David Christie Murray
Ein gefährliches Werkzeug
David Christie Murray

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Elftes Kapitel.

Als Wyncott Esden und Prickett von Chancery Lane nach Holborn einbogen, ließ der Detectiv den Wagen, in dem sie saßen, plötzlich halten.

»Wir haben unsern Mann verfehlt,« sagte er, als er ausstieg und dem Kutscher einen Schilling gab. »Er war außerhalb der Stadt, hat Staub von der Landstraße an den Stiefeln.«

Und wirklich kam Gale in einer Entfernung von etwa zwanzig Schritt auf sie zu. An den Nägeln kauend und in tiefe Gedanken versunken kam er näher; Prickett wich zurück und er ging vorüber, ohne sie zu bemerken.

»Reuben!« sagte der Detectiv ruhig. Als er dies hörte, blieb er stehen und blickte Prickett mit seinen sanften braunen Augen voll ins Gesicht. Im nächsten Augenblick wurde er Wyncotts gewahr und fuhr zusammen; indessen faßte er sich sofort wieder und griff an seinen Hut.

»Ich möchte noch ein paar Worte mit Ihnen reden,« sagte Prickett, »wo kann dies am besten geschehen?«

»Wie Sie wissen, bin ich gleich zu Hause,« antwortete Gale höflich, »und stehe ganz zu Ihrer Verfügung.«

Wiederum traten sie in den schmutzigen Laden. Ein Lehrjunge stand hinter dem Ladentisch, und mit einem Blick auf diesen ersuchte der ehrliche Handelsmann die beiden Herren in das Hinterzimmer zu treten, wo sie ungestört wären.

»Nun, Gale,« begann Esden, sobald sich die Thür hinter ihnen geschlossen hatte, »ich denke, Sie erraten, was uns herführt.«

»Mag sein, daß ich's errate,« entgegnete Gale mit erwartungsvollem Blick.

»Prickett hat mir alles erzählt, was gestern abend und heute morgen geschehen ist,« fuhr Wyncott in überzeugendem, geschäftsmäßigem Tone fort. »Sie haben Zeit gehabt, sich zu besinnen. Nun sagen Sie, haben Sie dies Werkzeug angefertigt?«

»Herr Esden,« sagte Gale, seine ruhigen Ochsenaugen zu Wyncott aufgeschlagen, »ich rechne darauf, daß man ehrlich mit mir verfährt, und soweit es mir möglich ist, können Sie sich darauf verlassen, daß ich zu Ihnen stehe.«

»Das genügt!« antwortete Wyncott mit einem raschen Blick auf Prickett. »Also, Gale?«

»Das Werkzeug stammt ohne Zweifel von meiner Hand. Die Sache ist die, Herr Prickett. Ich habe drei derartige, ganz gleiche Werkzeuge angefertigt und alle abgegeben. Bei den Leuten, welche die beiden ersten erhalten haben, bin ich gewesen, und beide sind noch in deren Besitz. Ich habe aber noch keine Gelegenheit gehabt, mit dem dritten zu sprechen, doch habe ich ihm einen Wink geben lassen und hoffe, noch heute nacht ein paar Worte mit ihm reden zu können.«

»Es nützt wohl nichts, Gale, Sie zu größerer Eile anzutreiben,« meinte Esden.

»Ich kann es nicht schneller machen, Herr Esden,« antwortete Gale, »aber ich denke das Ziel zu erreichen.«

»Sehen Sie zu, Reuben, daß Sie nicht auf zwei Achseln Wasser zu tragen versuchen,« warnte Prickett.

»Es soll meine Sache sein, Gale, dafür zu sorgen, daß man sich großmütig gegen Sie zeigt, wenn Sie sich zuverlässig erweisen,« sagte Wyncott. »Ich glaube, ich habe ein gewisses Recht an Sie – Sie sind mir schon einigen Dank schuldig.«

»Herr Esden,« erwiderte Gale, »handeln Sie gegen mich, wie's recht ist, und ich bin standhaft, aber zuvor muß ich den Herren eine Bedingung stellen. Man darf mich nicht beobachten, Herr Prickett. Ich bin gewillt, in dieser Sache eine hilfreiche Hand zu bieten, weil Herr Wyncott Esden damit zu thun hat, aber ich will nicht den Scotland Yard einem Menschen auf die Fersen hetzen, gegen den vielleicht etwas anderes vorliegt, der aber an der fraglichen Sache ganz unschuldig ist.«

»Nun, Prickett,« sagte Esden, »können Sie darauf eingehen?«

»Ich gäbe was drum, Reuben, wenn ich eine halbe Minute lang Ihre Gedanken lesen könnte,« äußerte Prickett mit bedenklichem Kopfschütteln.

»Meine Herren,« sagte Gale, »wenn ich dies Versprechen von Ihnen erhalte, so weiß ich, daß ich mich darauf verlassen kann; erhalte ich es aber nicht, so rühre ich keinen Fuß.«

»Gut also, dann sollen Sie es haben, aber nur bis morgen mittag um zwölf Uhr, nachher –« Damit erhob sich Prickett, nickte und setzte seinen Hut auf.

»Für den Augenblick wäre also nichts weiter zu sagen?« fragte Wyncott, ebenfalls aufstehend. »Es wird besser für Sie sein, Gale, Sie kommen mit Ihren Nachrichten zu mir als zu Herrn Prickett. Sie wollen vermutlich nicht in Verbindung mit der Polizei gesehen werden. Ich werde heute nacht von zehn bis zwölf Uhr in meiner Wohnung sein.«

Prickett gab diesem Vorschlag seine Zustimmung und entfernte sich mit dem Advokaten. Gale blieb mit dem Ausdruck höchster Verwunderung auf seinem Gesicht zurück und nickte wiederholt vor sich hin.

»Dies,« sagte er endlich tief aufatmend, »dies übersteigt wirklich alle Begriffe!«

Seine Gedanken schienen ihn so zu überwältigen, daß er, ohne es zu wissen, in dem engen Zimmer auf und ab schritt. Plötzlich ertönte ein leichter Schritt im Laden, die Thür ging auf, und Wyncott Esden stand mit leichenblassem Antlitz vor ihm. Schweigend blickte Gale ihn an, sank auf einen Stuhl und winkte Esden, ebenfalls Platz zu nehmen; dann blieb er starr wie der Tod. Esden schloß die Thür und blieb dann, auf den ihm von Gale bezeichneten Stuhl gestützt, regungslos stehen. Eine Minute lang herrschte tiefes Schweigen.

»Nun!« sagte Esden endlich mit heiserer Stimme.

»Nun, Herr Esden?« gab Gale zurück.

»Zum Henker, Mann, so sprechen Sie doch!« rief Esden leidenschaftlich. »Was wissen Sie?«

»Nun, ich denke, ich weiß genug,« antwortete Gale, ohne auch nur einen Augenblick seine freundliche Demut zu verlieren. Seine milden braunen Augen blickten ehrerbietig und seine Stimme klang heiser, vertraulich und klagend. »Ich will Ihnen erzählen, was ich gethan habe. Zuerst ging ich in Ihre Wohnung, und als ich Sie dort nicht traf, weiter nach Wootton Hill, wo ich eine Unterhaltung von fünf Minuten mit dem Stationsvorstand pflog. Von diesem habe ich mir sagen lassen, Sie seien gestern mit dem Ein-Uhr-fünfunddreißig-Zug nach London hinaufgefahren und um acht Uhr drei Minuten zurückgekommen. Dann bin ich nach Hemsleigh gewandert, wo ich erfuhr, daß ein Herr in dem dort vier Uhr siebenundzwanzig anlangenden Zug von Wootton Hill ab Extrafahrgeld bezahlt habe. Dieser Herr soll eine schwarze Handtasche getragen und sich querfeldein nach Wootton Hill aufgemacht haben. Dann bin ich bis nach Sandy Park zurückspaziert, das in der Richtung nach London hin die nächste Station von Wootton aus ist, und dort habe ich ermittelt, daß der nämliche Herr den Londoner Zug fünf Uhr dreißig benützt habe – die Züge passen prächtig ineinander. Vielleicht erinnern Sie sich, daß der Kniff mit den drei Stationen ein Hauptbelastungspunkt gegen mich war. Damals haben Sie diesen Umstand sehr hübsch zu mildern verstanden.«

»Wohl,« sagte Esden, auf dessen Gesicht sich Blässe und Erröten jagten, »aber wozu soll dies alles führen?«

»Nun, ich denke, es soll zu halbpart führen,« erwiderte Gale. »Man sagt, die Juwelen seien dreißig- bis vierzigtausend Pfund wert, natürlich können wir dies nicht herausschlagen. Aber wir können immerhin etwas zwischen vier- und sechstausend Pfund erlösen.«

»Vielleicht könnten wir dies, aber so wie die Sache liegt, werden wir es nicht thun,« lautete Esdens Antwort.

»Nicht, Herr Esden?« fragte Gale in ehrerbietigem Staunen. »Warum nicht?«

»Wahrhaftig,« gab Esden zurück, »das Leben treibt sonderliche Blasen! Hätte mir vor dreißig Stunden jemand vorausgesagt, ich könne in die Lage kommen, irgend einen Entschluß, den ich fasse, Ihnen gegenüber rechtfertigen zu wollen, so hätte ich dem Propheten ins Gesicht gelacht! Da wir aber nun Teilhaber an dem nämlichen Verbrechen werden sollen,« fuhr Esden mit bitterem Scherz fort, »so werde ich Ihnen meine Meinung sagen, und zwar mit einer Aufrichtigkeit, die Sie mir im umgekehrten Fall kaum zeigen würden. Ich habe dies ›Geschäft‹ – so heißt ja wohl der technische Ausdruck – aus ganz besonderen Gründen gemacht. Ich befand mich zufällig in der allerdrückendsten Geldverlegenheit und that es um der Belohnung willen. Wenn Sie sich einbilden, Ihr Mitwissen könne mich auch nur einen Zoll breit über meinen ursprünglichen Vorsatz hinaustreiben, so täuschen Sie sich ganz gewaltig. Im schlimmsten Fall kann ich die Edelsteine zurückschicken und mich auf und davon machen – meine Freunde werden mich nicht verfolgen lassen.«

»Ganz recht, Herr Esden,« erwiderte Gale mit freundlichem, überzeugendem Sträuben, »aber das heißt ja einfach Geld zum Fenster hinauswerfen. Ich weiß Bescheid und kann die Steine schleifen lassen und leicht und gefahrlos auf den Markt bringen.«

»Ihre Erfahrung und Ihr Scharfsinn werden diesmal nicht zur ihrer Entfaltung gelangen können, Herr Gale,« gab Esden zurück; die Entdeckung, die Scham und der Ekel über sich selbst bereitete ihm bei dieser Unterhaltung Seelenschmerzen, die er beinahe körperlich empfand.

»Sehr wohl, Herr Esden,« antwortete Gale, »ich möchte gern wissen, ob schon irgend ein Schritt gethan worden ist. Wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr Esden? Herr Prickett sprach heute morgen von einer ziemlich hohen Belohnung.«

»Diese Epistel,« sagte Esden und warf des »betrübten Vaters« Brief auf den Tisch, »ging heute früh der Eigentümerin der Juwelen zu.«

Gale streckte seine schwielige Hand aus, ergriff den Brief und las ihn gründlich: dann blickte er grinsend auf. Esden hatte ihn nie zuvor lächeln sehen, und die Heiterkeit des biederen Kaufmannes flößte ihm einen verstärkten Widerwillen ein. Gale hatte ein halbes Dutzend seiner Vorderzähne verloren und seine halb zugedrückten Augen, die gefurchten Backen und das zahnlückige Grinsen ließen ihn geradezu gespenstig erscheinen. Er sah aus wie irgend ein schrecklicher alter Wasserspeier, und Esden, der ihn anstarrte, machte nun zum erstenmal die Bekanntschaft der Persönlichkeit, die sich unter diesem demütigen und sanften Aeußern verbarg. »Das ist schlau, Herr Esden,« sagte Gale, »das ist sehr schlau, und ich wüßte kein besseres Verfahren vorzuschlagen. Wollen Sie nicht Platz nehmen? Ich werde darauf bestehen, trotz dieses kleinen Gespräches heute nacht zu Ihnen zu kommen. Es ist am sichersten so, wenn ich für den Fall, daß nachträglich irgend etwas herauskommt, beweisen kann, daß ich nicht bei Ihnen war. Inzwischen werde ich in einem gewissen Haus, das ich kenne, vorsprechen, als ob ich dort Erkundigungen einziehen wolle.«

»Glauben Sie, daß Sie beobachtet werden?« fragte Esden, ängstlich hinter sich blickend. »Glauben Sie, daß Prickett sein Versprechen bricht?«

»Oh nein, Herr Esden,« lautete die Antwort. »Herr Prickett ist ehrlich und hält sein Wort. Jeder Beamte von seiner Erfahrung hat schon auf derartige Zugeständnisse eingehen müssen. Immerhin werde ich aber die beiden Gänge machen und Sorge tragen, dies später beweisen zu können. Kein unnötiges Risiko, ist stets mein Grundsatz gewesen.«

»Wissen Sie, Herr Gale, daß Ihre zufällige Mitwirkung in dieser Sache es mir sehr erschweren wird, ehrlich zu sein?«

»Wie so?« fragte Gale, ohne Ueberraschung oder Aerger zu verraten.

»Es wird mir schwer fallen, Ihre fünfhundert Pfund zusammenzuscharren,« erwiderte Esden. »Bitte, begreifen Sie gefälligst, daß ich kein Dieb bin, sondern nur entlehne – allerdings in einer, wie ich zugebe, etwas ungewöhnlichen Weise. Dies Geld wird auf Heller und Pfennig zurückbezahlt.«

»Ich begreife wohl, daß ein Gentleman vielleicht so empfinden kann,« sagte Gale nachdenklich und zustimmend. »Ich werde also zum Schein in dem Hause vorsprechen und um zehn Uhr bei Ihnen sein. Ich habe einen sehr ermüdenden Tag gehabt und möchte ihn möglichst bald beschließen. Dann können Sie gehen und meine Mitteilungen Herrn Prickett bringen. ›Gale,‹ sagen Sie, ›hat aus dem Mann, an den er das Werkzeug verkaufte, alles herausgebracht. Dieser Mann,‹ sagen Sie, ›verpflichtet sich, die Edelsteine innerhalb vierundzwanzig Stunden herzuschaffen, wenn die Bekanntmachung in den Morgenblättern steht. Was Gale betrifft.‹ sagen Sie, ›so wird er wohl seine eigenen Abmachungen mit dem »betrübten Vater« treffen.‹ Weiter,« schloß Gale aufstehend, »haben wir für den Augenblick nichts mehr zu besprechen, Herr Esden. Joseph Prickett scheint diesmal mit Blindheit geschlagen, und ich muß sagen, ich finde das Geld ziemlich leicht verdient.«

Damit trennten sich die so ungleichen Verbündeten für den Augenblick.

Unterdessen hatte Prickett, nachdem er seinen freiwilligen Gehilfen verlassen, sich auf die Polizeistation verfügt und dort angeordnet, daß White sogleich in seine Wohnung folgen und Gale bis auf weiteres nicht beobachtet werden solle.

Dann lenkte er seine Schritte heimwärts und überdachte mit einer gewissen Enttäuschung die Wendung, welche die Sache genommen hatte.

»Die tausend Pfund hätten mir so gut angestanden wie einem andern,« meinte er.

Aber abgesehen davon, kränkte es ihn, daß er die Jagd aufgeben sollte, die er leidenschaftlich betrieb. »Ich hatte den ›betrübten Vater‹ bekommen und Reuben dazu,« sagte er zu sich selbst: »es ist mir ein guter Spaß verdorben worden.«

Unter der Last seiner Unzufriedenheit war er so langsam gegangen, daß White ihm fast auf den Fersen folgte. Dieser schien es nicht mehr für nötig zu halten, seine tölpelhafte Maske vorzunehmen.

»Nun?« war die einzige Frage, die Prickett an ihn richtete.

»Herr Gale,« gab White zurück, »hat mich einen netten Marsch über Feld machen lassen. Vielleicht ist es am besten, ich berichte Ihnen alles der Reihe nach.«

Da Prickett zustimmend nickte, zog White ein Taschenbuch hervor und wendete die Blätter mit angefeuchtetem Daumen um, bis er auf die gesuchte Stelle stieß. Sein Vorgesetzter lehnte, die Hände in den Taschen, am Kamin und hörte ihm mit gleichgültiger Miene zu.

»Sieben Minuten vor elf trat ich meinen Posten an,« berichtete White, von Zeit zu Zeit seine Notizen zu Rate ziehend. »Drei Minuten nach elf geht Gale in den Temple, Numero neun, Elm Court. Er steigt bis in das höchste Stockwerk hinauf und klopft zwei- oder dreimal. Dann kommt er wieder herunter und fragt ein altes Weib mit Eimer und Scheuerlappen, ob sich Herr Wyncott Esden in der Stadt befinde. An der Thür stand der Name ›Wyncott Esden‹ zu lesen.«

»Weiter!« sagte Prickett, der ein Federmesser aus seiner Westentasche nahm und damit seine Nägel einer höchst sorgfältigen Reinigung unterzog.

»Zunächst begibt er sich nach dem Bahnhof von Charing Croß und steigt in den Zug nach Wootton Hill.«

»In Wootton Hill,« fuhr White fort, den Prickett mit seinem unerschütterlichsten Gesichtsausdruck ansah, hinter dem er sein Interesse zu verbergen pflegte, »spricht Gale fünf Minuten mit dem Stationsvorstand und schreitet dann quer durch die Felder. Ich denke, es könne wohl der Mühe wert sein, zu wissen, was er wisse, und wende mich deshalb an den Stationsvorstand. Er zeigt sich erst etwas grob, und ich muß ihm sagen, daß es sich um den Dienst der Königin handle; dies macht ihn geschmeidig und er sagt mir, Gale habe sich nach Herrn Wyncott Esden erkundigt.«

»Oh!« sagte Prickett. »Was wünschte er denn über Herrn Wyncott Esden zu erfahren?«

»Wollte wissen, mit welchem Zug er gestern nach London gefahren und mit welchem er zurückgekommen ist. Der Stationsvorstand sagte ihm, ein Uhr fünfundzwanzig und acht Uhr drei. Dann fragte Gale nach der nächsten weiter abwärts gelegenen Station. Man sagte ihm, sie heiße Hemsleigh, und wies ihm den Weg. Ich schlängle mich ihm nach – sehr hübscher Weg, größtenteils schattig – und Gale plaudert mit Stationsvorstand in Hemsleigh.«

»Ueber was diesmal?« fragte Prickett, während er that, als ob er hinter seiner vorgehaltenen Hand gähne.

»Gale fragt nach einem Herrn, glattrasiert, Zwicker, sehr elegant und hübsch. Trug wahrscheinlich weißen Hut, weiße Weste, gelbe Handschuhe, sagte er. Stationsvorstand sagt ihm, er habe gestern solchen Herrn gesehen, in dem Zug vier Uhr siebenundzwanzig. Trug schwarze Handtasche; zahlte Extrafahrgeld erster Klasse von Wootton Hill an; gab Fahrkarte bis Wootton Hill ab, scheint aus Versehen weiter gefahren zu sein und machte sich auf den Weg zurück.«

»Wissen Sie was?« sagte Prickett, seine Pfeife stopfend. »Sie überraschen mich aufs sonderbarste. – Doch einerlei – ich sage es Ihnen nachher. Weiter!«

»Gale erfuhr auch, daß derselbe Herr gestern abend nach Hemsleigh zurückkehrte und fragte, ob im Lauf des Nachmittags nicht irgend ein verdächtiges Subjekt mit einem Paket gesehen worden sei.«

»James White,« sagte Prickett, »Sie und ich, wir haben beide schon etwas gesehen in der Welt! aber wenn all das, was wir gesehen und erlebt haben, auf einen Haufen zusammengeschaufelt würde, so gäbe es neben dem noch keinen Maulwurfshügel. Fahren Sie fort! Was kam zunächst?«

»Gale fragte nach der auf Wootton Hill in der Richtung nach London folgenden Station. Sandy Park. Der nächste Weg dorthin führt durch die Felder. Drei Meilen. Nämliche Geschichte. Der nämliche Herr benützte den Zug fünf Uhr dreißig nach London. Damit schien Gale seine Nachforschungen zu beschließen: fuhr im nächsten Zug nach London und ich folgte ihm in einem anderen Wagen.«

»Soweit ist alles recht,« sagte Prickett. »Dann folgten sie ihm natürlich nach Hause?«

»Ja.«

»Sie sahen mich nachher mit ihm? Besuchte ihn vorher jemand?«

»Nein. Sie haben ihn, wie es schien, unterwegs getroffen. Er ist in Chancery Lane eingekehrt und hat sehr langsam und bedächtig ein Glas Bier getrunken. Brauchte beinahe eine Stunde dazu.«

»Kam jemand zu ihm, nachdem ich weg war?«

»Der Herr, der mit Ihnen dort war, kam noch einmal zurück!«

»Nein?« rief Prickett mit dem ausgesprochensten humoristischen Wohlbehagen. »Sie wollen doch nicht ernstlich behaupten, er sei noch einmal umgekehrt?«

»Kam zurück und sah recht sonderbar und übel aus,« erwiderte White. »Hielt sich etwa zehn Minuten auf und sah, als er herauskam, aus, als ob er Gespenster gesehen hätte.«

»Glauben Sie, daß Gale Sie gar nicht erkannt hat?« fragte Prickett.

»Soviel ich weiß, hat er mich überhaupt nur einmal gesehen – auf dem Bahnsteig von Sandy Park.«

Mit einem für ihn ganz ungewöhnlichen Lächeln und mit liebenswürdiger Miene sagte Prickett: »Ich habe zwar Gale versprochen, ihn nicht beobachten zu lassen, aber bei näherer Ueberlegung will ich es doch thun. Ich glaube, mein Gewissen wird sich darüber leicht beruhigen können.«

»Sie wünschen, daß ich ihn weiter beobachte?« fragte White.

»Ja,« erwiderte sein Vorgesetzter, »es wird am besten sein, Sie gehen wieder zurück.«

Als White sich entfernt hatte, fing Prickett an, im Zimmer auf und ab zu wandeln, wobei er dann und wann stehen blieb und sich mit nachdenklicher Zufriedenheit die Hände rieb.

»Ich konnte anfangs aus Reubens Gesicht gar nicht klug werden,« flüsterte er vor sich hin. »Jetzt verstehe ich es schon eher. Er war übervoll von Bewunderung für die Unverfrorenheit dieses jungen Anfängers, der sich mir bei der Untersuchung anschloß. Es ist ein wahres Vergnügen, mit ein paar solchen Menschen zu thun zu haben. Der Herr segne Sie, Herr Wyncott Esden, die Kastanien werden aus dem Feuer geholt werden, aber wir wollen sehen, mit wessen Pfoten. Uebrigens ist es doch schade zu sehen, wie ein so gewandter junger Mann sich thörichterweise seine Aussichten verdirbt. Natürlich macht er es äußerst klug, aber was nützt es, gut Whist spielen, wenn alle Karten gegen einen fallen?«


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