, doch dieser schritt, ohne den Hut abzunehmen, an ihm vorüber und ließ eine schwarze Reisetasche auf den Tisch fallen.

»Schließen Sie die Thür,« befahl er; »ich habe Ihnen etwas zu sagen. In dieser Tasche befinden sich achthundertundvierzig Pfund in Gold. Ich gebe das Geld Ihnen in Verwahrung und –« er biß die Zähne einen Augenblick fest übereinander und stand, auf einen Stuhl gestützt, Prickett gegenüber, ohne ihn anzusehen – »und stelle mich selbst zur Haft.«

Bei diesen Worten stand der Unüberaschbare denn doch überrascht, und es vergingen einige Sekunden, ehe er ein Wort finden konnte.

»So ist's recht,« erwiderte er, als er sich wieder gefaßt hatte, »das ist ohne Zweifel der beste Ausweg.«

Er war wieder so kühl und gelassen, als hätte er diese Lösung stets vorausgesehen.

»Nehmen Sie Platz, Herr Esden,« sagte er, ihm ruhig einen Stuhl zurechtrückend. Esden gehorchte mechanisch. »Ich habe heute nachmittag meine Verhaltungsmaßregeln erhalten,« fuhr er fort und setzte sich an die andre Seite des Tisches, »und sie gehen dahin, daß gar keine Verhaftung vorgenommen werden soll, wenn die Sache zum Klappen kommt.«

Wyncott schlug die Augen auf und starrte ihn an. Seine Lippen waren graubraun, die Augenlider entzündet und die Augen beinahe farblos – die schlaflosen Nächte und die erlittenen Seelenqualen hatten diese sichtbaren Spuren hinterlassen.

»Sie wissen?« fragte er in schleppender, teilnahmloser Weise, als ob ihn die Sache bei Haut und Haar nichts anginge.

»Nun ja, Herr Esden,« erwiderte Prickett mit achtungsvollem Mitleid. »Ich hatte den Fall soweit klargelegt, daß ich heute nach Wootton Hill fuhr, um zu fragen, was ich zu thun habe, wenn es zur Untersuchung käme. Wenn Sie mir die Freiheit verzeihen wollen, so möchte ich gern sagen, wie sehr ich mich um Ihretwillen freue und erleichtert fühle, daß Sie diesen Weg eingeschlagen haben. Ich möchte mir nichts herausnehmen, Herr Esden, aber ich habe stets ein achtungsvolles, freundliches Interesse an Ihnen genommen, seitdem ich Sie zum erstenmal gesehen habe. Die Gefühle dürfen auf die Pflicht keinen Einfluß ausüben, aber es hat mir sehr weh gethan, Ihnen nachspüren zu müssen, und ich bin froh, daß die Sache mir nun aus der Hand genommen ist. Es steht Ihnen frei, zu gehen, und ich werde mit Freuden berichten, was geschehen ist. Natürlich erwarten wir von Ihnen, daß Sie uns, soweit es irgend in Ihrer Macht steht, unterstützen und uns unser Spiel mit Reuben nicht verderben.«

»Ich bin frei?« fragte Esden wieder in demselben müden, gleichgültigen Ton.

»Ja, Herr Esden,« entgegnete Prickett, »so lautet mein Auftrag.«

»Wer hat ihn Ihnen gegeben?« fragte Wyncott, auf den Tisch stierend.

»Doktor Elphinstone und Herr Arnold Esden.«

Einen Augenblick lang blieb Wyncott schweigend sitzen, dann fuhr er sich mit dem Taschentuch über die Stirn und trommelte auf den Tisch.

»Was hat Ihren Verdacht auf mich gelenkt?« fragte er schließlich, wie wenn dies doch noch ein wenig Interesse für ihn hätte.

»Ich hatte eine ganze Reihe Anhaltspunkte dafür,« entgegnete Prickett, als ob er die Neugierde des andern für ganz gerechtfertigt hielte. »Da haben wir erst Ihre Fahrt nach Hemsleigh, und die von Sandy Park nach London; dann Ihr Benehmen, als ich Ihnen das Werkzeug zeigte; Ihre Unterredung mit Gale in meiner Anwesenheit und Ihr zweiter Besuch bei ihm, als ich weg war; ferner das Tintenfläschchen auf Ihrem Kamin und die Schrammen an Ihrer Thür.«

»Ah!« sagte Wyncott, nachdem er diese Aufzählung schweigend angehört und darüber nachgedacht hatte. »Ich war ein Narr!«

Prickett nickte beistimmend und traurig mit dem Kopf, gab aber keine Antwort.

»Sie scheinen einen Teil des Geldes zurückgebracht zu haben, Herr Esden; aber die Edelsteine sind die Hauptsache. Wo sind sie?«

»Gale hat sie aus meiner Wohnung geraubt,« erwiderte Esden, ohne aufzusehen. Nun, da die Sache geschehen war, schien ihm alles einerlei zu sein. Der innere Widerstreit hatte sich beruhigt und die Scham und alle seine Sorgen schienen entschwunden zu sein.

»Herr mein Gott,« sagte Prickett, »hat dieser Kerl Glück! Es scheint, er darf thun, was er will, und man kann ihn doch nie fassen! Nun hätten wir ihn so schön gehabt und er spaziert, die Hände in den Hosentaschen, frank und frei dahin!«

»Sie wollen ihn auch laufen lassen?« fragte Esden. »Vermutlich um meinen Ruf zu retten?«

»Vermutlich.«

»Nun, dann haben Sie die Rechnung ohne mich gemacht. Ich lasse Gale selbst verhaften, sobald ich von hier fortgehe.«

»Herr Esden,« entgegnete Prickett, »ich habe meine Verhaltungsmaßregeln erhalten und werde mich danach richten. Man will die Sache vertuschen und sie wird vertuscht werden. Ich glaube wohl, daß die Herrschaften dies zum Teil um Ihretwillen thun, aber sie thun es auch um ihrer selbst willen.«

»Sie sagen also, daß Gale ungestraft davonkommen wird?« fragte Esden wieder und schlug dabei seine Augen auf, in denen ein neues, unheilverkündendes Licht glühte.

»Was ist da zu wollen, Herr Esden?« erwiderte Prickett. »Sie beide sind zu sehr miteinander verhängt. Wenn man Sie entwischen ließe und Gale beim Kragen nähme – was würde dies den zurückbleibenden Herrschaften nützen?«

Wyncott dachte nicht an die zurückbleibenden Herrschaften; es kam ihm auch nicht im entferntesten der Gedanke, daß er all die Zeit her vielleicht zu wenig an deren Interesse gedacht hätte.

»Mag geschehen, was will,« sagte er mit wilder Energie, »Gale wird nicht entkommen.«

»Gewiß wird er dies, Herr Esden; Sie beide sind zu fest aneinander gekettet. Unter uns gesagt, Herr Esden, Sie können ihm kaum übler gesinnt sein, als ich. Erst vor wenigen Tagen haben Sie mir ihn entrissen und ich habe ihm fünf Jahre lang nachgespürt. Hätte er dies Geschäft glatt erledigen können, so hätte er seine Thätigkeit in den Vereinigten Staaten fortgesetzt, aber nun, da ihm diese Sache mißglückt ist, wird er sich hier wieder an die Arbeit machen und selbst sein schlimmster Feind kann das Ende abwarten.«

»Was wollten Sie damit sagen, daß Sie von seiner Thätigkeit in den Vereinigten Staaten sprachen?«

»Nun,« antwortete Prickett, »er geht ja doch hinüber, wenigstens hat er es vor. Er hat schon die Ueberfahrt bezahlt für sich und einen Diebskameraden, einen Steinschneider. Mit dem am Samstag abfahrenden Schiff will er reisen – nur daß jetzt nichts daraus werden wird.«

»Der niederträchtige Schurke!« schrie Esden, der in seiner Wut über diese Entdeckung sogar seine eigne Schande vergaß. »Auf morgen nacht hat er mich zu einer Zusammenkunft bestellt, um die Hälfte der Belohnung in Empfang zu nehmen.«

»Haha, das hat er im Schild geführt – Hab' mir's wohl gedacht! Vermutlich war auch ausgemacht, daß er die Hälfte des Gewinnes bringen sollte, sobald die Steine geschnitten wären? Nun, ich muß sagen, Herr Esden, auf mein Wort . . .« Pricketts Mitleid mit der Einfalt Wyncotts ließ sich kaum in Worten ausdenken. »Oh Gott, oh Gott! Daß Sie auch nur eine Minute lang darauf hereinfallen konnten!«

Er sank auf seinen Stuhl zurück und schien Betrachtungen über die Dummheit der Menschen im allgemeinen anzustellen; vorwurfsvoll schüttelte er erst den Kopf und nickte dann schließlich in gottergebener Hoffnungslosigkeit vor sich hin.

»Vermutlich,« fuhr er fort, »sollte dann auch eine Art Scheinkampf stattfinden? Sie sollten wohlgebunden und womöglich mit Ihrem eignen Taschentuch geknebelt aufgefunden werden. Mein Gott, mein Gott!«

»Meinen Sie, ich werde den Halunken, der mich in dieser Weise für Narren zu halten wagte, ohne einen Denkzettel entkommen lassen? Wenn Sie ihn nicht fassen, so mache ich's ihm wie er dem Hausmeister, und jage ihm eine Kugel durch den Kopf.«

»Das werden Sie nicht thun, Herr Esden; das ist gerade so wenig Ihre Sache als die meine. Dagegen können Sie mir sagen, wo Sie mit ihm zusammenkommen sollten. Es wird natürlich ein stiller, entlegener Ort sein, und ich möchte Gale womöglich auch in der Stille erwischen.«

»Von mir aus können Sie ihn fassen, wo und wann Sie wollen,« sagte Esden bitter; »mir ist es ganz einerlei.«

Dann beschrieb er den Platz, an dem die schmachvolle Komödie hätte aufgeführt werden sollen. Am westlichsten Ende von Holborn stand eine Reihe zum Teil schon abgebrochener Häuser. Ein Freund Gales hatte alle Schlösser, Schlüssel und Thürklinken in Bausch und Bogen gekauft, und Gale hatte unbehindert Zutritt zu den verlassenen Häusern und konnte sie, ohne Verdacht zu erregen, benützen. Esden bezeichnete das Haus und das Zimmer genau, in dem die Zusammenkunft stattfinden sollte, und übergab Prickett den Schlüssel, der ihm selbst Zutritt hätte verschaffen sollen.

»Danke schön, Herr Esden,« sagte Prickett, der bei der ganzen Unterredung den achtungsvollen Ton beibehalten hatte, in dem er mit Esden zu verkehren pflegte, ehe ein Flecken auf dessen Ehre gefallen war.

»Falls Sie zufällig ein Privatsiegel bei sich haben, möchte ich Sie bitten, diese Tasche zu versiegeln, dann bringe ich sie sofort nach Wootton Hill.«

Esden löste ein Petschaft von seiner Uhrkette und Prickett versiegelte die Tasche aufs Sorgfältigste.

»Wenn Sie sich irgendwie einmischen,« begann Prickett wieder, »so können Sie nur sich selbst und Ihren Freunden schaden. Ich hoffe, Sie werden nichts Derartiges thun, denn ich habe Gale ganz sicher; er denkt nicht daran, das Land zu verlassen, ohne das gestohlene Gut mitzunehmen, und dadurch ist er mir jeden Augenblick sicher. Was ich Ihnen sage, Herr Esden, ist zu Ihrem eignen Besten. Sie sind glücklich davongekommen, aber nun stehen Sie sich nicht selbst im Licht und nehmen Sie sich's nicht allzu sehr zu Herzen. Lieber Gott, Herr Esden, Sie sind nicht der erste Gentleman in der Welt, der einen dummen Streich gemacht hat, und werden auch nicht der letzte sein. Du lieber Gott, was könnte ich Ihnen für Geschichten erzählen!«

Damit stand Prickett auf, nahm seinen glänzenden Hut von einem Nagel hinter der Thüre, ergriff die Handtasche und seinen Stock und stand dann zum Fortgehen bereit vor Esden.

»Ich denke, ich werde doch noch das Recht haben, mich zu verteidigen,« sagte Wyncott voll Selbstverachtung. »Es ist am besten, Sie sagen in Wootton Hill alles, wenn Sie es ihnen überhaupt sagen. Gale gab mir die Brechstange zum Andenken, und als meine Aufwärterin meine Sachen packte, schickte sie sie aus Versehen mit nach Wootton Hill. Durch Zufall bin ich letzten Montag über Wootton Hill hinausgefahren und dachte mit keinem Gedanken daran, bis ich das Haus ganz leer und die Gelegenheit so günstig als möglich fand. Ich habe hundert und sechzig Pfund genommen, um einen Wechsel zu decken, für den ein armer Teufel, ein Freund von mir, sich vor drei Monaten verbürgt hatte. Ich wollte diese Summe nehmen und nichts weiter, und hätte sobald als möglich die tausend Pfund anonym zurückgeschickt. Ich wollte Gale die Hälfte der Belohnung zahlen, um sein Schweigen zu erkaufen, obgleich ich ein Jahr lang wie ein Bettler hätte leben müssen, um seinen Anteil zurückzahlen zu können. Er begnügte sich nicht damit, aber ich will mich nicht von einem Schurken wie er einer ist, in ein Verbrechen hineindrängen lassen.«

»Der Herr, der sich für Sie verbürgt hat, steht wohl selbst nicht gut?« fragte Prickett.

»Er wäre zu Grund gerichtet gewesen, wenn er das Geld verloren hätte. Er hat eine kranke Frau und sechs Kinder und ich halte ihn für den hilflosesten, thörichtesten Menschen unter Gottes Sonne.«

»Sie können sich darauf verlassen, Herr Esden, daß ich dies alles sagen werde,« sagte Prickett, »und es wird im Erzählen nicht verlieren.«

Darauf wechselten sie nur noch wenige Worte und trennten sich auf dem Bahnhof von Charing Croß voneinander.


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