David Christie Murray
Ein gefährliches Werkzeug
David Christie Murray

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Zehntes Kapitel.

Ziemlich hungrig kehrte Prickett von seinem frühen Ausgang zum Frühstück in seine nahe beim Scotland Yard gelegene Wohnung zurück. Noch ehe er mit seinem Frühstück und den Polizeiberichten in den Morgenblättern zu Ende gekommen war, meldete ihm das Dienstmädchen einen von Inspektor Johnstone geschickten Herrn.

»Laß ihn eintreten,« sagte Prickett mit ungewohnter Schärfe.

Eine Minute später trat der Besucher ein – ein aufgedunsener, ländlich aussehender Bursche von etwa dreißig Jahren mit einem apfelrunden Gesicht, blödem Auge, hängender Unterlippe und einem aufrechtstehenden Büschel strohfarbenen Haares. Er suchte auf dem Teppich nach einem passenden Platz für seinen Hut, der ihn zu belästigen schien, und setzte ihn mit freundlichem Lächeln in die Mitte eines Viereckes des Musters, bereute aber seine Wahl in Bälde und verpflanzte ihn in die Mitte eines andern Viereckes.

Prickett hatte seinen Stuhl vom Tisch zurückgeschoben und sich erhoben. Er stand nun vor dem Kamin und stopfte seine Pfeife, wobei er seinen Gast mit wenig freundlicher Miene ansah.

»Nun,« sagte er kühl, »was wünschen Sie?«

»Ich habe Herrn Johnstone besucht,« sagte der Fremde mit leise nördlich klingender Betonung, »und er hat mich hierher gesandt.«

»So?« fragte Prickett in einem Ton, der deutlich verriet, daß Johnstone dadurch in seiner Meinung nicht stieg; »und was wollen Sie nun, da Sie hier sind?«

»Ich habe während der letzten fünf Jahre bei der Polizei gedient,« erwiderte der Gast mit besänftigendem Lächeln. »Ich habe bei einem in Manchester verrichteten Geschäft etwas Glück gehabt und dann eine Woche Urlaub erhalten. Glauben Sie, daß ich in London irgend etwas unternehmen könnte?«

»Sie könnten eine Fahrkarte für den Rückweg lösen,« erwiderte Prickett trocken.

»Damit wollen wir noch ein wenig warten,« erwiderte der Besucher; »ich habe bei dem ›Fieldingfall‹ eine Kleinigkeit verdient und werde jedenfalls meine Woche Urlaub hier verbringen.«

»Was haben Sie denn mit dem Fieldingfall zu thun gehabt?« fragte Prickett.

»Ich habe ihn nur geleitet,« lautete die Antwort.

Prickett vergaß das brennende Streichholz in seiner Hand vollends zu seiner Pfeife zu führen und betrachtete den Fremden mit neuem Interesse.

»Wie heißen Sie, junger Mann?«

»White ist mein Name – James White.«

Die Augen fest auf seinen Gast gerichtet, zündete Prickett nachdenklich sein Streichholz an.

»Nun,« sagte er nach einer Weile, »es mag sein. Sie müssen es am besten wissen, aber ich hätte es nicht gedacht.«

Bei diesem für seine persönliche Erscheinung ziemlich zweifelhaften Kompliment lächelte White mit Humor. Dies Lächeln war so klug, als sein sonstiger Gesichtsausdruck einfältig war.

»Mir geht es wie dem Mädchen in einem alten Lied, Herr Prickett,« erwiderte er. »›Mein Gesicht ist mein einziger Besitz‹.«

Bei diesen Worten war der nordische Accent beinahe ganz verschwunden, und seine grauen Augen zwinkerten.

»Setzen Sie sich, White,« sagte Prickett plötzlich vertraulich werdend; »ich freue mich, Sie zu sehen. Wenn meine Meinung irgend welchen Wert für Sie hat, so lassen Sie sich sagen, daß nicht bald etwas besser durchgeführt worden ist als die Fieldingsche Sache.«

»Danke schön, Herr Prickett; von niemand höre ich das so gerne als von Ihnen.«

»Gut, wenn Sie so genügsam sind und Ihre Zeit hier nicht verlieren wollen, so kann ich Ihnen zu etwas verhelfen, das Ihnen immerhin eine Zehnpfundnote einbringen kann.«

»Um was handelt es sich?« fragte White.

»Haben Sie die Morgenblätter gelesen? Nun, ich habe diesen Einbruch in Wootton Hill zu verfolgen. Ich habe schon eine Spur gefunden; das Werkzeug, mit dem es ausgeführt worden, ist in meiner Hand, und ich kenne den Mann, der es verfertigt hat. Heute nacht hatte ich ihn festgenommen, allein er hat sein Alibi nachgewiesen, und ich mußte ihn wieder springen lassen. Allein das Werkzeug hat er verfertigt und er weiß, an wen er es verkauft hat. Wenn es sich nur um eine Kleinigkeit handelte, würde er eben seinem Kumpan seine Bedingungen vorschreiben, so aber handelt es sich um dreißigtausend Pfund, und er wird halbpart verlangen. Nun handelt es sich darum, diesen Mann, der einer der ältesten und geriebensten Gauner Londons ist, ganz genau zu beobachten. Wer dies übernimmt und tatsächlich fertig bringt, der leistet ein Stück Arbeit, das dem gewandtesten Mann Ehre machen würde. Ich hätte mich selbst an die Aufgabe gemacht, aber er kennt mich so genau, als ob ich sein Bruder wäre.«

»Was ich brauche, ist eine Gelegenheit, mich in London auszuzeichnen, Herr Prickett,« sagte der Gast.

»Die haben Sie also gefunden,« antwortete Prickett, »aber Sie müssen Ihren Mann kennen lernen. Wenn Sie ihn ansehen und mit ihm sprechen, so kommt er Ihnen so mild und harmlos vor wie ein neugeborenes Kind; in Wahrheit ist er aber so verschlagen wie Garrick und so grausam wie der Teufel und scheut vor niemand und nichts zurück. Noch vor kurzem hat er beinahe einen Mord begangen, und wenn er es für zweckmäßig hält, jagt er Ihnen so unbefangen eine Kugel durch den Leib, als er Sie ansieht.«

»Ich habe den Fall gelesen, in dem Sie mit ihm zu thun hatten. Die Sache unterlag wohl keinem Zweifel –«

»Zweifel?!« rief Prickett zornig. »Doch einerlei,« fügte er gelassen hinzu; »die Karten sind frisch gemischt – ein neues Spiel beginnt, und wir wollen sehen, wer gewinnt. Wenn Sie Lust haben, White, so können Sie sich gleich an die Aufgabe machen. Sie sind doch in London bekannt? Gut. Wenn Sie an Chancery Lane vorbei Holborn hinuntergehen, so kommen Sie auf der linken Seite an Stamford Castle, ein konzessioniertes Haus. Gales Laden – ein Werkzeugladen – mit einem Schild, liegt gegenüber. Dort werden Sie einen Burschen finden mit rötlichem Schnurrbart und weißem Hut. ›Speck‹ sagen Sie, ›Bohnen‹ antwortete er: Sie fragen ›Französisch?‹ Er sagt: ›Vollkommen‹ und dann weiß er, daß er gehen soll, und Sie wissen, daß Sie ihn ablösen. Noch einen Augenblick. Ich habe drei Bilder in ganzer Figur von Herrn Reuben – von vorne, von hinten und von der Seite. Sie werden ihn wieder erkennen, nicht wahr?«

»Ihn erkennen? Ueberall. Wo finde ich Sie, falls ich etwas entdecke?«

»Telegraphieren Sie in den Yard. Und nun eilen Sie – man weiß nicht, wie bald er sich aufmacht. Je dichter Sie ihm auf den Fersen bleiben können, je besser ist es. Wenn es nach meinem Willen gehen könnte, dürfte er keinen Atemzug unbeachtet thun, aber Sie müssen aufpassen, daß Sie die Sache nicht übermachen, denn bei dem Schatten eines Verdachtes stellt er Ihnen sofort ein Bein.«

»Ich werde mein Bestes thun, Herr Prickett,« antwortete der andre ruhig und damit ging er fort.

»So eine Fratze wie sie der Bursche von der Vorsehung mitbekommen hat, ist eine wahre Gottesgabe, er ist beinahe ein so großer Gauner als Reuben selbst. Mein Gott, was sich die Leute doch durch Gesichter täuschen lassen!«

Nachdem er noch eine Weile nachdenklich dagesessen hatte, ging er aus und gab folgendes Telegramm an Wyncott Esden auf:

»Spur gefunden. Verfolge sie. Benachrichtigen Sie mich, sobald mit der Grainger zu sprechen ist. – Prickett. Scotland Yard.«

Dies gethan, begab er sich zum Polizeiarzt und entwickelte vor diesem seine Zweifel über die Agraphie und Aphasie.

»Wenn Doktor Elphinstone den Fall so ansieht, Prickett,« erwiderte der Arzt, »so können Sie sich drauf verlassen, daß er recht hat. Er war ein berühmter Spezialist für Nervenkrankheiten, ehe er sich von der Praxis zurückgezogen hat.«

Für den Augenblick ließ sich nichts weiter thun, allein noch vor Mittag wurde Prickett durch ein Telegramm nach Wootton Hill gerufen.

Bei seiner Ankunft fand er die ganze Familie versammelt. Mit Ausnahme von Wyncott erschienen alle gewaltig ernst, aber der Anwalt sah belustigt aus.

»Dies ist heute morgen angekommen,« sagte er zu Prickett, indem er ihm einen erbrochenen Brief übergab. »Wir möchten Ihre Meinung darüber hören.«

Prickett betrachtete erst den Umschlag ganz genau, dann zog er ein beschmutztes und zerknittertes Blatt Papier heraus und überflog dessen Inhalt schweigend.

»Geehrtes Freillein,« lautete der Brief, »betriebten Hertsens muß ich gesdähen, daß mein einziger Sonn an dem Ferbrächen heide war die staine sind jedst in sein Besits ond opglaich ihmer ein sorg fier eines Vaters herts hab ich doch nihmer gefierchtet er werde sich an främdem sach vergraife. er sagt, geehrtes Freillein obbgleich von guter Erziehung er wolle aines Vaters bihten nicht volken die Sachen ohne eine Bellonnung nichd herausgäbben. Er will dausend nemmen ont saken kitt wen geehrtes freillein sakt morken in der zaitung Standard das es rächt ist

Ain bedriebder Vater.«

Nachdem er es gelesen, untersuchte Prickett dies sonderbare Schriftstück noch eine geraume Weile.

»Nun, Prickett, was denken Sie davon?« fragte Wyncott lächelnd.

»Ich denke ziemlich viel davon, Herr Esden,« antwortete er, »Bis zu einem gewissen Grad ist die Sache bona fide gehalten. Der Absender dieses Briefes ist tatsächlich im Besitz der Steine, weil dies Schriftstück vorige Nacht in London aufgegeben wurde, ehe irgend jemand außer uns hier von dem Einbruch etwas gewußt hat. Davon abgesehen aber ist der Brief eitel Schwindel.«

»Was wollen Sie damit sagen, Herr Prickett?« fragte Janet.

»Wenn Sie den Brief genauer ansehen, gnädiges Fräulein,« erwiderte er, »so werden Sie finden, daß das Papier erst befleckt und zerknittert wurde, nachdem schon darauf geschrieben war. Diese Flecken sind keine Schmutz-, sondern Kaffeeflecken und sind nachträglich darauf gemacht worden. Sie können es deutlich sehen, wo die Tinte dadurch geflossen ist.«

»Aber was schließen Sie daraus?« fragte sie weiter.

»Ich schließe daraus, daß der Schreiber unwissend und arm erscheinen will. Es ist unzweifelhaft falsches Spiel. Einer, der wirklich arm wäre, würde sich nicht so viel Mühe geben, es zu zeigen. ›Erziehung‹, ›ohne‹, ›Vater‹ und ›geehrt‹ ist richtig geschrieben. Es ist nicht wahrscheinlich, daß ein Mann ›Belohnung‹ buchstabiert wie dieser Mensch und dann wieder weiß, wie man ›Erziehung‹ schreibt. Wie Sie sehen, hat er auch seine Tinte verwässert. Ich möchte behaupten, daß dieser Brief von einem Mann geschrieben ist, der eine höhere Stellung in der Welt einnimmt, als er sich den Anschein gibt, daß die Schreibfehler mit Absicht gemacht und diese Buchstaben mit der linken Hand geschrieben worden sind.«

»Das ist eine sehr scharfsinnige Beurteilung, Prickett, und ich neige sehr zu Ihrer Ansicht, aber dies hat mit der Hauptsache nichts zu thun. Diese Leute befinden sich – vorausgesetzt, daß der betrübte Vater und der irrende Sohn keine Erfindung sind – im Besitz der Edelsteine, und Fräulein Pharr ist gewillt, die hier erwähnte Summe zu bezahlen, um sie zurückzuerhalten.«

»Wohl,« erwiderte Prickett mit feierlicher und gewichtiger Miene, »aber wenn Fräulein Pharr meiner Meinung Gehör schenkt, so wird sie für den Augenblick nichts dergleichen thun.«

»Mein lieber Prickett,« sagte Wyncott, bei dem sich das Bewußtsein der gesellschaftlichen Ueberlegenheit zum erstenmal bemerklich zu machen schien, »Sie dürfen diese Sache nicht allzusehr von Ihrem Standpunkt aus betrachten. Ich sprach schon gestern abend« – und damit wandte er sich an Fräulein Pharr – »in Herrn Pricketts Gegenwart die Ansicht aus, man solle eine Belohnung aussetzen und die Summe so hoch bemessen, daß sich der Dieb zur Herausgabe seines Raubes veranlaßt sehe. Nun liegt es unzweifelhaft in Herrn Pricketts Interesse, die Untersuchung fortzusetzen, aber ich muß ihn bitten, zu bedenken, daß es ebenso unzweifelhaft in unsrem Interesse liegt, sie beendet zu sehen.«

»Entschuldigen Sie, Herr Esden,« sagte Prickett, »aber ich sehe dies nicht ein. Warum schreibt dieser Mensch an Fräulein Pharr? Weil Sie mit Ihrer Vermutung von gestern abend recht hatten – weil er die Belohnung will. Diese Leute befinden sich in schwerer Geldverlegenheit; schon die Art und Weise, wie der Diebstahl ausgeführt wurde, verriet, daß sie noch keine Erfahrung darin haben – ich habe nie schlechtere Arbeit gesehen. Dieser Brief hier beweist, daß sie nicht wissen, was sie mit den Steinen anfangen sollen. Einer, der Bescheid wüßte, könnte sicherlich fünftausend Pfund daraus lösen. Lassen Sie sie machen, so versuchen sie die Steine zu verkaufen und wir fassen die Diebe.«

»Aber, Herr Prickett,« rief Janet kläglich, »ich will ja gar keine Verfolgung, wenn ich es irgend vermeiden kann. Werden Sie nicht böse, wenn ich Ihnen sage, wie ich empfinde. Einzig und allein durch meine sträfliche Eitelkeit und Sorglosigkeit sind diese Leute in Versuchung geführt worden. Wenn ich die Sammlung um den Preis von tausend Pfund zurückbekommen kann, bin ich nur allzu froh. Und vielleicht würde der Besitz einer solchen Summe die armen Menschen vor weiterer Versuchung bewahren.«

Pricketts Lächeln war eine Mischung von achtungsvoller Bewunderung, Mitleid und Ueberlegenheit.

»Sie wollen doch damit nicht sagen, daß Sie auf diesen betrübten Vater hereinfallen, gnädiges Fräulein? Das ist eitel Schwindel und die größte Unverschämtheit obendrein.«

»Oh!« sagte Janet, »es würde mir sehr weh thun, wenn ich dies denken müßte.«

»Entschuldigen Sie, Fräulein,« gab Prickett zurück, »aber mir würde es sehr leid thun, wenn ich etwas andres dächte – da müßte ich mir sofort einen andern Beruf suchen.«

»In solchen Fällen,« sagte Elphinstone, »ist die Theorie, die sich Scotland Yard über die menschliche Natur gebildet hat, mindestens so richtig als die Ihre, Janet, wenn sie auch weniger edel ist.«

»Meine Damen und Herrn,« sagte Prickett nun in seiner geschäftsmäßigsten Weise, »ich habe diesen Morgen telegraphiert, daß ich eine Spur gefunden habe, selbstverständlich wäre es ein Verbrechen, sie nicht zu verfolgen. Ich hatte nicht beabsichtigt, es zu zeigen, weil ich meine Entdeckung gerne noch mehr vervollständigt hätte, aber immerhin ist es auch so genug, um die Sache weiter verfolgen zu können.« Während dieser Worte knöpfte er langsam den Rock auf. »Hier ist das Werkzeug, mit dem der Einbruch ausgeführt wurde.«

Er ging auf den Tisch zu, als ob er das Werkzeug dort niederlegen wollte, aber Wyncott trat ihm entgegen und nahm es ihm aus der Hand. Die Blicke der beiden Männer trafen sich in sonderbarer Weise; Esdens Augen vergrößerten sich und die Pricketts schlossen sich halb wie in flüchtigem, aber genauem Forschen. Rasch ergriff der Anwalt das mit Leder überzogene Stück Stahl mit so gieriger Hand, daß es wie eine vibrierende Sprungfeder zitterte.

»Was hat dies zu bedeuten?« fragten Pricketts Augen, während er ohne Unterbrechung weiter sprach. »Ich kenne den Mann, der dies Werkzeug verfertigt hat, und er kennt den Menschen, dem er es überlassen hat.« Wyncott schritt mit dem Werkzeug auf das Fenster zu und untersuchte es im Gehen. Am Fenster stehend, räusperte er sich. »Wenn ich Herrn Wyncott Esden sage, daß der Mann, der es verfertigt hat, Reuben Gale heißt, so weiß er, mit wem wir es zu thun haben. Er ist ein Mann, der seine eigene Mutter um einen Sovereign verkaufen würde, falls es ihm nicht gelänge, eine Guinee für sie zu bekommen – in erster Linie würde er aber die Guinee herauszuschlagen suchen. Er rückte bis jetzt mit der Sprache noch nicht heraus, aber er hat mir heute morgen versprochen, die Sache zu überlegen. Sobald sich Reuben Gale aber entschließt, mit den Dieben gemeinschaftliche Sache zu machen, so weiß er auch, was mit dem gestohlenen Gut zu thun ist. Er wird die Hälfte Anteil verlangen, die Steine schneiden lassen und beinahe ohne Schwierigkeiten auf den Markt bringen. Wenn Sie mich beauftragen, ihn zu erkaufen, ehe er sich an die andern machen kann, dann erhalten Sie vielleicht Ihr Eigentum zurück – lassen Sie ihm aber Zeit, so ist alles verloren.«

»Woher wissen Sie,« fragte Wyncott seinen Platz am Fenster verlassend, »daß dies das Werkzeug ist?«

»Es entspricht den Spuren an dem Schränkchen.«

»Haben Sie es versucht?«

»Nein, das hatte ich nicht nötig; aber wir wollen es sogleich versuchen, wenn es Ihnen recht ist.«

Die beiden verließen das Zimmer und gingen hinauf. Während ihrer Abwesenheit sagte Elphinstone zu Janet: »An Ihrer Stelle, liebes Kind, würde ich alles in die Hände der Obrigkeit legen. Ich habe eine hohe Meinung von diesem Detectiv bekommen.«

»Offenbar dürfen wir nicht mehr an den betrübten Vater glauben,« erwiderte Janet mit kläglichem Lachen.

»Ich denke, wir können es Prickett überlassen, die Thränen dieses ›Vaters‹ zu trocknen; er wird ihm gewiß die Augen auswischen, wenn er Gelegenheit dazu hat.« Dieses Witzchen entsprach so gar nicht dem gewöhnlichen Wesen des Doktors. Er schien sich aber gerade um der Seltenheit willen selbst am meisten darüber zu freuen.

»Prickett hat recht,« rief Wyncott noch vor der Thür; »es ist unzweifelhaft das Werkzeug, mit dem der Einbruch ausgeführt worden ist.« In lebhafter, beinahe aufgeregter Weise sprach er fort: »Der Mann, der dies Werkzeug angefertigt hat, ist ein Klient von mir, den ich erst vor wenigen Tagen aus einer sehr gefährlichen Lage errettet habe. Er war sehr dankbar, und ich genoß das seltene Vergnügen, nach seiner Freisprechung mit ihm zu Nacht zu essen.«

»Wyncott!« klang es in äußerstem Erstaunen von den Lippen der alten Dame.

»Wahrhaftig, Tantchen, er kam in den ›Hahnen‹, setzte sich an den gleichen Tisch mit mir und wollte mir fünfzig Pfund geben für meine erfolgreiche Verteidigung. Ich glaube, einigen Einfluß auf ihn ausüben zu können und möchte daher vorschlagen, daß Prickett und ich zu ihm gehen und versuchen, was aus ihm herauszulocken ist.«

»Das hat einiges für sich,« sagte Prickett nachdenklich. »Es kann sein, daß hinter Reuben Gale noch andere stehen, mit denen zu verhandeln wäre, und wenn dies der Fall ist, so trauen sie sich nicht in meine Nähe.«

»Wenn Fräulein Pharr Prickett und mich beauftragen wollte, mit diesem Gale zu verhandeln,« sagte Esden lebhaft und heiter, »so könnten wir vielleicht die Steine retten. Es wäre die größte Schwäche, das Geld den wirklichen Thätern zu bezahlen.«

»Sie haben carte blanche, Herr Esden,« rief Janet, »aber bitte, thun Sie alles, was Sie können, um eine Verfolgung zu verhindern.«

»Haben Sie gehört, Prickett?« sagte Wyncott. »Wir wollen mit dem nächsten Zug zusammen nach London fahren und sehen, was wir thun können.«

Es stellte sich heraus, daß vor einer Stunde kein Zug ging, und in der Zwischenzeit schien sich Esden in Unruhe zu verzehren. Er bestand darauf, sich von Prickett die Stelle zeigen zu lassen, wo er das Werkzeug gefunden hatte, und packte nachher – noch fast eine Stunde vor der Zeit – hastig seine Reisetasche und kam dann die Treppe herabgestürmt, als gälte es, keinen Augenblick zu versäumen.

»Sie gehen ja in dieser Angelegenheit los wie ein Bluthund, Wyncott,« sagte der Doktor. »Ich habe Sie heute nacht wohl gesehen, mein Junge.«

»Mich gesehen?« fragte Esden, sich rasch nach ihm umwendend. »Wo haben Sie mich gesehen?«

»Auf mein Wort, Janet,« lachte Elphinstone, »er schämt sich seines berufsmäßigen Instinkts. Ich habe ihn heute nacht im Mondenschein über eine Stunde hin und her laufen sehen wie ein Hund, der eine verlorene Fährte wieder aufzuspüren sucht.«

»Ich bitte um Vergebung, Herr Doktor,« unterbrach ihn Prickett, »aber wie steht's mit dem Frauenzimmer?«

»Es ist vorderhand nichts mit ihr anzufangen,« erwiderte der Arzt. »Ein recht merkwürdiger Fall! Sie thut nichts als weinen, und wir können sie nicht dazu bringen, Nahrung zu sich zu nehmen.«

»Sie hält sich für verdächtigt,« sagte die Erbin, »und ist in Verzweiflung darüber, daß sie sich nicht erklären kann.«

»So wird's wohl sein, gnädiges Fräulein,« erwiderte Prickett mit unergründlichem Gesicht.


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