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Die Entdeckung

Wenn heute ein Nichtfachmann eine Entdeckung machte so halten die Fachler das für eine Beleidigung.

Die Fachler sind sonst nie einig. Aber darin sind sie völlig einig: Eine Entdeckung durch Nichtfachler müßte bestraft werden.

Und sie wird bestraft:

In seinem Kinderglauben geht der Nichtfachler mit seiner Entdeckung zu einem Fachprofessor:

»Herr Professor, es ist mir gelungen –

Bis hierher kommt er, und schon steigt drüben das fatale Lächeln auf.

»Nein, Herr Professor, ich versichere Ihnen wirklich –«

Das fatale Lächeln wird stärker:

»Jaja, gewiß – in der Tat – hm – nun also, lassen Sie mal hören – aber fassen Sie sich kurz – recht kurz – ich habe eine Vorlesung und –«

Und der Entdecker faßt sich kurz. Der Entdecker drängt seine zehnjährige Eigenbrötelei-Arbeit in zehn Minuten eines übersprudelnden Berichts hinein …

Schon in der zweiten Minute ist der Professor mit seinem Urteil fertig: Blech.

Von der dritten Minute an denkt er an irgend etwas anderes. Und in der zehnten Minute ist er angenehm erstaunt, daß der andre fertig ist.

»Hm«, sagt er gütig lächelnd, »hm, soweit ganz nett – in der Tat – aber Sie verstehen, man kann so was nicht aus dem Handgelenk – Sie verstehen – also schreiben Sie das Ganze nieder und schicken's mir – gelegentlich, nicht wahr – und jetzt, verzeihen Sie, aber die Vorlesung …«

Natürlich bringt die erste Post am nächsten Tag den ausführlichen Beschrieb mit einem zuversichtlichen Begleitbrief:

»Ich bin Ihnen von Herzen dankbar, hochverehrter Herr Professor, daß … und zweifle nicht, daß Sie beim Durchlesen dieses Beschriebs …«

Drei und einen halben Monat lang zweifelt er nicht, und zwei und einen halben Monat zweifelt er ein wenig – dann schreibt er:

»… so daß mir leider nichts andres übrigbleibt, als Sie um Rücksendung meiner Arbeit …«

Die kommt denn auch mit einer Karte:

»Professor Soundso hat mit Interesse von Ihrer Arbeit Kenntnis genommen und beehrt sich, sie wieder in Ihre Hände zurückzulegen.«

Dann geht der Nichtfachler zum zweiten Professor:

»Herr Professor, es ist mir gelungen …«

Und … so … weiter … siehe … oben …

Darauf geht der Nichtfachler zum dritten Fachprofessor:

»Herr Professor, es ist mir gelungen …«

Der Kontrolle halber, ob seine Arbeit auch wirklich gelesen wird, schreibt er auf die siebte Seite an den Rand:

»Herr Professor, Sie sind ein Rindvieh – nehmen Sie's nicht übel – ich schrieb es nur zur Probe – sollten Sie dennoch bis hierher gelesen haben, so bitte ich um Verzeihung für den schlechten Witz …«

Das Manuskript kommt tadellos zurück:

»Herr Professor Soundso hat mit Interesse …«

Das »Rindvieh« auf der siebten Seite ist noch unaufgeschnitten – die Verzeihung war nicht nötig.

Darauf wendet sich der Laie an Fachblätter.

Aber er bedenkt nicht, daß Fachblätter gedruckte Formulare haben, welche so beginnen:

»Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, daß …«

Schließlich läßt der nichtfachliche Entdecker in seiner Verzweiflung eine Broschüre drucken. Da steht nun alles drin, sauber, klar, ausführlich …

Und die Broschüre geht mit einer Widmung an die Professoren, geht an die Zeitungen und Zeitschriften, geht an die Freunde, an die Verwandten, an die Bekannten, geht an die Abgeordneten …

Nicht auf einmal, sondern nach und nach. Und zwischen einer jeden Empfängerkategorie liegt ein halbes Jahr Verzweiflung, liegen eine Menge lieber Kärtchen:

»Ich habe mit lebhaftem Interesse und … so … weiter …«

Und dann kommt ein Tag und eine fürchterliche Nacht. Und in der Nacht ist es, wo sich der Entdecker losreißt von seiner Entdeckung, sie mit Schmerzen fahren läßt und seiner Gattin verspricht, wieder eine vernünftige Bibliothekarstellung anzunehmen, um nicht zu verhungern.

Dann vergeht noch ein Jahr, ein langes Jahr.

Und gegen Ende dieses Jahres geht der berühmte Professor Soundso – nun, bei uns zu Hause sagte man in solchem Falle, er ginge »wohin«.

Also gut – der berühmte Professor Soundso geht in seinem Hause »wohin«.

Nun hat der berühmte Professor Soundso die Gewohnheit, bei dieser Gelegenheit sich in irgendeine Lektüre zu vertiefen, die gerade »zur Hand« ist.

Der berühmte Professor sucht gedankenvoll am Nagel: Zur Hand ist eine vergilbte Broschüre.

Also liest er die Broschüre, liest mit wachsender Erregung, liest und liest und liest …

Liest so lange, bis seine Gattin klopft:

»Aber Mann!«


Am andern Tag erhält der Erfinder einen Brief, nicht eine Karte:

»Sehr geehrter Herr – Kollege, Sie müssen schon erlauben, daß ich Sie so benenne, denn ich muß Ihnen herzlich zu Ihrer Entdeckung gratulieren, deren Tragweite sich noch gar nicht ermessen läßt. Eine Entdeckung, auf die ich durch Zufall in einer Broschüre gestoßen bin, die sich zu mir verirrt hat. Ich bitte Sie sehr, mich morgen in meinem Laboratorium zu besuchen. Unbegreiflich ist es mir, daß bis heute in unseren Kreisen von Ihrer Entdeckung nichts bekannt ist. Und ich kann Ihnen den Vorwurf nicht ersparen, sehr verehrter Herr Kollege: Warum sind Sie mit einer solchen Entdeckung nicht direkt zu Fachleuten gegangen, warum sind Sie nicht zu mir gegangen, der ich doch …«

Der Empfänger dieses Briefes greift sich an den Erfinderkopf. Eine Blutwelle ist ihm in die Schläfen geschossen. Eine Blutwelle und eine Erinnerung.

An seine Registratur geht er. Anderthalb Jahre zurück schlägt er. Da hat er es, das Kärtlein:

»… hat mit großem Interesse Kenntnis von Ihrer Arbeit genommen und legt sie wieder mit bestem Dank in Ihre Hände zurück.«

Und dann vergleicht er die Unterschrift auf dem Kärtlein mit der Unterschrift auf dem Brief von heute: Es ist dieselbe.

Und setzt dann lächelnd seinen Hut auf.


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