David Christie Murray
Ein gefährliches Werkzeug
David Christie Murray

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Viertes Kapitel.

Er war weniger unterhaltend, als er beabsichtigt hatte, weil sich die Unterhaltung in der Hauptsache um einen ihm ganz fremden Gegenstand drehte; allein er überlegte sich wohlweislich, daß ein guter Zuhörer andern Leuten gerade so unterhaltend ist, als ein guter Erzähler sich selbst, und hüllte sich demgemäß meistens in ein reizendes Schweigen.

Durch das Eintreffen von Fräulein Pharrs neuester Erwerbung lenkte sich die Unterhaltung ganz von selbst auf die Photographie, die zwei Jüngerinnen in der Gesellschaft hatte, wovon die eine vorderhand noch eine uneingeweihte Enthusiastin war. Fräulein Edith Wyncott, die einzige Tochter der Hausfrau, eine ziemlich stattliche Jungfrau von fünfunddreißig, fand in der photographischen Kunst den nämlichen Trost, den andre unverheiratete Damen bei Möpsen und Papageien suchen. Doktor Elphinstone, ein älterer Herr, erinnerte sich noch der Zeit, als diese Kunst aufkam, und hatte ihre Fortschritte mit lebhaftem Interesse verfolgt. Die Wissenschaft verdankte ihm eine Reihe vergrößerter Aufnahmen von mikroskopischen Gegenständen und er galt für eine bedeutende Autorität.

Die Unterhaltung dieser beiden Personen hatte Fräulein Pharr auf den Gedanken gebracht, ihre Mußezeit mit photographischen Versuchen auszufüllen.

Elphinstone war ein Schotte mit dem Gesicht einer ungewöhnlich wohlwollenden alten Bulldogge. Er war entsetzlich feierlich, sogar für einen Mann seines Schlages, und der höchste Ausdruck seiner Zufriedenheit bestand in einem pfiffigen trockenen Blinzeln und Zwinkern. Die allergewöhnlichsten Dinge behandelte er mit unverhältnismäßigem Ernst, und wenn ihn irgend etwas selbst berührte, so war er geradezu unergründlich.

»Sie sind eine sehr glückliche Person, Fräulein Janet,« sagte er mit seiner anmutigen und liebenswürdigen Feierlichkeit, »daß Sie Ihre Studien zu einer Zeit beginnen, in der die Wissenschaft der Chemie, soweit sie mit der Photographie in Verbindung steht, einen so hohen Grad der Vollkommenheit erreicht hat. Ich für meine Person habe angefangen, mich damit zu beschäftigen, als sie noch in den Windeln lag. Ich erinnere mich noch sehr wohl, wie Ihr seliger Onkel jene wunderbare Sammlung Juwelen und Steine, Ketten und Geschmeide von Indien mit herüberbrachte und mich bat, sie zu photographieren. Er war eben von Burmah zurückgekehrt und das Art-Journal brannte vor Verlangen, Zeichnungen davon zu erhalten. Wir breiteten die einzelnen Stücke auf einem Tisch aus, ich setzte sie in die schönste Beleuchtung, die ich je gesehen, und nahm sie auf. Damals entstand eine gewaltige Diskussion über die Echtheit einiger Münzen, und alle Numismatiker der Welt nahmen Interesse an der Frage. Nun also, ich machte die photographische Aufnahme und Ihr Onkel, der es eilig hatte, kehrte mit den Originalen geradewegs nach Burmah zurück. Die Bilder gingen per Post von Edinburg nach London, wo sie einen Monat lang bei dem Verleger liegen blieben, und als der arme Mann sie dem Kupferstecher übergeben wollte, waren sie ganz verblaßt und es ließen sich nur noch einige Flecken auf dem Papier erkennen. Heutzutage kommt so etwas nicht mehr vor.«

Die Erbin legte einen Finger auf ihre Lippen und blickte den alten Arzt geheimnisvoll an.

»Wir wollen darüber jetzt nicht weiter reden, Herr Doktor,« sagte sie, »aber erinnern Sie mich nachher im Wohnzimmer daran.«

Nachdem später in diesem Zimmer der Thee herumgereicht worden war und der Diener sich entfernt hatte, mahnte Doktor Elphinstone Fräulein Pharr an dieses Gespräch.

»Ich weiß,« sagte sie mit einer lustigen Grimasse gegen den alten Herrn, »daß ich doch nur ausgezankt werde, wenn ich sie hierher bringe,« und ohne ein Wort weiter eilte sie in ihrer lebhaften, knabenhaften Weise aus dem Zimmer, um alsbald mit einem Maroquinkasten in der Hand wieder zurückzukommen. Sie stellte das Kästchen auf den Tisch und öffnete es mit einem kleinen Schlüssel, den sie unter einer Menge Miniaturküchengerätschaften in Silber an ihrem Gürtel trug. Doktor Elphinstone, der sich mit beiden Händen auf den Tisch stützte, ließ einen langgezogenen Ausruf der Verwunderung vernehmen, als sich das Kästchen öffnete, und die andern stimmten in diesen Ausruf mit ein.

»Aber, Janet,« rief die alte Dame, »das ist ja die reine Narrheit! Wie kannst du wagen, solche Dinge mit dir zu führen?« Dabei streckte sie die Hand aus und legte einen Zeigefinger, der thatsächlich vor Entzücken zitterte, auf einen riesigen halbgeschliffenen Saphir, der in der Mitte des Behälters lag. »Was sind sie wert?« fragte sie so begierig und bewundernd, daß es einen komischen Gegensatz zu ihrem Tadel bildete.

»Das kann ich nicht sagen,« antwortete Fräulein Pharr. »Vermutlich hat mein Onkel sie ihrem vollen Wert nach verzeichnet. Sie waren beim Crédit Lyonnais in Paris zu einer halben Million Franken versichert und kosteten jährlich tausend Pfund – in England kann ich sie billiger unterbringen.«

Alle standen um den Tisch herum und betrachteten die Juwelen und Geschmeide, als kämen sie aus dem Feenland.

Der Doktor berührte sie der Reihe nach fast ehrerbietig mit dem Zeigefinger.

»Ja, ja, ich erinnere mich,« sagte er mit einer selbst für ihn ungewohnten Feierlichkeit, »ich erinnere mich.«

Das Kästchen, nicht größer als ein Quartblatt, öffnete sich in zwei Teile und in diesen lagen alte und neue Edelsteine neben Münzen und Ketten von orientalischer Arbeit auf violettem Sammet gebettet. Die Erbin zog aus der einen Abteilung vorsichtig eine Lade hervor.

»Hier,« sagte sie, »ruht der wahre Schatz.«

Die Zuschauer reckten die Hälse und beugten sich begierig vor; aber der wahre Schatz erschien dem Auge weniger verlockend als das, was sie zuerst gesehen hatten. Die hier gezeigten Edelsteine waren größtenteils noch von dem Gestein, in dem sie gefunden worden, umgeben, aber auf der oberen Seite war bei einem jeden eine mehr oder weniger große Fläche geschliffen und poliert, so daß sich die Glut der Saphire und Smaragden mit dem gelblichen Licht der Diamanten zu heimlichem, verschleiertem Gefunkel vereinten.

Der Doktor hielt den Atem an und berührte mit ausgestrecktem Daumen und Zeigefinger einen Smaragden. Dann nahm er mit einem um Erlaubnis und Entschuldigung bittenden Blick auf die Eigentümerin den Stein heraus und legte ihn in seine offene linke Hand.

»Ich verstehe mich ein wenig darauf,« sagte er leise.

Er hatte sich über das Kleinod gebeugt und betrachtete das köstlich glühende Grün eine Minute lang und legte dann den Stein sorgsam auf seinen Platz zurück.

Wie segnend breitete er die Hand über die Sammlung aus und flüsterte halblaut: »Gar mancher Edelstein vom köstlichsten, reinsten Wasser.«

»Janet,« sagte Frau Wyncott feierlich, »du darfst diese Kleinodien nicht im Haus behalten – ich kann kein Auge mehr zuthun, so lange sie da sind. Eines Tages werden wir um deinetwillen alle ermordet im Bett gefunden!«

»Außer uns selbst weiß keine Menschenseele, daß sie im Hause sind,« entgegnete Fräulein Pharr. »Ich war sogar so vorsichtig, es bei Tisch vor der Dienerschaft nicht zu erwähnen. Außerdem wird sich ein Dieb nicht leicht daran vergreifen – die Sachen sind zu auffallend, um leicht verwertet werden zu können.«

»Seien Sie dessen nicht zu sicher, Fräulein Pharr,« warnte Esden. »Ich bin in meinem Beruf schon einer ganzen Menge Herren begegnet, die ihren Hals gern an solchen Preis wagen würden. Außerdem gibt es in London thatsächlich eine Firma von Hehlern, die jeden Augenblick fünftausend Pfund bereitliegen hat.«

»Wyncott Esden kennt diese Sachen durch seinen Beruf und du thätest klug daran, auf seine Warnung zu hören, Janet,« sagte Fräulein Wyncott.

»Und Sie glauben, daß es unklug von mir ist, diese Sammlung bei mir zu führen?« fragte Fräulein Pharr nun Esden.

»Ich halte es allerdings für ein wenig unüberlegt und gewagt,« antwortete er.

»Aber,« wandte die Besitzerin der Kleinodien ein, »ihr wollt sie ja zu einer Art weißen Elefanten für mich machen. Was hat denn ein armes Mädchen vom Besitz solcher Schätze, wenn sie dieselben nur auf einer Bank niederlegen und dafür bezahlen muß?«

»Das ist eine scharf zugespitzte Frage,« versetzte Doktor Elphinstone, »aber mir wäre es unbehaglich, wenn sie mir gehörten.«

»Bewahren Sie alle mein gefährliches Geheimnis,« sagte das junge Mädchen lachend; »in meinem Zimmer befindet sich ein hübsches Schränkchen mit sehr starkem Schloß, dort werde ich den Schatz verwahren, bis ich dazu komme, ihn nach London zu bringen. Ich werde doch wohl auf der Treppe keinem Räuber begegnen?«

»Janet, ich bitte dich, von solch schrecklichen Dingen nicht in diesem leichtfertigen Ton zu sprechen – das heißt Gott versuchen.«

Fräulein Pharr verschloß ihre Juwelen in dem von ihr erwähnten Schränkchen und kehrte sofort wieder zu der Gesellschaft zurück. Es gelang Esden, sich anscheinend zufälligerweise den Platz an ihrer Seite zu verschaffen, und sie plauderten lebhaft und heiter miteinander. Mit jedem Augenblick erschien sie ihm einnehmender, und er hoffte, falls die Sache in diesem Tempo weiterging, schon nach Verlauf einer Woche am Ziel seiner Wünsche anzulangen. Soweit er es beurteilen konnte – und er war weder übermäßig eitel noch albern –, war der Eindruck, den er machte, ebenso günstig wie der, den er empfing. Leichten Herzens legte er sich zu Bett, allein der unglückselige J. P. spukte in seinem Kopf, bis es ihm gelang, einzuschlafen, und er von Fräulein Pharr und vom GolcondaklubGolcondaklub, ein Verein von Spitzbuben und Hochstaplern in London. Anm. d. Uebers. träumte.


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