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Güter

Es war eilig gegangen. Vor der Versteigerungshalle blieb er stehen. Ein Plakat hing da: »Sicherheit gegen Abhandenkommen wird nicht geleistet.«

Er lachte bitter auf: »Stimmt.«

Er mußte das wissen, er war reich gewesen und hatte jetzt bankrott gemacht: Sicherheit gegen Abhandenkommen wird nicht geleistet. Und da drinnen wurden seine Sachen versteigert.

Ob er's wagen dürfte, auch dabei zu sein? Da hatte ihn eine Käuferwelle schon hineingestrudelt. Mit geducktem Kopfe stand er in der dritten Reihe. Wenn ihn nun einer kannte? Wenn sie mit Fingern auf ihn wiesen: Seht, da sitzt er, der den Sachen hier gehört hat.

»Falsch, Lörcher!« hörte er aus der Vergangenheit die Stimme eines Lehrers, »nochmal übersetzen!«

»Seht, da sitzt er, der den Sachen hier –«

»Unsinn! Dem die Sachen hier einmal gehörten! Oder meinst du wirklich, er gehöre seinen Sachen, statt die Sachen ihm?«

»Ich weiß nicht recht –«

»Das merke ich, daß du nichts weißt. Setzen!«

Er setzte sich wirklich. Nicht in die Schulbank. In eine von den kleinen Bieterbänken. Immer noch geduckt.

Aber keiner achtete seiner. In diesen harten Zeiten hatte jeder mit sich selbst zu tun. Sechs im Tage machten jetzt in dieser Stadt bankrott. Nach außen hin. Bankrott nach innen machten noch viel mehr.

»Ein Herrenzimmer in Eiche!« rief der Mann mit dem Hammer. Der in der dritten Reihe duckte sich noch tiefer. Sein Schreibtisch, sein Sessel, sein Bücherschrank – es tat doch weh.

Die Gebote gingen zähe in die Höhe. »Vierhundertfünfundneunzig zum dritten!« schrie der Hammer, »niemand mehr?«

Dem Geduckten gab es einen Stich. »Fünfhundert«, entfuhr es ihm.

»Fünfhundert zum ersten, zum zweiten – niemand mehr?«

Dem Geduckten klopfte der Versteigerungshammer in der Schläfe: Wenn nun niemand weiterböte? Wenn ihm das eigne Zimmer zugeschlagen würde? Wenn der Mann dort vorn die Hand ausstreckte?: »Fünfhundert Mark, bitte.« – »Ich – ich habe nur noch fünfzehn –«

»Fünfhundertzwanzig!« scholl es weiter. Der Geduckte atmete auf. Hatte nicht eben sein Schreibtisch hart nach ihm gegriffen: »Hierher, mir gehörst du zu!«

Ohne Kummer hörte er den Schreibtisch von den Bietern hin und her gezerrt. Ober war es umgekehrt? Schief und scheu sah er jetzt auf. Schwebte nicht sein Schreibtisch über dieser festgekeilten Menge, stieß jetzt diesen, dann jenen unters Kinn: »Kopf hoch, bitte. Du gefällst mir. Du noch besser – biete, sag' ich dir! zum Donnerwetter, biete!«

Und sie boten.

Ein Teppich wurde aufgeworfen. »Handgeknüpfter Smyrnateppich, schönes Stück, wer bietet?«

Wieder gab's ihm einen Stich. Über diesen Teppich war sein Glück geschritten, vor, zurück, im Kreis, im Tanz, bis es zusammenbrach, das Glück des Reichtums und das Glück der Liebe.

»Dreihundertachtzig zum dritten, niemand mehr?«

»Vierhundert!« suchte er sein Glück zurückzuholen.

»Vierhundertfünfzig – achtzig – neunzig – fünfhundert!« ging die Teppichjagd über ihn hinweg. Einer mit »Sechshundert!« rollte ihn vergnügt zusammen.

Plötzlich schien's ihm umgekehrt: Der Teppich rollte einen Menschen, der Grimassen schnitt, erbarmungslos in sich hinein.

Gemälde rückten an und Bücher, Geschirre, Betten, tausend Dinge eines – wie sagte man doch gleich – wohlgepflegten Haushalts.

Sie zogen auf und zogen ab. Manche Stücke zwangen ihn, den Kopf zu heben, stießen ihm das Kinn nach oben, wie man's auf dem Sklavenmarkte macht: »Wie, laß mal sehen, ob ich dich gebrauchen kann – ach, du bist's nur.« Und schnitten ihn, wie man verlaßne Kameraden schneidet.

Wie er sich auch mühte, unbeteiligt zu erscheinen: »Was geht's mich an, ich habe mit euch abgeschlossen« – hindern konnte er es doch nicht, daß es ihn bei jedem Stück ein wenig schütterte. Nein, nicht die Stücke schütterten ihn. Die Erinnerungen taten's, die an den Stücken hingen.

Aber das Ergebnis war dasselbe. Das Ergebnis war ein reich gewesener Mensch, der, arm geworden, sich jetzt in der dritten Reihe duckte, duckte wie die wilde Jagd seines losgebrochenen Besitzes über ihn hinwegstampfte und ihm Fußtritte versetzte mit Klavierbeinen, Lüsterarmen und Garderobenständern: »Erledigt!«

Er gewann es endlich über sich, von seinem Schicksal abzusehen und die Leute zu betrachten.

Neben ihm saß einer, der erzählte, schon seit siebzehn Jahren käme er hierher. Nicht um zu steigern, nein, nur zuzusehen. Ein ausgebrannter Krater war er, der sich täglich sein gelindes Nervenprickeln holte, wenn er Menschen raufen sah um Dinge.

Vor ihm saß ein anderer, der erzählte seinem Nachbarn, wie er gestern ein Dutzend Kissenüberzüge eingesteigert habe, die zu Hause ihm mit einem Stempeldruck »Savoy-Hotel« entgegenbleckten. Jetzt säh's aus, als habe er's gestohlen. »Das sieht bei allen Dingen so aus«, sagte rätselhaft sein Nachbar, »alle Dinge haben, unverwischbar, ihren Stempeldruck – freilich sehen ihn die meisten erst beim Abschied von den Dingen.« Der Angesprochne sah ihn groß an: »Des is mir z'hoch, Herr Nachbar – achtzig Mark für des Kanapee? – fünfundachtzig!«

»Neunzig!« sagte ein Mann, der eben hereinkam. Er wußte gar nicht, was versteigert wurde. Er machte es immer so. Wie einer, der sich anzukaufende Papiere blind aus dem Kurszettel sticht. Er verblüffte. Die schönsten Stücke fielen ihm für ein Geringes zu. »Was, was werd' ich mir da wohl eingesteigert haben?« glänzte ihm beim Bieten kreuzvergnügt vom Angesicht.

Der Geduckte nickte: »Steigern wir nicht alle ebenso das eigne Leben ein, von dem nicht einer weiß, was es ihm bringen wird?«

Gemurmel, Rücken in den Bänken, die Versteigerung war zu Ende. Der Geduckte ging hinaus.

»Halt!« klang's vom Hammerpult, »halt, meine Herrschaften – noch eine Kleinigkeit zum Schluß. Ein kleiner Globus. Neu ist er nicht mehr. Na, fünfzig Pfennige zum ersten, nimmt ihn jemand dazu?«

Gelächter. Schulterzucken: »Ein Globus? Noch dazu ein alter? Die Karten stimmten nach dem Kriege auch nicht mehr …«

Der Geduckte hatte sich gewendet. Den kleinen Globus hatte ihm sein Lehrer in der Volksschule geschenkt: »Wenn's dir einmal schlecht geht, Max, umarm' ihn: dir gehört die Welt. Jetzt verstehst du's noch nicht. Aber später – in – na, sagen wir mal, wenn du fünfzig bist.«

Jetzt brauste es dem Geduckten in den Ohren. Heute war er fünfzig.

»Fünfzig Pfennige zum ersten, zum zweiten niemand mehr?« scherzte es vom Hammerpult.

»Eine Mark«, sagte der Geduckte.

»Ui, gleich das Doppelte, der hat's aber dicke«, spöttelte es.

»Eine Mark zum ersten, zweiten – niemand mehr? – zum dritten – Ihren Namen, bitte?«

»Lörcher.«

»Lörcher? wohl verwandt mit – mit –?« Er überflog den leeren Raum, wo die Habe eines Reichgewesenen eben noch gestanden hatte.

»Verwandt? ja, entfernt«, hatte der Geduckte sagen wollen. Aber er sagte: »Verwandt? Nein, nicht mehr.«

»Ich verstehe, bei Ausrangierten streicht man die Verwandtschaft durch. Aber 'n Andenken an ihn, den kleinen Globus, den haben Sie sich doch geleistet – schön, sehr schön von Ihnen …«

Der andre hörte nicht zu. Er war nicht mehr geduckt. Er ging gerade. Mit dem Globus unterm Arm. So straff geht einer nicht, der eben log. Er hatte die Wahrheit gesagt. Er war mit dem versteigerten Lörcher nicht verwandt.

Am Ausgang kam ein Mensch, das Gesicht in Kondolenzfalten gelegt, auf ihn zu. Sein Vetter war's, der reichgebliebne Bröselmann: »Nur Mut, Max –«

»Mut – wozu?«

»Na, wenn man von seiner eigenen Versteigerung kommt –«

»– so braucht man keinen Mut mehr.«

»Ich verstehe dich nicht.«

»Ihr meint, ich sei arm. Ich bin reich. Bis jetzt war ich versklavt. Versklavt an die Dinge –«

»Nicht übel«, lachte Bröselmann, »sich zum Trost 'n philosophisches Mäntelchen zu drapieren.«

»Es ist die Wahrheit. Ich sah sie drinnen. Nicht wir steigern die Dinge. Die Dinge steigern uns. Nicht Besitzer – Besessene sind wir. Auch ich war besessen. Jetzt bin ich frei. Den Dingen bin ich entronnen.«

»Hm, ganz geistreich –«

»Ich will nicht geist-reich, ich will ding-arm sein. Weißt du noch, wie wir zusammen das Kolleg besuchten? Der Professor prophezeite eine goldne Zeit. Die Maschinen nähmen einmal allen Menschen alle Sorge ab. Jetzt schon träfen zwei eiserne Kameraden auf einen von Fleisch und Blut. Träfen zehn darauf, es quölle aus ihnen so an Gütern, daß es auch der Ärmste gut bekäme.«

»Ja, ich weiß, das war vor – vor dreißig Jahren, und heute –«

»Heute haben wir die zehn. Morgen werden wir zwanzig haben. Güter ohne Zahl speien sie aus. Es flutet um uns von Gütern. Die Flut steigt. Einmal wird die ganze Erde von Gütern überschwemmt sein. Wir ertrinken in Gütern. Grau von Gütern überkrustet ist die Erde, wenn die Flut verläuft. Und der Mensch ist tot.«

»Erlaub mal, Güter kommt von gut –«

»Siehst du dort drüben auf dem Damm die Güterzüge rollen? Sechzig Wagen jeder. Jeder Wagen fünfzehntausend Kilo. Fünfzehntausend Kilogramm gestopft voll Klaviere, Vorhänge, Büsten, Konserven, Bettvorleger, Lüster, Fußabstreifer, Zuckerzangen, Nagelfeilen – Güter und kein einziges Gut!«

»Aber nun höre mal –«

»Ich habe gehört. Jetzt sehe ich. Die Gütergier geht um. Je mehr es aus Maschinen quillt, je mehr dürstet uns. Was erzeugt wird, soll in uns Besitzern wieder Kraft erzeugen. Mehr als nötig war, es herzustellen. Dann, ward uns verheißen, würde jeder reich. Schau dich um. Hat's der Arme besser? Ist der Reiche glücklicher? Kein Gut wird mehr genützt. Die Güter nützen uns. Wo sind Kinder rar? Wo die meisten Güter sind. Die Güter töten uns, und keiner sieht es. Auch du –«

»Ich?« kräuselte Bröselmann die Lippen, »ich will versuchen, es zu sehen.«

»Du kannst es nicht, du ließest deine Güter denn versteigern.«

»Sehr lieb von dir. Was deine eigne Versteigerung betrifft, so scheint man ein Ding zuviel versteigert zu haben: deinen Verstand.«

Des andren Arm umschloß den ans Herz gedrückten Erdkreis! »Dafür habe ich die Erde neu gewonnen«, sagte er lächelnd und tauchte als ein Verwandelter ruhig und aufrecht ins Gewühl der Stadt.


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