David Christie Murray
Ein gefährliches Werkzeug
David Christie Murray

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Drittes Kapitel.

An diesem Tag bekam Wyncott Esden noch einen andern Besuch – einen langhaarigen, aufgeregten Mann mit langen Händen und einem fast nur aus einer Nase bestehenden Gesicht. Er hatte eine schwere Zunge und eine bedeutende Neigung, in vertraulichen Gesprächen thränenreich zu werden: der Mann hieß J. P. und schien mit dieser mangelhaften Anredeform ganz zufrieden zu sein.

»Ich hoffe, du glaubst nicht, ich wolle dich belästigen,« sagte J. P., »aber wenn du diesen Wechsel vergißt, so richtest du mich zu Grunde. Ich kann ihn so wenig decken, als ich fliegen kann.«

»Mein lieber Junge,« erwiderte Esden, »es ist auf der Herrgottswelt kein Grund vorhanden, dir Sorge zu machen. Du kannst die ganze Sache als erledigt betrachten, denn du wirst nie mehr ein Wort darüber hören.«

Der Gast versicherte, es sei ihm damit eine große Last vom Herzen genommen, und überließ Esden sich selbst.

»Ich muß wahrhaftig etwas in der Sache thun,« gestand sich dieser, »und zwar muß dies sofort geschehen, obgleich der Kuckuck wissen mag, woher das Geld kommen soll. Ich kann J. P. nicht ruinieren, das ist außer allem Zweifel, und will sofort zu Sheldon gehen.«

Entschlossen nahm er einen Wagen und fuhr nach dem Geschäftslokal eines ihm bekannten Geldverleihers, der trotz seines christlich klingenden Namens in Sprache und Aussehen außerordentlich jüdisch war.

»Brauchen Geld?« sagte er, als Esden seine Geschichte erzählt hatte. »Brauch ich auch, braucht jedermann. Es wird Ihnen vermutlich immer daran fehlen. Es sind soviel Wechsel von Ihnen auf dem Markt, daß ich keinen Pfennig für das Pfund geben würde.«

»Aber ich kann doch den andern mit dem Wechsel nicht stecken lassen!«

»Gut, dann lassen Sie ihn eben nicht stecken.«

Noch nie hatte Esden die Geschwornen so bearbeitet, wie diesen unerbittlichen Geldverleiher, allein bald wurde ihm klar, daß er eben so gut hoffen konnte, einen Diamant mit einer Federspule zu zerschneiden, als aus diesem hebräischen Quarz Gold herauszupressen, und er gab den Versuch scheinbar gutlaunig auf.

»Wenn Sie nicht wollen, müssen Sie es eben bleiben lassen.«

»Ich will nicht,« versicherte der Geldverleiher zum Ueberfluß noch einmal.

Der Anwalt ging, um seine Ueberredungskünste an andern zu versuchen, fand aber, daß es zu spät geworden war. Am nächsten Tag lief er die ganze City ab und gab ein Pfund für Droschkenfahrten aus, allein vergeblich. In der ganzen Geld verleihenden Bruderschaft fand sich nicht einer, der ihm auf einen Wechsel von fünfzig Pfund auch nur eine halbe Krone geliehen hätte. Die Gerechtigkeit erfordert zu sagen, daß ihm dabei J. P.'s stehende Nase und seine thränenreiche Vertraulichkeit beständig vorschwebte und daß sich das Gefühl seiner Verpflichtung ihm bleischwer auf die Seele legte. Es stand fest, daß er den armen J. P. nicht hatte beschwindeln wollen, sondern nur durchaus hatte hundertfünfzig Pfund haben müssen, und es war schrecklich, daß eine so kleine Summe eine so große Last hatte werden können. Er für sich allein hätte sich selbst von der englischen Staatsschuld nicht bedrücken lassen, wenn ihm jemand so viel Kredit gewährt haben würde, allein nun litt er für J. P. Dieser hatte ein Weib nebst sechs Kindern und der schreckliche Gedanke, daß der arme Mann durch sein freundschaftliches Vertrauen zu Grunde gerichtet werden sollte, betrübte Esden aufrichtig. Allein wenn das Geld nicht zu erlangen war, so war es eben nicht zu erlangen, und man mußte seine Hoffnung auf einen Zufall setzen.

Sein letzter vergeblicher Versuch hatte ihn in die Nähe eines Bahnhofes in der City gebracht, und da die Zeit, zu der er hatte in Wootton Hill eintreffen wollen, längst verstrichen war, so sandte er einen Dienstmann zu seiner Aufwärterin mit einem Zettel, in dem er sie anwies, soviel von seinen Sachen einzupacken, als für vier Wochen nötig sei. Während der Dienstmann fort war, aß Wyncott in der Restauration zu Mittag, nahm dann sein Gepäck in Empfang und fuhr mit dem nächsten Zug ab. Anfangs war er zu ärgerlich und aufgeregt, um auch nur die Abendblätter lesen zu können, die er sich mitgenommen hatte, allein da er eine sehr elastische Natur besaß, war er schon wieder ganz er selbst, als der Zug auf dem Bahnhof von Wootton Hill hielt. Er war dort bekannt und der Stationsvorstand begrüßte ihn mit größter Ehrerbietung. Esdens Tante war die Standesperson der Gegend und ihre Gäste wurden natürlich dadurch auch Leute von Bedeutung. Es war für einen Mann, der nicht einmal hundertundfünfzig Pfund auftreiben konnte, wenigstens eine kleine Genugthuung, als vornehmer Herr auftreten zu können, und dieser Umstand hob ihn in seinen eigenen Augen wieder einigermaßen.

»Bedaure unendlich, Herr Wyncott,« sagte der Stationsvorstand, »aber wir können Ihnen Ihr Gepäck nicht vor einer Stunde hinaufschicken.«

»Das thut nichts,« sagte Esden, »aber sorgen Sie, daß ich es heute nacht noch erhalte.«

Damit schritt Esden davon, als wäre er der geborene Herr und Erbe dieses Grund und Bodens. Der arme J. P. und seine Angelegenheiten waren ihm völlig entschwunden.

Hill House war ein Wohnhaus von beträchtlicher Größe mit wenig oder gar keinem Anspruch auf architektonische Schönheit. Es erhob sich über das umliegende Land und war auf etwa zwei Meilen hin nach jeder Richtung sichtbar. Trotzdem es Wind und Wetter völlig preisgegeben war, machte es doch einen heimeligen, heitern Eindruck.

Die Landstraße führte über den Hügel und das Thor war nicht mehr als vierzig Meter vom Hause entfernt; der Zwischenraum wurde von einem mit schönen Bäumen und außergewöhnlich großen Rhododendronbüschen bepflanzten Rasen ausgefüllt. Im Erdgeschoß des Gebäudes befand sich eine offene Halle, durch die das Haus von vorne bis hinten in zwei Teile geteilt wurde. Die beiden obern Stockwerke wurden in derselben Weise durch einen Flur geteilt und eine breite Wendeltreppe führte an beiden Enden des Gebäudes in die oberen Regionen.

Während Esden bequem den Hügel hinaufschlenderte, sah er vor sich einen Mann, der eine Handkarre schob. Er ging neben der Karre her und las die Aufschrift der Pakete.

»Sie gehen nach Hill House?« fragte er freundlich und der Mann antwortete bejahend. »Dann bringen Sie mir nur mein Gepäck auch so bald als möglich vom Bahnhof herauf. – Sie haben da eine schwere Last, wie es scheint?«

»Ja wohl,« erwiderte der Mann, »es ist ein photographischer Apparat. Die Dame war wenigstens sechsmal drunten, um danach zu fragen.«

»Na, das ist ja genug, um ein photographisches Atelier einzurichten! Vergessen Sie nur mein Gepäck nicht!«

Damit schritt er weiter und langte geraume Zeit vor dem Packträger im Hause an. Als er eintrat, bewegte sich eine Gruppe lieblich aneinandergeschmiegter, in weißen Flanell gekleideter junger Mädchen über die Wiese und plapperte wie eine Schar Sperlinge. Hinter ihnen drein schritt ein älterer Herr in Schwarz, der eine ältere Dame in Grau am Arm führte. Wyncott beschleunigte seine Schritte und trat zu dem alten Paar.

»Nun, Tante,« sagte er munter, »da wäre ich, und ich bin froh, daß ich hier bin.«

»Mein lieber Wyncott,« erwiderte die alte Dame, »wir freuen uns, dich hier zu sehen.«

Beim Klang der Stimme des neuen Ankömmlings wandten sich die Mädchen um und eines davon ging ihm mit offenem, knabenhaftem Lächeln und ausgestreckter Hand entgegen.

»Sie erinnern sich meiner noch, Herr Esden?«

Sie sprach mit leicht schottischer Betonung und ihr Antlitz zeigte die echt schottische blendend weiße Gesichtsfarbe. Man konnte sie kaum eine Schönheit nennen, aber in ihren Zügen fand man schon auf den ersten Blick etwas Reizendes und Verbindliches. Sie hatte offene, ehrliche, graue Augen und eine Fülle goldbraunen Haares, das in diesem Augenblick in malerischer Unordnung ihr Haupt umfloß, und das sie mit einer leichten Bewegung zurückwarf. Mit dieser Bewegung, dem offenen freundlichen Blick, der aufrechten Haltung und der beinahe männlichen Art, in der sie Esden die Hand reichte, hatte sie ebenso viel von einem Jungen in Mädchenkleidern, als von einer jungen Dame an sich, abgesehen natürlich von den wirklich zarten und anmutigen Linien ihrer höchst weiblichen Gestalt. Scherzend erklärte Esden ihre Frage für eine Beleidigung sowohl seines Verstandes als auch seines Herzens. Darüber lachte man und Esden bewegte sich mit der übrigen Gesellschaft dem Hause zu.

»Ich bringe Ihnen gute Nachrichten, Fräulein Pharr,« sagte er, »ich bin der Vorläufer Ihres photographischen Apparates, der eben vor dem Thor anlangt.«

»Nein!« rief die Dame mit dem Ausdruck unerwarteten Entzückens und eilte ohne ein Wort weiter nach dem Gartenthor. Esden wandte sich ebenfalls um und folgte ihr gemächlich.

»Sie ist wirklich nicht übel,« sagte er zu sich selbst, »und hat ein reizendes Benehmen. Ich vermute, daß sie sich mit dem Checkbuch ebenso reizend benehmen wird. Sie können sich darauf verlassen, Fräulein Pharr, ich werde mein Aeußerstes thun, sie zu gewinnen! Wahrhaftig, voriges Jahr war sie nicht halb so hübsch!«

Er vergaß ganz, daß voriges Jahr das Einkommen der Dame wesentlich beschränkter war, und daß damals kein Grund vorlag, sie in diesem Maße zu bewundern.

Fünf Minuten später zeigte das Eßzimmer ein unerhörtes Durcheinander von zerrissenem Bindfaden und Packpapier, und jeder einzelne Gegenstand, den Fräulein Pharr auspackte, wurde in seiner Art für prächtig erklärt. Als sich dann die Glocke vernehmen ließ, die zum Essen rief, mußte die Dienerschaft schleunigst Ordnung schaffen.

Die alte Dame blieb noch einen Augenblick zurück, nachdem sich die ganze Gesellschaft mit Ausnahme Esdens zum Ankleiden hinaufbegeben hatte.

»Ich werde dich neben Fräulein Pharr setzen, mein Lieber,« sagte sie in vertraulichem Ton. »Uebrigens weißt du ja, wie ich über die Sache denke. Ganz abgesehen von ihrem Geld ist sie ein reizendes Geschöpf und eigentlich viel zu gut für dich.«

»Ich bin der gehorsamste aller Neffen,« erwiderte Esden.

»Du bist sehr gescheit und hübsch,« gab die alte Dame zurück, »aber ich fürchte, du bist so gottlos, als dein Vater war. Nun geh und zieh dich an.«

»Liebe Tante, zu einem Verbrechen muß ich mich bekennen: ich habe schon zu Mittag gegessen und kann mich nicht umkleiden, weil niemand auf der Station war, der mein Gepäck hätte bringen können.«

»Du mußt doch zu Tisch kommen und uns unterhalten. Ich habe vergessen, dir zu sagen, daß Fräulein Pharr dein altes Zimmer bewohnt. Du bekommst das blaue Zimmer am entgegengesetzten Ende des Ganges.«

Esden geleitete seine Tante bis an ihre Thüre und machte dann in befriedigter Stimmung so gut Toilette, als er konnte. J. P. und seine Angelegenheiten waren so gänzlich vergessen, als ob sie gar nie vorhanden gewesen wären. Der junge Mann fühlte, daß er einen ausgezeichneten Eindruck auf die Erbin gemacht hatte, und er entwarf nun seinen Schlachtplan. Mindestens eine Woche lang wollte er offen freundschaftlich mit ihr verkehren; dann sah er sich im Geist mit geheimem Beifall etwas schüchterner werden; dann wollte er bei ihrem Erscheinen in Verwirrung geraten und sich eiligst entfernen, wenn schlau herbeigeführte »Zufälle« ihm das Zusammensein mit ihr ermöglichten. Selbst die alte Dame wollte er dran kriegen und sie zu seiner Vertrauten machen, er wollte bei dem bloßen Gedanken erröten, für einen Glücksritter gehalten zu werden, da wo sein Herz ernstlich und tief empfand. Vergnüglich schmunzelnd rieb er sich die Hände. Er war von Natur ein Ränkeschmied und versprach sich einen riesigen Spaß von dieser Komödie, trotzdem meinte er es in gewissem Sinn ehrlich damit; er wollte ein vorzüglicher Gatte werden und seine Frau sollte stolz auf ihn sein, denn er traute sich die Fähigkeit zu, eine glänzende Laufbahn zu machen.

Die Tischglocke störte ihn in seinen Träumen und fröhlich ging er hinab, um zum Angriff zu schreiten.


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