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Kolumbus

Der »Zyklop« machte seine Jungfernfahrt.

Der »Zyklop« war das größte Schiff der Welt. Es gab schon viele größte Schiffe. Und dann kam immer noch ein größeres. Aber der »Zyklop« bedeutete das Ende der Entwicklungskurve. Jener steilen Kurve, die das Meer mit immer größeren Kolossen peitschte. Die Ingenieure sagten, der »Zyklop« bedeute jene Grenze, wo der Widerstand des Wassers alle Dampfkraft der Maschinen fresse.

Der »Zyklop« trug fünfzigtausend Menschen auf der Jungfernfahrt. Ich war einer von den Fünfzigtausend. Ein Fünfzigtausendstel der Lebensfracht des Schiffes also, und ein Milliardstel von der toten. Das Schiff war alles, und ich war ein Nichts. Eines der verirrten hunderttausend Zitterkringel, die die Sonne durch den Laubwald wirft. Immerhin – Lichtkringel haben was gesehen. Lichtkringel können was erzählen. So darf ich's auch tun.

Ich huschte dahin, dorthin auf dem Schiffe. Seine Länge maß ich ab mit Meterschritten. Der »Zyklop« war tausend Meter lang. Es schwamm ein Kilometer auf den Wellen. Der Kilometer hatte eine Breite, eine Tiefe. Die Breite konnte ich nicht messen mittels meiner Schritte. Zuviel Leben wimmelte mir über meine Füße. In die Tiefe sah ich von der Brüstung. Ich stand auf einem Kilometer.

Hinab zu den Maschinen stieg ich. Wie in einen Krater ging es. Es rollte und stampfte. So bebt in Krämpfen ein Vulkan. Die Feuermäuler fraßen drei Millionen Kilogramm an Kohle Tag für Tag. Eine Eisenwelle ging durchs Schiff wie eine Achse durch die Erde und glänzte stumm in rasend schneller Drehung. Die Schraube saß daran – ein Riesenvogel aus der Vorwelt.

Aufwärts stieg ich wieder zu den Passagieren. Durcheinander sah ich diese branden wie die Menschenwellen einer Großstadt. Sie gingen, standen, liefen in den Straßen dieses Schiffes. Kellnerfräcke wehten, Kapellen spielten. Der Vorhang eines schwimmenden Theaters rollte auf. Schwimmbäder plätscherten im Leib des Schiffes. Tennisbälle flogen, Rennfahrer flitzten über eine Bahn.

Jede Stunde flattert die Atlantik-Zeitung aus der Presse. Männer lesen sie und Frauen in den Liegestühlen. Unaufhörlich knistern Funkapparate. Bündelweise kommt der Strom der Telegramme durch die Lüfte.

Auf der Kommandobrücke steht ein Mann und spielt auf Klaviaturen – das Hirn des Schiffes.


Ich trat an das Geländer. Es ging gegen Abend. Der Ozean flammte. Die Lüfte sangen. Eine leuchtende Stadt brauste durch das Weltmeer.

Wohin? Ostwärts.

Und mit dem Lauf des Schiffes rollte diese Erde um sich selber. Ein Wettlauf.

Und mit dem Schiffe flog die Erde um die Sonne.

Und im Weltraum selbst die Sonne …?

Mir schwindelte.


Oho – was war da vorn am Bug des Schiffes?

Gespenstisch kam es angezogen mit geblähten Segeln. Ganz klein sah's aus von meiner Höhe. Und sonderbar, so sonderbar.

Ein Fischerkahn? Ein Lotsenboot? Nein, nein, ein Segelschiff aus alten Zeiten. Hölzerne Geländer, Säulenreihen liefen zierlich um den Umfang. Der Mastkorb hing so unbehilflich hinterm Segel wie eine umgestülpte Glocke.

Ein Mensch saß darin, ein lebender Mensch. Mit einer sonderbaren Tracht. Im Museum hab' ich sie gesehen und auf Bilderbogen. Spanisch war sie – richtig spanisch.

Ruhig sah der Mann an den »Zyklop« hinauf. Wie man an einem Berg hinaufschaut.

Ein Kreuz sah ich am Segel, ein spanisch Kreuz.

Und vorne am Bug sah ich einen andern Menschen. Hochgewachsen. Das gebogene Knie auf einem Bündel Taue. Die flache Hand am Auge, zu mir aufwärts schauend.

Ich riß das Fernglas aus der Tasche. Es nützte nichts. Es war zu dunkel.

Da ging ein Blitzen übern Himmel. Und nun sah ich das Gesicht des Mannes in einem kurzen Leuchten.

Es war Kolumbus.

Ich wollte rufen – ich wollte zu dem Kapitän – ich wollte halten lassen – ich wollte – ein Dutzend Dinge wollte ich in einem Augenblick.

Und als der Mund sich wölbte zu dem Rufe, war die schlanke Brigg verschwunden. Schluckte die Vergangenheit den Helden vierhundert Jahre rückwärts wieder ein.

Der Buggischt brauste aufwärts. Es sprühte leicht zu mir herauf. Drei Tropfen fielen vom Geländer:

»Ko–«, klatschte eine helle Siegessilbe in die Tiefe, »lum-bus« fielen Tropfen Bleies hinunter in das Wasser.

Der Mann verschwand – das Werk stand auf.

»Sag an, Kolumbus, welches war die Größe deines Werkes? Sag an, Kolumbus, was hast du empfunden, als du unsern Riesen neben deinem Brigglein pflügen sahst?«

Ich fragte in die Ferne – aus mir selber stieg die Antwort:

Die Tat des Mannes auf dem schemenhaften Schifflein wuchs. Wuchs und wuchs ins Riesenhafte. Wuchs aus den Wassern aufwärts, wuchs herauf zu mir. Schwoll über mich hinauf zu der Kommandobrücke. Überschattete den Kapitän und seine Tasten, auf denen er die Melodie des Riesenschiffes spielte. Kletterte hinauf zum Schornstein. Reckte unbekümmert sich durch Qualm und Tuten. Und schoß hinauf in Sternenhöhe.

Weit ließ sie unser Schiff zurück. Und von der Spitze seiner Tat sah jener Mann mit dem gebeugten Knie auf uns herunter, wie ich selber vorhin auf die Brigg.

Da erkannte ich's: Kolumbus' Ausfahrt – ein Sprung ins Dunkle – die unberechenbare Gottheit ward zum Zweikampf aufgefordert. Des »Zyklops« Ausfahrt, unseres größten Schiffes mit den Wunderwerken – eine vorgeschriebene Route – berechnete, ertüftelte Gewalten, sauber auf Papier herausgeklügelt – freilich Riesenwerke schaffend, aber …

Die Technik blies unsere Dinge auf und machte uns selber hohl. Tüftler sind wir und Berechner. Keine Helden mehr wie du, Kolumbus.

»So sind denn unsere Zeiten heldenlos geworden – sag an, Kolumbus?«

Er wies mit ausgestreckter Hand zurück ans Land.

Nebel sah ich wallen. Türen sprangen auf von Kammern. Denker sah ich und Gelehrte.

Kühne Geistesblitze schossen aus der Denker Stirnen. Wie ein Wetterleuchten suchten sie den Horizont der Menschheit ab.

An Retorten sah ich die Gelehrten. Über Mikroskope sah ich sie gebückt. Ihr Leben sah ich sie in Schweigen an ein Tröpfchen hängen. In die Schanze schlugen sie ihr Herz und Leben für einen Spatenstich am Schachte der Erkenntnis.

Da ward ich wieder froh.

»Nein, deine Brüder sind nicht ausgestorben, Held Kolumbus. Nur die Gewänder sind vertauscht.«

 


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